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Sigi Maron – Prolet mit Pitralon

Die volle Gesprächslänge, aufgezeichnet im Februar 2009 in Sigi Marons Wohnung in Baden. Interview: Alfred Pranzl, Günther »Bus« Schweiger. Die Fotos von Magdalena Blaszczuk sind allerdings nur in der Printausgabe von skug Vol. 78, 4-6/2009 zu bewundern.

Audiotranskript: Stefan Koroschetz

skug: Wie ist es zu der Zusammenarbeit mit der phänomenal guten Band um Bob Ward gekommen?
Sigi Maron: Ein alter Freund von mir, der Joachim Riedl, der auch zwei Covers für mich gemacht hat, hat mir von Kevin Coyne Platten gegeben und hat gemeint ich soll mir das anhören. Das hat mich total fasziniert, und dann hab‘ ich eine Sendung gehabt, mit dem Wolfgang Kos in der »Musicbox«, wo wir auch über unseren Musikgeschmack gesprochen haben. Kos hat mir erzählt er plane für den Sommer im 20er-Haus eine Sache mit dem Kevin, einerseits das Musical, dass er gemeinsam mit der Dagmar Krause gemacht hat und einen oder zwei Abende solo. Und dann hat Wolfgang Kos mich gefragt, ob ich im Vorprogramm spielen will, und zwar nur Coverversionen im Dialekt, damit die Leute eine Vorstellung haben was Kevin Coyne inhaltlich macht. Ich hab‘ dann 15 Nummern übersetzt und dort auch gespielt, so hab‘ ich Kevin, Bob Ward und Dagmar kennen gelernt. Danach haben wir noch geplaudert und ich hab ihnen von meinem Wunsch erzählt, einmal in London eine Platte aufzunehmen, davon hab ich schon als Kind geträumt. Kevin meinte, das sei überhaupt kein Problem. Mein Plattenboss, der wörtlich gesagt hat, es sei ihm völlig egal wo wir den Dreck aufnehmen, hat mir dafür 6000 Pfund gegeben. Ich bin selber mit dem Auto gefahren und in 16 Sunden waren wir in London.
Wie weit waren deine Songs schon ausgereift als ihr in London angekommen seid?

Ich hab‘ nie ausgereifte Songs. Ich hab‘ Bob Ward vorher ca. 20 Songs mit Übersetzungen geschickt. Die Lebensgefährtin von Bob war ja Dagmar Krause (Brecht und Weill-Interpretin Anm. d. Red), und sie hat sich natürlich leicht getan mit den Texten. Nur der Keyboarder der Band und Bob selber haben gewusst worum es in den Texten geht. Wenn sie mit meinen Melodien nicht zufrieden waren, haben sie entweder ganz neue gemacht oder die vorhandenen verbessert. Diese Aufnahmen sind genau das, was ich als Jugendlicher immer machen wollte.
Ich hab‘ die Geschichte von Kevin Coyne ja eher bitter in Erinnerung, er hat ja dann nach Nürnberg geheiratet und hat auch zu dieser Zeit in der Arena in Wien ein Konzert gegeben bei dem er sturzbesoffen war. Das war furchtbar.

Ja, das ist später öfter vorgekommen. Er hat immer schon ein Alkoholproblem gehabt, aber die Betty, seine erste Frau, hat das bei den Konzerten immer noch ganz gut hingekriegt. Und er selber war auch noch disziplinierter.
Vielleicht ist er sich in Deutschland auch ein wenig verloren und unverstanden vorgekommen?

Ich war einmal in Nürnberg und habe Kevin am Bahnhof getroffen und da ist er mir unglücklich vorgekommen. Ich glaub, dass er von seiner neuen Frau so gefangen genommen war, dass er alle anderen widrigen Umstände ausgeblendet hat. Außerdem glaube ich, dass der Teil, der die Wucht seiner Lieder ausgemacht hat, in Nürnberg verloren gegangen ist, weil dieses malerische Städtchen einfach nicht die Kontraste geboten hat wie das Leben in London. Atmosphärisch war das überhaupt nicht vergleichbar mit dem multikulturellen Londoner Alltag.
Vielleicht hat es auch mit dem neuen Umfeld in Deutschland zu tun gehabt, dass er dann einfach keine guten Songs mehr geschrieben hat?

