In Lietzen 1989 © Gabriele Stötzer/Privatarchiv
In Lietzen 1989 © Gabriele Stötzer/Privatarchiv

»Nur in Freiheit können wir kreativ sein«

In »Der lange Arm der Stasi« zeigt Künstlerin Gabriele Stötzer das komplexe Überwachungsnetz der DDR anhand des künstlerischen »Untergrunds« in Erfurt auf. Was dieses Wissen heute für uns bedeuten kann und warum es das Kollektiv braucht, erzählt Stötzer im Interview.

Aus der Universität exmatrikuliert, als »Rädelsführerin« verhaftet und im Frauengefängnis Hoheneck eingesperrt: Gabriele Stötzer sind Erfahrungen der Ausgrenzung unter die Haut gekrochen. Kaum eine Künstlerin der DDR hat aufgrund ihrer Erlebnisse einen so guten Überblick darüber gewonnen, wie Macht systematisch funktioniert. Mit ihrem in diesem Jahr erschienenen Buch »Der lange Arm der Stasi« hievt Stötzer dieses Wissen in eine Gegenwart, in der »machoistische« Geheimbünde, Überwachung und Verfolgung nach ganz ähnlichen Prinzipien funktionieren. 

Gabriele Stötzer wurde 1953 im Dorf Emleben nahe Gotha geboren und lebte später in Erfurt. Im November 1976 kam sie nach ihrer Unterschrift gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann als »Rädelsführerin« in die Bredouille der Stasi und wurde verhaftet. In den folgenden Verhören sprach sie klar aus, was sie dachte, erfüllte somit den DDR-Tatbestand der »Staatsverleumdung« und wurde daraufhin zu einem Jahr Strafvollzug verurteilt. Ihre Erfahrungen im Gefängnis sollten sie nachhaltig prägen. Nach ihrer Entlassung begab sich Stötzer aufgrund ihrer »Gezeichnetheit« in den »Untergrund« Erfurts, der zum Nährboden für ihr eigenes künstlerisches Schaffen wurde. 

Als Gegengewicht zu den sie umgebenden männlichen Hierarchien stellte Stötzer die Kraft der Weiblichkeit ins Zentrum ihrer Arbeit. 1984 gründete sie deswegen auch die Künstlerinnengruppe »Erfurt« und initiierte am 4. Dezember 1989 mit vier anderen Frauen in einem historischen Akt die erste Stasibesetzung der DDR. Durch einen Forschungsauftrag bekam Stötzer über 20 Jahre nach der Wende die Möglichkeit, Einsicht in 32 Stasi-Akten einiger ihrer engsten Weggefährt*innen des »Untergrunds« zu bekommen. Das Ergebnis dieser Recherche und die Präsentation eines feinmaschigen Netzwerks der Überwachung wird durch das bei Spector erschienen Buch »Der lange Arm der Stasi« wirkmächtig: Das Porträt eines Systems, das wie eine Schablone für andere Systeme fungieren könnte.

Durch die Bekanntschaft mit Künstlerin Victoria Coeln wurde Stötzers Motiv »Freiheit« als Lichtlandschaft ein Teil der Wiener Lichtblicke und war als solche von 29. September bis 27. November 2022 am Wiener Gaußplatz zu sehen. Der dort ansässige Kulturverein und Kooperationspartner Aktionsradius Wien ermöglichte das folgende Interview. Wieso Freiheit und die Kraft der Solidarität trotz all der Erfahrungen von Auflehnung, Ausgrenzung und Überwachung für Stötzer überwiegen und mit welcher Überzeugung sie diese Grundwerte auf ein Podest hebt, erzählt die Künstlerin im Gespräch mit Ania Gleich.

»Gesten« © Gabriele Stötzer/Privatarchiv

Ania Gleich: Ihr Buch »Der lange Arm der Stasi« war die Möglichkeit, in ein System einzutauchen, das die meisten von uns nicht am eigenen Leib erlebt haben. Wie sind Sie in den »Untergrund« gekommen, den Sie in ihrem Buch beschreiben und der Sie zur Künstlerin machte? 

