Elisabeth Wild an ihrem Arbeitstisch in Panajachel © Estate of Elisabeth Wild, 2023 Ana Werren / Courtesy the Artist’s Estate and Proyectos Ultravioleta, Guatemala City
Elisabeth Wild an ihrem Arbeitstisch in Panajachel © Estate of Elisabeth Wild, 2023 Ana Werren / Courtesy the Artist’s Estate and Proyectos Ultravioleta, Guatemala City

Fantasias gegen die Atemlosigkeit

Elisabeth Wild wurde erst mit 95 Jahren berühmt. Aus Wien geflüchtet, lebte sie in Guatemala bei ihrer Tochter, der Künstlerin Vivian Suter. Melancholisch-tröstliche Musik hallt durch die MUMOK-Ausstellung, die noch bis 7. Jänner 2024 zu sehen ist, der dazugehörige Film zeigt Lebenskunst im Dschungel.

Spartanische oder verschrobene Petroleumlampen als »liebenswerte Nichtigkeiten und erschwingliche Kleinödchen« – über ein ganzes Arsenal von solchen Lampen verfügte die Künstlerin Elisabeth Wild. Nach ihrer Flucht vor den Nazis aus Wien und später vor einer rechtsextremen Regierung aus Argentinien betrieb Wild einen alten Laden für alte Sachen: die alte Wache am Johanntor in Basel. »Es gibt Leute, die dort zu ihrem Erstaunen gerade das alte Stück gefunden haben, das sie sich schon lange in den Kopf gesetzt hatten – eine Fundgrube für kapitalkräftige Kenner und besessene Sammler«, ist auf einem Flugblatt zu lesen. Im Wiener Museum für Moderne Kunst sind gerade die Collagen von Elisabeth Wild ausgestellt, mit denen sie erst in Panajachel in Guatemala begann. 365 Stück, eine für jeden Tag des Jahres, denn Wild erstellte täglich eine großteils abstrakte, bunte Collage. Wild wurde der interessierten Öffentlichkeit erst mit 95 Jahren bekannt, als der polnische Kurator Adam Szymczyk ihre Werke auf der documenta 14 ausstellte. Zu diesem Zeitpunkt lebte sie schon in Guatemala, bei ihrer Tochter Vivian Suter, deren eigene Ausstellung in der Wiener Secession leider nur noch online zu besichtigen ist.

Elisabeth Wild: Ohne Titel, 2017, Collage auf Papier © Estate of Elisabeth Wild, 2023 Courtesy of the Artist’s Estate; Karma International, Zürich, Foto: Nicolas Duc

Klebereien im Dschungel

Alle im MUMOK ausgestellten Arbeiten wurden noch von der Künstlerin selbst zusammengestellt, bevor sie 2020 verstarb. Nur die Hintergrundfarben bestimmten die Kurator*innen selber und lehnten sich farblich an andere Wild-Ausstellungen an. Die Schau im MUMOK ist daher die letzte von Elisabeth Wild selbst autorisierte Fassung. »Fantasias« nannte sie ihre tagebuchartigen Klebereien, die oftmals runde Objekte enthalten. Planeten, Köpfe, Fluchtpunkte? Mysteriöse Räume, Hohlräume? Eine ganz eigene Welt. Manchmal sieht man ein einsames Häuschen im leeren Weltraum. In dem Film »Vivians Garden« von Rosalind Nahashibi (2017) sieht man das liebevolle Zusammenleben der beiden Künstlerinnen. »I cherish every moment with my mother«, meint Vivian Suter, die mit hoher Kleinmädchenstimme redet und viel lacht. Man sieht die Tochter beim flotten Rollstuhlschieben durch den Urwald, so dass es der Mutter die Haare zurückweht, beim gemeinsamen Aussuchen von Kleidung für eine Reise, in Zuneigung zu ihren Hunden. Die Mutter redet eindeutig noch wienerisch, die Tochter mit schweizerischem Klang. Die traurig tröstliche Musik des Films hallt durch die ganze Ausstellung und verbreitet einen melancholischen Grundton – auf eine sehr schöne Art einen Klang, der sich den Mysterien der Welt annähert.

Elisabeth Wild: Ohne Titel, 2018, Collage auf Papier © Estate of Elisabeth Wild, 2023 Courtesy of the Artist’s Estate; CARBON.12, Dubai

Keine Luft kriegen

Sehr eigentümlich gestalten sich die Bilder der Tochter, die sie im Gewächsemeer des Urwalds mit Pflanzenfarben gestaltet. Einmal sieht man, wie ein guatemaltekischer Angestellter eine riesige Leinwand mit einer Art durchscheinendem fröhlichen Schweinchen vor einem Tropenguss in Sicherheit bringt. Einmal eine Art Cowboy, der aufs Dach klettert, um durch Palmenwedel die Lichtöffnung über Vivians hellgrünem Bett abzudecken. Das Ledersofa hat Löcher, im Garten gibt es Kakteen, eine riesige Bialetti-Kaffeemaschine steht am Fensterbrett. »Ich hörte nie, dass die Mutter sagt, dass sie Angst hat«, erzählt Vivian Suter. Die Tochter selber hat viel Angst, besonders wenn es im Urwald »schier unglaublich regnet«. Mit einer traumähnlichen Stimme verkündet sie, dass sie keine Luft kriegt, wenn es schüttet. Rostrote Wände, die Tochter hat orange Haare. Ein Vogel ruft, es donnert. Das Thema scheint eine gewisse Trauer in der Freude zu sein, oder Freuden bei melancholischem Grundton. »Mami, nein …«, widerspricht sie einmal liebevoll ihrer Mutter. Dann kriegt Vivian Suter plötzlich nasse Augen, als sie erzählt, dass sie das Haus radikal umräumte, um neue Situationen zu kreieren und alte zum Verschwinden zu bringen. Ein Arzt sagte zu ihr, sie wolle ihr Leben umgestalten. »She changed her life«, erklärt die alte Mutter nüchtern, »she threw out her husband.« Ein Loch in der Türe für die Hunde. Eine Hündin heißt Sophie. »Wenn es so stark regnet, kann man fast nicht atmen«, sagt Vivian. Der Film bleibt mysteriös, zerstört die Rätsel des Lebens nicht. Seltsame, oft reduzierte Bilder erzeugen die beiden – manchmal nur Umrisse oder kalte Welten in leuchtenden Farben.

Elisabeth Wild: Ohne Titel, 2018, Collage auf Papier © Estate of Elisabeth Wild, 2023 Courtesy of the Artist’s Estate; CARBON.12, Dubai

Link: https://www.mumok.at/de/events/elisabeth-wild-fantasiefabrik

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