Nikolaj Efendi © David Višnjić
Nikolaj Efendi © David Višnjić

Hoffnung, verpackt in Moll

Ein Gespräch mit Nikolaj Efendi über Hoffnung, Diskriminierung im slowenischen Kärnten, Widerstand und den persönlichen Ausdruck in der Musik.

Neben der Balkan-Punk-Band Roy de Roy sucht deren Sänger Nikolaj Efendi unter seinem Namen nach dem etwas anderen Ausdruck. Soeben ist sein drittes Album »Vulgo« erschienen, die Release-Show fand am 16. November 2019 im Grillx statt. Wir haben uns über Soundfragen, Dramaturgie und über das Erzählen einer ganz persönlichen Geschichte unterhalten.

skug: Lieber Nikolaj, du hast nun dein drittes Solo-Album veröffentlicht …
Nikolaj Efendi: Genau, das ist mein drittes Soloalbum und mein insgesamt sechstes Album, drei mit Roy de Roy und drei unter Nikolaj Efendi. Es ist eigentlich total interessant, eine Band nach sich selbst zu benennen und dann Alben rauszubringen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, nicht aufeinander aufbauen, sondern dass es echt mein Leidenschaftsprojekt ist, in dem ich einfach zulasse, mich in eine Richtung entwickle und mich nicht darauf verkrampfe, ob das jetzt meiner Hörer*innenschaft taugen würdʼ oder nicht. Weil mit Roy de Roy auf der anderen Seite haben wir diese starke slowenische Balkan-Punk-Schiene, die wir halt jetzt zehn Jahre lang spielen, und ich liebe es heiß und so aber …

Das Projekt ist auch nicht gestorben? Also Roy de Roy gibt es noch weiterhin?
Auf jeden Fall, auf jeden Fall. Wir haben für nächstes Jahr auch ein Festival-Konzert geplant. Aber es ist … da haben wir uns ein Publikum erspielt und wenn wir jetzt ein HipHop-Album machen würden, das würdʼ einfach … da verbauen wir uns selbst die Tür. Und das genieße ich sehr, die Freiheit, jetzt ein Album wie »Vulgo« rauszubringen, wo ich mich einfach trauen kann, in ein Gewässer, wo ich nicht mehr stehen kann und ich nicht sicher bin, wohin mich die Strömung treibt.

Ist es so dieses »unter dem eigenen Namen das eigene Ding verwirklichen können« und nicht mehr in den vorgefertigten Bahnen, die Roy de Roy heißen, sondern so wie ein bisschen mit dem eigenen Sportwagen rumflitzen können?
Es ist ein bisschen das, weil für Roy de Roy schreib ja auch einen Großteil der Lieder ich. Es ist aber einfach: Ich möchte mich künstlerisch auch anders entwickeln und ich merke, dass ich zum Beispiel mit der Theatermusik – das betreibe ich ja genauso ambitioniert wie jetzt Bandmusik – ich liebe das, mich so auszudrücken, wo ich halt für Schauspieler*innen beziehungsweise das Stück komponiere und dass ich da jetzt bei meinem Soloalbum mir einfach denke: Boah, ich fühl mich danach! Ich bin frei und habʼ ein Team um mich herum, mit dem ich super spielen kann und wo alle das verstehen. Das ist voll viel wert.

Du hast vorher anklingen lassen – ich kenn ja nur dieses dritte Album »Vulgo« –, dass man mit jedem Album etwas anderes ausloten kann. Das heißt: Das Album »Vulgo« ist jetzt in einem Guss, aber ein bisschen anders als die anderen beiden?
Ich findʼ schon.

Während ja Roy de Roy klar geframed sind.
Genau. Ich findʼ, dass alle drei Efendi-Alben in einem Guss sind und für sich selbst stehen. Also zum Beispiel das erste »The Red Wine Conspiracy«, da habe ich gewusst: Okay, ich möchte ein persönliches Album machen, nachdem ich sechs Jahre lang »In die Goschn«-Musik gespielt habʼ, wollte ich einfach was Ruhiges machen, was Akustisches mit Kontrabass und Akkordeon und Trompete.

