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Bekräftigung des Vorwurfs: Die Goldenen Zitronen

»Man hört doch nicht auf zu denken«, so die Ober-Zitrone Schorsch Kamerun zur Beharrlichkeit der eigenen Band im skug-Interview.

Neues Album, alte Songs: Die Goldenen Zitronen haben für »Flogging a Dead Frog« Lieder der letzten drei Alben neu aufgenommen bzw. abgemischt – mal mit englischem Text, mal rein instrumental. Anlass genug, um mit Sänger Schorsch Kamerun über die fortschreitende Zuspitzung leidiger Themen zu sprechen, über die eigene Hysterie und Popmusik als Medium kritischer Berichterstattung.


skug:
Wahrscheinlich wird jede zweite Besprechung eures neuen Albums den Satz enthalten: »Die Themen der Goldenen Zitronen sind leider aktueller denn je«. Ist das der Grund, dass ihr die alten Songs noch einmal neu rausbringt?

Schorsch Kamerun: Nein. Der Grund ist ein gemischter: Zum einen haben wir mit »Flogging a Dead Frog« eine Platte gemacht, die sich vielleicht ein bisschen internationaler anfühlen könnte, weil da in einer Fremdsprache gesungen wird. Und zum anderen, weil wir diese Instrumental-Versionen mal ausprobieren wollten, weil wir glaubten, die könnten anders klingen ohne das ewige Geschnatter des Sängers oben drauf. Aber es stimmt natürlich, dass uns die Themen leider nicht verlassen haben.

Ihr habt zum Beispiel euren Song »Wenn ich ein Turnschuh wär« vom Album »Lenin« von 2006 auf Englisch neu aufgenommen.
Eben, das ist tatsächlich ein Statement, das sich momentan leider modern anhört. Man merkt daran natürlich auch, dass sich diese ganzen Themen nicht einfach in Luft auflösen, obwohl die Zeit so schnell ist. Und vielleicht ist das auch ein bisschen so wie mit Idealen, die man hat: Die verlassen einen auch nicht ganz. Und obwohl wir eine Popband sind, und sich im Pop ja alles sehr schnell ändern kann, merkt man eben doch, dass die Sachen, an denen wir so dran sind, nicht heute in und morgen out sind.

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 Schorsch Kamerun © Sandra Then-Friedrich

Aktuell sind Flüchtlinge das bestimmende Thema in den Nachrichten. Einerseits gibt es Pegida und brennende Flüchtlingsunterkünfte, andererseits aber auch Solidarität mit Flüchtlingen und sehr viel ehrenamtliche Hilfe. Bist du eher frustriert oder zuversicht- lich über die Entwicklungen der letzten Jahre?
Ich empfinde das ähnlich ambivalent: Auf der einen Seite ist man natürlich auch weiterhin sehr geschockt darüber, wie insgesamt mit dem Thema umgegangen wird. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, das zu beschreiben. Und wie lange es das Thema schon gibt! Meinem Empfinden nach habe ich tatsächlich, solange ich denken kann, mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Alles, was irgendwie anders ist oder nicht normiert daherkommmt, wird angegriffen. Das kenne ich noch von meinen Tagen als Teenager vom Land, aber auch später aus Hamburg. Und auf der anderen Seite verändern sich die Dinge natürlich auch: Man kann schlecht sagen, dass ein Land rein faschistisch oder rassistisch auftreten würde. Es gibt wirklich eine große Hilfsbereitschaft. Aber es gibt natürlich immer wieder völlige Grotesken in der Debatte.

Ihr schlagt in »If I Were A Sneaker« – wie schon in der deutschen Version des Songs – den Lösungsweg vor, den die Regierungen Europas partout nicht einschlagen wollen: den Menschen, genauso wie den Waren, einen legalen Weg in die EU anzubieten. Warum passiert das nicht?
Das würde ich auch gerne wissen! Wir sagen ja sogar, dass diese Leute Hilfe brauchen, dass wir ihnen Asyl gewähren wollen, weil das ein Menschenrecht ist. Und dann schauen wir zu, wie diese Leute zigtausend Euro bezahlen müssen an irgendwelche – wie hier behauptet wird – kriminellen Schlepper, um in einer monatelangen, hochgefährlichen Flucht hierher zu kommen. Warum setzt man die nicht in ein Flugzeug für 380 Euro und nimmt die auf? Warum passiert das nicht?

