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Jasmine Guffond

»Degradation Loops«

Kudosrecords/Karlrecords

Mit den »Desintegration Loops« von Basinski, der alte Magnetbänder digitalisieren wollte und dann beim Arbeitsprozess den langsamen Verfall der Magnetschicht dokumentierte, entstand – ob gewollt oder ungewollt – das Narrativ vom Zerfall der westlichen Gesellschaft und symbolisch war der Zeitpunkt perfekt gewählt. Laut eigenen Angaben beendete William Basinski am Morgen des 11. September (2001) die Arbeit an den Aufnahmen zu seinen »Desintegration Loops«, dem ersten Teil der gleichnamigen, vierteiligen Reihe, und hörte diese mit Freunden, während sie vom Dach aus die einstürzenden Türme des WTC beobachteten. Irgendetwas Einschneidendes passierte zu dem Zeitpunkt mit der westlichen Gesellschaft, ein früheres Kapitel ging wohl damals unwiederbringlich verloren und vieles Sichergeglaubtes, scheint sich seitdem aufzulösen. Auf diese Ereignisse spielt die australische Klangkünstlerin Jasmine Guffond an, wenn sie ihre Arbeit »Degradation Loops« betitelt. Während der Begriff »Desintegration« das Auflösen all der einzelnen Teile eines Ganzen bedeutet, bezieht sich »Degradation« auf den Prozess einer langsamen Abstufung, den Weg hin zu einem immer Geringeren, bis am Ende nichts mehr übrigbleibt. Wenn also Basinski seinen Magnetbändern beim Zerfall hilflos zusieht wie beim Zusammenbruch der Türme des WTC, strebt Guffond einen ähnlichen Prozess an. Diesen jedoch bewusst, mittels »Bit Crushing«, der Reduktion der Abtastrate (Anzahl der Abtastungen eines Audiosignals pro Sekunde. Je höher die Abtastrate, desto besser können sämtliche Frequenzen sauber übertragen werden. Bei einer Audio-CD sind das üblicherweise 44.100 Abtastvorgänge bzw. 44,1 kHz) und gleichzeitiger Herabsenkung der Samplingtiefe (Anzahl der Bits/Informationen pro Abtastvorgang, üblich sind 16 bit). In einer 16-tägigen Performance in einem von Guffond eigens eingerichteten Raum nimmt sie ihr 2015er-Album »Yellow Bell« und verringert die jeweiligen Raten sukzessiv, bis am Ende nichts mehr übrig ist. Doch bis kurz davor noch hat man es mit einem Prozess zu tun, der im Ganzen eine wunderschöne Musik abgibt und – nachträglich geschnitten – über dem Zeitraum von 30 Minuten merkbar an auditiver Qualität verliert, jedoch musikalisch sich immer weiter intensiviert – um dann abrupt zu enden. Eine schöne Parabel irgendwie. Schöne Musik ist es auf jeden Fall, die neu entsteht, während die alte verloren geht.

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