Das ist sehr reduziert.
Sehr reduziert, genau. Und ich wollte jetzt nicht über Anarchismus singen, wie bei Roy de Roy, sondern ich wollte einfach mal über mich singen. Ich habʼ eine Depression gehabt und die habʼ ich in dem Album verarbeitet. Das ist der eine Guss. Dann bei »Temper« – dem nächsten Album – da hab’ ich dann gewusst: Mir geht die Lautstärke ein bisschen ab und ich will nicht mehr akustisch spielen, weil da habʼ ich in vielen schummrigen Jazz-Bars gespielt … Ich mag Lautstärke, ich mag das und habʼ das zweite Album eben verbunden mit einem Buch, das ich geschrieben habe. Es ist eigentlich ein Theaterstück. Und habʼ eben beides gleichzeitig rausgebracht. Das war der zweite Guss. Und »Vulgo« ist eigentlich die logische Konsequenz von dem, weil es ist ein voll persönliches Album, eigentlich.

Aber es ist sehr laut!
Ach, es ist sehr laut! Es ist eine Entwicklung, die – wenn man mich kennt und wenn man mein Schaffen verfolgt – absolut logisch ist, dass »Vulgo« so geworden ist.

Nikolaj Efendi © David Višnjić

Ich mag ja diese Verbindung aus dem Lauten, aus diesem raumfüllenden Sound – man wird ja teilweise richtig erschlagen, deine zwei Vergleichsreferenzpunkte sind ja auf der einen Seite Swans, auf der anderen Seite Nick Cave – und dennoch ist es vom Songwriting her balladesk, würde ich sagen.
Definitiv. Weil man kann eigentlich jede Nummer runterbrechen auf mich alleine auf der Akustikgitarre im Schlafzimmer. Weil ich komme eigentlich auch aus einer Richtung: Ich hab so viel Cohen gehört oder Bruce Springsteen. Den hab’ ich lange ignoriert, aber dann gemerkt: Boah, Wahnsinn! Weil ich sehr textbezogen arbeite, immer. Wie sehr jemand, der so weit weg lebt, in so einer anderen Epoche, über so andere Menschen schreibt und trotzdem so, dass ich mich angesprochen fühle. Dieses narrative Schreiben hat mich so inspiriert. Und ja, Johnny Cash und solche Sachen, den Großteil meines Lebens hörʼ ich sowas. Ich hörʼ natürlich nicht die ganze Zeit Swans, obwohl mich das super inspiriert, aber das wär ja wahnsinnig.

Ich finde auch nicht, dass die Swans so ʼnen guten Sänger haben.
Das stimmt [lacht]. Ich wollte mich bei »Vulgo« musikalisch gesehen trauen, eine Lautstärke zu verwenden, als songschreibendes Element, und diese Dynamik, dass man, wenn wir leise auf der Bühne spielen und wir hören unsere Verstärker kochen und warten, »Dude, was ist los? Warum fahren wir nicht los?«, und diese Obertöne, die entstehen, weil alles so gespannt ist, und wenn dann ein Refrain kommt oder ein Teil, der laut sein muss, und du merkst, dass die erste Reihe so einen Schritt zurückgeht. Das ist einfach ein Teil des Konzepts und das ist etwas, was ich von den Swans gelernt hab’ oder etwa von Anna von Hausswolff. Das in einer Zeit, in der Leute Musik vom Musikkonsum her sich am Handy anhören und am Laptop und schlechten Boxen usw. und irgendwie auf Konzerte gehen. Das ist etwas, von dem will ich nicht, dass es verloren geht. Ich glaub’, Konzerte sind für Leute wie uns, die noch Alben hören und Musik konsumieren, wie es sich gehört [lacht].

Das wär’ jetzt fast ein anderes Thema, dieses »wie es sich gehört« … Albumformat und Spotify.
Ja, das ist ein anderes Thema.

Wir reden ja auch von Konzeptkunst.
Genau.