Der Unterschied zwischen englischen und deutschen Musikern ist – natürlich gibt es überall gute und schlechte – dass die englischen Musiker, egal welchen Stil sie spielen, die Musik viel mehr leben als die Deutschen. Damit will ich nicht sagen, dass die dauernd eingekokst sind und massenhaft von Frauen umgeben sind, sondern das ist einfach ein Lebensgefühl, das sich auf ihre Art, die Instrumente zu spielen, überträgt. In England arbeitet auch niemand im Studio mit einem Metronom, bei uns fast jeder! Ton, Steine, Scherben waren da in Deutschland vielleicht eine Ausnahme. Und im Techno geht das mit dem unsauberen Tempo natürlich nicht.
Hörst du auch Techno?

Es gibt nichts was ich nicht höre. Vor allem höre ich gern Last FM, das Internetradio, aber ich informiere mich auch sonst, wenn ich wo was mitkriege, dass es was spannendes Neues gibt. Das schau ich mir dann an. Da gibt’s z.B. einen Waldviertler, der Tom Waits im Dialekt singt (Alex Miksch, Anm. d. Red). Vor Jahren schon hab‘ ich auch Monomania kennen gelernt, auch sehr spannend. Eine für mich empfehlenswerte Quelle für Neues ist das Festival des politischen Liedes in Weißenbach am Attersee. Letztes Jahr war dort auch Gustav vertreten.
Bist du mit der Produktion von deinen letzten Platten zufrieden?

Am ehesten zufrieden bin ich mit der »Raps und Rübsen«, die ich mit dem Leo Bei gemacht habe. Bei »Liab Haimadland Adee« hab‘ ich einfach alles was ich noch unterbringen wollte zusammengefasst, da hab‘ ich mit jener Band gespielt mit der ich schon vor langer Zeit gespielt habe. Das war aber weniger ein künstlerischer Prozess als eine Aufarbeitung meines Lebens.
Gibt’s eigentlich einen Zusammenhang zwischen dem Majorlabel, für das du ja in der EDV gearbeitet hast und das auch deine Platten veröffentlicht hat, und deiner Kündigung als Mitarbeiter dort?

Nein, das waren hauptsächlich gesundheitliche Probleme, und nach der »Raps und Rübsen« (1996) wurde mir gesagt, dass es sehr gefährlich für mich wäre weiter zu singen. Ich singe ja mit dem ganzen Körper, weil mein Zwerchfell ziemlich beschädigt ist. Und da hab‘ ich eine Zeit lang aufgehört zu singen, weil das Risiko so groß war. Ich war dann auch einige Zeit in psychologischer Betreuung, weil mir das Live-Spielen so gefehlt hat. Das Plattenmachen war mir da immer eher wurscht. Geflüchtet hab‘ ich mich dann in Richtung Computer, habe bei der Ariola das gesamte Computernetzwerk aufgebaut und betreut.
Wie war das dann mit deiner Kündigung dort? Ich kann mich erinnern, dass du ein bitterböses Schreiben an diverse Medien geschickt hast.

Sony hat mit der BMG fusioniert, und die Ausschreibung welches Team die fusionierte Firma weiterführen wird hat der Unterholzer von Sony gewonnen. Dann sind die Controller gekommen und haben geschaut wen sie von der BMG nicht mehr unbedingt brauchen und dann sind nach einer Liste alle, die irgendwie entbehrlich waren, sofort gekündigt worden. Das waren immerhin 42 Leute. Die neuen Leute, die dann da gekommen sind, haben nicht einmal gegrüßt und ich bin da echt empfindlich. Die Leute von Sony haben dann dort teilweise bis zu 70, 80 Sunden gearbeitet. Alles in der Überstundenpauschale inbegriffen, totale Ausbeutung. Ich hab den Leuten – den Angestellten – dann auch gesagt dass ihre Verträge sittenwidrig sind, das hat sie aber nicht beeindruckt. Die Bedingungen haben sich total verschlechtert. Mit Antritt der blau-schwarzen Regierung wurde das Rad der Zeit locker um 100 Jahre zurückgedreht. Und zwar nicht langsam, sondern sehr schnell. Alle Rechte, die davor eine Selbstverständlichkeit waren, wenn sie auch nicht schriftlich festgehalten waren, waren auf einmal weg. Alles was unter »Kulanz« gelaufen ist, war weg. Überhaupt hat Blau-Schwarz, so wie z. B. auch die Hausmeister, alles was nur irgendwie zu privatisieren war, versilbert. Letztlich stehen die Politiker jetzt in der Finanzkrise vor den Scherben ihrer eigenen Politik. Es wäre nie so weit gekommen, wenn nicht so viel privatisiert worden wäre bzw. gewisse Bereiche in der öffentlichen Hand geblieben wären. Aber der Staat saniert ja jetzt, also wir, das heißt alles was wir vorher schon einmal bezahlt haben, zahlen wir jetzt noch einmal.
Hast du noch die Rechte an deinen Songs?

