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Ein ewiges Geheimnis

The Residents begannen in den späten 1960ern, frühen 1970ern mit ihren bizarren Klangmanipulationen und anderen eigenwilligen Experimenten - dem Prinzip der kollektiven Schöpfung sind sie dabei bis heute treu geblieben. Indem sie sich auch immer wieder neu erfinden, sind die Residents zweifellos eines der interessantesten Projekte im weiten Feld der Populärkultur.

Die umtriebige Gruppe aus San Francisco ist nicht nur für ihre inspirierten Alben und Videos bekannt, sondern auch für ihre Live-Shows, in denen sie die Musik mit Elementen des Theaters sowie anderer Medien verbindet. Nach wie vor verbergen die Mitglieder der Band ihre bürgerliche Identität hinter Masken. Die seltenen Interviews wurden bislang über verschiedene Mittelspersonen abgewickelt, was aber die Neugier auf die Ideen hinter diesem ungewöhnlichen Projekt nicht wirklich stillen konnte, sondern vielmehr Gerüchte nährte, diese Personen wären mit aktiven Mitgliedern der Band identisch. Wie auch immer, kurz vor dem Auftritt in Belgrad am 18. November 2008 gestatteten mir die Organisatoren der Show ein Interview mit einem der Sprachrohre der Residents, was immer das jetzt heißen mag.
 
Der erste Auftritt der Residents in Serbien im Jahr 2003 wurde zur Staatsaffäre. Es begann mit einer öffentlichen Erklärung der (konservativen) Demokratischen Partei Serbiens (DSS) zur bevorstehenden »Demons Dance Alone«-Show in Belgrad. Der flammende Protest dagegen, dass in den Masken und der Ikonographie der Gruppe »dämonische« Elemente zum Ausdruck kommen und das Konzert vom serbischen Kulturministerium finanziell unterstützt wurde, schien allerdings auf taube Ohren zu stoßen, wie das schon Wochen vorher ausverkaufte Konzert bewies, das noch dazu mit Ovationen und 20-minütigem Applaus bedacht wurde. Eine der interessantesten Reaktionen auf die oben erwähnte Erklärung fand sich in einem Artikel im unabhängigen serbischen Wochenmagazin »Vreme«, in dem ein christlich-orthodoxer Mönch und Priester namens Jovan zu Wort kam und die Residents vehement gegen alle Angriffe verteidigte. Er wies darauf hin, es sei »allgemein bekannt, dass die Residents eines der bedeutsamsten kulturellen Phänomene des späten 20. Jahrhunderts sind, ja als das Symbol eines intellektuellen Ansatzes kultureller Produktion gelten«. Nur wenige Tage danach gestand Vojislav Ko?tunica, Chef der DSS und damaliger Staatspräsident, in einem Pressegespräch, dass er drei CDs der Residents kenne (ohne darauf einzugehen welche) und die globalisierungskritische, künstlerische Auffassung der Band durchaus teile. Als die Presse unlängst für November 2008 eine neue Show der Residents in Belgrad ankündigte, erklärte Vojislav Ko?tunica (der inzwischen eine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl einstecken musste und dessen Partei sich nunmehr in Opposition befindet), dass er einen neuerlichen Auftritt in Serbien »faszinierend« finde. Ihr Kommentar dazu? War Ko?tunica der einzige Staatspräsident, der (mindestens) drei CDs der Residents gehört hat, oder sind Ihnen weitere Beispiele bekannt? Und wie groß ist die Gefolgschaft der Band unter den Mönchen, oder gibt es so etwas nur in Serbien?

Das ist eine interessante Geschichte. Mir sind schon damals ähnliche Gerüchte zugetragen worden, aber die Tour war gerade mal zehn Stunden in Serbien, bevor es nach Griechenland weiterging. Ich bezweifle, dass viele (oder irgendwelche anderen) Staatsoberhäupter The Residents hören. Falls doch, geben sie es jedenfalls nicht bekannt.
      
Die neue CD (und Show) trägt den Titel »The Bunny Boy«. Man kann es natürlich interessant finden, dass die Veröffentlichung dieser vertonten Geschichte vom drohenden Weltuntergang bzw. der Apokalypse zeitlich mit der Börsenkrise zusammenfällt. Hier auf dem Balkan konzentriert sich das Interesse jedoch eher darauf, dass einer der Charaktere, ein gewisser Harvey (der als Bruder des Erzählers vorgestellt wird), während seines Aufenthalts auf der griechischen Insel Patmos verschwand. Die vermisste Person wurde also zuletzt auf dem Balkan gesehen. Verbirgt sich dahinter eine tiefere Bedeutung?

Die Residents sind fasziniert von der Bibel und der Entwicklung der alten Kulturen des Balkans, insbesondere des antiken griechischen Dramas. Patmos als Schöpfungsort eines großartigen Horrorschockers, der Offenbarung des Johannes, musste somit früher oder später ihre Aufmerksamkeit erregen. »The Bunny Boy« hat viele Bezugspunkte zu griechischen Tragödien.

Apropos Balkan, die Menschen dieser Region gehen recht gerne aus. Waren die Residents jemals in der Bar »The Residents« im Zentrum von Thessaloniki?

Ich kenne diese Bar nicht, aber ich bin auch nicht ständig mit den Residents unterwegs.      
      
