Dem Brownstone-Haus, in dem ich Mark Borthwick im Brooklyner Bezirk Cobble Hill zum Interview abholen werde, eilt ein legendärer Ruf voraus. Bereit, hier so etwas wie den Monte Verità des 21. Jahrhunderts zu finden, verzichte ich auf die U-Bahn und wandere angemessen in die ehrlicherweise nur bedingt hügelig zu nennende Nachbarschaft.
Im nahegelegenen Schmutzgewässer, dem Gowanus Canal, wird man auch niemanden beim Nacktbaden entdecken, und doch führen viele Fäden der hippiesk anmutenden Zirkel New Yorks, Japans, Berlins, die so viel Einfluss auf die Popkultur der Nullerjahre entwickelt haben, zu Mark Borthwick: zu seiner Mode- und später Naturfotografie, seinen Filmen, wie »Speaking for Trees« mit Cat Power, seiner Musik mit Usun (u. a. mit Ex-Lightning Bolt Hisham Bharoocha) und als Will Shine, seinem Kochen und Garten. Momus schrieb in einem hymnischen Text über ihn und seine transkulturelle Brooklyngang: »The truly beautiful people go back to nature, hang out in the forest, have children, cook, get together and jam on acoustic guitars«. All das sind Alltagspraxen, für die das Haus in Cobble Hill, das, wenn man es betritt, wie ein Bohemienparadies erscheint, steht. Und es lässt die Verschiebung der Kategorie des Schönen im Schaffen des ehemaligen Modefotografen evident werden. Beim gemeinsamen Essen kommt das Gespräch dann auch erstmal auf seine Nachbarschaft, in der er sich mit der Modedesignerin Maria Cornejo und seinen beiden Kindern eingerichtet hat.
skug: Verortungen scheinen mir für Ihr Schaffen sehr wichtig zu sein. Ob in Fieldrecordings, die Räume ausleuchten oder in Ihren Fotos aus dem Garten, Kanufahrten, Wanderungen. Wie würden Sie Ihr Leben hier in Brooklyn beschreiben?
Mark Borthwick: Es kommt ganz drauf an, wie man in der Stadt funktioniert. Ich funktioniere in der Stadt nur bedingt. Ich mag es gerne ruhiger und tendiere ein wenig zum Eremitendasein und mag es zu Hause zu sein. Und es fühlt sich fast ein wenig so an, wie ein Leben auf dem Land. Es ist nicht das Land, aber das Gefühl ist da. Nach Manhattan gehe ich im Moment nur, wenn es sein muss. Es ist wirklich keine zuträgliche Umgebung, wenn man einen angenehmen Tag erleben will. Es ist einfach sehr schön, sich auf sein Fahrrad zu setzen und diese sehr freundliche Gegend zu erfahren, viele Leute zu kennen und sich zu unterhalten. Ich bin kein obsessiver Radfahrer, aber ich träume gern vor mich hin, wenn ich auf dem Rad durch die Straßen fahre und das geht gut. Es passieren so viele Veränderungen hier in diesen Nachbarschaften, dass ich das Gefühl habe, es ist fast ein wenig poetisch durch die Straßen zu fahren und auf einmal sind irgendwo Leute, von denen viele Geschichten zu erzählen haben. Ich habe das Gefühl, es ist wirklich die zeitgenössischste Art, sich fortzubewegen, wenn nicht zu Fuß, dann auf dem Rad. Es wie eine Meditation. Woran ich kein Interesse habe, ist, das Rad als Sportwerkzeug zu benutzen, die physische Ausdauer zu stärken oder ähnliches.
Es ist also eher der soziale Austausch, der Stoffwechsel mit der Umgebung, der ein wichtiges Motiv für Sie darstellt?
Das interessiert mich tatsächlich am meisten an New York. In Paris, wo wir vorher gelebt haben konnte man die Leute auf der Straße nicht ansprechen oder anlächeln, sie fühlen sich gleich eingeschüchtert oder reagieren abwehrend, während es hier die normale Art und Weise ist, zu kommunizieren. Wenn ich meinen Sohn zur Schule bringe, kennen wir nicht notwendigerweise jeden, aber man lächelt sich gegenseitig an und das ist angenehm. Es geht darum ein Gefühl für seine Umgebung zu bekommen und an ihr zu partizipieren. Ich mag es, an der Umgebung, an den Straßen teilzuhaben, mit den Leuten zu reden. Du kannst auch mit den Bäumen reden, den Blättern – und sie antworten.
In Paris haben Sie angefangen als Modefotograf, bevor sie nun als Filmemacher, Künstler und Musiker ihr Register erweitert haben. Wie verbindet sich das alles für sie?
