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»Malory «

Ein Name wie eine Verheißung, vielleicht ein Geheimnis. Und Aufmerksamkeit ist vielleicht das Geheimnis der Jetztzeit. Denn trotz obligatorischen Stöberns in den letzten Bastionen des guten Geschmacks wusste ich lange Zeit nichts von der Band aus der östlichsten Metropole Deutschlands. Doch dann gab es da diesen einen Song. »Falling Shine« schien direkt einer Parallelwelt zu entstammen, einem Universum, in dem die Welt House of Love statt U2 hört, die Pale Saints keine Randerscheinung der Popmusik sind und »Honey Bee« als das beste Album aller Zeiten gehandelt wird. Ein Universum, das abseits jeglichen Zeitmaßes in Grunau bei Dresden zu existieren scheint. »Shoegazing – go, ask your Dad« titelte der »NME« vor wenigen Monaten, als wieder eine dieser großartigen Singles der schwedischen Radio Dept. erschienen ist, und erklärte ganz unbescheiden die Renaissance des Noise-Pop. Ein kleiner Ausflug in die Stilgeschichte dieses Genres sei deshalb an dieser Stelle erlaubt. Seltsam ist das schon: Nachdem sich Sofia Coppola für ihren Film »Lost in Translation« musikalisch von keinem Geringeren als Kevin Shields (My Bloody Valentine-Gründungsmitglied) beraten ließ, ist der bis dato fast in Vergessenheit geratene verträumte Gitarrensound wieder da. The Telescopes, Lush, Ride, Chapterhouse, Slowdive oder Moose hießen damals die Bands der Stunde im gitarrenverträumten England der frühen Neunziger Jahre nach Manchester-Rave. Auch Deutschland hatte mit der einzigen ostdeutschen Noise-Popband Green Hill einen Vertreter dieser Stilrichtung zu bieten. In »The Scene That Celebrates Itself« wurde die Selbstbezogenheit der Szene gern ironisiert. Diese Bands, die heute nur noch Eingeweihten ein versonnenes Lächeln auf die Lippen zaubern, wurden zu Beginn der Neunziger Jahre des verblichenen Jahrhunderts unter dem etwas merkwürdigen Begriff Shoegazing zusammengefasst. Es war ein von Journallisten ersonnener Begriff für die entstehende Flut schmächtiger junger Frauen und Männer, deren Vocals kaum hörbar im Feedback- und Gitarrensoundschwall Songs von melancholischer Schönheit hauchten – und dabei auf der Bühne vor lauter Lichtstroboskopen und Effekt-Pedalen eben beständig auf ihre Schuhe schauten. Im Zentrum dieser Musik stehen die vom Schweiß des Rocks befreite Gitarre, der psychedelische Lärm von The Velvet Underground, die Feedback-Loops von The Jesus And Mary Chain, der süßliche Song inmitten des Wall of Sound. Als My Bloody Valentine 1990 das Ausnahmealbum »Loveless« veröffentlichten, hatten manche Zeitgenossen gar den Eindruck hier handele es sich schlichtweg um einen Aufnahmefehler. Diese Mixtur aus süßen, melancholischen Pop-Melodien und verzerrtem Gitarren-Noise war eine Entdeckung des damaligen Creation-Label-Chefs Alan McGee, der im Folgenden auch für den Werdegang der Bands Ride und Oasis verantwortlich zeichnete. Die Szene überlebte nicht lang. Als am 23. August 1991 Chapterhouse den denkbar schlechtesten Zeitpunkt für einen Auftritt beim Reading-Festival erhielt und direkt im Anschluss an Nirvana spielte, war die Melancholie junger Männer aus dem Gastgeberland obsolet geworden. Heute reicht die Bandbreite der Shoegazing-Revivalisten von den schweren Geschützen des Black Rebel Motorcycle Club aus Kalifornien, den Schweden Radio Dept., den dänischen Epo 555 bis zu ihren englischen Gesinnungsbrüdern Televise. Sogar Mark Gardener, Ex-Sänger der Oxford-Legende Ride geht dieser Tage wieder mit neuer Band auf Tour. Wie damals, als es die DDR gerade nicht mehr gab und Oasis noch eine Newcomerband aus Manchester waren, gibt es eine Fülle von Bands, die den Sound vergangener Tage wieder aufleben lassen. Besonders Slowdive mit ihrem geheimnisvollen und fast autarken Nimbus ist in vielen neuen Produktionen hörbar. Während aber der Sound der meisten Bands nur formal an jene Zeit erinnert, ergänzen Malory ihn mit ausdrucksstarkem, zeitlos-majestätischem Songwriting. Süße Melancholie durchzieht ihre Songs, ohne je ins Kitschige oder Beliebige abzudriften. 1995 formiert sich die Band aus drei ehemaligen Schulfreunden in Grunau in der Nähe von Dresden. Anfangs noch stark von den Klassikern der Szene beeinflusst, entwickeln sie schnell ihren eigenen Sound und erspielen sich eine lokale Fangemeinde. 1999 erscheint ihr erstes Album »Not Here Not Now«, welches ein Jahr später auf dem amerikanischen Dreampop-Label Alison Records veröffentlicht wird (mittlerweile wieder erhältlich auf Clairerecords). Der Nachfolger »Outerbeats« wird zwei Jahre später zeitgleich in Amerika und weltweit im Vertrieb von Clairecords veröffentlicht. Mittlerweile sind der »Rolling Stone«, »Intro« und andere Indie-Magazine auf die Band aufmerksam geworden. Alison Records ermöglichen eine Tournee mit den hauseigenen Bands Skywave, Highspire, Stellarscope und Resplandor. In Amerika machen Malory die Erfahrung, dass es auch auf der anderen Seite des großen Teiches ein starkes Interesse an Dreampop und Shoegazing gibt. Seit dem Jahr 2002 gibt es die Band nun in der jetzigen vierköpfigen Besetzung. Daniela Neuhäuser und Jörg Köhler verleihen den Songs ihren unverwechselbaren melancholischen Reiz. Im vergangenen Jahr brachten die Dresdner ihren mittlerweile dritten Longplayer auf den Markt: »The Third Face« erscheint auf Supermodern/Indigo und enthält mit »Sleeper« einen Titel, der die bisher höchste kommerzielle Beachtung findet. Neben Ride, den Telescopes, Galaxie 500 und Lali Puna ist er auf der CD »Clouds Like Sugar« in der Septemberausgabe des »Rolling Stone 2005 zu finden. Stilistisch bewegen sich Malory auf diesem Album zwischen klassischem Noisepop und dezent eingesetzter Elektronik. Zurzeit befinden sie sich wieder im Studio, um ein neues Doppelalbum aufzunehmen. Dabei soll der Gitarrensound wieder mehr im Zentrum der Musik stehen. Nach der Trennung von ihrem alten Label Supermodern werden sie diesmal von der Produktion bis zum Vertrieb alles selbst in die Hand nehmen. http://www.malory-music.com www.myspace.com/malorymusic

