Foto: Limpe Fuchs © Karl Heinz Krauskopf
Foto: Limpe Fuchs © Karl Heinz Krauskopf

Die Gleichrangigkeit der Töne

Seit über 40 Jahren forscht Limpe Fuchs entlang und hinter den Grenzen der Tonalität, um Klänge von Musik zu befreien und Geräusche als Musik hörbar zu machen. Wie macht sie das und warum - und warum ist so wenig über ihre Arbeit als Klangkünstlerin bekannt? Versuch eines Portraits anlässlich ihres Auftritts zum Klangbad-Festival.

Limpe Fuchs: eigentlich »legendär«
»Macht das Ohr auf«, so der Slogan des Ohr-Labels, auf dem 1971 »Stürmischer Himmel«, das Debüt von Anima Sound, erschien. Folgt man der Aufforderung, dann hört man: Schafe blöken, dazu Geräusche, die Wind hinterlässt, wenn er von einem Mikrophon eingefangen wird. Nach einer Minute Blöken im Wind bereichern Schlag- und Blasinstrumente ein zunehmend bunter werdendes und mitunter chaotisch anmutendes Klangbild, in dem bald eine Stimme auftaucht, die Laute malt. Später werden auch Kinder durch die Geräuschkulisse laufen…
Limpe Fuchs ist auf diesen Aufnahmen an Schlagzeug, Fußzitter, Fuchsbass und mit ihrer Stimme zu hören. Ihr langjähriger musikalischer Partner und Mann Paul Fuchs bringt ebenfalls seine Stimme ein, und daneben selbst gebaute Instrumente wie Fuchshorn, Schilfzinken und den bereits erwähnten Fuchsbass. Was ein Fuchsbass ist? Keine Ahnung – geschweige denn, dass ich eine Vorstellung davon habe, wie ein Schilfzinken aussieht oder gar klingt.
Anima Sound, obwohl auf Ohr veröffentlicht und Zeitgenossen von Popol Vuh und Co., wurden seitdem selten im Zusammenhang mit Krautrock erwähnt und selbst in Julian Copes wegweisendem »Krautrocksampler« fehlt der Hinweis auf das bayrische Duo. Das mag musikalisch gerechtfertigt sein, denn »Stürmischer Himmel« und »Musik für Alle«, die beiden ersten Platten, klingen wenig nach Krautrock (und die späteren Aufnahmen noch weniger). Die spontanen und freien Improvisationen, die auf jedes Rock-Idiom verzichten und statt dessen Anleihen eher bei John Cage oder Musique Concrète nehmen, stehen im Grunde für sich – und sind somit um so mehr geeignet, »Musik für Alle« zu sein.
Der Grund für Julian Copes Nichtbeachtung kann jedoch kaum musikalischer Natur sein, da unter dem Begriff Krautrock musikalisch ohnehin sehr heterogenes subsumiert wurde und wird. Wahrscheinlich hatte der verrückt-verdienstvolle Chronist für einen Moment den Ûberblick verloren und so vergessen, Anima Sound mit zu berücksichtigen, wo doch schon 1979 Steven Stapleton (auch so ein Irrer) Anima Sound in seine legendäre »Nurse-With-Wound-List« aufnahm, was wiederum in der Folge dazu beitrug, dass Originalpressungen der Platten zu gesuchten und teuren Sammlerstücken wurden (»Stürmischer Himmel« und »Musik für Alle« gibt es mittlerweile auch als preiswertere Wiederveröffentlichungen).
Was ich damit sagen will? Limpe Fuchs: eigentlich »legendär«, das wird nur leicht und zu unrecht oft vergessen!

