Prekär, miserabel, niedergegangen u. ä. sind die oft getroffenen Begleitattribute der wie immer noch tickenden journalistischen Gattung, des Feuilletons. Die Marginalisierung der Kunstkritik muss nicht immer sichtbar sein, sie liegt in der Luft als der Duft der konservativen Sichtweise(n). Es kann aber im Voraus gesagt werden: Nichts kann vor der Zeit fliehen, sie ist wie immer unaufhaltsam. Das Feuilleton ist auch keine Ausnahme: Der Song läuft – das Feuilleton muss dabei sein. Das Feuilleton ist ein bekanntes Fremdwort für die Leser*innen, nicht aber wegen der französischen Herkunft, sondern angesichts seiner immer wandelnden Natur. Wie biographische Lebensstrecken jedes*jeder Künstler*in ist auch der Werdegang des Feuilletons durch unterschiedliche Gegebenheiten gefärbt. Ohne weitläufige Präliminarien lässt sich fragen, wie der Kulturjournalismus heute ist und ob es möglich ist, sich an alte Normen zu halten.
Was ist doch anders?
Es ist kein Zufall, dass wir die Zeit ins Spiel bringen. Sie ermöglicht uns, das Feuilleton (als Kunstwahrnehmung anhand geistreich-kritischer Texte) in die sogenannten epistemologischen Dualismen zu zerlegen. Die scheinbare Unbegreiflichkeit spielt sich metaphorisch ganz gut ab. Gehoben könnte das folgenderweise klingen: Augenblick der Ewigkeit oder zum Augenblick gewordene Ästhetik u. ä. Mit einfacheren Worten und ohne Kitsch bedeutet das weniger Werterückzug oder Tabubruch als einfach neue Architektonik der Gattung. Jemals auf die Dauer ausgerichtete Ästhetik wird zu der kurzlebigsten (vgl. Utz, 2018, S. 49–55) Gattung der Literatur bzw. des Journalismus.
Der Gedankengang der Feuilletonist*innen verändert sich im Laufe der Zeit: Das 20. Jahrhundert bestimmt und diktiert immer öfter kapitalistische Regeln auch für journalistische Güter. Seine Spuren hinterließ auch das allgemeingesellschaftliche Dilemma: Subjektivität vs. Objektivität (Fiktion vs. Realität). Dabei geht es um ein schnelles Hineinkommen, d. h. ohne Umwege zum Kern der Sache. Das Feuilleton zeichnete sich in seinen Ursprüngen in der Sprache und Aussprache durch explizitere Subjektivität, Assoziativität und amüsante Darstellungsweise aus (vgl. Burdorf, Fasbender, Moennighoff, 2007, S. 237). Heutzutage ist diese Substanz in manchen Fällen eine gezwungene Maßnahme, die eine modifizierte und jedoch noch erkannte »Verpackung« (Gestalt) hat, aber vielleicht mit neuer Füllung oder neuem Nachgeschmack.
Das Feuilleton als ephemeres textuelles Ereignis, als etwas Ästhetisches, Kulturelles und sogleich Romantisches wird heutzutage oft durch die formalen Ressortbegriffe »Feuilleton« oder »Kultur« ersetzt. Nicht selten sind auch die Themen aus der Naturwissenschaft oder der IT inbegriffen. Der feuilletonistische Text ist heute auch reich an rein informativen und objektiven Berichten, deshalb existieren auch die Meinungen, dass das Feuilleton nicht mehr Darstellungsform ist, sondern ein Ressort. Die Tragik des Beobachteten mildert sich aber dadurch, dass die erwähnten Umwertungen die Kundschaft jeweiliger Zeitung bzw. Zeitschrift schaffen.
Bedeutungsverlust des klassischen Rezensionsfeuilletons?
Es ist doch üblich, zu hören, dass das Feuilleton bzw. die Kunstkritik im Spannungsfeld zwischen Literatur und Journalismus liegen. Was bestimmt aber die Natur und das ethisch-ästhetisch Erlaubte des Feuilletons? Inszenierung ästhetischer Subjektivität, ästhetisches Denken, ästhetische Signatur, Erkenntnispotenzial und die Wahrheit sind einige der Hauptsäulen der feuilletonistischen Schreib- und Denkweise (vgl. Welsch, 1993, S. 46). Die bloße Theorie stößt aber in der Wirklichkeit auf den heutzutage variablen Diskurs (z. B. in Bereichen der Queer-, Migrant*innen- und Genderkultur u. a.). Diese Themen boomen geradezu und bereichern die Kunstkritik mit neuen Stimmen, Farben und Landschaften. Auch der Medienwandel vom Text zum Bild bringt seinerseits die manchmal fehlende Metaphorik, Bewegung, Ästhetik und Rhetorik in den Text bzw. ins Thema herein.
Jedoch ist unser Wille, auch meist alles kritisierender, in Frage stellender, dem Zweifel unterlegender, bei dieser Diskussion das Entscheidende. Auch heuer sprühen die Feuilletons vor der Lebendigkeit und Buntheit der jeweiligen Inhalte. Die Feuilletonist*innen machen aus einem manchmal alltäglichen Ereignis etwas Nachdenkendes, Kontemplatives, schicken somit ein paar Gedanken zur Welt, nicht immer nur Fakten, sondern Ideen auch. Diese gegenseitige Weichheit, Flexibilität und Komplementarität ermöglichen heutzutage die Öffentlichkeit der Kunst, die früher für elitär, abstrakt, gehoben und distanziert für die Mehrheit gehalten wurde. Die Themenauswahlbreite und Formenvielfältigkeit machen das heutige Feuilleton zeitgemäß, besonders in der Zeit der noch sich entwickelnden Selbstverständlichkeit vom heterogenen Betrachten der Realität bzw. der Kunst.
Anders kann man sagen, dass der*die Leser*in mit all seinen*ihren Interessen, Gewohnheiten u. a. in hohem Maße den Grad und die Ausnutzung der grundlegenden Feuilletonpostulate bestimmt und somit stilisiert für sich selbst jeweilige Kunstkritik als feuilletonistische Gattung. Wie aber »feuilletonistisch«, d. h. spielerisch-geistreich sind unsere heutigen Leser*innen? Hat das Feuilleton eine heisere Stimme oder ist doch der*die Leser*in schwerhörig? Eine klare Antwort darauf wäre eine interessante und unerwartete Wendung in dieser Geschichte … nicht wahr?
Literaturverzeichnis
Burdorf, Dieter/Fasbender, Christoph/Moenninghoff, Burkhard (Hg.): »Metzler Lexikon Literatur: Begriffe und Definitionen«, 3. Auflage, Stuttgart: J. B. Metzler, 2007.
Utz, Peter: »Feuilleton.« In: Gisi, Lucas Marco (Hg.): »Robert Walser: Handbuch. Leben – Werk – Wirkung«, Stuttgart: J. B. Metzler, 2018, S. 49–55.
Welsch, Wolfgang: »Zur Aktualität ästhetischen Denkens«, In: Welsch, Wolfgang: »Ästhetisches Denken«, 3. Auflage, Stuttgart: Reclam, 1993, S. 41–78.