Dabei hat dieser Buchstabe eine Botschaft bzw. sogar zwei: Er steht für ?berschreiben (»Ausixen«) und für Lust in ihrer sexkulturindustriellen Wucherform. Nie lagen Mangel und Begehren pornographischer beisammen. X ist reiner »Palimpsex«, nimmt die Fülle in die Mangel und füllt den Mangel bis zum Rand: »The lights, the noise, the letter x – it’s all designed to inflame the senses« (Ned Flanders über Las Vegas). Das X kann aber noch mehr: auf dem Straight-Edge-Handrücken ist es ein Bekenntnis zum Protestantismus, auf dem RAF-Fahndungsplakat Verfassungspatriotismus, und für Junkies steht der 22. Buchstabe mal wieder für den achten. Verständlich, dass sich Bands immer wieder an entsprechenden Namenskonstruktionen versuchen ??
»Faktor X« Die supposé-CD von Žižek, dem Sloterdijk der Linksradikalen. Hier erklärt er die kapitalistische Warenform mit ?berraschungseiern und das p.c.-Problem anhand von »Shreik«. Ein echter Action-Denker kriegt sogar die kleinbürgerliche Reproduktionsfalle produktiv.
Geza X Erfand als Produzent (»Holiday in Cambodia«, Germs, Black Flag, Avengers, Weirdos ??) den »California Wall of Urge«, eigene Platten enthalten hitförmige Verwirrung.
Gina X Performance Semi-wiederentdeckte Italo-Discowaveentfremdung aus NDW-Deutschland.
X L.A.-Trashpunkpowerpophochklassik unter Ray Manzareks Fittiche, der ihnen ein paar Old-School-Tricks beibrachte. In ihrem historischen Moment unschlagbar, später behäbiger Neorock in REM-Furchen.
Xanthippe Eine der ersten literaturhistorisch belegten Riot Wives. In einer erfundenen Anekdote leerte sie ihren Nachttopf über Sokrates aus – vermutlich zu Recht ??
X-Beliebig Üsterreich war 1981 ziemlich Joy Division, v. a. in Wiener Neustadt, wo siebeneinhalb Bands den JD-Sound aus niederösterreichischem Qualitätsfrust nachbauten. Weit vorne, aber etwas zu hastig: X-Beliebig. Single und LP sind heute gesucht wie die Weltformel.
X-Chromosom Kleinste gemeinsame Nennerin im Geschlechterdurcheinander; selbst das Y soll nur ein verkümmertes X sein, sich also zu X verhalten wie Penis zu Vagina.
The X-Ecutioners Leistungssport, Hochkultur und DJ Culture als Powertrio.
Iannis Xenakis: Komponist und Architekt (1922-2001). In erster Disziplin gefeiert und gewürdigt (Retrospektive bei Wien Modern 2009), in zweiter doch eher unbekannt, aber großartiger Vermittler beider. Der für die Weltausstellung in Brüssel 1958 entworfene Philips-Pavillon war beispielhaft für die mögliche Synthese von Architektur und Musik. Veröffentlicht wurde dieser unter Le Corbusiers Namen, in dessen Büro Xenakis zwölf Jahre lang arbeitete. Der Entwurf (siehe Bild!) stammt aber von Xenakis, was die Frage zum Bekanntheitsgrad als Architekt klären sollte ??
X Files Wollten nur den Mystery-Boom vom Zaun brechen, traten aber gleich eine ganz neue Ära der Serienunterhaltung los, die nun bis ins Unermessliche getoppt wird (aktuelle Etappensiegerin: »Lost«). Ihre Welt ist das Gewimmel konkurrierender Verschwörungen – als pluralistisches Gegenstück zur krypto-nazistischen universellen Verschwörungstheorie. Im Unterschied zum Antisemitismus tappen Scully und Mulder nämlich grundsätzlich im Dunklen.
Xhol Caravan Das Problem der meisten Krautrockbands war, dass sie aus Wiesbaden (und/oder Hannover) kamen. Trotzdem gehört »Electrip« von 1969 zu den Klassikerinnen eines Genres, das noch längst nicht über die Schwelle seiner Deutschrockwerdung gestolpert war: schummriger Free Form Soul, Blood Sweat & Tears-Bläser-Flusen (ca. James Last Orchester auf LSD), locker dahinwallender Soft-Jazz, Orgelsoli länger als der menschliche Verdauungstrakt und ein faires Hypersensibilisierungsangebot für Menschen mit Querflötenphobie.
Xiu Xiu Gequeert werden muss letztlich alles, aber der zum Altherrenstammtisch verkümmerte Indiepop hatte es am Nötigsten. Wie man/frau sie ausspricht, weiß trotzdem niemand.
X-Men Wie viele SuperheldInnen eine jüdische Erfindung, was hier aber am slicksten mitgroovt. Hat mit Dazzler eine Nebensuperheldin, die früher Discokönigin war und Geräusche in Licht und Energie umwandeln kann ??
x-mist.com Von Nagold im Schwarzwald aus operierender ?berlebender der deutschen Underground-Mailorder-Kultur.
X-Ray Spex Klangästhetisch erste Riot Girrl Band, die Punk nicht als Re-Release von Rocksexismus spielte, sondern als das ganz Andere, das sagt: »Oh Bondage, Up Yours!«. Die einzige brauchbare deutsche Popzeitschrift der 1980er und 1990er soll sich nach ihnen benannt haben.
XTC Police für Nicht-Doofe? Kaum war die neue Energie in der Welt, wurde sie schon wieder Pop und im selben Atemzug Kunstmusik. Entlegene Akkorde und gezwirbelte Rhythmen inspirierten eben erst abgemeldete MuckerInnen zu Soon-to-be-Grabbelkisten-Bands, während XTC bis tief in die 1980er Popsophistikation definierten.
X-TRO Sci-Fi-Trash, genrehistorisch ziemlich last minute. Guter ?berblick über das, was uns blüht, denn: »Nicht alle Außerirdischen sind freundlich!« – Manche bekämpfen uns sogar mit unseren eigenen Fehlern, z. B. den Clowns.
XXX Pornoindustrielle ?beraffirmation des X-ratings für Erwachsenen-Filmchen. Der zensorische Doublebind wird als das erkannt, was er ist: ein Mangelemblem, das Begehren anlockt und begeistert vermehrt. Leider hat Porno das verdreifachte Versprechen von X nie eingelöst. Auch die pornographische Kulturware ist nur ein weiteres ?berraschungsei.
XZIBIT Unterstreicht als Host bei »Pimp My Ride«, wie tief Westcoast-HipHop zu sinken imstande ist.