Ich hab‘ noch alle Rechte. In meinen Verträgen stand drinnen, dass jedes Jahr mindestens eine Platte da sein muss, das muss keine Neue sein. Nachdem das verabsäumt wurde, sind alle Rechte an mich zurückgefallen.
Also die vergriffenen Platten sind wirklich vergriffen und dürfen auch nicht mehr wiederaufgelegt werden?

Genau.
Also wenn jetzt z. B. Extraplatte ein Reiss
ue rausbringen will, dann würde das gehen?

Ich kann machen was ich will mit meinen Sachen. Ich hab‘ dann die restlichen LP-Bestände von der Ariola aufgekauft, das waren so ca. 2.000 Stück. Jetzt, wo ich wieder Konzerte gebe, verkauft die mein Enkel beim Merchandising. Beim Volksstimmefest hat er sie um zwei Euro verkauft! Inzwischen ist er aber mit dem Preis raufgegangen (lacht).
Nochmal zum Live-Spielen, wie war das beim Volksstimmefest? Du bist ja ewig lang vorher nicht mehr aufgetreten.

Also ich hab‘ ja mit den Jungs relativ viel geprobt vorher, weil ich anfangs gar nicht geglaubt habe, dass das mit dem Reggae funktioniert. Außerdem hatten wir schon vorher einen Auftritt beim Festival des politischen Liedes, dort allerdings ohne Band, nur mit dem Keyboarder. Das war ein Test. War dann aber eh wie früher auch. War super, hat mir sehr getaugt.
Das Konzert im Radiokulturhaus unlängst war ja eine Wiedergutmachung. Für was genau?

Ich hab‘ mich ja jahrelang geweigert Interviews zu geben für Radio und Fernsehen. Und da war der Klaus Totzler (Ressortleiter »Pop« in der Kulturredaktion des ORF, Anm. d. Red.) einmal sehr gekränkt, als ich beim Protest-Songcontest in der Jury war, und er wollte unbedingt ein Interview machen. Dann hab‘ ich ihm gesagt, wenn ich ihm kein Interview gebe, dann scheiß ich nicht auf ihn, sondern auf den ORF. Für mich war das insofern wichtig, als ich ja jahrzehntelang vom ORF nicht einmal ignoriert worden bin, mit Ausnahme von einem Lied, das ihnen einmal durchgerutscht ist (»Geh no ned fuat«, Anm. d. Red.). Es ist leider so, dass man ohne die Medienpräsenz doch sehr benachteiligt wird. Das kannst du mit Live-Konzerten auch nie wettmachen. Da gibt’s dann zwar die Mundpropaganda und die Leute haben untereinander Kassetten getauscht. Ich hab‘ die Leute auch aufgefordert, dass sie die Konzerte einfach mit Kassettenrecorder mitschneiden sollen, wenn sie wollen. Ein gutes Beispiel sind STS mit denen ich ja schon lang vorher unterwegs war. Die sind auch erst richtig bekannt geworden, als sie im Radio gespielt wurden. Sie haben ja andere Leute auch verhindert, den Heli Deinboek z. B. und das kreide ich dem ORF heute noch an.
Aber die »Musicbox« hat dich wahrgenommen?

Die »Musicbox« hat uns wahrgenommen, also auch die Liedermacher. Aber aktuell kann ich nicht besonders viel gespielt werden, ich kann euch die letzte AKM-Abrechnung zeigen, da hab‘ ich sieben Euro bekommen. Da haben dann meine Frau und ich überlegt, ob wir die sieben Euro gleich durchbringen sollen und sind dann ins Kino gegangen. Aber wo ich gelegentlich gespielt werde, ist mir gesagt worden, das ist Radio Arabella, da läuft hin und wieder »Geh no ned fuat«.
Gehen wir kurz zurück zum Mitschneiden der Konzerte. Die CD, die dem Buch »fahrrad gegen mercedes – gedichte und so« beiliegt, ist ja auch so entstanden, oder?