Die Residents waren zunächst im tiefsten Underground angesiedelt. Wie kamen sie nach oben? Sind sie überhaupt oben? Mitte der 1970er, als alle die Popkultur zu verteidigen und zu glorifizieren schienen, veröffentlichten sie das Album »The Third Reich’N’Roll«, eine clevere Satire auf die Popmusik-Routine. Jetzt tauchen sie in den Medien neben all diesen Poppern und klischeehaften Kopien auf – sind die Residents darüber verbittert? Lachen sie darüber?

Ich bin mir nicht sicher, was Sie mit »tiefster Underground« oder »oben« meinen [lacht]. The Residents haben sich ja nicht als Reaktion auf andere formiert. Sie tun bloß das, was sie tun wollen, was sie für eine gute Idee halten. Es gibt keinen Underground oder »above ground«. Ihre Fangemeinde war schon immer klein, daran hat sich nichts geändert.
 
Was die Residents unter anderem auszeichnet, ist der Humor, der von allem ausstrahlt, was sie je gemacht haben. Angesichts all der Dummheit, von der wir umgeben sind, scheint in der modernen Welt gerade Humor bitter nötig zu sein … selbst TV-Komödien sind nicht mehr lustig. Was ist passiert, steuern wir tatsächlich auf das Ende zu?

Ich glaube, wir sind ständig so vielen Medien und Informationsflüssen ausgesetzt, dass wir gegen die simplen Ironien des Lebens abgestumpft sind. Die Tatsache, dass man der musikalischen Dauerberieselung fast nicht entgehen kann, hat die Musik nahezu uninteressant gemacht.
  
Touren muss körperlich recht anstrengend sein. Welche Musik hören die Residents im Bus?

Gar keine. Die Musik, die sie hören wollen, spielen sie bei ihren Auftritten. Im Bus schauen sie sich lieber Filme an … oder sie schlafen.

Da die Band aus ihrer Identität noch immer ein Geheimnis macht, ist es wohl mit erheblichem Aufwand verbunden, herumzureisen und die Anonymität zu wahren? Was könnte die Residents jemals dazu bewegen, ihr Geheimnis zu lüften?

Das müssen Sie schon die Band fragen! Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Residents als eine Art loser Zusammenschluss von Einzelpersönlichkeiten arbeiten möchten. Da das aber noch nie ein Thema war, kann ich dazu auch nicht mehr sagen.

Die Residents werden nicht nur als die Wegbereiter des Avantgarde-Pop betrachtet, sie haben im Gegensatz zu anderen Bands auch schon sehr früh die neuesten Medien zu nutzen gewusst – sie gehörten zu den Pionieren des künstlerischen Video-Clip-Formats, jetzt setzen sie ihre Zeichen im World Wide Web … Wie hat das Internet die Arbeitsweise und das Bandkonzept der Residents verändert?
  
Sie kaufen jetzt gerne bei Amazon. Durch die Computer hat sich für die Residents so ziemlich alles verändert, weil aber Veränderungen ganz nach ihrem Geschmack sind, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie sich in absehbarer Zeit zur Ruhe setzen werden. Wie Sie wissen, wurde »The Bunny Boy« als Internet-Projekt konzipiert, das Album und die Tourneen sind quasi Ableger dieser ursprünglichen Idee.

Die CD wurde vor kurzem für den russischen Markt lizenziert, wobei das Cover in kyrillischer Schrift neu gestaltet wurde. Ist die Band i
nnerhalb oder außerhalb der USA bekannter?

Wahrscheinlich sind sie außerhalb der USA bekannter. Gibt es diese russische CD wirklich? Ich habe sie nie gesehen.
 
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich um 1978 in einem britischen Musikmagazin zum ersten Mal einen Artikel über die Residents las. Das Konzept der Band hat mir sofort gefallen. Das Artwork ihrer Platten fand ich ebenfalls sehr inspirierend, es schien genauso wichtig zu sein wie die Musik. Ich habe mich aber auch gefragt, ob die Residents einfach mit Musik experimentieren oder ob da etwas anderes dahintersteckt. Sie machen zweifellos Musik, aber sind sie Musiker?

Keine Musiker im traditionellen Sinn, es mangelt ihnen also an bestimmten technischen Fertigkeiten, die andere haben. Sie sind Konzeptkünstler und verfolgen einen komplexen ästhetischen Ansatz, der weit über Musik hinausgeht.
  
Meine letzte Frage: Wären die Residents Gott, was würden sie den Menschen offenbaren?

The Residents SIND Gott – jeder Mensch ist Gott.

……………..
www.residents.com
www.aleksandarzograf.com

Wenn auch die Residents ein ewiges Geheimnis bleiben, so wissen wir zumindest, dass Aleksandar Zograf (hinter dem sich Sa?a Rakezić verbirgt) als Cartoonist in Pančevo, Serbien, lebt. Seine Comics werden seit den frühen 1990ern u. a. in den USA (bei Fantagraphics Books und Top Shelf), Frankreich (L’Association), Italien (Punto Zero, Black Velvet Edizioni) oder Deutschland (Jochen Enterprise) verlegt. Neben Veröffentlichungen in zahlreichen internationalen Magazinen erscheinen seit 2003 wöchentlich zweiseitige Cartoons im Belgrader »Vreme«.

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Text
Saša Rakeziç

Veröffentlichung
10.04.2009

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