In deinem Fall sind es jetzt acht Tracks und die sind in einem Guss, mit der gleichen Band aufgenommen, bei den gleichen Recordings. Natürlich nimmt das ab, wenn wir denken, okay, die meisten hören nur mehr Spotify und der eine Song ist cool, aber …
Eben, und ich find’, das passt auch zur Live-Konzerte-Kultur, und vor allem dann, wenn man sich in irgendwelchen kleinen Genres bewegt, in irgendwelchen Subszenen. Ich find’ alle solche Szenen haben total Appeal und eine Berechtigung, zu sein. Es ist total wichtig. Als jemand, der in einer Kleinstadt aufgewachsen ist, war für mich Punk super wichtig, weil er einfach so eine Ausdrucksstärke gehabt hat, die ich nicht gekannt hab’, in der Gesellschaft, in der ich gelebt hab’. Und jetzt auf »Vulgo« bezogen: Wir wollten dieses Live-Element von Lautstärke, das kann man ja auf Alben schwer bringen, weil Alben ja komprimiert werden, um dann als mp3s auf Handys abgespielt zu werden. Und wir haben gewusst, das ist eigentlich das große Ziel, dass wir eine Clubband, eine Festivalband sind, die die Lautstärke als ein eigenes Instrument verwendet.

Ja, so wie ich zuletzt einmal die Platte vorgespielt hab’ und sie ein Freund leiser machen wollte und ich meinte: »Hey, nein, das braucht eine gewisse Lautstärke. Aber wie schreibt sich Lautstärke ein?
Naja, man muss es echt zulassen, weil Lautstärke verleitet voll, dass alle voll dreschen, aber Lautstärke zu zügeln, das ist die große Kunst, und zweiter Referenzpunkt, weil du Nick Cave eingebracht hast: Ist ja auch interessant, wenn du dir das live anschaust, dass es eigentlich eine furchtbar laute Band ist. Aber sie spielen nicht laut. Sie spielen halt einfach dann die 10 Prozent im Set laut. Aber alles andere wartet nur drauf, dass es aufgeht! Und wenn man Lieder konzipiert mit der Band, die man im Kopf schon hört, und dann sitzt man da und man muss echt … man darf sich nicht im Tempo verlieren, weil Lautstärke, das beflügelt ja einen, wenn man weiß, da hat man jetzt ein Brett in der Hand und fährt. Ich finde es ist halt eine Aufgabe, diszipliniert zu schreiben, weil du willst ja trotzdem, dass Leute, die sich das anhören, nicht im Negativen überwältigt sind, sondern dass sie sich auch körperlich darauf einlassen. Und ich glaub’, das kann für alle ein schönes Erlebnis sein, weil es genauso wie Stille ein wichtiger Part von Musik ist – Stille und Pausen – es ist auch einfach Druck! Also einfach Druck, der entsteht, wenn Verstärker brennen.

Oder schlicht Dynamik: Die lauteste Stelle ist nicht so schlagkräftig ohne die Stille drumherum. Die Metalband, die ʼne Stunde lang dahindrischt, klingt vielleicht im Endeffekt nicht so hart wie der Balladensänger, der am Schluss den Wall of Sound hochfährt.
Ja, definitiv.

Man merkt das ja auch bei deinem Sound, dass dieses Laute und Bombastische fast nur kurz eingesetzt wird. Oder wie bei eurem Konzert, dass eben punktuell alle mal zur gleichen Zeit laut sind. Trompete, Bass, Gitarre und auch der Keyboarder … also wenn der Bernhard einfach nur so reinfahrt ein paar Sekunden und dann aber wieder loslässt und jetzt nicht mal großartig ʼne Melodie gespielt hat, sondern oft dann einfach nur so ʼnen Noise beisteuert, dann ist das halt ʼne Wucht.
Das ist das Ziel. Ich seh’ es wie einen Saunaaufguss! Also für uns auf der Bühne wie auch für die Leute im Publikum, weil wenn du dich auf die Sauna einlässt, dann willst du ja auch nicht vor dem Saunaaufguss gehen. Angenehm ist es nicht, aber du musst da durch, weil das Danach, das Loslassen, diese Stille danach, all das … das Verarbeiten auch umso besser ist!

Bis jetzt haben wir uns ja hauptsächlich über Soundfragen unterhalten. Versuchen wir den Bogen hin zur Lyrik zu spannen. Da würd’ ich mit dem nächsten Schlagwort, das noch mit dem Sound zu tun hat, kommen. Auf die Frage, wie man euch abmischen soll, hast du zu mir am Abend des Konzerts (Anm.: Release-Show am 16. November 2019 im Grillx) gemeint: Na episch!
[lacht]

Also so diesen Zwei-Minuten-Punk-Song findet man ja auch nicht. Gibt’s ʼnen Song unter vier Minuten?
Nein.