Lange vor meinem allerersten Konzert, nach den 12 Jahren Pause, hab‘ ich ja versprochen, wenn ich die Operation überstehe, und wenn ich auch nirgends sonst spielen kann, so viel Kraft werde ich aufbringen, dass ich beim Festival des politischen Liedes spielen kann. Und die haben mich dort unglaublich empfangen. Die haben richtig den Teppich ausgerollt und einen Riesenstrauß rote Nelken für mich vorbereitet. Und da hat mich einer vom Freien Radio Salzburg angesprochen, dass ein Freund von ihm vor Ewigkeiten in Bad Ischl ein Konzert von mir aufgenommen hat. Das hab‘ ich mir dann angehört und war von den Socken. Zu der Zeit war grad das Buch im Gespräch und da hab‘ ich das durchbringen können, dass wir die CD genauso, ohne Überarbeitungen, dem Buch beilegen. Was ja fast nix gekostet hat. Lustig war auch, als dann das Buch erschienen ist, war das genau 25 Jahre her.
Wer hatte denn die Idee zum Buch?

Das war eine Folge der Fusion von Ariola und BMG, weil ich dem Unterholzer und dem Geleck versprochen habe: Euch zwei tauch ich noch ein! Und da hab‘ ich ihm auch gesagt, ich schreib ein Buch, da kommst du nicht gut weg. Den Text hab‘ ich dann Richard Pils von der Bibliothek der Provinz angeboten, ihm hab‘ ich die ersten 200 Seiten geschickt. Bei Bibliothek der Provinz hab‘ ich ja schon einmal ein Buch mit dem Fritzi Nussböck herausgebracht, auch mit CD. Und ich weiß, wenn es einen gibt der solche Sachen mag, so kriminelle Texte, so an der Grenze zum Verbot, dann ist das der Pils. Und sollte er es auch wagen auch nur einen Zensurstrich zu machen, dann steht das Buch im Internet und ihr könnt’s scheißen gehen. Dann wollte er wissen wie lang es dauert bis das Buch fertig ist. Das konnte ich ihm nicht sagen, dann wollte er inzwischen was anderes machen, mit schon vorhandenem Material, Geschichten und Gedichte. Und das haben wir dann auch gemacht. Und dann schau ich einmal zu welchem Preis die das verkaufen und finde raus: um € 19,50. Ich sag ihm dann, ja mit der CD ist das dann eh okay. Dann bemerke ich, dass es mit der CD 24,50 kostet. Dann hab‘ ich ihm gesagt, dass er das mit wem auch immer, aber mit mir nicht machen kann.
Und jetzt kommt dann der erste Roman, um was geht’s da?

Hab‘ ich ja grad gesagt! Er heißt »Schmelzwasser«, von fusionare – schmelzen. Die Fusion ist aber nicht der Untertitel. Wenn ihr wollt lass ich euch die ersten Kapitel, nein, das Vorwort lass ich euch lesen. Also das ist eine Biografie, es gibt aber zwei Handlungsstränge: Das eine ist der Kriminalroman, der basiert auf der Fusion von zwei Firmen und das andere ist quasi meine Lebensgeschichte. Die beiden Bahnen treffen sich immer wieder, es ist völlig irr und wirr.
Wie findest du im Moment die politische Lage? Findest du, dass sich die Politiker genug für behinderte Menschen einsetzen? Bei den Grünen gab es ja immerhin eine körperbehinderte Nationalratsabgeordnete?

Es hat sogar zwei gegeben! Vor der Theresia Haidlmayr war der Manfred Srb! Die haben es zumindest ins Parlament geschafft, das war aber auch nicht behindertengerecht und musste extra umgebaut werden. Wenn sie zum Rednerpult wollten, musste immer extra die Rampe gelegt werden. Nationalratspräsidentin Prammer will ja jetzt so umbauen lassen, dass Behinderte ohne weiteres auch ans Rednerpult kommen. Wenn es nach mir geht, müsste ja auch die Regierungsbank so umgebaut werden. Wenn ich z.B. Finanzminister werden würde, das wäre eh nicht schlecht, ich bin eh immer eher im Minus und da könnte sich vielleicht was ergeben. Aber die Fiona hätte ich nicht geheiratet deswegen. Und der Grasser, das darf man ja auch nicht vergessen, ist noch ein junger Mensch gewesen und war ja auch nicht gerade der Hellste. Der hat immer gesagt er wird das Budget schon richten, hat er auch. Indem er die Ausgaben radikal gekürzt und die Einnahmen erhöht hat.
Wäre der Verteidigungsminister auch was für dich?

Das Verteidigungsministerium ist ja jetzt, seit Österreich bei der EU ist, ganz besonders unnötig. Nämlich insofern, als wir die bewaffnete Macht des Bundesheeres einfach nicht mehr brauchen. Und wenn sie sich unbedingt an UNO-Einsätzen beteiligen wollen, dann sollen sie eine eigene Truppe mit Freiwilligen dafür bereitstellen. Dazu noch zwei bis drei Katastrophenzüge, die jederzeit bei Katastrophen eingesetzt werden können.
Wäre für dich so ein UNO-Einsatz wie im Tschad in Ordnung?

