Der Titel der Ausstellung »Boden für Alle«, der so ganz ohne Fragezeichen oder Rufzeichen oder Punkt auskommt (aus Platzgründen?), verleitet natürlich dazu, sich ganz grundsätzlich mit Oberflächlichkeiten zu beschäftigen. Zum Beispiel mit dem Coverdesign der Publikation zur Ausstellung, die zurzeit auf Wanderschaft durch die österreichischen Bundesländer ist. Drei »freistehende«, Mickey-Mouse-artige Hände mit unsichtbaren Körper»schaften« zupfen und jonglieren an und in Ecken und Enden des Buchdeckels. Doch trotz dieses farbenfrohen Erscheinungsbildes handelt es sich bei der Handreichung leider nicht um ein »Lustiges Taschenbuch« für Kinder oder Jugendliche, die sich davon vielleicht Bastelanleitungen für ein disneyeskes Baumhaus erhoffen.
Ein Häuschen im Restgrün
Apropos Haus, wie haust eigentlich die anthropomorphe Mickey Mouse? Antwort: Sie lebt im sogenannten Club House, einem Ein-Cartoon-Haus (hat sich da Jeff Koons als Architekt vergnügt?) mitten im Nirgendwo, umgeben von einem schmelzkäsegelben Zaun. Das skulpturale Gebäude mit Kopf und Fuß verweist aber in seiner künstlichen Kunterbuntheit auf ein zentrales, reales Problem in unserer Welt. Der Traum vom gartenummantelten Einfamilienhaus kann zum Alptraum für die Allgemeinheit werden. Der unverhältnismäßige Flächenverbrauch und die umweltschädlichen Folgen, u. a. durch die Notwendigkeit eines Automobils, führen zu einem ökologischen Fußabdruck, der wahrlich nicht mehr als (pop)artig zu bezeichnen ist.
In der Publikation »Boden für Alle« des Architekturzentrums Wien mit den spielerischen Cartoon-Elementen, aber Achtung: Es handelt sich nicht um ein Malen-Nach-Zahlen-Buch für infantile Berufsjugendliche, sondern um ein sich-die-Zukunft-ausmalendes Kompendium zum Thema Bodenpolitik und Bodenökonomie. Man erfährt zum Beispiel, dass man die gesamte Bevölkerung Österreichs auf die bestehenden Einfamilienhäuser aufteilen könnte, mit knapp über vier Bewohner*innen pro Wohneinheit!
Die Magie des Monopols
Ein faszinierendes Detail der Ausstellung ist die Geschichte des kapitalistischen Brettspiels Monopoly aka DKT, das Anfang des letzten Jahrhunderts von einer US-amerikanischen Schauspielerin und Stenografin erfunden wurde. Die Spieleentwicklerin Elizabeth Magie wollte als Anhängerin der Ideen des Ökonomen Henry George, der mit dem Buch »Progress and Poverty« einen sozialreformerischen Bestseller landen konnte, seine Bodensteuer (Single Tax) in Form eines Monopolismus-Protestspiels veranschaulichen: Die Magie des Spieles von Elizabeth Magie bestand nun darin, dass man bei ihrem »The Landlord’s Game« aus dem monopolitischen Konzept von Landnahme ausbrechen und jederzeit das Single-Tax-System einführen konnte, um für mehr Chancengleichheit zu sorgen.
Das hehre Ziel, durch den dualistischen Ansatz, die Vorzüge der Single-Tax-Variante spielerisch erlebbar zu machen, endete für das »The Landlord’s Game« bei der Ablehnung durch den wichtigsten US-amerikanischen Spielehersteller mit der Begründung: zu politisch. Die eigentliche Ironie der Geschichte bestand aber darin, dass ein Spiel, welches ursprünglich die Möglichkeit eines solidarischen Wirtschafts- und Steuersystems propagieren wollte, in vereinfachter Version ohne Alternative und mit geändertem, Ungleichheit verheißendem Namen »Monopoly« zu einem Welterfolg wurde. Eine linkische Gedankenspielerei sei in den Raum geworfen: Wie würde die Welt heute aussehen, wenn mehr Menschen die Theorien des Ökonomen Henry George beackern würden, anstatt die Böden von Karl Marx’ »Kapital« auszulaugen?
Keine doppelten Böden
Kommen wir aber nun vom verspielten Terrain der Gedankenexperimente wieder zurück auf den Boden. Die Lektüre des Katalogs ‒ mit Essays von Gerhard Senft, Saskia Sassen, Gerlind Weber, Robert Temel und Vandana Shiva ‒ wie auch die Ausstellung »Boden für Alle« sei all jenen wärmstens empfohlen, die auf die Zukunftsfähigkeit des Menschen bauen möchten und verstehen wollen, welche unterschiedliche humane Kräfte tagtäglich auf den Boden einwirken und welche rechtlichen Hintergründe und Rahmenbedingungen mit den ökologischen und ökonomischen Aspekten des (leider immer noch sehr verschwenderischen) Bodenverbrauchs verbunden sind. Denn Boden ist mehr als eine zweidimensionale Fläche, er ist schlicht unsere Existenzgrundlage. Und damit wir zukünftig nicht ins Bodenlose stolpern und unsere (hier ein beliebiges planerisches, interdependentes Adjektiv einsetzen) Bewegungsmöglichkeiten lebensbedrohlich einschränken, müssen wir uns den sozioökonomischen Bodenfragen in all ihren Komplexitäten und Dringlichkeiten widmen.
Die Wanderausstellung »Boden für Alle« des Architekturzentrums Wiens ist im Jänner und Februar 2022 nun im beschaulichen Waidhofen an der Ybbs zu sehen.
Literatur:
Brigitta Gerber, Ulrich Kriese (Hg.): »Boden behalten – Stadt gestalten«, Zürich: Rüffer & Rub, 2019
Florian Hertweck (Hg.): »Architektur auf gemeinsamem Boden. Positionen und Modelle zur Bodenfrage«, Zürich: Lars Müller Publishers; Luxemburg: Universität Luxemburg, 2020
Stefan Rettich, Sabine Tastel (Hg.): »Die Bodenfrage – Klima, Ökonomie, Gemeinwohl«, Berlin: Jovis, 2020
Hans-Jochen Vogel: »Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar«, Freiburg/Basel/Wien: Herder, 2019
Gerd Wessolek (Hg.): »Von ganz unten – Warum wir unsere Böden schützen müssen«, München: oekom, 2015