Gabriele Stötzer: Nachdem ich als Studentin politisch exmatrikuliert wurde und nach der Biermann-Ausbürgerung ins Gefängnis kam, war ich eine der wenigen politischen Gefangenen, die nicht in den Westen, sondern in den Osten herauskommen wollte. Die Idee des Staates, der gegen uns vorging, war allgegenwärtig. Und durch meine Handlungen wurde ich als die »Krallenhand des Klassenfeindes« benannt. Aber wie alle Jugendlichen, die beginnen, Ihre Kraft zu spüren, wollte ich in der Gesellschaft, in die ich geboren wurde, mitwirken und nicht einfach abhauen. Das war normal. Meine Existenz war das, was ich einbringen wollte. Ich bin hier geboren und eine Stimme wie alle anderen. Aber ich wusste damals noch nicht, dass viele andere nicht ihre eigene Stimme waren, sondern die des Machtapparates. So war ich plötzlich draußen aus der Gesellschaft. Nach dem Gefängnis war ich obendrauf eine Ex-»Kriminelle«. Ich war gezeichnet. Und als Gezeichnete hatte man keine andere Chance, als in den Untergrund zu gehen. Im Untergrund kann man aber nur bestehen, wenn man Gleichrangige um sich sammelt. Das war mein Weg von oben nach unten. Oder aus der Naivität in eine Überlebensphase. 

Die Stasi-Definition des Untergrundes betraf alles, was »öffentlich nicht gestattet und gefördert, kontrolliert und organisiert wurde.« Wie haben Sie sich mit diesem »Untergrund« identifiziert und inwiefern war der »Untergrund« auch dieser oktroyierte, fiktionalisierte Raum, in dem man verteufelt wurde? 

Prinzipiell fand »da unten« ein ganz normales Leben statt, insofern man aß, schlief und dachte. Grob gesagt bedeutete der Untergrund in der DDR nicht zu arbeiten, denn diese Diktatur war pleite! Deswegen war etwa die Arbeitsnormalität von Frauen auch so notwendig. Die machten meist die ganzen Handarbeiten, denn moderne Ideen aus dem Westen zu kaufen, hieße ja auch die dazugehörigen Maschinen zu brauchen. Das war das eine. Andererseits war da die soziale Kontrolle! Alle, die arbeiteten, waren immer sozial beaufsichtigt: Wie ziehen sie sich an, wie kommen sie an etc. Ich habe damals aufgehört zu arbeiten, weil ich im Gefängnis war. Dort habe ich dann beschlossen, in die Kunst zu gehen. Die staatlichen Organe haben zwar sehr auf Worte reagiert, aber die Kunst, die Bilder waren ihnen zu wesensfremd. Was nicht Schwarz-Weiß gesprochen oder geschrieben wurde, war zu kompliziert. Dadurch wusste ich, wenn ich Kunst mache, kaufe ich mir Zeit. Denn dass ich nach dem Gefängnis sofort überwacht würde, war mir ja sehr bewusst!

Was ist die Kraft der Kunst für Sie?

Im Knast habe ich sehr viele Frauen kennengelernt: Tätowierte Frauen, alte und junge Körper, Frauen, die sich links und rechts neben mir geliebt und bekämpft haben. Diese ganzen Strukturen der Gruppenhierarchien und Weiblichkeit, die es »draußen« nicht gab. Als ich dann herauskam, war mir das Erlebte unter die Haut gekrochen und ich wusste plötzlich, was mein Thema ist. Mein Thema wurde, das Schweigen der Frauen zu brechen, um all das zu sagen, was ich manchmal so ausdrücke: was mir meine Mutter nicht erzählt hat! Diese ganzen Macho-Institute, die politisch waren, haben mich nie interessiert. Ich dachte mir, wenn ich etwas mache, dann suche ich archetypische Frauenbilder. Bilder, die sich dann von innen nach außen oder von außen nach innen über die weiblichen Körper legen. Bekannt wurde ich mit Fotos von nackten Frauen, die ich, indem ich sie der Mode entledigte, in ihr weibliches Sein hob. Wenn die Klamotten weg sind, bist du außerhalb von Zeit und Raum. Dann bist du im Wesen des Weiblichen und kannst das Schweigen von innen nach außen brechen, indem du die Körper sprechen lässt. Das alleine hatte für die Stasi schon etwas Psychopathisches. 

»Mumien« © Gabriele Stötzer/Privatarchiv

Sie schreiben, dass nicht nur die Stasi ein »machoistischer« Verein war, sondern auch der Untergrund maßgeblich männlich dominiert war. Wie war es, als Frau in diesem Raum diese Kunst zu produzieren? 

