Nicky Da B © Lauren Silberman
Nicky Da B © Lauren Silberman

HipHop-Identitäten im Fluss

Seit mehr als einem Jahr sorgen homo-, bi- oder transsexuelle RapperInnen für eine neue Offenheit in der US-HipHop-Welt. Vom YouTube-Hit und kostenlosen Mixtape haben es viele zum Debütalbum geschafft. Die Veränderung scheint permanent.

»Thanks for reaching out Hardy but we’re going to have to pass on this«, antwortet der PR-Mensch des New Yorker Rappers Le1f auf meine Interviewanfrage und mir ist klar: Le1f hat einfach kein Interesse mehr, ausschließlich über queeren HipHop, schwule RapperInnen und den Paradigmenwechsel in der US-HipHop-Szene zu reden. Er möchte nicht ständig in eine gay rap-Schublade gesteckt werden. Das ist nachvollziehbar. Und die Frage stellt sich: Wie redet man überhaupt über eine Schublade, die man gar nicht aufmachen möchte?
Denn eins steht fest: Es gibt keine schwulen Beats. Le1f mag im Video zu »Wut« auf dem Schoß eines nur mit Shorts und einer Pikachu- Maske bekleideten Mannes sitzen. Sein Kollege Mykki Blanco mag in Drag in der New Yorker Subway freestylen. Und Cakes Da Killa, ebenfalls aus New York, mag auf dem Plattencover seines Debütalbums ein Rosenbouquet als Kopfschmuck tragen. Die Rapstyles dieser drei und anderer homo-, bi- und transsexueller Rapper reichen aber von gehetzt-aggressiv bis relaxed-unterkühlt. Die Beats und Produktionen sind mal minimalistisch, mal überbordend, mal Trap-beeinflusst, mal Golden- Era-infiziert, mal cheesy, mal düster. Zwar kommen die eben genannten Rapper alle aus New York, das auch zweifelsohne die größte queere HipHop-Szene hat. House of LaDosha und Zebra Katz wären ebenfalls zu nennen, auch die offen bisexuellen Mainstream- Rapperinnen Azealia Banks und Angel Haze. Aber auch Nicky Da B und Sissy Nobby aus New Orleans, Big Dipper aus Chicago oder Syd tha Kid aus Los Angeles gehören zur neuen Riege offen homosexueller RapperInnen.

»See What Frank Ocean Started?«
Warum aber über gay rap reden und nicht über irgendwelche new eastcoast sounds? Warum so verschiedene HipHop-Acts wie den Bounce-affinen Nicky Da B aus New Orleans und das eher düstere Duo House of LaDosha aus Brooklyn in einen Topf werfen? Weil sich im letzten Jahr eben doch einiges getan hat in der vermeintlich ewig homophoben HipHop-Welt: Schwul, lesbisch, bisexuell sein ist okay und wird akzeptiert. Videos von schwulen, lesbischen und queeren RapperInnen werden in die Hunderttausende angeklickt. Sie treten nicht mehr nur in Schwulenclubs und Galerien auf, gehen »sogar« auf Europa-Tour. Sie finden in Mainstream-Medien statt. Und: Outings sind leichter geworden. »See What Frank Ocean Started«, titelte das afroamerikanische Gossip-Magazin »Bossip« noch vor einem Jahr zum »Wut«-Video von Le1f. Snoop Dogg ließ verlauten, HipHop sei eine männliche Sache, in der es keinen Platz für schwule Rapper gebe. Aber das waren überraschenderweise die Ausnahmen. Mainstream- Rapper wie Jay Z oder 50 Cent – in der Vergangenheit durchaus schwulenfeindlich – reagierten mitfühlend auf Oceans Outing und brachten ihren Respekt zum Ausdruck. Und auch von der neuen HipHop- Generation um Kendrick Lamar und A$AP Rocky gab’s Unterstützung.
Dabei hat die neue Akzeptanz vielleicht gar nicht so viel mit Frank Ocean zu tun. Syd tha Kid – wie Ocean Teil der Odd-Future-Crew um Tyler, the Creator – hat sich schon Monate vor Ocean öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt. Auch die New Yorker Durchstarterin Azealia Banks war mit ihrem Outing als bisexuelle Rapperin schneller als Ocean. Und schließlich gibt es schon seit der Jahrtausendwende offen homosexuelle HipHop-Gruppen wie Deep Dickollective und Yo Majesty, den Rapper Deadlee oder Katey Red und Big Freedia, die Wegbereiter der queeren Sissy- Bounce-Szene von New Orleans.
Anders als vor dem Outing von Ocean werden homosexuelle MCs und DJs aber erstmals in der HipHop-Community akzeptiert. Und anders als vorher wird ihnen eine nennenswerte Aufmerksamkeit außerhalb von LGBTKreisen zuteil. Sicher hat auch das Web 2.0 einen Anteil an der größeren Sichtbarkeit homosexueller RapperInnen. Mehr als einen catchy Song und ein auf irgendeine Weise aus der Masse herausstechendes Video braucht es scheinbar nicht, um einen weltweiten vira31 len Hit zu landen. Frank Ocean hatte vielleicht schlicht das richtige Timing. Sicher war die US-Hip-Hop-Szene aber auch bereit für einen Paradigmenwechsel.