Jeder Einsatz der UNO ist für mich okay, wenn die UNO sagt wir brauchen einen Einsatz, um damit den Leuten zu helfen. Nicht okay war der Einsatz der NATO im Kosovo, nicht okay war auch der Einsatz der vier österreichischen Offiziere in Afghanistan. Das ist völlig illegal, es gibt kein UNO-Mandat in Afghanistan, das ist eine Sache der USA und ihrer Verbündeten.
Gehen wir noch mal zurück dazu, dass du dir ja auch vorstellen kannst Minister zu sein. Als Partei in Frage kommen würden da bestenfalls die Grünen, weil die Kommunisten schaffen es nicht mehr ins Parlament.

Geh bitte, seid’s nicht von vornherein so negativ und pessimistisch! Wir haben doch a
lle unsere Utopien! Man braucht ja nur warten bis sich die KPÖ-Führung mal erneuert oder auswechselt. Oder sich sogar einmal eine Linke bildet, wo die unzufriedenen SPler, ÖAABler, Katholen und Evangeler, die es ja alle gibt, die auch nicht glauben, dass der neue Kommunismus eine Art reformierte Sozialdemokratie sein könnte. Es gibt keinen Kompromiss zwischen Kapital und Marxismus. Jede Sozialdemokratie, die das Kapital an sich abschaffen will, ist zum Scheitern verurteilt. Deswegen können sich die Linken alle brausen gehen, sie werden keinen Erfolg haben, auch nicht in Deutschland. Das geht eine Zeit lang, wenn die Leute überhaupt nicht mehr wissen wohin bzw. wenn der Zorn so groß ist, dass die bestehenden Parteien einfach nicht mehr gewählt werden. Bestes Beispiel ist die österreichische Nationalratswahl, wo die beiden Großparteien 10% verloren haben, aber in Österreich hätte es sowieso nicht nach links gehen können, weil da links nichts ist. In Österreich geht alles nach rechts, zwar in anderen Ländern auch, aber in Österreich ganz besonders hab‘ ich den Eindruck.
Was glaubst du ist der Grund dafür?

Das liegt daran, dass Österreich niemals die Verbrechen des Nationalsozialismus bzw. die Beteiligung daran aufgearbeitet hat. Da hat’s immer nur geheißen Österreich war das erste Opfer. Ein wunderbares Beispiel ist da der Primarius Dr. Heinrich Gross, der jahrzehntelang als hoch bezahlter Gerichtspsychiater agierte, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. In Österreich ist da ja auch bezüglich der Sager von Jörg Haider viel zu viel toleriert worden, das muss jedem, der sich mit der Geschichte beschäftigt hat, ja unheimlich weh tun, was sich da abgespielt hat. Und die Geschichte wird sich wiederholen. Deshalb sag ich auch ganz bewusst: Man muss bei gewissen Leuten Gräben ziehen und sich abgrenzen. Die FPÖ und das BZÖ sind etwa keine demokratischen Parteien für mich. Gut sieht man das auch in der Asylpolitik, ganz besonders im Fall der Saualm in Kärnten. Auf die Alm treib‘ ich das Vieh und nicht die Menschen. Dass die Kärntner dann politisch plötzlich von Rot zu Braun gewechselt sind, das war für mich keine Überraschung. Ein Großteil der Kärntner war in ihrer Furcht vor der »Überfremdung« durch die Slowenen immer schon braun. Nach dem Krieg haben halt sehr viele Braune bei den Roten Unterschlupf gefunden, wahrscheinlich sogar mehr als bei der ÖVP. Als dann Haider gekommen ist, hat man den braunen Untergrund eh deutlich bemerkt, wenn das auch in Grenzregionen immer heikel ist, das gebe ich zu. Aber ich kann dir da auch ein gutes Beispiel erzählen: Wir waren in Klagenfurt bei der Feier »60 Jahre Kärnten bei Österreich« – Kärnten ist ja nur deshalb zu Österreich gekommen, weil die Mehrheit der Slowenen für Österreich gestimmt hat. Und da haben es die Slowenen gewagt auch eine Veranstaltung zu machen, das war im Messegelände Klagenfurt. Von Heller, Danzer bis zu den Schmetterlingen waren da alle dabei. Zur Sicherheit waren gleich drei- oder vierhundert Polizisten da, viele mit Schäferhund, die das Gelände hermetisch abgeriegelt haben. Nach dem Konzert haben wir binnen einer halben Stunde alles abbauen müssen, der Raum musste sofort geräumt werden. Als wir zum Hotel gekommen sind, haben die Leute von den Fenstern herunter geschrien »Tschuschenfreunde schleicht’s euch«, wir sind alle sofort wieder nach Wien gefahren. Das war 1978, seit damals weiß ich – in Kärnten hat sich nix geändert. Seitdem spiel ich in Kärnten nur noch bei den Slowenen.
Vielleicht noch was zu deiner deftigen Sprache. Es hat ja damals auch im Fernsehen den Mundl von Ernst Hinterberger gegeben, der war zwar auch derb, aber politisch nicht problematisch. Du hast aber explizit ausgesprochen was faul ist im Land, bist du deiner Meinung nach auch deshalb nicht im ORF gespielt worden?