Durch die äußeren Umstände war ich an die Grenzen dieses Landes geraten. Letztendlich stellte ich fest, dass es überhaupt Grenzen waren. Damals war ich aber jung und experimentierfreudig genug, diese Grenzen zu überschreiten. Es hat mir Spaß gemacht, hier als Frau die Leute ein bisschen zu ärgern. Es war mir auch gar nichts anderes möglich. Man denkt, dass Kunst etwas Ausgedachtes ist, aber wenn man sich in diesen Bereich begibt, dann hat das eine andere Gesetzlichkeit. Etwa hatte ich eine Fotoreihe, in der aus lackierten Fingernägeln von Frauen Blut runterfließt: Man wird vernichtet durch das, was aus dem Körper kommt. Ich habe versucht, das Leiden darzustellen. Und dabei hatte auch jedes Medium seine Zeit. Ob das jetzt Weben, Zeichnen oder Super-8-Filme waren. Ich wusste immer genau: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. 

Wie hat sich Ihre Einstellung zu dem eigenen Schaffen nach 1989 weiterentwickelt? 

Ich habe 1984 eine Künstlerinnengruppe mitgegründet, in der ich bis 1994 drinnen war. So eine Gruppe bringt einen immer dazu, in einem Netzwerk zu sein. Ab einem gewissen Zeitpunkt wollte ich aber unbedingt schreiben. Und Schreiben ist »die Einsamste meiner Freundinnen«. Da sitzt man ganz alleine zu Hause und muss funktionieren. So habe ich nach der Wende acht Bücher veröffentlicht. Das wäre mir davor nicht möglich gewesen. Da gab‘s zwar Untergrundzeitschriften, an die ich geschrieben habe, aber das war mehr eine Provokation. Dort habe ich immer Texte hingeschickt, die am meisten nach »Frau« stinken, weil sie mich wegen ihres Männerüberflusses fast immer nehmen mussten! Nach der Wende dachte ich mir, dass ich einmal »ordentlich« schreiben müsse. Aber man muss wissen: Nach 1989 wollte kein Schwein mehr etwas über die DDR wissen und über die Frauen schon gar nicht. Man musste sich also selber er-frauen, um bei der Stange zu bleiben. 2009 hat eine befreundete Kuratorin eine Ausstellung gemacht, in der sie osteuropäische Performerinnen mit westlichen Performerinnen nebeneinandergestellt hat. Und als Gabi Stötzer dann mit Valie Export und Yoko Ono ausgestellt wurde, war ich plötzlich existent. Das meine ich auch mit Solidarität. Früher musstest du Einzelkünstlerin sein, um dann zum Geniekult zu werden. Aber wenn man den nicht aufrechterhält, zerfällt man auch ebenso schnell. Das ist vielen Frauen passiert, die sich nie mit anderen Frauen solidarisierten. Das wollte ich nicht, denn das kannte ich vom Osten. Die Stasi wollte verunsichern, isolieren, vereinsamen und zum Selbstmord treiben. Einsame Leute kann man brechen. Deswegen braucht man den Untergrund als Gruppe, um überhaupt zu existieren und sichtbar zu sein. Du bist nie alleine. Wenn ich keine Kuratorin gehabt hätte, dann wäre ich immer noch unter ferner liefen. Es ist wichtig, jemanden zu finden, der dich aus dem Sumpf holt! Und ich habe wirklich alles angenommen und gemacht, in jeder Schulklasse über das Gefängnis geredet oder über die DDR und ihre Kunst: Einfach nur um zu existieren, um zu überleben. 

»Klappmesser« © Gabriele Stötzer/Privatarchiv

Sie meinten, 2009 hätte eine Wende für Sie stattgefunden. Seitdem sind wieder über zehn Jahre vergangen. Glauben Sie immer noch an diese kollektive Energie?