»Stop worrying about how gay I am«
Wie Le1f wollen die meisten homosexuellen und queeren RapperInnen nichts mit gay rap zu tun haben. Die Gefahr, als exotische Ausnahme abgestempelt zu werden, ist genau so groß wie die, gönnerhaft protegiert zu werden.
Le1f treibt in seinen Videos immer wieder homosexuelle Stereotypen auf die Spitze. Im Video zu »Soda« werden zwei Schulschlägertypen (die mit ihren durchtrainierten Figuren auch eine homoerotische Fantasie verkörpern) in kaum zweideutiger Weise mit Limonade übergossen, Le1f tanzt und rappt in extravaganten Outfits, einem goldenen Paillettenhemd und einem schreiend orangen Pelzmantel. Er hat jede Menge Spaß und spiegelt gleichzeitig homophobe Stereotypen. Und zielt trotzdem mit den innovativen Tracks seines Debütalbums »Fly Zone« mit einem Auge auf die HipHop-Avantgarde und mit dem anderen auf den Mainstream-Dancefloor. »I am whatever you say I am / Stop worrying about how gay I am« rappt er in »Airbending«. Das würde auch der New Yorker Ojay Morgan alias Zebra Katz sofort mitrappen. Versuche, ihn auf seine »Vogue-Hymne« »Ima Read« zu reduzieren, schlagen fehl. Die Musik auf seiner zweiten EP »MMXII« ist so ziemlich das Düsterste und Unterkühlteste, was es an Hip- Hop gibt. Extrem langsame, bassmächtige Beats treffen auf spärliche, dunkle Hintergrundund Störgeräusche. Mit ruhiger, bedrohlicher und zugleich verführerischer Stimme rappt er über die Liebe eines Besessenen (»I C U«, »Hunter«) oder Champagner und Koks (»Red River«, »Champaigne Cocaine«).

Goodbye, schwarze, homophobe Subkultur
ocean.jpgAuf das erste Outing eines weithin bekannten männlichen Rappers warten wir aber noch immer. Ocean bleibt trotz aller HipHop-Seilschaften ein R’n’B-Sänger. Und die in den Medien herumgereichten gay rappers bewegen sich trotz aller medialen Aufmerksamkeit noch immer unterhalb des Radars von Formatradios und tauchen kaum in relevanten Downloadcharts auf.
Aber eines hat sich geändert: HipHop, zumindest in den USA, kann nicht länger als durch und durch homophobe Musikrichtung bezeichnet werden. Und das heißt auch, dass die oft indirekt hergestellte Verbindung zwischen schwarzer Hautfarbe und Schwulenfeindlichkeit nicht mehr gezogen werden kann. Dieser rassistische Unterton vieler Erzählungen über Homophobie im HipHop hat freilich noch nie Sinn ergeben. Vielleicht wächst jetzt das Bewusstsein dafür, dass Schwulenfeindlichkeit und dergleichen Minoritäten-Bashing schon immer vor allem mit der sozialen Klasse, mit Geld und Unterdrückung, Existenzängsten und Minderwertigkeitskomplexen zu tun haben.

Identitäten im Fluss
Auf der anderen Seite entfällt – vorausgesetzt, es kommt nicht doch noch zu einem Backlash – für Rapper in Zukunft zumindest eine Strategie, ihre Maskulinität zu behaupten. Dass die Sache mit der performativen Hypermaskulinität im HipHop bereits Geschichte ist, darf bezweifelt werden. Aber der Trick, alles, was auch nur entfernt schwul, lesbisch oder queer erscheinen könnte, so weit wie möglich von sich zu weisen, nur um besonders viril und potent rüberzukommen, wirkt auf einmal ziemlich altmodisch.
Rapper können weiterhin tough aussehen und mit Knarren herumwedeln, Frauen um sich scharen oder beleidigen, Goldketten und Goldzähne tragen, ihre Ghettovergangenheit und realness ausspielen, Drogen und Gewalt verherrlichen, gepimpte Luxuskarossen fahren und in Designeranzügen herumlaufen. All das, um ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Wer heute noch Schwule disst, kommt aber nicht mehr besonders smart rüber – und damit auch weniger hip und männlich. Das wäre zumindest zu wünschen.
Immerhin: Rapper, die 2013 cool sein wollten, haben irgendwann getwittert, dass sie mit der Entscheidung des Supreme Courts für die gleichgeschlechtliche Ehe d’accord gehen. Gleichzeitig haben mehrere heterosexuelle Rapper mit schwulenfreundlichen Songs für Aufmerksamkeit gesorgt. Allen voran das indie-act-goes-mainstream-Duo Macklemore & Ryan Lewis mit »Same Love«, aber auch der weniger bekannte Murs aus Los Angeles mit »Animal Style« inklusive Männerkuss im Video und der texanische Rapper und Regisseur Adair Lion mit »BEN«.
Aber vielleicht gehören schwulenfreundliche Statements ja schon jetzt zu den wenigen korrekten Strategien, Männlichkeit im HipHop zu behaupten: dazu nämlich, Smartness und politisches Bewusstsein auszustellen. Und vielleicht geht es im HipHop ja auch irgendwann einmal nicht mehr darum, den Größten zu haben.

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