(c) Clara Wildberger
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Situationistische Haikus – Mit dem Filmemacher Lukas Marxt im Gespräch

Orte, denen die Zeit abhanden gekommen scheint. Isolierte, surreale Räume, Heterotopien und unwirkliche Landschaften - Lukas Marxt rückt sie in den Fokus seiner Filme. Der Ort dient ihm hierbei nicht als Kulisse sondern als Protagonist, der Anteil hat am spielerischen Austesten künstlerischer Positionen. In seinen Filmen »High Tide« und »Reign Of Silence«, mit denen er auf dem österreichischen Filmfestival Diagonale mit dem Preis für Innovatives Kino bedacht wurde, schreibt sich Marxt mit flüchtiger Geste in die Natur ein. Er bemächtigt sich für einen kurzen Moment der Faszination der Landschaft und stemmt sich trotzig der unwirklichen Umgebung entgegen, was nicht eines gewissen Humors entbehrt. Das Ergebnis ist poetisches Dokument wie performative Land Art. skug traf den Filmemacher und Weltenbummler kurz vor seiner Abreise nach Hongkong zu einem Gespräch.

skug: Du hast audiovisuelle Gestaltung in Linz studiert und letztes Jahr dein Masterstudium an der Kunsthochschule in Köln abgeschlossen. Wie bist du zum bewegten Bild gekommen?

Lukas Marxt: Bis zu meinem Studium hatte ich nichts mit Film zu tun, außer dass ich beim Skateboardfahren Videos gedreht habe. In Linz habe ich fünf Jahre audiovisuelle Gestaltung studiert und bin schon bald auf die experimentelle Abteilung aufmerksam geworden, in der Mara Mattuschka und Thomas Korschil unterrichtet haben. Meine ersten Projekte waren Found Footage Arbeiten, die aus dem von mir digitalisierten Home Movie Archiv meines Vaters und Stiefvaters entstanden sind. Bei der Sichtung des Materials ist mir aufgefallen, dass ich mich mehr für die Zwischenbilder interessiere als für die Aufnahmen von Menschen. Das und die Tatsache, dass ich die Kamera immer mitgenommen habe, wenn ich verreist bin, haben dazu geführt, dass ich begonnen habe, mich mehr mit Landschafts- und Reisebildern auseinanderzusetzen.

 

»Nella Fantasia« ist dein bislang längster Film, für den du einige Zeit auf einer Bohrinsel im norwegischen Sektor der Nordsee gedreht hast. Sowohl der Ort als auch dein Konzept sind ungewöhnlich. Man kann zwar sagen, dass du einem dokumentarischen Ansatz folgst, aber du interessierst dich eher für die Architektur und den Raum als für die dort ablaufenden Arbeitsprozesse. Wie ergab sich das Projekt bzw. die Möglichkeit diesen Ort zu besuchen? 

Bohrinseln haben schon lange eine Faszination auf mich ausgeübt. Man weiß, dass sie schwer zugänglich sind und es fast keine Chance gibt, diese zu besuchen, wenn man nicht dort arbeitet. Tatsächlich bot sich die Möglichkeit durch ein Stipendium, das von einem Energiekonzern vergeben wurde. Es war mir schnell klar, dass ich mich für diesen Ort entscheiden würde, wobei ich weniger an der Ölförderung und den diversen Arbeitsprozesse interessiert war, als vielmehr am skulpturalen Charakter dieses sehr speziellen Ortes. Diese Unwirklichkeit, mitten im Meer und total isoliert von der Welt zu sein, hat eine starke Faszination auf mich ausgeübt.

Für die Trilogie »High Tide«, »Low Tide« und »Reign of Silence« bist du in die Arktis gefahren. Wir sehen Fjorde, die von bedrohlichen, glazialen Schluchten umragt werden. Wie kommst du als Künstler auf die Idee, eine so spektakuläre Landschaft für dein Projekt auszuwählen?