Also es braucht alles schon seine Zeit, um sich aufzubauen. Es wird auch eindringlich, wie zum Beispiel bei der Nummer »Will That Be Enough?«, wo mit der Frage gespielt wird: »What if I swear by my children?«
Ich investiere voll viel in die Texte. Das ist das erste, mit dem ich anfange. Ich bau’ mir ein ganzes Bild im Kopf und weiß, wie es auszusehen hat, bevor ich es überhaupt klingen lasse. Und bei »Vulgo« hab’ ich mich inspirieren lassen von Tagebüchern und Lyrik und Romanen, worin über die Zeit des zweiten Weltkriegs geschrieben wurde, über die Kärntner Slowen*innen. Da, wo ich ja herkomme.

Nikolaj Efendi © David Višnjić

Stichwort Partisanenkampf.
Genau. Angefangen eigentlich mit dem, dass eine Volksgruppe verfolgt und deportiert wird. Und wenn ich so meine eigene Großfamiliengeschichte anschaue, da war halt dann eine Familie am nächsten Tag einfach nicht mehr da und der Hof leer und keiner hat’s gewusst. Und das was darauf passiert ist, war halt auch eine logische Radikalisierung darauf im Partisanentum. Und das war für mich in »Vulgo« auch so: Ich wollte mich hineinversetzen in eine Zeit, die mich als Kärntner Slowene total prägt, weil wir als Volksgruppe ein Generationsgedächtnis haben. Dieses Ding, das ist tief verankert.

Das ist die Zeit deiner Großeltern, eigentlich …
Genau. Jede Generation danach hat einen anderen Rassismus erlebt. Und das hat aber auch einen extrem verbindenden, solidarischen Charakter unter uns. Und ich hab’ mich gefragt: Wahnsinn, ich wohn’ jetzt in Wien und ich geh wahrscheinlich nicht zurück nach Kärnten und ich hab‘ grad ein Kind bekommen und ich will eigentlich auch etwas beisteuern zu diesen Gedächtnis und möchte auch etwas weitergeben und hab’ halt diese Texte genommen, die ich gelesen hab’, und mich daraus zu Szenen inspirieren lassen und eigentlich hab mich gefragt: Wie würden wir mit diesen Gefühlen jetzt umgehen? Wenn man jetzt zum Beispiel »Will That Be Enough?« nimmt, das ist eine Szene aus einem Tagebuch, wo jemand schreibt, wie er in einer Partisanengruppe war und er flucht, denn er hat in der Nacht aufpassen müssen und ist als Späher eingeschlafen. Und wenn du aber einschläfst, das ist die Todesstrafe, auch für die Partisanen. Weil du bist ja der Schutz für die ganze Gruppe. Und ich find’s, das ist voll der interessante Konflikt eigentlich, weil er schwört auf alles. In dem Sinne, er hat ja niemanden verraten. Aber eigentlich, durch seine Tat, durch sein Scheitern …

Seine Schuld war, dass er übermannt wurde vom Schlaf, das ist ja menschlich!
Genau, und wenn wir das auf unsere Gesellschaft sehen, wo wir alle uns in den Boden hackeln und alle ermüdet sind und jeder fertig ist mit der Welt. Das ist so, quasi: Wann reicht es endlich aus? Also so: Was ist die Karotte vor unserer Nase? Dass wir irgendwann mal alle glücklich sind, oder? Und irgendwie: Ich wollte, dass, wenn man »Vulgo« hört, ohne die Storys zu kennen, dass man trotzdem eine Beziehung zu dieser Düsterkeit hat. Aber die Düsternis – und das ist voll der wichtige Punkt auf dem Album – es klingt zwar alles furchtbar depri und hart und kalt, aber eigentlich ist es voll hoffnungsvoll. Weil in jeder Nummer geht es eigentlich darum, dass es … it will be enough! Also Hoffnung nicht nur als Plan zu verstehen, sondern Hoffnung als eine Lebenseinstellung. Also Optimismus zu verstehen als »Vielleicht wird es für mich nicht geil, aber okay, vielleicht wird es für meinen Sohn super.« Oder vielleicht wird’s für meine Partnerin super. Und ich finde Verantwortung für ein Outcome so zu übernehmen, wenn es nicht nur auf sich selbst bezogen ist, voll wichtig. Das wollte ich bei »Vulgo« auch unbedingt ausdrücken, weil ja, »Vulgo« ist ja … jetzt verzettel’ ich mich ein bisschen.