Klassisch ausgebildetes Unbehagen

Limpe Fuchs ist, wie man so sagt, »von Haus aus« eine klassische Musikerin. Gesang, Klavier, Violine – alles ordentlich studiert und abgeschlossen! Im Gespräch erinnert sie sich an den sprichwörtlich gewordenen Muff unter den Talaren und entrüstet sich, wie »dermaßen unfrei« es zu Beginn und Mitte der 60er Jahre an der Musikhochschule zugegangen sei: »Bis man da seine eigenen Stücke hat komponieren dürfen, musste man zunächst alles Klassische lernen, von Kontrapunkt und Generalbass bis hin zum Improvisieren entlang von Tonleitern, furchtbar langweilig.«
Der Kontakt zu bildenden Künstlern bot da eine freiere Perspektive auf das Musikmachen und die Erzeugung von Klängen jenseits tradierter Schemata, und zusammen mit ihrem Mann, dem Bildhauer (und später auch Instrumentenbauer) Paul Fuchs, begann sie musikalische Dialoge aufzuführen, die sich dann – unbeabsichtigt – zu Anima Sound entwickelten.
Als Basis für alles Musikalische und auch – ebenso wichtig – nichtmusikalische Arbeiten dient seit 1964 ein Pfarrhof in Peterskirchen, einem oberbayrischen Ort, den Limpe Fuchs mit ihrer Familie und befreundeten Künstlerinnen zusammen bezog und auf dem sie seither (meistens) lebt und arbeitet. Mit der Orientierung an bildenden Künsten ist ein zentraler Aspekt von Limpe Fuchs‘ Selbstverständnis als Klangkünstlerin gegeben, die ihre eigenen Percussionsinstrumente entwickelt und spielt und in diesem Zusammenhang darauf wert legt, die Grenzen zwischen Ton und Geräusch sowie formale Kriterien ihrer klassischen Bildung zu reflektieren, zu verwischen und zu überschreiten. Diese programmatische Vorstellung von Klängen mag angesichts moderner Auffassungen von Musik im Zusammenhang mit Noise und anderen elektronischen Phänomenen, die ebenfalls zwischen Ton und Geräusch kaum mehr unterscheiden, wenig spektakulär oder gar neu erscheinen. Den Unterschied macht jedoch die eigene Herstellung und Herangehensweise an ausschließlich akustische Musikinstrumente, die sowohl ihrer Erscheinung als auch ihrem Klang nach einzigartig sind, und deren Einsatz live atemberaubend anzuschauen ist.

Kugeln rollen
Ein eindrückliches Beispiel für diese Arbeit jenseits der Grenzen eines klassischen Musikverständnisses ist Limpe Fuchs‘ Lithophon. Ein Schlaginstrument ähnlich einem Xylophon, jedoch werden hier Steinplatten bespielt, nicht Holzbarren. Jede Steinplatte ist eigenhändig in einem italienischen Steinbruch ausgesucht: »Nach den jeweils spezifischen und einzigartigen Klangeigenschaften eines einzelnen Steines«, so Limpe Fuchs. Und weiter führt sie aus: »Mich interessiert, wie einzelne Gegenstände von sich aus klingen, egal, ob sie von vorne herein als Musikinstrument geeignet erscheinen«. So ist auch das Ensemble der Steinplatten im Lithophon flexibel, sind die sich ergebenden Tonreihen abhängig von der Auswahl der Steine, deren individuellem Klang und davon, wie Limpe Fuchs sie vor dem Bespielen anordnet. Regeln der (A-)Tonalität, Hierarchien klassischer Musik und andere Konventionen bricht sie bewusst um, wie sie es nennt, der »Gleichrangigkeit der Töne« zum Ausdruck zu verhelfen.
Diese Konzentration auf die Erzeugung eines einzelnen Klanges oder einer Reihe von Tönen, die als einzelne ebenso wie im Zusammenspiel miteinander gehört werden können, kennzeichnet Limpe Fuchs‘ Herangehensweise an Musik sehr deutlich und mithin ist die Liebe zum einzelnen Geräusch oder Ton im Zusammenhang mit einer Performance so eindrücklich, dass sie auch missverständlich wahrgenommen wird: »Manche Leute merken gar nicht, dass ich was kann, weil ich so gerne mit Kugeln rolle«, erzählt sie belustigt, und im egalitären, undogmatischen und verspielten Charakter ihrer Musik spiegelt sich das ebenso unprätentiös selbstbewusste Dasein einer Musikerin, die sich als »Lernende« begreift und die eigenen Workshops mit »Leuten« (i.e. musikalischen Laien im ohnehin fragwürdigen »professionellen« Sinne) als Anregung: »Mich interessiert immer am meisten: Was machen die Leute mit meinen Instrumenten, was ich nicht mache oder noch nicht gemacht habe!« Wieder lacht sie unbefangen und freut sich über ihre scheinbar nie versiegende Neugier. Auch die Frage danach, was sie neben den Workshops inspiriere, beantwortet Limpe Fuchs mit Hinweis auf für sie Naheliegendes: »Meine Instrumente selbst sind mir die größte Inspiration, ihr Klangreichtum und die im Grunde unendlichen Möglichkeiten des Bespielens. Und das Musikmachen mit befreundeten MusikerInnen.«