Das Projekt kam während einer Arktis-Expedition zustande, an dem mehrere Künstler unterschiedlicher Medien teilgenommen haben. Ich hatte ein Konzept ausgearbeitet, das sich ganz allgemein die Frage stellt, wie unsere Wahrnehmung von Zeit an einen bestimmten Ort gekoppelt ist, in welcher Wechselwirkung diese Kategorien zueinander stehen und welchen konkreten Einfluss natürliche Faktoren wie der Sonnenstand darauf haben. In der Arktis haben mich speziell die Dämmerphasen und die blaue Stunde, d.h. die Zeit kurz vor Sonnenuntergang interessiert, die in Mitteleuropa an die vierzig Minuten dauert, in diesen Breitengraden aber zweieinhalb Stunden anhält. Da sowohl in Nella Fantasia als auch in diesem Projekt Orte im Zentrum standen, die relativ einzigartig sind, konnte ich vorher nicht genau wissen, was mich dort erwarten würde, d.h. dass man als Filmemacher großteils auch spontan auf die Beschaffenheiten der Umgebung reagieren muss. Ausgehend von der Frage wie und auf welche Art man temporär in die Umgebung eingreifen kann, habe ich mich in »Reign of Silence« dafür entschieden, ein Motorboot einen Kreis in einem dieser Fjorde ziehen zu lassen. Die Herausforderung dieser Versuchsanordnung war zunächst, einen geeigneten Standpunkt für den Dreh zu finden. Einfach frontal von der Küste aus zu filmen, hätte nicht funktioniert – der Kamerawinkel musste passen. Als wir an der Küste von Pyramiden waren, einer stillgelegten Kohleabbaustätte, fand ich einen alten Kran am Hafen, auf dem ich die Kamera in 50 m Höhe positionieren konnte. Ich bin also hinaufgestiegen und habe über Walkie Talkie mit dem Bootfahrer kommuniziert. Bis dann tatsächlich der perfekte Kreis zustande kam, hat es mehrere Anläufe gebraucht. Anders als bei diesem Film war ich in »High Tide« selbst an Bord eines Segelboots, das eine Drehbewegung ausführt. Ich filme dabei nur die Spuren, die es im Wasser hinterlässt. Wir haben uns gut zwanzig Minuten um die eigene Achse gedreht, wobei die ersten fünf Minuten am Interessantesten waren, d.h. der Ûbergang vom normalen, leichten Wellengang, der dann gebrochen wird, sobald das Schiff sich einmal vollständig gedreht hat, um wieder in seine eigene Schneise einzuschlagen. Das Wasser innerhalb des Kreises war still, während sich außerhalb die Wellen an der Spur des Botes gebrochen haben. Es kam so zu einer Teilung von Innen und Außen. In dem Moment, an dem das Bild alle Facetten der Veränderung gezeigt hat, ist der Film zu Ende.

Bei all deinen Arbeiten stellt man sich die Frage wie man als Filmemacher Landschaften begegnen kann, denen von sich aus eine fast beängstigende Schönheit eingeschrieben ist. Wie gehst du mit der Gefahr um, die solche Inszenierungen notwendig mit sich bringen? Kann man aus diesen Bildern einen künstlerischen Mehrwert extrahieren, ohne seinen Blick an das Naturspektakel zu verlieren? Es ist dir vermutlich bewusst, dass man einen Kontrapunkt braucht, um das Bild nicht zu einer verklärten Pastiche werden zu lassen. Ich stelle mir diese Blickanordnung schwierig bis problematisch vor. Inwieweit reflektierst du Probleme der Schaulust bzw. wie kann man diese für künstlerische Arbeiten produktiv machen?