Verzettel’ dich!
Weil »Vulgo«, der Name, weiß nicht, ob ihr das auch habt. In Kärnten gibt es halt diese Vulgo-Häuser. Also Vulgo-Namen, das sind Namen, wenn du jetzt der Postler warst und hast ein Haus, das ist das Postler-Haus. Und dann bist du verstorben und das Haus ist immer noch so benannt. Und dieses Spezifikum gibt es auch für slowenische Familien. Die Häuser haben slowenische Bezeichnungen. Aber auch nachdem die Familien deportiert worden sind und deutsche Familien eingezogen sind …

… sind die Vulgo-Namen geblieben.
Genau, und das ist voll etwas: Was hinterlässt man eigentlich? Als Person? Und aber auch als Volksgruppe? Und als Teil einer Volksgruppe? Und mit solchen Themen spiele ich halt viel.

Orte haben Geschichte und die wird weitergeschrieben.
Eben auch dass eine so kleine Geschichte, wie von dem Späher, der einschläft, dass dieses Einschlafen, dieses scheinbare Scheitern voll einen großen Einfluss auf voll viel andere Faktoren hat, die danach passieren würden. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass jede Person auch einen Einfluss darauf hat, wie unsere Zukunft ausschauen könnte. Und dass man einfach daran glaubt, dass es besser wird. Und dass man etwas tut für die Gesellschaft, für seine Freunde, für seine Familie, dass es für alle besser wird. Um vielleicht auch beides zu verbinden, weil wir vorher über Sound geredet haben und jetzt über Text, ist, was mich eigentlich total inspiriert hat, damit das Album so klingt wie es klingt, meine Arbeit fürs Theater. Weil ich am Theater so anders denken muss. Zum Beispiel: Ich kriege ein Skript in die Hand und weiß dann, welche Szenen ich bespielen muss und dann schreibe ich zum Beispiel nur Worte auf, ohne zu wissen, wie etwas aussieht, wie es gemeint ist … ich weiß nur, welche Stimmungen ich unterstützen darf und welche ich nicht unterstützen darf. Als Komponist ist es killerlustig, aber es ist auch sehr viel Gewicht auf einzelnen Worten. Wenn ich jetzt weiß, okay, in der Szene im zehnten Satz kommt dieses Wort und ich baue auch eine Komposition auf und eigentlich ist das Ziel nur, dieses Wort zu featuren dort und diesen Satz zu featuren und ich weiß aber: Ich brauch eine gewisse Stimmung. Ich kann nicht einfach nur Paukenschlag und das ist es. Das wäre ja lahm. Dass man eigentlich jedes Intro und jede Atmosphäre, die man schafft, gleich ernstnimmt, weil sie dient dem großen Ziel! Nämlich diesen Satz zu unterstützen.

Oder eben wie bei »Vulgo«: Es kann ja ruhig schonmal 5 Minuten vorher die Trompete anfangen.
Das war eben bei »Vulgo« auch so interessant und nicht so wie in Bands, in denen ich sonst gespielt habe. Man hat halt ein Intro, damit halt ein Intro da ist, damit der Gitarrist stimmen kann. Das ist voll unromantisch, das machen voll viele Bands. Klar. Aber andererseits haben wir gesagt, wir nehmen Intros und so Interloops voll ernst und machen vieles halt improvisiert auf der Bühne und da sagen wir nur: Okay, wir landen auf heftig oder wir landen auf dicht und sagen zirka die Tonart an, aber dass wir das schaffen, dass man Atmosphäre ernst nimmt und nicht dienlich, bis der Popsong anfängt, sondern: die Atmosphäre ist Song.

