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Various Artists, James Carr

»Goldwax Story, Vol. 1«, »The Complete Goldwax Singles«

Kent

Von 1964 bis 1970 veröffentlichte das vom Vertreter Quinton M. Claunch (der aber auch Session-Musiker für Sam Phillips frühe Sun-Singles war) und dem Pharmazeuten Rudolph (Doc) V. Russell gegründete Goldwax-Label an die 60 Singles und zwei Alben. Die erste Single 1964, »Darling« von The Lyrics, zeigte zwar noch deutliche Doo-Wop-Einflüsse, war aber auch schon eine Art Gospel-Soul des heulenden Elends an der Kippe zum hysterischen Lachen. Wie Stax ebenfalls in Memphis angesiedelt und wie dort zuerst mit Pop- & Country-Versuchen den Markt austestend, war schnell klar, dass Soul jenes Pferd sein würde, auf das man bei Goldwax von nun an setzen würde. Im Klartext hieß das Deep Soul, der abwechselnd in den befreundeten Sun/Stax/Hi-Studios aufgenommen wurde. Wobei sich Goldwax gleich mal eine Art Patent auf Balladen sicherte (»heavily church-based, much more down home than even Stax across town«). Dabei wurde dann auch gleich auf größere Orchester-Arrangements wie auf Background-Gesang weitgehendst verzichtet. »It was a stripped down style, with the rhythm section always leaving space for the most important ingredient of the whole deal, the singer?s voice.«, wie es im Booklet treffend heißt. Dummerweise wurde dem Label dann aber gleich zu Beginn seiner Tätigkeit die vielversprechende Hoffnung O.V. Wright (nach seiner Goldwax- Einspielung des späteren Otis Redding-Klassikers »That?s How Strong My Love Is«) wegen Vertragsangelegenheiten weggeschnappt. Was Goldwax dann auch zu typischen Helden der Regional-Liga machte. Ein Umstand, der in Sachen Deep Soul ja nicht zu vernachlässigen ist. Erst mal draufgekommen, dass es außerhalb der Reichweiten der regionalen Radiostationen eh nichts zu holen gibt, kann man ja umso kompromissloser immer wieder neue Variationen bekannter Rezepte für das noch feinere Schmoren im eigenen Saft erproben. Das reicht hier von James Cook-Impersonatoren wie Louis Williams (The Ovations) bis hin zu absoluten Ausnahmeerscheinungen wie Spencer Wiggins, der einem zwischen Schreien und Falsetto eine Gänsehaut aufzieht, die nur durch die Geschwindigkeit mit der man bei seinen Balladen den Boden unter den Füssen verlieren kann, übertroffen wird. Dazu kommen spätere Überflieger wie Timmy Thomas (hier mit der deepen Orgel-Funk-Exkursion »Liquid Mood« vertreten), der dann ja 1972 mit »Why Can?t We Live Together« die Rhythmusbox mit in die Soul Music eingeführt hat.
Und natürlich James Carr, der für Goldwax immerhin 14 Singles zwischen 1964 und 1970 veröffentlichte und auch der einzige überregional erfolgreiche Act des Labels war. Was eigentlich umso mehr wundert, da Carrs dunkler und manchmal auch grummelig daherkommender Bariton seine Gospel-Roots alles andere als versteckte. Entdeckt wurde Carr vom »That?s How Strong My Love Is«-Komponisten Roosevelt Jamison, und nachdem O.V. Wright und Goldwax getrennte Wege gingen mussten, war die Bahn frei für James Carr. Der erste überregionale Treffer (der Deep Soul-Klassikaner »You?ve Got My Mind Messed Up«) gelang dann aber auch erst zwei Jahre später 1966. Dazu kamen bei Carr ernste Anzeichen von Depressionen und andere Zustände, die ihn nicht gerade oft im Studio auftauchen ließen. War er aber mal dort, dann wurde Deep Soul zu einem Hören mit Schmerzen (»The Dark End Of The Street«). Wobei eine spezifische Kombination von Memphis-Bläsern mit Country & Western-Pianos/Gitarren sowie Gospel-Orgeln Carrs ambivalente Gefühlsregungen noch zusätzlich verschärften. Man höre sich nur »Forgetting You« mit seinem leidenschaftlichen Freddy-Fender-Anfang an, nur um dann von den Memphis-Gospel-Bläser von Jericho direkt ins Delirium geführt zu werden. Oder das »That?s How Strong My Love Is«-Remake »A Man Needs A Woman« mit unglaublichen Lyrics wie »Like a vampire needs blood/like a dirt dog needs a little mud/A man needs a woman«. Wird eigentlich nur vom Deep-Soul-Fegefeuer des Wahnsinns »She?s Better Than You« geschlagen, wo Carr zu schleppendem Speerstund?-Soul seiner Ex von den Qualitäten ihrer Nachfolgerin erzählen will und seinen ziellos zwischen »tenderness and anger« immer mehr in den Wahnsinn kippenden Ausführungen scheinbar plötzlich selber nicht mehr so trauen/glauben mag. Deep Soul in der Tradition von Scorsese, Ferrara und Fassbinder sozusagen.

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