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Im DDR-Block

Zur Neuauflage von Walter Kempowskis Debüt.

Walter Kempowskis Erstling »Im Block« erschien erstmals 1969 im Rowohlt Verlag, der erwartete Erfolg blieb aber aus. Der damals zuständige Leiter des Verlags, niemand geringerer als Fritz J. Raddatz, musste sich dafür verantworten und herbe Kritik gefallen lassen. Niemand schien sich für die Erinnerungen Kempowskis an seine Haft in der DDR zu interessieren, Kempowski wurde sogar als Gegner der so genannten Entspannungsliteratur angefeindet. Doch nur wenig später feierte der Autor mit Romanen wie »Tadellöser & Wolff« und »Uns geht’s ja noch gold« seinen verdienten Erfolg, der bis zu seinem epochalen Montagewerk »Das Echolot« – und auch darüber hinaus – angehalten hat. Anlässlich des 75. Geburtstags des Autors legt nun der Knaus Verlag eine Neuauflage des erst ignorierten, dann umstrittenen Debüts vor.

In kurzen Passagen, die sich zu größeren Kapitelkomplexen verflechten, berichtet Kempowski klar, sachlich, mitunter sogar hart im Tonfall von seiner Haft. Das eigentliche Verbrechen bleibt im Text aber nur angedeutet: Als Sohn eines in den letzten Kriegstagen gefallenen Reeders war Kempowski nach dem Abbruch einer Kaufmannslehre als Verkäufer in einem US-amerikanischen Lebensmittellager tätig gewesen. Seinen Dienstherren übermittelt er schließlich dann auch Dokumente, die den Abtransport umfangreicher Demontagegüter durch die Rote Armee – darunter auch die väterliche Reederei – belegen sollten. Im September 1948 wird der damals erst Neunzehnjährige deshalb von einem sowjetischen Militärgericht wegen angeblicher Spionagetätigkeit zu 25 Jahren Haft verurteilt. Acht Jahre davon muss Kempowski tatsächlich verbüßen, den Großteil dieser Zeit bis zu seiner Begnadigung 1956 ist er im Zuchthaus Bautzen inhaftiert.

Die Schilderung der eigenen Position enthält deshalb wohl Anflüge von Rechtfertigung, aber nie in übertriebener Form. Eher arbeitet Kempowski hier mit ironischen Untertönen; seinen misslungenen Selbstmordversuch hingegen spart er aber aus, die Wahrnehmung, Erinnerung und Wiedergabe bleibt also (notwendigerweise) selektiv. Prinzipiell nimmt sich der Autor aber nicht aus, wenn er mit einem Blick für skurrile und erschreckende Details in verknappter, nüchterner Sprache und unter Einsatz von Erzählkürzeln die geschilderten Erinnerungen in collagenhaften Fragmenten arrangiert. Trotz einer allgegenwärtigen, grotesken Humorigkeit verzichtet Kempowski aber keineswegs auf die Darstellung der menschenunwürdigen Haftbedingungen: Hunger, (sexuelle) Notdurft, Krankheit oder Verzweiflung sind allgegenwärtig – Umstände, die für den Autor nur durch eine permanente Literarisierung der Situation erträglich wurden.

Auch die Reflexion der Schreibposition findet sich in diesen Aufzeichnungen wieder: Literatur wird zur Lebensrettung, ebenso wie das Mitwirken am Kirchenchor oder an Diskussionsrunden. Die Selbstversicherung des Intellekts wird zur Konstante in der kerkerhaften Warteschleife, kommt die ständig angekündigte Amnestie doch erst viel später, als erhofft. Die Außenwelt wird nur über Propagandafilme, Pakete, Briefe, Tageszeitungen erfahrbar, realpolitische Ereignisse, die in der Haft nur in Form verzerrter Nachbeben spürbar werden, gehen auch als solche in den Text ein. »Im Block« enthält somit eine Vielzahl von Elementen, die auch in den späteren literarischen Arbeiten Kempowskis von Bedeutung sind und in entfalteter, ausgereifter Form wieder auftauchen: So bleibt er stets durchlässig für die Schicksale Dritter, demonstriert seinen Hang zum Semidokumentarischen, die nachträglich angestellten Recherchen führen schließlich zur ersten, für diesen Autor so bezeichnenden Sammlung zwischen Chronik und literarischer Darstellung. Doch nicht nur die zentralen Instrumente des systematischen Erzählens dieses Autors sind bereits gegeben – schon sein erstes Werk ist auch ein Versuch, die deutsche Geschichte umfassend zu reflektieren und so zu neuem Verstehen zu gelangen. Die dabei im Text erwähnten Vergleiche mit den Haftbedingungen in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten scheinen aber doch fragwürdig und bieten – wie auch schon frühere Arbeiten dieses Autors – genug Stoff für weitere Diskussionen, die aber nicht auf das Feld der Literaturwissenschaft begrenzt bleiben sollten, sondern auch den historischen Kontext beachten müssten.

Walter Kempowski: Im Block. Ein Haftbericht
München: Knaus 2004, 317 Seiten, EUR 22,60

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Text
Thomas Ballhausen

Veröffentlichung
23.12.2004

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