Oder: Es muss zuerst mal die Atmosphäre geschaffen werden für eine bestimmte lyrische Message.
Genau.

Wäre der Teppich nicht bereitet, würde die Textzeile vielleicht schal wirken … oder nicht mit dem passenden Outfit ausgestattet werden.
Und lustigerweise braucht es aber auch den richtigen Ort und die richtigen Leute dazu. Weil wenn man Musik und Kunst so sieht, also Musik als Kunstart, die erst dann vollendet ist, wenn sie jemand hört, dann ist im Umkehrschluss es für »Vulgo« einfach wichtig: Okay wir sind nicht wie mit Roy de Roy, da kannst du uns eigentlich in jede Bowlinghalle hauen und der Bär wird steppen, weil die Musik einfach die euphorischere ist. Und da ist es auch bei »Vulgo« so – das hab’ ich jetzt auch im Zuge der Tour gemerkt – das ist eine Investition. Du musst zwei Stunden ins Publikum investieren, deine Zeit und deine Energie, weil das zehrt einfach. Weil du dich konzentrieren musst, weil sonst kann man vieles, was absichtlich der Atmosphäre dienlich ist, einfach als Noise verstehen und auch missverstehen. Dann ist es vielleicht unangenehm. Aber ich sehe voll viel Elemente in einem Zustand von Trance und von Drones, wo man auf einmal Sachen hört, die vielleicht gar nicht gespielt werden. Das find’ ich voll geil.

Nick Cave hat ja auch mal die These aufgestellt, dass das Liebeslied immer unglücklich sein muss, dass es immer ein tragisches Moment braucht, das mitschwingt, und auch für den epischen Songstil von Nikolaj Efendi: Hätte das nicht diese Grundstimmung, diese melancholische, wäre vielleicht auch die textliche Ebene nicht so glaubwürdig. Wir reden über Hoffnung, packen das aber in Moll. Du sagst: Bei Roy de Roy, da hüpft man herum und hier ist ja doch eher schwermütig. Aber jetzt nicht schwermütig im Sinne von das zieht mich emotional runter, sondern ist eigentlich etwas sehr Erhebendes.
Ich find deinen Satz »Man nimmt Hoffnung und packt sie in Moll« großartig! Das ist voll schön formuliert! Weil ich find’, das schließt sich überhaupt nicht aus! Wenn man Hoffnung nur in Dur schreibt, dann ist es Schlager und dann ist es Kitsch und dann ist es eigentlich nicht wirklich real, weil Hoffnung muss ja bestehen, weil etwas scheiße ist! Weil: Warum brauchst du denn sonst Hoffnung, wenn alles super ist?

Klingt plausibel.
Meine Hoffnung verstehe ich nicht als blindes, naives »es wird schon gut«, sondern ich seh’ das – von der Gesellschaft her – auch vollkommen historisch, weil wenn du dir denkst: Leute haben damals geglaubt, der Feudalismus wird immer bestehen, es wird immer Könige geben und den Kaiser sowieso … Hey, Sachen verändern sich! Und zwar: Sie könnten sich auch zum Guten verändern! Und wenn ich das auf mich beziehe, ist es: Ich als Mensch, auch wenn ich in irgendeinem dark place bin gerade, ich bin nicht, sondern ich handle! Und das, was ich tue, hat Konsequenzen im Positiven und Negativen. Und die Hoffnung, über die ich spreche …

Ich entwerfe mich und meine Welt.
Eigentlich ist es eine Motivation, zu handeln und einfach zu sagen: Okay, fuck that! Es reicht! Ich will das nicht mehr! Und eigentlich ein Gefühl der … mir fällt das deutsche Wort dazu nicht ein, aber so: empowerment. Dieses sich Zutrauen, dass man sich selbst befreien kann!

Und auch, dass jede Handlung einen Wert hat oder zählt.
Voll.

