Photo by Alexander Krivitskiy on Unsplash
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Frauen* wollen auch ficken

Wenn die Heterosexualität nur nicht so auf ihre Penis- und daraus resultierende Penetrationsfixiertheit eingeschossen wäre. Katja Lewina hat mit »Sie hat Bock« eine brillante feministische und self-empowernde Analyse verfasst. skug gewährt einen subjektiven Einblick mit zahlreichen Unterkapiteln.

Das Studium von Slawistik, Literatur- und Religionswissenschaften ist eine gute Grundlage für das Schreiben von Büchern. Katja Lewinas »Sie hat Bock« ist ein Plädoyer für die Freiheit, weibliche* Sexualität genauso hemmungs- und schamlos zu leben, wie es sich Männer erlauben dürfen.

Gibt es ein Wort in der Sprache, das uns heftiger zusammenzucken lässt als »Sex«? Viele schämen sich für alles, was ihre Geschlechtsteile und ihr Lustempfinden betrifft. Denn Frauen* wurden diesbezüglich »besonders vom Patriarchat gefickt«, wogegen die Autorin Katja Lewina anschreibt. Gegen männlich generiertes, hegemoniales und als universell, also allgemeingültig gesetztes Wissen über den weiblichen* Unterleib und weibliche* Sexualität.

Genitale Unsichtbarkeit
Woher kommt die Scham vor der eigenen Geilheit? Der Anfang von »Sie hat Bock« dreht sich um die ersten sexuellen Erfahrungen der Autorin, wie sie vielen Lesenden bekannt sein werden, in der Form eines Lernens von Tabuisierung und Ablehnung gewisser Körperteile, des damit einhergehenden Schweigens über eigenes Empfinden und der daraus resultierenden Gefahr von körperlichen Grenzüberschreitungen.

Bildsprache ist ein Spiegel von Machtverhältnissen. Wofür gibt es also kaum positive Worte und Bilder? Für die Vulva! Während der Phallus historisch gesellschaftlich omnipräsent ist, wird der Vulva erst in jüngster Vergangenheit mehr Öffentlichkeit eingeräumt.

He’s a stud, she’s a slut
Lange existent ist hingegen die weibliche* Abwertung »Fotze«/»cunt« im Unterschied zum weniger verletzenden männlichen Äquivalent »Schwanz«, das kein beleidigendes Schimpfwort ist, sondern höchstens mit einem »Zuwenig« an Norm als »Schlappschwanz« oder »Wichser« zu kämpfen hat. Verwiesen sei hier popkulturell auch auf manchen frauen*verachtenden Rap (Haftbefehl, Kool Savas etc.).

Heilige und Hure: Was macht die Einteilung von Frauen* in die zwei Kategorien »Würde ich heiraten« oder »Würde ich ficken«? Eine Einzementierung des gesellschaftlichen Imperativs, dass eine anständige Frau* keine große Lust zu empfinden hat. Wie schon Laurie Penny schrieb, ein schwieriger Spagat für Frauen*, in einer kapitalistischen Verwertungslogik zwischen ihrer sexuellen Konsumierbarkeit gleichzeitig die Auflage zu erfüllen, selbst so wenig wie möglich konsumieren zu dürfen.

Free yourself
Die Dekonstruktion der Idee eines*einer lebenslangen Partner*in in einer Geschichte der Unfreiheit kann schwer funktionieren. Fest steht: Menschen wollen Sex, ungeachtet von Beziehungsstatus und moralischen Ansprüchen. Berührung und die Begegnung mit fremden Körpern sind essenziell. Laut Umfragen war die Hälfte aller Beziehungspartner*innen schon mindestens einmal untreu. Aber sprechen will darüber kaum jemand gerne.

Historisch betrachtet ist die RZB (Romantische Zweierbeziehung) ein junges Konstrukt, das ca. 10.000 Jahre alt ist und sich aus wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwängen entwickelte. Wunderbar also, dieses Buch zu lesen, in dem die Autorin aus der Perspektive ihrer offenen Ehe mit dem klaren Bekenntnis zur Artikulation von Gefühlen und Bedürfnissen schreibt. Schweigen und Geheimnisse bringen uns um.