Es gibt da ja einen Brief von Rudi Klausnitzer, dass sie meine Sprache dem Publikum nicht zumuten können. Aber sie haben ja auch andere Leute, die marxistisch oder trotzkistisch eingestellt waren, nicht gespielt, das waren also ganz sicher politische Gründe. Damals waren aber auch die Fronten noch ganz klar mit rechts und links, das ist heute ja nicht mehr so.
Die Textzeile »Das ganze Rathaus steht in Flammen unser Arsch ist in Gefahr« war immer schon ein Leckerbissen …

In Wien hat es da immer so kleine Initiativen gegeben, von kleinen Bezirksvorstehern oder der SJ (Sozialistische Jugend, Anm. d. Red), bei denen hab‘ ich schon gespielt. Ich kenne jedes Haus der Begegnung in Wien von innen, und auch die Jugendzentren, denen war das wurscht. Einmal hab‘ ich ja am 1.Mai vorm Rathaus gespielt, da hat mich ja der Stadtrat Hatzl von der Bühne hinunter gezogen. Also nicht er selber, sondern vier Rathauswachteln. Da hab‘ ich nur gesungen »Jessas na, a Frau am Pissoir«, und weil da das Zumpferl vorkommt hat er mich von den Wachteln obizahn lassen. Nach mir ist der Ratzenbeck Peter gekommen, dem haben sie gleich das Mikrofon weggenommen, die haben anscheinend nicht gewusst dass der ja nur instrumental mit der akustischen Gitarre spielt (lacht). Das war alles 1979.
Wir haben einen französischen Mitarbeiter, Noël Akchoté, er war dabei als du beim Volksstimmefest gespielt hast. Er versteht zwar nicht was du singst, aber er hat gespürt, dass es da textlich deftig zur Sache geht. Und das hat ihm so gut gefallen, dass er dich sogar mit Serge Gainsbourg verglichen hat, der auch großes Vergnügen daran hatte sprachlich Grenzen zu übertreten, Texte die auch der Obrigkeit zu weit gegangen sind.

Das hab‘ ich schon als Jugendlicher gehabt, z.B. hab‘ ich mich grundsätzlich in der Schule geweigert, Gedichte auswendig zu lernen, weil ich das für völlig verblödet halte.
Siehst du dich da in einer bestimmten Tradition mit deiner derben Ausdrucksweise?

Also den François Villon, den hab‘ ich geliebt und das erste Mal im Alter von elf Jahren gelesen, dann hab‘ ich Papillon gelesen, da war ich auch noch ganz jung. Ich hab‘ deshalb so viel gelesen, weil meine Mama beim Donauland Buchausträgerin war, und was mich interessiert hat, habe ich gelesen, ganz vorsichtig, und dann sind sie noch verkauft worden. Außerdem habe ich Erich Maria Remarque gelesen, überhaupt viel Antikriegsliteratur und Flüchtlingsdramen. Und dann natürlich H.C. Artmann, da hab ich mir gedacht, wenn die das können kann ich das auch. Parallel dazu war ich auch fasziniert von Pirron&Knapp, wie die in so wenigen Sätzen solche Geschichten unterbringen, das war ganz großartig. Und natürlich Qualtinger.
Also ich hänge ja inzwischen der Theorie an, dass es in Österreich ein starkes Bedürfnis nach einer österreichischsprachigen Musik gibt, die es 20 Jahre nicht gegeben hat. Ich bemerke das bei Ernst Molden, der jetzt den Dialekt für sich entdeckt hat, was ja von seiner Herkunft her weit weg ist, und anderseits ist es so, dass der Dialekt schön langsam ausstirbt.