Nikolaj Efendi © David Višnjić

Irgendwann hab’ ich mal einen hübschen anarchistischen Sticker gesehen, da stand drauf: »Wenn 100.000 Menschen sagen, dass kann ich nicht, dann ist das unlogisch.« Ich weiß nicht mehr, ob ich mich genau erinnern kann, aber der Spruch ging ungefähr so.
Und da dank’ ich sehr meiner Zeit mit Roy de Roy. Wir sind ja eine schwer politische Band. Eine völlig anarchistische Band. Aber ab und zu vergessen wir das einfach, weil halt Leute sich in Ekstase tanzen, und ich find’ das sehr interessant, weil wir als Band sowohl in besetzten Häusern spielen als auch im Konzerthaus, wo unser letztes Konzert war, vor unserer Pause. Und dann halt irgendein World-Music-Festival. Und das ist voll schön, wenn du dich in einer Gruppe so entwickeln kannst, aber auch in politischer Ebene arbeitest. Und wo ich auch merke: Boah, ich hab’ so viel Selbstvertrauen für mein Texten gewonnen in der Zeit, weil da hab’ ich fast nur Slowenisch geschrieben. Und ich hab’ meine Lieder auch voll oft gespielt und wenn du merkst, das kommt an, dann ermutigt dich das auch dazu, dass du weiter machst und dass du auch anecken darfst und dass das nicht schlimm ist. Und: Anecken ist eh geil. [lacht]

Auf »Vulgo« sind ja auch noch zwei Tracks auf Slowenisch zu finden.
Wir haben eigentlich drei slowenische Tracks auf dem Album gehabt, aber weil wir Vinyl gemacht haben, haben wir ein Lied kicken müssen. Dieses dritte slowenische Lied bieten wir gratis zum Download an auf unserer Homepage. Aber zu den zwei veröffentlichten Liedern: das eine heißt »Le kdaj?«, das heisst »Wann nur?«, und das ist eben aus einer Geschichte, die ich gelesen hab’: Eine slowenische Familie, in der wirklich alle, von Brüdern, Schwestern, bis hin zur Großmutter, alle, wirklich alle ins KZ geschickt worden sind, und dann haben halt zwei von der Riesenfamilie überlebt. Und der Hof wurde verbrannt und alles. Und die sind in dieser Region geblieben und haben dort weitergelebt und haben, weiß ich nicht, wahrscheinlich ein Haus gebaut. Was mich so inspiriert hat an dieser Geschichte, ist: Was muss alles passieren …

… dass man weggeht.
Jaaaaa, Oida, was noch? Und dann hab ich den Satz geschrieben, also auf Slowenisch: »Ko je čas preštevati žrtve, tedaj živi zavidajo mrtvim.« Das heißt so viel wie: »Wenn die Überlebenden die Toten zählen, werden die Lebenden die Toten beneiden.« Weil wenn du das alles überlebst, dann hast du das alles gesehen, dann hast du das alles gespürt und ich find’, diesen Lebensmut zu haben … so deppert das klingt, aber einfach leben zu wollen nach all dem, nach all dem, was du hasst.

Das kann ja auch was Bestärkendes sein …
Total!

… der Gedanke an die Toten quasi. Im Judentum ist es ja auch so, dass die Tradierung der Leidensgeschichte Kraft gibt für den Kampf nach vorne!
Genau das, und das ist total inspirierend, weil: Ich hab’ es ja nicht erlebt. Das ist etwas, was ich lese oder erzählt bekomme. Es ist einfach hart. Und eigentlich ist es ein Lied übers Durchhalten: Was eigentlich muss alles passieren, damit ich meinen Mut verliere? Eine voll wichtige Nummer für mich in dem Set. Und die andere ist eigentlich viel persönlicher als erwartet.