Fick sie hart
Mainstream- und Gratis-Porno ist frauenfeindlich, weil er Frauen* als Objekte einsetzt, die schlecht behandelt und benutzt werden. Aber es gibt etwas anderes: faire und feministische Porno-Produktion mit angemessener Bezahlung, Einvernehmlichkeit, diversen Körperbildern und oh, wie erfreulich, manchmal auch der Verwendung von Kondomen! Deshalb kostet diese Pornografie auch etwas!

Da sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft tief verwurzelt ist, bekommen Mädchen* und Frauen* Empfehlungen wie: Geh nicht zu lange aus, sauf’ nicht und zieh dich nicht aufreizend an. Sei ein braves Mädchen und keine Schlampe, dann wird dir nichts passieren. Das ist »normal«, der Status quo. Der weibliche* Körper gehört nicht sich selbst, sondern zu allererst den Männern, dem Patriarchat.

No means no
Kommunikation ist gekennzeichnet von Missverständnissen: Deshalb besser einmal zu viel als zu wenig nachgefragt in der sexuellen Interaktion, ob die Beteiligten auch mit dem einverstanden sind, was passiert. Dieser Grundsatz ist unerlässlich: Ich fasse keine Person an, solange ich mir nicht sicher bin, dass sie das auch will. Das bedeutet, dass jedes Anzeichen eines »Nein« auch »Nein« heißt! Also auch Ignorieren, Nicht-Antworten etc. Klare Kommunikation macht gegenseitiges Verstehen einfacher, auch wenn in unserer Sozialisation indoktriniert wurde, dass es sich nicht schickt, darüber zu reden, was man*frau will.

Wie oft werden Grenzen durch Überrumpelung und Unachtsamkeit überschritten? Stummes Einverständnis gibt es nicht, auch wenn das oftmals suggeriert wird. Das spricht für Slow Sex und die bessere Reflexion darüber, ob der*die Partner*in weitergehen will. Das Zustimmungskonzept ist traurigerweise nicht weit verbreitet und dass Frauen* ihre Wünsche und Bedürfnisse artikulieren, sowieso nicht.

Mythos Penetration
Die Mehrheit aller Frauen wird den Penetrationsorgasmus nicht erreichen, weil es dafür eine große Klitorisperle sowie einen geringen Abstand von ihr zum Vaginaleingang bräuchte. Der »vaginale« Orgasmus ist ein Märchen, da jeder Orgasmus ein klitoraler ist: Auch die Vaginalwand wird von den Klitorisschenkeln durchlaufen. Der von Sigmund Freud erfundene Mythos vom unreifen klitoralen versus einem vaginalen Orgasmus der »echten« Frau* hält sich aber hartnäckig.

Das Nonplusultra ist der Penetrationsorgasmus jedenfalls nicht im Unterschied zu etlichem anderem. Also große Hinterfragung, bitte, dass richtiger »Sex« Penetration hieße, mit Penis in Vagina, auf den es in letzter Konsequenz heteronormativ hinauslaufen müsste. Und bei ein bisschen lauter Stöhnen denken Männer auch schon, dass die Frau* gekommen wäre. Aber Obacht diesbezüglich vor Fake (News)!

Anschließen daran kann sich am Schluss nur ein Aufruf zur Zartheit statt dem herkömmlichen stumpfen, harten Bumsen! Wärmste Empfehlung für dieses Buch, in dem viele aufklärerische sexuelle Register durchdekliniert werden sowie meistens auch etliche Möglichkeiten für Humor und ein Schmunzeln bestehen, dank der offenen Schreibweise von Katja Lewina!

Katja Lewina: »Sie hat Bock«, Dumont, 224 Seiten, EUR 20,–

Link: https://www.dumont-buchverlag.de/buch/lewina-sie-hat-bock-9783832181178/

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