József Debreczeni © Alexander Bruner
József Debreczeni © Alexander Bruner

Bericht aus dem Todesland

Der Fischer-Verlag veröffentlicht erstmals, 74 Jahre nach der ungarischen Erstveröffentlichung, József Debreczenis Bericht über Auschwitz und Groß-Rosen »Kaltes Krematorium« auf Deutsch. Eine Leseempfehlung.

Erstmals 1950 auf Ungarisch veröffentlicht, geriet József Debreczenis Buch »Kaltes Krematorium«, ein »Bericht aus dem Land namens Auschwitz« lange in Vergessenheit – mehr als 70 Jahre später wurde es in 15 Sprachen übersetzt. 1944 wurde der renommierte ungarische Journalist und Dichter Debreczeni nach Groß-Rosen deportiert und verbrachte zwölf Monate in verschiedenen Lagern: Zuerst wurde er aus dem Arbeitsdienst nach Auschwitz deportiert, von dort in drei Außenlager im Eulengebirge des KZ Groß-Rosen. In der dritten Station, der Krankenbaracke des Zwangsarbeiterlagers Dörnhau – »Kaltes Krematorium« genannt –, spielt sich ein wesentlicher, schrecklicher Teil seines Berichtes ab.

Debreczenis Sprache ist die seiner Zunft, die eines Journalisten. Er beschreibt detailreich und präzise, ohne die großen Ausschmückungen eines Schriftstellers, der versucht, die Dramatik und Brutalität um die Ecke auszudrücken. Spricht er davon, dass den Insassen »die aufrechte Haltung« genommen wurde, so wird dies nicht mehr als Metapher, sondern als bittere Realität beschrieben. Schreibt er, dass sie »zu Tieren wurden, wie die Nazis«, so ist dies eine Beobachtung der Verrohung, die durch das Lagerleben und das brutale Nazi-Regime verursacht wurde – es spricht nicht ein Moralist, sondern ein mitfühlender Beobachter.

Was das Buch so lesenswert macht, ist zum einen Debreczenis scharfsichtige Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, noch im Angesicht des Todes so konkret zu berichten. Zum anderen die Art und Weise, wie er das Gesehene einordnet und welche Schlüsse er zieht. Ohne Scheuklappen beschreibt er die Hierarchie der Parias, den grotesken Gewaltkomplex, den die Nazis implementierten und den die Insassen im Kampf ums Überleben »zur Perfektion brachten«. Er spricht von den Häftlingen verschiedener Herkunft und ihren Eigenheiten, ohne jedoch die Feindschaften, die Missgunst und den Hass der Unterdrückten untereinander zu vernachlässigen, die außerhalb des lückenlosen Kontrollsystems der Nazis existierten. Vielleicht ist es auch diese Fähigkeit der kühlen Einordnung und Verarbeitung, die ihm half, im Angesicht des teuflischen Wahnsinns nicht den eigenen Verstand und den Rest an Menschlichkeit und Mitgefühl zu verlieren.

»Ich glaube einfach nicht, was ich sehe«

Die Szenerien, die Debreczeni beschreibt, sind noch heute zum Großteil völlig unglaublich und wirken wie aus einem grotesken Film – wie der Nachklang eines verwirrenden Fiebertraums, in dem man selbst kaum mehr glaubt, was man gerade erfahren zu haben scheint. Zu unmenschlich und wesensfremd sind die Berichte, und doch beginnt man durch seine scharfsichtigen Beschreibungen zu verstehen, wieso die Insassen so handeln, wie sie handeln, und im Gegenteil immer weniger zu verstehen, wie der Autor dieser Hölle entkam, deren Realität ihm selbst schwer zu akzeptieren schwerfällt, wenn er die Eindrücke eines französischen Häftlings zitiert: 

»Aus den Schornsteinen steigt Tag und Nacht dieser elende Rauch auf. Es ist ein Großbetrieb. Sollte irgendjemand je aufschreiben, was dort geschieht, wird man ihn für verrückt halten oder für einen perversen Lügner. Man muss sich das mal vorstellen: Seit Monaten, Jahren kommen hier Tag für Tag, Stunde für Stunde aus allen Teilen Europas die plombierten Züge an. Die Passagiere, die die Fahrt überlebt haben, werden auf dem Todesplatz vor der Bahnstation aufgestellt. […] Sie werfen einen kurzen Blick auf die Leute und schicken die, die schwach oder älter aussehen, nach links.«

In einer besonders eindrücklichen Szene liest man vom Unvermögen des Erzählers, eine Situation als wirklich wahrzunehmen, als er die von Läusen überwucherte Decke eines gerade ermordeten Häftlings über sich wirft. Auch hier ist die Unwirklichkeit der Realität ausschlaggebend, nicht die Fähigkeit des sie Wahrnehmenden. Wenn Debreczeni beschreibt, dann beschreibt er nicht sich, sondern das, was zu sehen ist, was jeder seiner Mitleidenden ertragen muss:

»In mir herrscht Gleichgültigkeit. Ich sehne mich nicht nach dem Leben, auch nicht nach dem Tod. Von keinem der beiden verspreche ich mir etwas. Wenn ich manchmal zu mir komme, blicke ich in Ernö Brülls tränenfeuchte Augen. Das ist die einzige Botschaft der Welt an mich. Er spricht zu mir, ich höre ihm nicht zu.«

Nazis ohne Schuld

Wenn aus den spärlichen Nachrichten Meldungen über den Kriegsverlauf eintrudeln, keimt zeitweise doch spärlich Hoffnung auf ein Ende der Marter auf. Und im selben Atemzug berichtet Debreczeni von den ersten deutschen Tätern, die – während die Nachrichten vom nahenden Ende des Krieges eintrudeln – beginnen, ihre eigene Schuld öffentlich zu relativieren und die Verantwortung von sich zu weisen. Gespräche über das deutsche Volk, die Widersprüchlichkeit der »deutschen Seele«, die Täterschaft bereits in Zeiten der noch andauernden Katastrophe in den KZs. Beschrieben werden die Deutschen auch als eine Ansammlung von dummgläubigen Idioten, die in der Vorstellung, Mördern und Verbrechern gegenüberzustehen, in den Insassen zurecht Bestrafte sahen.

Debreczenis Bericht ist ein in seiner Sprache äußerst klarer und eindrücklicher Text. Seine Beschreibungen der Lagerwelt mit den komplexen Verstrickungen von Nazis und den von ihnen bis zur Unmenschlichkeit unterdrückten Insassen sind schonungslos, aber niemals ohne Verständnis der ihnen zugrundeliegenden Beweggründe. Dem Leben und Sterben unter der dunkelsten Niedertracht der Nazibarbarei wird hier ein äußerst lesenswertes Mahnmal gesetzt.

József Debreczeni: »Kaltes Krematorium. Bericht aus dem Land namens Auschwitz«, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2024, 272 Seiten, € 25,00

Link: https://www.fischerverlage.de/buch/jozsef-debreczeni-kaltes-krematorium-9783103975444

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