Es funktioniert hauptsächlich über das Kreieren von gemeinschaftlich-kollektiven Kollaborationen. Was ich zum Beispiel durch die Musik gelernt habe, ist die Entschleunigung durch den Prozess des Zuhörens. Leute kommen zum Essen vorbei und anschließend machen wir Musik und sie sagen, versuch’s mal so zu spielen und ich höre zu usw. Es gibt keine Agenda oder fixen Plan, dies oder das zu tun, es passiert einfach. Und dann wachsen diese Dinge einfach, man pflegt sie und dann kommen sie alle zusammen, über meine Person. Man kann die verschiedenen Disziplinen auch nicht isoliert betrachten, es ist einfach mein Leben, das sie verbindet. Ich habe so viel Spaß an allen diesen Dingen und bin besonders interessiert an Anfängen, weshalb ich auch meist ein Amateur bleibe, in dem was ich tue. Ich hab nie gelernt, Gitarre zu spielen und so was oder ordentlich zu singen, aber darum geht’s auch nicht. Es geht eher darum, Kontrolle und Regeln zu überwinden. Genau wie ich auch bei der Fotografie ähnliches versuche und viel mit Licht experimentiere.
Und wie fing das alles an?
Es gab keinen Plan. Ich habe als Make-Up-Künstler angefangen und wurde dann zufällig ins Fotografieren eingeführt und weil ich Leute im Modebetrieb kannte, bin ich Modefotograf geworden. Die Musik kam durchs Musizieren und Singen mit den Kindern und Freunden. Ich war immer sehr am Singen und am chorischen Miteinander interessiert. Aber ich hab das nie dynamisiert. Nun mache ich seit einigen Jahren das Projekt Usun und wir spielen zum Vergnügen und mit vielen tollen Leuten, den Boredoms, der No Neck Blues Band, Leuten von Animal Collective, Gang Gang Dance, aus allen Spektren kommend, wer gerade da ist. Ich hatte eine Zeit lang ein Projekt, jeden Abend während meiner Ausstellung in der Journal Gallery hier in New York zu spielen und jeder, der vorbeikam, spielte mit. Das war fantastisch und wir schneiden zwar vieles auf Kassetten mit, aber es geht nicht immer darum, es auch rauszubringen.
Sie beziehen sich häufiger auf die amerikanischen Transzendentalisten, von Emerson zu Thoreau, was nicht verwundert angesichts vieler ihrer Werke: von »Speaking for Trees«, dem »Konzert«-Film mit Cat Power, in dem sie zwei Stunden in einer Waldlichtung vor statischer Kamera steht, bis zu den Usun-Konzerten, die zu sehr ausufernd-improvisierenden Jams geraten können, zu insbesondere ihrer psychedelisch anmutenden Fotografie, die viele New England-Motive der vorgenannten Autoren aufgreift.
Wir leben hier immer noch in einer neuen Welt. Und wenn man sich ermuntert, viel Zeit im ländlicheren Upstate-New York zu verbringen, was ich tue – der primäre Teil meiner Arbeit der letzten Jahre, die viele noch nicht gesehen haben, ist Upstate entstanden – dann wird die Natur einfach verstärkt zum Thema der künstlerischen Arbeit. Ich habe viele befreundete Musiker, die uns einladen und ich koche für sie und wir bleiben bei ihnen. Wir sind die meiste Zeit am Delaware River, wo man teilweise in einer Mark Twainschen Welt existiert, man kann richtig verschwinden in der Landschaft, die immer wieder neu ist, jedes Mal. Als ob man das erste Mal ins Kino geht und die Augen aufmacht. Ich finde auch die Idee der Kommune, wenn man sie rekonfigurieren würde als eine Art Künstlerresidenz, wo jeder seinen Platz hat und alle zusammen etwas entstehen lassen können, sehr attraktiv. Ich mag es sehr gern zu teilen. Ich war sehr dankbar für meine Möglichkeiten, in der Modeindustrie arbeiten zu können und Geld zu verdienen und habe das auch geteilt. So sollte es auch dort sein. Jeder kann mitmachen, jeder kann einstimmen. Aber das ist wirklich ein utopisches Ideal.
Ein Galerist in Manhattan, bei dem ich kürzlich ausgestellt habe, sagte mir, ihn erinnere das alles an die Hudson River School, den romantischen Strang amerikanischer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Ich habe nie studiert und kann es nicht so historisch einordnen, aber ich habe mich wohlgefühlt mit der Referenz.
Ich war immer fasziniert, wie Umgebungsgeräusche von Ihnen eingesetzt und aufgegriffen werden, sowohl bei »Speaking for Trees« als auch bei »Is Nature My Only Way«, ihrem letzten Album.
Ja, ich hab das Album weitgehend in unserem Garten aufgenommen. Meine Familie sprang meist um mich rum, man hört die Katzen der Nachbarschaft, die Blätter, die Straßen. Das ist eine wundervolle Art Musik zu machen.