Die Künstlerinnengruppe hat sich zwar aufgelöst, aber ich habe fast 30 Jahre darum gekämpft, dass wir eine Ausstellung und ein gemeinsames Zurückblicken auf das Gewordene machen. Letztes Jahr hat das geklappt: Das war ein Raum der Weiblichkeit. Jetzt komme ich gerade von einem Festival in Berlin, wo sich osteuropäische Performerinnen zusammengefunden haben. Was ich dort gezeigt hab‘, war ein Film der Künstlerinnengruppe. Und es waren gerade die jüngsten Frauen, die auf mich zukommen und sagen: Es gibt ja wirklich die Kraft der Weiblichkeit! Es ist jung, es ist bunt und die können sich damit identifizieren. Wir brauchen unsere Kraft aber viel zu wenig, obwohl wir sie so gut gegenseitig verstärken könnten. Wir in der Künstlerinnengruppe haben immer gesagt: Wir sind nicht gegen Männer, wir sind aber für Frauen. Männer zitieren sich gegenseitig und kriegen die ganze Energie. Positiv oder negativ. Das ist Aufmerksamkeit. Wir hatten damals keine Kraft uns erst mit diesen Männern auseinanderzusetzen, damit wir sie widerlegen können. Deswegen haben wir alle unsere Energie zu uns gegeben. Auch heute: Ich mache meine Kunst für mich! Es tröstet mich, es gibt mir Kraft und Freude. Gerade, wenn man in dieser Zeit Kunst macht, die so viel Herausforderung verlangt, und wir uns ständig so souverän verhalten müssen: links oder rechts, für Russen oder gegen Russen, Ost oder West. Das ist so zerstörerisch, dass ich mich am liebsten in mich selbst zurückziehe. Das ist meine Kraft. Deswegen sage ich auch anderen immer: Steckt eure Energie dorthin, wo sie dem Guten, dem solidarischen Gedanken, der Positivität dient und Freiräume schafft. Nur da, wo wir frei sind, können wir kreativ sein. Und ohne Kreativität können wir keine Widerlegungen machen. Dieser Zwang zum Mitmachen bringt die Leute alle in Stress. Kurzum: Es gibt ein Weltgeld. Das Weltgeld ist meine Materie, die auch ich mit schaffe, und ich bin dafür, dass das Weltgeld nicht in den Krieg geht, sondern in die Kunst fließt. Ich versuche nicht, mich rauszuhalten aber auch keine Kraft zu verlieren. Keine falsche Solidarität, sondern Spaß, Leute, Menschenlachen und natürlich eine starke Weiblichkeit, die daraus sprießt. 

Was bedeutet Freiheit für Sie? 

Freiheit bedeutet, was ich auch Kunst nenne: Einen Raum zu finden, wo ich außerhalb des Raums und außerhalb der Zeit bin. Stattdessen ist da eine Leere, wo ich kreativ sein und schöpfen kann. Das ist der Raum: Nur in Freiheit, können wir kreativ sein. Und unsere Zeit braucht unbedingt Kreativität. Dieser Krieg und die ganzen männlichen Machtpositionen haben sich so etabliert, dass man gar nicht mehr weiß, wo man sich hinstellen soll, um die Zeit zum Ausruhen und Kraftschöpfen zu haben. Die Freiheit ist ein Raum, in den wir uns reinbegeben können, um solidarisch zu sein mit dem, was wir wirklich meinen. Sie bedeutet aber auch, Zeit zu haben, uns zu formulieren. Dass wir uns sammeln und was anderes darstellen. Die Freiheit ist für mich aber auch total frivol und frech. Andererseits setzt sie sich auch manchmal unter die Tische der Oligarchen und der Reichen und lebt wie ein Hund von ihren Krumen. Dann ist die Freiheit einfach weg und die Leute haben noch nicht einmal Sehnsucht danach. Sie ziehen einfach mit. Dann taucht die Freiheit aber wieder auf in Teheran und es sind ganz viele Leute auf der Straße. Die Freiheit gibt nie auf. Sie ist vielleicht eine Zeit lang nicht da, sucht sich dann aber auch wieder ein Schlupfloch. Deswegen spricht sie auch alle Sprachen. Gestern war es China, das um Freiheit gekämpft hat, und heute ist es Teheran. Sie geht von Stadt zu Stadt. Gleichzeitig ist sie aber nicht greifbar. Sie ist nicht zu besetzen und nicht zu disziplinieren. Sie ist eine ewige Kraft. Und immer wenn sich Leute zusammentun und an die Freiheit glauben, steht sie wieder auf dem Plakat. Das ist das Gute an der Freiheit: Sie ist nicht einsperrbar! Gerade im Gefängnis, wo man am meisten die Vision von Freiheit hat und alle am meisten davon reden, ist sie nicht nur antipodisch. Es geht nicht nur um ein Dagegen des Eingesperrt-Seins oder der Unterdrückung. Es ist ein freies System, das sich auf der Erde und der Welt ausbreitet. Wir müssen uns nur immer wieder reinbewegen. 

Künstlerinnengruppe © Gabriele Stötzer/Privatarchiv

Ihr Buch zeigt ein System, unter dessen Herrschaft ganz eigene Dynamiken von Freiheit und Unfreiheit stattfanden. Wieso war es wichtig, hier auch Täter*innen neben Opfer zu stellen?