Ein Name wie eine Verheißung, vielleicht ein Geheimnis. Und Aufmerksamkeit ist vielleicht das Geheimnis der Jetztzeit. Denn trotz obligatorischen Stöberns in den letzten Bastionen des guten Geschmacks wusste ich lange Zeit nichts von der Band aus der östlichsten Metropole Deutschlands. Doch dann gab es da diesen einen Song. »Falling Shine« schien direkt einer Parallelwelt zu entstammen, einem Universum, in dem die Welt House of Love statt U2 hört, die Pale Saints keine Randerscheinung der Popmusik sind und »Honey Bee« als das beste Album aller Zeiten gehandelt wird. Ein Universum, das abseits jeglichen Zeitmaßes in Grunau bei Dresden zu existieren scheint. »Shoegazing – go, ask your Dad« titelte der »NME« vor wenigen Monaten, als wieder eine dieser großartigen Singles der schwedischen Radio Dept. erschienen ist, und erklärte ganz unbescheiden die Renaissance des Noise-Pop.

Ein kleiner Ausflug in die Stilgeschichte dieses Genres sei deshalb an dieser Stelle erlaubt.

Seltsam ist das schon: Nachdem sich Sofia Coppola für ihren Film »Lost in Translation« musikalisch von keinem Geringeren als Kevin Shields (My Bloody Valentine-Gründungsmitglied) beraten ließ, ist der bis dato fast in Vergessenheit geratene verträumte Gitarrensound wieder da. The Telescopes, Lush, Ride, Chapterhouse, Slowdive oder Moose hießen damals die Bands der Stunde im gitarrenverträumten England der frühen Neunziger Jahre nach Manchester-Rave. Auch Deutschland hatte mit der einzigen ostdeutschen Noise-Popband Green Hill einen Vertreter dieser Stilrichtung zu bieten. In »The Scene That Celebrates Itself« wurde die Selbstbezogenheit der Szene gern ironisiert. Diese Bands, die heute nur noch Eingeweihten ein versonnenes Lächeln auf die Lippen zaubern, wurden zu Beginn der Neunziger Jahre des verblichenen Jahrhunderts unter dem etwas merkwürdigen Begriff Shoegazing zusammengefasst. Es war ein von Journallisten ersonnener Begriff für die entstehende Flut schmächtiger junger Frauen und Männer, deren Vocals kaum hörbar im Feedback- und Gitarrensoundschwall Songs von melancholischer Schönheit hauchten – und dabei auf der Bühne vor lauter Lichtstroboskopen und Effekt-Pedalen eben beständig auf ihre Schuhe schauten. Im Zentrum dieser Musik stehen die vom Schweiß des Rocks befreite Gitarre, der psychedelische Lärm von The Velvet Underground, die Feedback-Loops von The Jesus And Mary Chain, der süßliche Song inmitten des Wall of Sound. Als My Bloody Valentine 1990 das Ausnahmealbum »Loveless« veröffentlichten, hatten manche Zeitgenossen gar den Eindruck hier handele es sich schlichtweg um einen Aufnahmefehler. Diese Mixtur aus süßen, melancholischen Pop-Melodien und verzerrtem Gitarren-Noise war eine Entdeckung des damaligen Creation-Label-Chefs Alan McGee, der im Folgenden auch für den Werdegang der Bands Ride und Oasis verantwortlich zeichnete. Die Szene überlebte nicht lang. Als am 23. August 1991 Chapterhouse den denkbar schlechtesten Zeitpunkt für einen Auftritt beim Reading-Festival erhielt und direkt im Anschluss an Nirvana spielte, war die Melancholie junger Männer aus dem Gastgeberland obsolet geworden.

