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Solange

»When I Get Home«

Saint Records/Columbia/Sony

Mit »A Seat at the Table« hat Solange Knowles, die jüngere Schwester von Beyoncé, 2016 einen Soul-Meilenstein veröffentlicht. Auf besagtem Album thematisierte sie unter anderem Wutgründe, die man als schwarze Frau in einem von weißen Männern dominierten Amerika haben darf. Dass sie dafür eine direkte, aber poetisch-sanfte Sprache etablierte und auch die Musik mehr schmeichelte, als agitatorisch herausschrie, machte die Botschaft nur umso intensiver.

Quasi über Nacht, nur einige Social-Media-Postings gaben Hinweise darauf, hat sie jetzt ihr neues Album »When I Get Home« veröffentlicht. Sie klingt darauf noch weniger wütend als zuvor. Musikalisch hat sie sich noch mehr vom Soul-Mainstream entfernt. Sehr viel eher als bei ihrer Schwester oder gar Rihanna kommen einem Jazz-Soul-Musiker wie Thundercat in den Sinn. Im Opener »Things I Imagined« arbeitet sie mit unerwarteten und doch herrlich fluiden Akkord-Progressionen. Überhaupt nimmt Solange in zahlreichen Interviews das böse J-Wort in den Mund. Jazzig sei das Album, hört man von ihr. Elektronische Sounds und HipHop kommen aber trotzdem nicht zu kurz. Im Vergleich zum Vorgänger klingt das Album organischer, hat eine Art von Live-Feeling. Kein Wunder, denn es sind keine im Studio zusammengeschusterten Tracks, sondern größtenteils One-Take-Aufnahmen, denen Solange das Substrat abrang, mit dem sie arbeitete. Das führt zu erstaunlichen Ergebnissen. Das Album wirke wie ein Album voller Interludes, hört man so manchen paffen Ex-Fan in den sozialen Netzwerken raunzen. Tatsächlich überschreitet kaum einer der 19 Tracks die magische 3-Minuten-Marke. Ob es sich dabei um Fragmente und unfertige Skizzen oder um konzise Zuspitzungen handelt, lässt sich auch nach mehrmaligem Hören nicht letztgültig entscheiden. Klar ist aber, dass es Solange hier nicht um wie auch immer geartete Hits ging, sondern um ein Album, in dem die Songs und Zwischenteile organisch ineinanderfließen.

Die Gästeliste auf dem Album ist lang: Pharrell Williams, Gucci Mane, Blood Orange’s Dev Hynes, The-Dream, Metro Boomin, Playboi Carti, Earl Sweatshirt, Panda Bear und Tyler the Creator sind nur einige der Namen. Dass sie es geschafft hat, dass niemand dieser prominenten Akteure sich in den Vordergrund drängt, ist bemerkenswert. Alle ordnen sich offenkundig der künstlerischen Vision von Solange unter, stehen im Dienst der Sache. Das Album bleibt klanglich stets homogen. Faszinierend ist, wie viel sich in den einzelnen Songs abspielt. Der Anschein der Repetition ist bloße Oberfläche. Jedes neue und genauere Hinhören wird reichlich belohnt. Nicht aus der Protesthaltung gegen ein weißes Amerika hat Solange dieses Mal Schönheit destilliert, sondern eine positive Ausformulierung der Black Culture ihrer Heimatstadt Houston, Texas, gewagt. Das klingt kosmisch, grenzenlos, verträumt, schräg, verhuscht, uneindeutig und künstlerisch. Mit der Musik und den Texten auf dieser Platte lässt sich nicht politisch einschreiten. Aber es lässt sich zeigen, wie schön, schillernd und facettenreich eine schwarze Welt sein kann.

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