Im Grunde ist die Idee für das Buch entstanden, weil vor zehn Jahren eine Ausstellung über Untergrund-Künstler*innen aus der DDR gemacht wurde. Damals habe ich als Forschungsauftrag die Möglichkeit bekommen, Einsicht in alle Stasi-Akten der ausgestellten Künstler*innen zu bekommen. Nachdem ich meine eigene Stasi-Akte auch gelesen hatte, fühlte ich mich für diese Aufgabe bereit. Dann bekam ich 32 Unterschriften und der BSDU war schockiert, dass mir so viele Leute ihre Unterschrift gegeben haben. In diesen Akten stehen so viele Lügen und Gemeines gegen die Leute drinnen, dass sie sich oft schämen. Ich hatte allerdings unterschätzt, was es bedeutet, 32 Akten auch vollständig zu lesen. Für die Ausstellung habe ich dieses massige Material erst einmal auf acht Seiten determiniert. Als ich das Ganze auf ein Buch ausweitete, musste ich erst einen Verlag wie Spector finden, der zwischen Kunst und Politik arbeitet und keine Angst hat. Denn es war mir wichtig, das Schweigen über die Gefängniszeit in Hoheneck zu brechen. Außerdem wollte ich der Stasi den Spiegel vorhalten. Sie haben mir nichts erspart und ich erspare ihnen auch nichts. Schlussendlich ist es so: Du gehst in einen Wald und da sind ganz viele einzelne Bäume. Da eine Fichte, dort eine Tanne, da eine Eiche. Im Buch erkläre ich anhand dieser völlig verschiedenen Bäume, was die Stasi an ihnen gemacht hat. Und Stück für Stück setzt sich ein Mosaik aus den Aktivitäten der Stasi zusammen. Danach gehst du hinaus und weißt, das ist ein Wald bzw. verstehst: So funktioniert die Stasi. Aber ich wollte das nicht in einer plumpen Dokumentation machen, sondern dass es lebt. Und es lebt nur mit Menschen!

Bei manchen Menschen sind die Fotos auch ganz geschwärzt.

Genau, das sind die inoffiziellen Mitarbeiter*innen. 

Es gab ja aber auch inoffizieller Mitarbeiter*innen, die eher aus der Szene ausgestiegen sind, als zu spitzeln. 

Weil sie nicht verraten wollten! Die Stasi wurde vom KGB groß gemacht. Es ist keine Tradition des Faschismus, sondern wurde von der Sowjetunion aufgebaut. Das sind also Tschekisten, die sich auch so einschwören: eines der am meisten geschlossenen Geheimsysteme im ganzen osteuropäischen Bereich, die ihre Leute ermordet haben, wenn sie Verräter waren. Ich nenne die Stasi einen männlichen Geheimbund und ich bin mir sicher, dass, wenn man diesen Geheimbund öffnet, man weiß, wie die anderen männlichen Geheimbünde strukturiert sind. Man weiß, wie der KGB ist. Putin war ja in Dresden, nannte es »seine schönste Zeit«. Also auch er hat da mitgearbeitet. Und dieses Buch arbeitet dagegen. Es zeigt uns die Struktur der dunklen Seiten dieser scheinbaren glänzenden Platte, wo alles Widerständige runtergeht. Deswegen ist es auch so relevant, jetzt zu fragen, wie es in der DDR war. Was auch niemand weiß, ist, dass die architektonischen Schäden größer waren als im Zweiten Weltkrieg. Die ganze DDR, die jetzt Musterstädte wie Erfurt hat, das ein Kleinod in seiner Schönheit ist. Durch dieses System wäre das eigentlich abgerissen und mit sozialistischen Neubauten versehen worden. Die haben alles verfallen lassen: die Seelen, die Kreativität, aber auch die Architektur. Deswegen ist es so wichtig, zu fragen: Was ist in unserem Geistesgebiet, unserem Herzensgebiet passiert? Das Sinnlichste ist eben die Kunst, weil man da mit Bildern arbeitet. An den Naturwissenschaften war das ganz anders: Da sind Köpfe gefallen. Die waren alle nicht produktiv genug oder haben nicht genug neue Forschungsarbeit geleistet. Da wurde nur gefordert, was dem Staat dienlich war. Für mich ist Kunst das, was uns noch berühren kann. Das ist, was unsere Zeit bestimmt! 

© Gabriele Stötzer/Privatarchiv

Links:

https://spectorbooks.com/der-lange-arm-der-stasi

https://www.aktionsradius.at/content/de/portraits/gabriele_stoetzer 

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