Ich hab’s ja für ’nen Love Song gehalten … [beide lachen]
»Domovina« … das ist nicht eins zu eins übersetzt, aber heißt so viel wie »Heimat«. Es ist aber kompliziert, zum einen als Volksgruppe in einer Region zu leben, die dich einfach nicht will. Das versteh’ ich nicht. 100 Jahre und mehr. Es ist völlig absurd für mich, dass einfach Leute in derselben Region leben, die einen können halt eine Sprache mehr, dass die einfach extrem niedergehalten werden und schlecht behandelt werden, verfolgt werden. Ich check’s nicht. Auf jeden Fall ist es ein Gefühl, wie es ist, in einer Region aufzuwachsen, wo man einfach ein Fremder in der Heimat ist, in diesem Sinne. Zum Teil hab’ ich das eben vor über 80 Jahren, also aus dieser Zeit, geschrieben, aber dann eigentlich auch sehr viel von mir eingebaut, wie das eigentlich war. Weil ja, meine Muttersprache ist Slowenisch und all meinen emotionalen Wortschatz, den ich gelernt hab von Zuhause – meine Eltern reden Slowenisch mit meiner Schwester –, das hat ja einen Wert. Ich hab’ das aber in der Öffentlichkeit verbergen müssen. Und wenn ich an meine ersten Erinnerungen denken muss, wo ich realisiert hab’, wir sind halt ein bisschen anders, das war, wo Franz Fuchs die Bombe in unsere Schule geschickt hat. Oder über Haider müssen wir ja eh nicht reden. Und so Sachen, wo du merkst: Fuck, gewisse Leute haben echt ein Problem damit und ich bin auch schirch verprügelt worden so als junger Jugendlicher. Dann später auch noch extrem. Und wenn du dann stumm im Bus sitzt, weil du mit deiner Schwester nicht reden magst, weil du mit ihr nicht Deutsch reden kannst, das ist voll ein komisches Gefühl. Und dann steigst du aus und gehst mit den ganzen Leuten heim und wenn du zuhause bist, dann kannst du dich wieder ausdrücken. Es ist nicht so, als ob ich militant gegen Deutschreden war, aber es beschränkt dich in deiner Freiheit.

Ja klar, warum soll man sich nicht in seiner Muttersprache unterhalten, ist doch lächerlich!
Ist doch fucking lächerlich!

Und auch die Bezeichnungen, so pejorativ: der Kärntner Slowene, na, ist der eigentlich Kärntner oder doch eher Slowene und »g’hört eigentlich rüber«, und auf der anderen Seite: der Deutsch-Kärntner. Da ist schon so viel Ideologie und Wertzuschreibung drin.
Bei der Nummer hab’ ich aber auch noch mal in eine andere Richtung mich selbst gefragt: Muss man natürlich nicht romantisieren, aber was auch passiert ist, dass Leute, die unterdrückt werden und stigmatisiert werden als anders … Viele nehmen dann auch einfach die Kurve Richtung Nationalismus. Und das passiert ja auch bei Kärntner Slowenen und das ist einfach genauso deppert. Und jetzt als jemand, der in der Diaspora in Wien wohnt – da gibt’s ja echt viele Slowenen in Wien –, wenn ich dann heimkomme, da gibt’s viel »Wirst nicht heimkommen?«, »zu deinen Leuten stehen?« und »Du verratest uns!«, weil »Wir sind ja die Slowenen«, und sich in diesem Zwielicht zu bewegen, zwischen den einen Nazis und slowenischen Nationalisten, das ist ein komisches Gefühl und deswegen hab ich diese Nummer geschrieben.

Jetzt kannst du sagen: Heim komm ich nicht mehr, aber die Platte hab’ ich gemacht.
Genau [beide lachen]. Ich hab’ so gewusst, dass ich wegziehen muss aus Kärnten! Ich hab’ gewusst: In einer Woche zieh’ ich nach Wien. Und dann war ich noch fort, so ein letztes Mal mit meinen Kumpels, die in Kärnten geblieben sind. Da waren wir im Theater-Café und ich sitz so an der Bar und ich erinner’ mich an nichts, weil ich dann einfach minutenlang am Tisch gelegen bin, weil mir einfach ein Typ einen Glaskrug auf dem Schädel zertrümmert hat, weil wir Slowenisch geredet haben. Und ich hab’ gewusst, ich muss da weg. Fuck. Und ich hab’ jahrelang echt so Probleme gehabt, gern heimzugehen. Also dann bist du in einer neuen Stadt und irgendwie … Es gibt ja eh auch coole Leute, aber es gibt eben auch diese Säcke. Und die Nazis waren ja auch nicht irgendwelche Aliens, die gekommen sind und jetzt wieder weg sind.

Da gibt es ja Kontinuitäten.
Ja, genau! Und es gibt Zeitpunkte und es gibt Mechanismen und Krisen und dann kriechen sie wieder raus!

Nikolaj Efendi: »Vulgo« (Dramatic Pause/Recordjet/Edel)

Link: http://www.nikolajefendi.com/

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