Genau, das sehe ich auch so. Im TV, in der Werbung, alles eine Einheitssprache. In der Schule müssen sie Hochdeutsch sprechen, wahrscheinlich gibt’s in 50 Jahren eine europäische Einheitssprache wo Englisch als Basis herangezogen wird, mit einer ganz einfachen Grammatik. Der Dialekt wird zwar nicht ganz aussterben, aber es wird vermutlich noch weniger Publikum dafür geben. Der Widerstand und das Revolutionäre kann meiner Meinung nach nur von den Leuten unten kommen, dort wo noch Familien mit vier oder fünf Kindern in zwei Zimmern leben, vor allem auch von Migrantenfamilien, dort wird auch eine andere Sprache gesprochen. Weil wenn du zu dritt oder zu viert in einem Raum lebst, da wird über das Scheißen und Pudern anders geredet als in einer bürgerlichen Umgebung, wenn jeder schön sein eigenes Zimmer hat. Von diesem Nachwuchs muss dann auch die Musik im Dialekt kommen, weil aktuell gibt’s da ja außer Attwenger bezüglich Dialektmusik mit Punkattitüde echt fast nix. Die Fr
age ist nur wie weit traust du dich vor, wenn du dich so einer mächtigen rechten Masse gegenübersiehst. Also ich verstehe auch die ganzen Rassismen sowieso nicht, am liebsten wäre mir ja wenn sie sich alle untereinander vermischen würden. Dann kommt am Ende so was heraus wie Barack Obama, der sicher von allen Vorfahren die besten Gene mitgekriegt hat.
In Österreich ist es ja nach wie vor unvorstellbar, dass etwa ein türkischstämmiger Mann Bundeskanzler werden kann …

Der Wahnsinn bei uns ist ja, dass unser Rassismus noch hundertmal schlimmer ist als der in Amerika. Also den bible belt wollen wir mal vergessen, aber der Rest der Amerikaner ist da viel offener als der durchschnittliche Österreicher. Also ich hab‘ da einmal mit ein paar ehemaligen Arbeitskollegen über Politik diskutiert und da war schon einer dabei der gemeint hat, er kann dem Strache einiges abgewinnen. Ich war echt geschockt. Es gibt natürlich schon gewisse Aussagen von Strache gegen die man wenig sagen kann, aber man muss eben auch sehen was dahinter steht. Hinter Strache steht der Hitler! Joachim Riedl hat mir jetzt mal vorgeworfen ich sei zu wenig radikal auf der Bühne. Ich war früher viel radikaler, aber was soll ich mich heute viel über Strache auf der Bühne auslassen, die Leute wissen eh wie ich denke und das ist gar nicht mehr so ausführlich notwendig.
Der Journalist Joachim Riedl, ist er auch so eine Art Förderer von dir?

Immer schon gewesen. Kennen gelernt hab‘ ich ihn bei der Arena-Besetzung. Dann hab‘ ich mal ein Konzert in Tulln gespielt, wo auch Leute von der Arena waren, unter anderem war auch der Peter Turrini dort, der von meinen Texten so begeistert war und sie dem Heller weitergeleitet hat. Dem Heller haben sie auch getaugt und der hat dann den Peter Wolf kontaktiert und schon in der Woche drauf habe ich im Audiophon-Studio einen Termin gehabt. Der Peter Wolf hat mir dann kompositorisch noch ein bisschen unter die Arme gegriffen.
Und jetzt ist Joachim Riedl Korrespondent für die »Zeit«?

Nach verschiedenen Blättern ist Achim zum »Profil« gekommen, dort war er dann auch eine Zeit lang Chefredakteur. Dann haben sie ihn eingespannt, um das »Format« zu machen, dort war er dann auch Chefredakteur. Als dann die Fellner-Brothers das alles übernommen haben, waren sie der Meinung, dass sie das »Format« nicht mehr brauchen und haben dem Achim nahe gelegt, sich zu schleichen. Nächste Station war die »Süddeutsche Zeitung«, bis er dann von der »Zeit« in Hamburg für den Österreich-Teil angeheuert worden ist. Nebenbei hat er noch das Mozarthaus gemacht, und jetzt will ihn die »Zeit« sogar in Hamburg haben. Vor 14 Tagen erst war er da und hat erzählt, dass er nicht weiß, ob er das machen soll. Das ist so eine Freundschaft, wo man sich auch manchmal jahrelang nicht sieht, aber dann ist es immer sehr intensiv.
Wie geht’s jetzt bei dir weiter, wird es eine Platte mit der Reggae-Band geben?

