Entnahmeboxen für die Gratiszeitungen »Heute« und »Österreich« in Wiener U-Bahn-Stationen, 2008 © indigotimbre, Wikimedia, CC BY-SA 2.0
Entnahmeboxen für die Gratiszeitungen »Heute« und »Österreich« in Wiener U-Bahn-Stationen, 2008 © indigotimbre, Wikimedia, CC BY-SA 2.0

Grusel in der Früh

Wenige erinnern sich noch an den Zeitpunkt, als die Wiener Gratiszeitungen starteten. Doch schon damals fielen die enormen finanziellen Mittel auf, die anscheinend unbegrenzt zur Verfügung standen.

Am Anfang nahmen wir die neuen Gratiszeitungen nicht so ernst. Doch dann berichteten unsere Zeitungskolporteure, die in den Wiener U-Bahnstationen standen, von der dominanten Verteilung der Gratiszeitungen. Deren Chefs hatten Dutzende billige Verteiler engagiert. Es entstand also »ein Geriss«, eine Konkurrenz, um die Leser*innen zwischen den Kolporteuren der »Kronen Zeitung«, großteils ehemaligen Flüchtlingen aus Ägypten, Pakistan oder Indien, den Verkäufern des »Augustin« bzw. unserer Flüchtlingszeitung und diesen neuen Verteilern, die zum Teil schlecht deutsch sprachen, aber ihren Job gut machen wollten. Die neuen Gratisblätter hatten die Idee mit dem Verkauf in U-Bahnstationen abgekupfert (die Zeitungsboxen kamen erst viel später) und versuchten nun erfolgreich, die anderen zu verdrängen. Ein Geschäftsmodell schien es zu sein, enorme Auflagen zu drucken und nach der angegebenen Auflagenhöhe Subventionen zu erhalten. Ein Riesenanteil der gedruckten bunten Zeitungen mit den vielen Bildern wanderte aber unverteilt in Mistkübel oder ins Altpapier. Kontrollierte ja keiner. Unsere Redaktion fragte sich schon damals, wie und woher die Gratiszeitungsbosse so unermesslich hohe Geldsummen auftreiben konnten, wer hinter den Projekten steckte, was das alles sollte. Damals hieß es z. B. von einer Gewerkschafterin, die eine Zeitungsstudie erstellte, die Wiener SPÖ wolle den Rieseneinfluss der »Kronen Zeitung« verringern.

Seltsame Vergesellschaftung

In den folgenden Jahren bis heute gewöhnten sich leider gestresste arbeitende Menschen an die Sucht, an den Sog, der von Mord und Totschlag ausgeht – von vielen Bildern, reißerischen Titeln und wenig Text. Besonders Menschen, die selber Schlimmes erlebt haben und in Armut leben, lesen gerne über Tragödien. Etwas heftiger Grusel in der Früh und schon lässt sich das eigene Elend besser ertragen. Man fühlt sich nicht mehr so alleine auf der Welt. Eine Art von Vergesellschaftung und Integration. Es ist und bleibt aber verantwortungslos, Teile der Bevölkerung, vor allem solche aus den unteren sozialen Schichten, im Gruselwahn zu bestärken und somit zu Handlungsunfähigkeit in eigener Sache und zu Veränderungsunwilligkeit beizutragen. Ist das eventuell der Sinn hinter dem Gratiszeitungsmodell? Oder doch finanzielle Interessen? Aber welche? Klar scheint auf jeden Fall, dass diverse Gruselanteile, die »Fremde« betreffen, extrem vergrößert und verzerrt dargestellt werden und somit Gratiszeitungen die Unterfütterung einer Politik bieten, die sich selbst legitimiert und an der Macht hält, indem sie einen Teil der Bevölkerung zu Sündenböcken und Blitzableitern macht – zur Ablenkung ihrer eigenen Misserfolge missbraucht. Bundeskanzler Nehammer mit seinem Vorschlag der Kürzung von Sozialleistungen für bestimmte Menschen steht nun ebenfalls in dieser Tradition.

Geheimnisvolle Stifter

Wer konnte damals in der Zeit von Schwarz-Blau I wissen, dass es in Zukunft eine zweite Koalition zwischen ÖVP und FPÖ geben würde? Wir waren damals bis zur völligen Erschöpfung damit beschäftigt, Flüchtlingsfamilien, die in Parks übernachten mussten, weil es noch keine Grundversorgung gab, mit etwas Zeitungsverkauf über Wasser zu halten. Wer konnte ahnen, dass der enorme Geldfluss in Richtung Gratiszeitungen einfach so weitergehen würde? Heute sind »Krone« und »Heute« mit dem Namen Dichand verhaftet (Eva Dichand übernahm schon 2005 »Heute«). Online hat »Heute« inzwischen die »Krone« überholt und soll dank des neuen Mediengesetzes hohe Förderungen erhalten. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft prüft gerade eine mögliche Einflussnahme auf das Stiftungsrecht. Im Gegensatz zu Deutschland müssen Stiftungen in Österreich nicht gemeinnützig sein. Es existiert also eine kleine Chance, die wahren Financiers der Gratiszeitungen und ihre Motive endlich vor den Vorhang zu holen.

Kerstin Kellermann war koordinierende Redakteurin der »Bunten (Zeitung)« bis 2004 und ist ständige Reporterin des »Augustin« seit 2003.

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