Heute reicht die Bandbreite der Shoegazing-Revivalisten von den schweren Geschützen des Black Rebel Motorcycle Club aus Kalifornien, den Schweden Radio Dept., den dänischen Epo 555 bis zu ihren englischen Gesinnungsbrüdern Televise. Sogar Mark Gardener, Ex-Sänger der Oxford-Legende Ride geht dieser Tage wieder mit neuer Band auf Tour.

Wie damals, als es die DDR gerade nicht mehr gab und Oasis noch eine Newcomerband aus Manchester waren, gibt es eine Fülle von Bands, die den Sound vergangener Tage wieder aufleben lassen. Besonders Slowdive mit ihrem geheimnisvollen und fast autarken Nimbus ist in vielen neuen Produktionen hörbar. Während aber der Sound der meisten Bands nur formal an jene Zeit erinnert, ergänzen Malory ihn mit ausdrucksstarkem, zeitlos-majestätischem Songwriting. Süße Melancholie durchzieht ihre Songs, ohne je ins Kitschige oder Beliebige abzudriften.

1995 formiert sich die Band aus drei ehemaligen Schulfreunden in Grunau in der Nähe von Dresden. Anfangs noch stark von den Klassikern der Szene beeinflusst, entwickeln sie schnell ihren eigenen Sound und erspielen sich eine lokale Fangemeinde. 1999 erscheint ihr erstes Album »Not Here Not Now«, welches ein Jahr später auf dem amerikanischen Dreampop-Label Alison Records veröffentlicht wird (mittlerweile wieder erhältlich auf Clairerecords). Der Nachfolger »Outerbeats« wird zwei Jahre später zeitgleich in Amerika und weltweit im Vertrieb von Clairecords veröffentlicht. Mittlerweile sind der »Rolling Stone«, »Intro« und andere Indie-Magazine auf die Band aufmerksam geworden. Alison Records ermöglichen eine Tournee mit den hauseigenen Bands Skywave, Highspire, Stellarscope und Resplandor. In Amerika machen Malory die Erfahrung, dass es auch auf der anderen Seite des großen Teiches ein starkes Interesse an Dreampop und Shoegazing gibt. Seit dem Jahr 2002 gibt es die Band nun in der jetzigen vierköpfigen Besetzung. Daniela Neuhäuser und Jörg Köhler verleihen den Songs ihren unverwechselbaren melancholischen Reiz.

Im vergangenen Jahr brachten die Dresdner ihren mittlerweile dritten Longplayer auf den Markt: »The Third Face« erscheint auf Supermodern/Indigo und enthält mit »Sleeper« einen Titel, der die bisher höchste kommerzielle Beachtung findet. Neben Ride, den Telescopes, Galaxie 500 und Lali Puna ist er auf der CD »Clouds Like Sugar« in der Septemberausgabe des »Rolling Stone 2005 zu finden. Stilistisch bewegen sich Malory auf diesem Album zwischen klassischem Noisepop und dezent eingesetzter Elektronik.

Zurzeit befinden sie sich wieder im Studio, um ein neues Doppelalbum aufzunehmen. Dabei soll der Gitarrensound wieder mehr im Zentrum der Musik stehen. Nach der Trennung von ihrem alten Label Supermodern werden sie diesmal von der Produktion bis zum Vertrieb alles selbst in die Hand nehmen.

http://www.malory-music.com

www.myspace.com/malorymusic

Home / Musik / Artikel

Text
Joeran Herr

Veröffentlichung
27.02.2007

Schlagwörter

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