Vom Verschwinden der Töne
In den vergangenen Jahren ist sie mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Musikerinnen und Musikern aufgetreten, einige der Studio-Zusammenarbeiten und Live Performances liegen als Tonträger vor, manche Projekte haben sich nur in Limpe Fuchs‘ Erinnerung erhalten: »Ich habe noch nie besonderen Wert darauf gelegt, Dinge festhalten zu wollen«. Im Gegenteil gehe es ihr heute zunehmend darum, »Leute, zum Zuhören zu bringen«, weshalb die Stille komplementär zum Klang ihrer Instrumente eine ebenso wichtige und immer wichtigere Rolle während ihrer Live-Performances spielt: »Ich habe das Gefühl, das es als Musikerin zukünftig immer wichtiger werden wird, Leuten zu zeigen, wie Töne in Stille verschwinden.«
Ausgehend von den Erfahrungen mit der Stille und den Klängen, die sie darin hervor und zu Gehör bringen will, forscht Limpe Fuchs seit über 40 Jahren und macht sich auf die Suche nach dem, wie sie sagt, »was noch nicht gespielt worden ist«. Dass sie sich dabei vergisst oder von anderen immer wieder entdeckt wird, dass nachwachsende Generationen von Musikerinnen und Musikern sich auf sie berufen – all das nimmt sie ebenso erfreut und neugierig wahr, wie ihr letztlich aber nicht wichtig ist, welche »Szenen« sich mit ihr verbinden. So spielte sie vor wenigen Jahren im Rahmen des britischen »Color Out Of Space«-Festivals neben dem Improv-Schlagzeuger Chris Corsano und Bands wie dem Vibracathedral Orchestra und in diesem Jahr veröffentlichte das Kraak-Label einen Auftritt aus dem zurückliegenden. »Ja, die sind meist alle noch sehr jung und wild«, lacht Limpe Fuchs wieder.
In all ihrer aufregenden Unaufgeregtheit gegenüber dem, was allenthalben als Popkultur- und Kunstbetrieb erscheint, ist Limpe Fuchs jedoch das Gegenteil einer schrulligen Großmutter. Sie scheint vielmehr zu wissen, worauf es ihr ankommt: Musik. (Und für all die haarsträubenden Anekdoten, wie es ist, mit dem Traktor durch Deutschland zu touren und warum Gartenarbeit ebenso wichtig ist wie das Forschen nach Klängen, dafür ist an dieser Stelle leider kein Platz mehr.)



Limpe Fuchs (Auswahl):
»Ghent, October 2010« (Kraak, 2011, zusammen mit Gerard Herman)
»Vogel Musik« (Robot Records, 2007)
»Pianobody 2002« (Seven Legged Spiders & Co., 2006)

Anima Sound:
»Musik für Alle«
(WahWah, 2011)
»Stürmischer Himmel« (WahWah, 2008)

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