Ja, das ist schwierig. Es ist natürlich immer auch eine Gradwanderung. Speziell in Spitzbergen fiel es mir zunächst schwer, weil ich einfach überwältigt war von der Landschaft. Ich habe die Kamera die ersten paar Tage einfach aufgestellt und losgefilmt, obwohl mir zu der Zeit schon bewusst war, dass ich dieses Material nicht verwenden kann. Ich würde sagen, ich integriere beide Ansätze. Etwas, das ich immer mitreflektiere und einbringe, ist meine Position als Kameramann. Es geht also nicht nur um die Landschaft, sondern immer auch darum mich selbst zu integrieren. Ich achte darauf, der Landschaft etwas entgegenzusetzen. Wenn sich in diesen entlegenen Landschaften keine menschlichen Spuren mehr finden, dann muss ich meine eigene Position umso mehr mitreflektieren und sichtbar machen, weil ich es bin, der dort ist. Mein Zugang ist bestimmt von einem Sich-Einlassen auf die Umgebung. Es ist immer auch eine Suche, ein Experiment. Ich habe kein starres Konzept, sondern nur eine vage Vorstellung von dem was ich tun möchte. Natürlich birgt das auch ein gewisses Risiko und bringt die Gefahr des Scheiterns mit sich. Ich bin auch schon einige Male an der von mir gewählten Umgebung in die Knie gezwungen worden, könnte jedoch nicht sagen, diese Versuche zu bereuen.

Das heißt aber auch, dass man ständig seine eigene Wahrnehmung hinterfragen muss.

Für meine Arbeitsprozesse ist es wichtig, alleine zu sein. Es ist notwendig, dass ich mich isoliere. Sobald die ersten Gefühle von Einsamkeit und Langeweile überwunden sind, kann ich beginnen zu arbeiten.

Warum ist es für dich wichtig dass du an einen dir fremden Ort fährst fährst und gezwungen bist, Dinge neu zu entdecken? Ich stelle mir vor, dass du auch deine eigene Neugierde befriedigen möchtest. Inwieweit sind solche Expeditionen wichtig für deinem Arbeitsprozess?

Ich denke, das ist ein essentieller Moment. Die Unwissenheit, die einen zwingt auf die Gegebenheiten zu reagieren. Ich brauche die Freiheit bzw. die Möglichkeit an einen fremden Ort zu fahren, der dann zu einem großen Spielplatz werden kann. Ich war während meiner Kindheit sehr viel in der Natur und habe fast alles draußen gemacht. Was mich nach wie vor interessiert ist das Erkunden, das Entdecken, das Abenteuer. Diese Neugierde ist sicher entscheidend. Dass man ans Ende einer Straße fährt, um zu sehen was dann kommt. Ich stelle mir die Frage, wo und warum ein Weg an einem Punkt einfach aufhört. Wenn ich einmal dort angelangt bin, sehe ich nach, was man an diesem Ort machen kann. Dahinter steckt nicht nur ein künstlerischer Ansatz.

Gibt es schon ein nächstes Projekt?

Ich habe vor kurzem meinen neuen Film »Double Dawn« fertiggestellt. Dafür bin ich nach Australien gefahren, um die Auswirkungen der totalen Sonnenfinsternis vom 14. November auf die Umgebung der Rancher Uran Miene fest zu halten, die kurze Zeit nach Sonnenaufgang stattgefunden hat. Die halbstündige Einstellung zeigt das Restloch eines Tagebaus. Alles was man sieht, ist der Sonnenaufgang und eine Fabrik in der Ferne. Dann wird es langsam hell und man erkennt die Struktur der abgetragenen Sedimente. Kurz nachdem die Sonne aufgegangen ist, setzt die Sonnenfinsternis ein, danach wird es wieder heller und dann ist der Film aus. Im Hintergrund hört man immer wieder Schritte und den Geigerzähler, der auf die Uranmine verweist. Das Bildmaterial selbst rückt dieses kosmische Ereignis bewusst ganz unspektakulär in Szene.

Home / Kultur / Film

Text
Shilla Strelka

Veröffentlichung
26.04.2014

Schlagwörter

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