Ich hab den Jungs versprochen: Wir machen eine Platte, wobei ich gern einfach einen Live-Mitschnitt hätte. Den Auftritt im Radiokulturhaus hab‘ ich mir schon angehört, aber das war einfach zu brav. Aber es kommen ja noch andere Auftritte, vielleicht beim Volksstimmefest in Graz? Aber das im Radiokulturhaus hat ja andere Gründe gehabt, dass ich ihnen was zurückgeben wollte und das hab‘ ich gemacht. Und dass ich einmal dort sagen konnte, was ich schon immer sagen wollte. Aber wenn man im RKH spielt dann ist man auf einmal Kultur! Was hab‘ ich mit Kultur am Hut?
Warum findest du, dass du nix mit Kultur zu tun hast?

Ich hab‘ nie meine proletarische Herkunft verleugnet, ich bin sogar stolz darauf. Wenn mich heute wer Prolet schimpft, ist das für mich kein Schimpfwort. Für mich ist der Proletarier der, der das trägt, was die Menschen am Leben erhält, nämlich die Arbeit. Und der seinen Mehrwert leider abgeben muss. Und was Kunst und Kultur betrifft da ist es für Leute aus den unteren Schichten schon aus Zeitgründen und weil sie von der Arbeit so fertig sind viel schwieriger, sich mit Kultur auseinanderzusetzen.
Stichwort Proletarier – war es für dich einmal wichtig, Mitglied in einer politischen Partei zu sein?

Also mein Vater hat mir gesagt, wenn du groß bist vergiss nicht, wähle immer kommunistisch und verwende Pitralon. Und das mache ich heute noch so! Nach dem Prager Frühling habe ich ja lang überlegt, ob das überhaupt noch Sinn macht, zur KP zu gehen. Ich bin zum Schluss gekommen: es macht Sinn. Ich bin zwar schon Marxist, aber einer mit gigantischem Hang zum Anarchismus. Und ich bin schon der Meinung, dass man die Macht des Staates so weit reduzieren soll, dass die Freiheit des Einzelnen so groß wie möglich ist. Damit meine ich aber nicht die Freiheit, dass jeder seinen gierigen Interessen uneingeschränkt nachgehen soll. Einfach ein Zusammenleben wo jeder den anderen respektiert, dazu brauche ich aber nicht unbedingt staatliche Gewalt. Gewisse Sachen kann es aber einfach nur öffentlich geben, das fangt an beim Wasser, geht weiter zur Bildung, zur Kanalisation und zur Energie. Alle Grundbedürfnisse des Menschen müssen gemeinsam geregelt werden, sollen nicht dem Eigennutz des Einzelnen dienen.
Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass im realen Sozialismus die Staatsmacht missbraucht wurde.

Ja, da ist ja jeder niedergemetzelt worden, der nicht ganz der Ansicht war, das kann es ja auch nicht sein. Ich will es mal so formulieren: Ein im Grunde marxistisches System ist heute jedem anderen System überlegen. Weil die Computertechnologie so weit fortgeschritten ist, dass jeglicher Bedarf an Gütern genau erfasst werden kann und die Logistik ist auch so weit ausgereift, dass man die Bedürfnisse punktgenau abdecken kann. Ein Superbeispiel dafür, wie sich der Kapitalismus selbst ad absurdum führt, ist die Autoindustrie. Wenn du heute ein neues Auto kaufst, dann wirst du gefragt wie du es haben willst. Welche Farbe, wie viele Gänge usw., das wird genau nach deinen Wünschen konfiguriert. Warum? Weil das erst gebaut wird! Zuerst Bedarf erheben und dann abdecken. Deshalb haben sie auch jetzt die Krise, weil überall die Autos herumstehen die keiner kauft. Da ist der Individualismus inzwischen extrem ausgeprägt. Was ich nur verlange ist eine generelle Grundversorgung für alle Menschen, das heißt, dass sie in Würde leben können. Dann gibt’s immer noch unendlich viele Möglichkeiten für die Bedürfnisse die darüber hinausgehen. Was nicht sein soll ist, dass einer zehn Millionen hat durch Spekulation oder durch Zinsen.

Sigi Maron live:
22. 5. Bunkerei im Augarten Wien (plus Ernst Molden)
11. 6. Dialektfestival in der Szene Wien (Sigi Maron & The Rocksteady Allstars plus Attwenger und Andi Fasching)
Sigi Maron: »fahrrad gegen mercedes« (Bibliothek der Provinz, Weitra 2008, 130 Seiten + Live-CD, € 24,-)

>> www.maron.at
birgt das Gesamtwerk von Sigi Maron, inkl. des angesprochenen Konzertes im Radiokulturhaus

Home / Musik / Artikel

Text
Alfred Pranzl, G. Bus Schweiger

Veröffentlichung
28.04.2009

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