Oh Sees © Thomas Girard
Oh Sees © Thomas Girard

John Dwyer beendet den Sommer in Berlin

Am Samstag, dem 31. August spielten die Oh Sees im Berliner Festsaal Kreuzberg. skug hat sich der Show ausgesetzt und teilt seine Eindrücke eines eindrucksvollen Konzerts einer der aufregendsten Live-Bands auf dem Markte.

Der Festsaal Kreuzberg ist am 31. August 2019, einem der letzten Sommerabende des Jahres im vermutlich kühlsten Sommer der nächsten 200 Jahre, Tatort eines musikalischen Gewaltaktes. John Dwyer, Frontmann der vor mehr als 20 Jahren gegründeten Band Oh Sees aus Los Angeles, CA, übertreibt es mal wieder sichtlich. Vor ausverkauftem Saal und bestgelauntem Publikum liefert er eine fulminante Show mit überaus sportlicher Begleitband. Doch bevor man in den Genuss dieses Wahnsinns kommt, muss man sich erst durch die Vorband Aluk Todolo kämpfen.

Aluk Todolo veröffentlichten vor Jahren das beachtliche Album »Occult Rock«, der Name beschreibt die dazugehörige Musik auch ganz gut. Drei langhaarige Metall-Menschen, wüster Auftritt, alles düster auf der Bühne und Musik irgendwo zwischen klassischem Noise-Rock und dem Drone von Sunn O))), mächtig laut, wenige Töne und ein Schlagzeuger, dessen Spiel an das kraftvolle Hämmern von Christian Vander (Magma) erinnert. Nun, die ersten paar Minuten erfreut die Vehemenz, mit welcher die drei Herren sämtlichen Restschmalz aus den Ohren blasen, allerdings wird es auch schnell sehr eintönig, das anfängliche Erschrecken und das dämmrige Licht auf der Bühne, bloß von einer einzigen glimmernden Glühbirne erhellt, schwenkt um in Langeweile. Es passiert nicht viel, das Rezept ist zu simpel, irgendwann der Sound nur mehr laut und dumpf. Wie eine Eisenbahn, die mit viel Krach ein Hochhaus runterrasselt, verlieren auch Aluk Todolo irgendwann ihren Reiz. Viele der Gäste hörten deshalb von draußen zu. Erst später wird sich die Halle zur Gänze füllen.

Oh Sees © Thomas Girard

Moshpitparty!
Die zerstörten Trommelfelle werden nach einer kurzen Pause wieder neu bespannt. Und dann geht alles ganz schnell. Das teils dunkel gekleidete Publikum durchmischt sich mit einem jüngeren, bunteren. Und die Show beginnt. Kraftvoll, mit zwei Drums, wie ein Drag-Race auf Fullspeed. Kaum zu glauben, dass man es vorher jemals auf einem Konzert mit nur einem Schlagzeug ausgehalten hat. Schlagartig wird einem bewusst, dass das hier ziemlich gute Unterhaltung geben wird. Im Nu ist die vordere Hälfte der Menge in Bewegung, es wird getanzt, für die nächsten Stunden. Es wird gestagedived, mit Schuhen geworfen, und – O-Ton eines begeisterten Gastes – es haben manche einen komischen Kreis gemacht, wo alle ineinanderlaufen. Ohne Pause und auch äußerst friedlich. Und das Schöne: Es ist geschlechtlich etwa 50/50 gemischt. Nein, Scherz, es sind vor allem Männer im Alter von 18 Jahren und 18-jährig gebliebene ältere Männer. Die kennen jedes Lied, kennen die Gesetze, die auf Oh-Sees-Gigs herrschen. Und es geht mitunter recht grob zu. Grob, aber sehr liebevoll. Es fliegen Menschen oder werden von den Feierwütigen auf ihren Händen getragen. Es gibt einen Panda, dem Dwyer lieb den Fuß tätschelt. Man kennt sich offensichtlich. Es fliegen Schuhe auf die Bühne, der Besitzer holt sie sich seelenruhig wieder und verschwindet hinter der Bühne.

Es ist unfassbar, welche Energie die Band in der schier unerträglichen Vulkanhitze des Konzertraums an den Tag legt. Es muss an Drogen liegen, anders ist dieses übermenschliche Verhalten, Dwyers absolut überirdisches Gitarrenverhalten nicht zu erklären. Die sexy Bassläufe zwischendurch lassen bloß kurz durchschnaufen. So richtig Pause gönnt man sich nicht. Alles ist nass, alle Hits werden gespielt, es ist wie ein riesiger Schmelztiegel voller Euphorie. Die neuen Songs, irgendwo zwischen Noise-Rock’n’Roll und Kraut, sind Grundlage minutenlanger Krachmeditationen. Was auf dem Album weniger funktioniert, tut es live umso mehr. Wer sich von den oft eher durchwachsenen Alben der mittlerweile seit über 20 Jahren regelmäßig Veröffentlichenden davon abhalten lässt, eins ihrer Konzerte zu besuchen, verpasst etwas. John Dwyer ist einer der größten Rogger zurzeit.

Link: http://www.theeohsees.com/
https://aluktodolo.bandcamp.com/

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