Ihr seid oft die ersten, die gefragt werden, wenn’s um politische Themen geht. Seht ihr euch in der Hinsicht allein auf weiter Flur?
Nein. Es gibt ja unendlich viele Leute, die etwas machen. Selbst Til Schweiger treibt sich um, trotz aller Polemik. Darum geht es auch nicht. Denn wir suchen uns diese Themen ja nicht aus, um unsere Platten schärfer zu bekommen, oder weil wir damit irgendwo punkten. Wir sehen das einfach und reagiert darauf. Aber es gibt natürlich viele Leute, die viel wichtigere Arbeit leisten. Wir machen ja auch andere Dinge und kümmern uns nicht nur mittels Musikmachen. Aber wir benutzen die Band als Tool und als Stimme an die Öffentlichkeit.

Seht ihr Gemeinsamkeiten mit Bands wie K.I.Z. oder Zugezogen Maskulin?
Ich glaube schon. Die machen das anders, das kann ja auch nur so sein. Aber ich nehme das ernst, was die machen. Man spürt auch, dass das ernst gemeint ist.

Die Goldenen Zitronen sind eine der wenigen Bands, die nach dreißig Jahren noch etwas zu sagen haben und noch frisch klingen.
Ja, warum eigentlich? Man hat doch immer etwas zu sagen! Man hört doch nicht auf zu denken und darüber zu reden! Wir bekommen manchmal die Frage gestellt, warum wir denn immer noch so beharrlich politisch sind? Ich kann das gar nicht nachvollziehen. Das ist man doch ab einem bestimmten Punkt und dann bleibt man es doch eigentlich. Vielleicht liegt das auch an unserer Hysterie: Wenn wir Konzerte spielen, sind wir tatsächlich noch auf eine bestimmte Art aufgeregt und aufgeladen. In diesen alten Rockhüllen stecken immer noch hysterische Hütchen drin. Vielleicht ist es das, vielleicht sind es aber auch die Zweifel, vielleicht ist es das fehlende Urvertrauen – vielleicht lässt einen das wach bleiben und nicht bequem werden.

Live lasst ihr auch gerne mal einen angriffslustigen Spruch in Richtung Publikum los. Worum geht es dabei?
Eigentlich auch darum, dass es irgendwie überraschend bleibt. Weil wir eben auch nicht ganz genau wissen, wie sich der Abend gestalten wird. Ich stehe seit dreißig Jahren neben einem, der die Gitarre in der Hand hält [Ted Gaier, Anm. d. Red.], und das ist immer derselbe. Und da wünsche ich mir auch, dass sich irgendetwas ändert. Wir freuen wir uns darüber, wenn im Publikum etwas passiert, womit wir selbst nicht rechnen. Das ist eine Art Versuch, das Gespräch zu suchen und der Wunsch, nicht ganz so erwartungsgemäß zu liefern, wie man das möglicherweise könnte. Wir wollen ja nicht auf die Bühne gehen und klingen wie auf CD. Aber wir könnten!

Als ihr in den frühen 1990ern Abstand genommen habt vom Rock- und Punkrock-Sound eurer ganz frühen Alben, wolltet ihr Musik machen, zu der ›Nazis nicht tanzen‹ können. Was braucht solche Musik?
Das Thema »Nazis« ist natürlich eine Klammer. Vielleicht meinen wir damit eine Musik, die auch interpretierbar ist, die anders sein kann. Und die – wenn man kurz Nazi-Deutsch sprechen will – auch »entartet« sein kann. Wir wollen uns jedenfalls in keinster Weise festzurren lassen, um dann einge- tütet zu werden. Wir wollen experimentierfreudig bleiben. Das macht es zum Teil auch anstrengend, weil wir unseren eigenen Stil, den wir irgendwann mal erlangt haben, immer wieder so ein bisschen brechen. Das ist unsere Methode – und dabei hilft Selbsttäuschung.

Welche Selbsttäuschung?
Damit meine ich, dass man eine Arbeitsweise entwickelt, bei der man sich irgendwie nicht sicher ist. Das ist ganz schön schwer: Wenn man zum Beispiel ständig versucht, Dada zu machen, dann klingt das vielleicht tatsächlich nach Nicht-Handwerk. Am Ende ist es aber trotzdem etwas, das man beherrscht. Es ist gar nicht so leicht, Anti-Handwerker zu sein. Aber genau das versuchen wir. Das hält ein stückweit jung. Aber dadurch bleibt auch alles unsicher.

Das heißt, ihr sucht euch bewusst Instrumente, die ihr noch nicht beherrscht?
Das ist eine der Ideen. Oder wir wechseln unsere Instrumente und es singt mal jemand, der sonst nicht singt. Das ist möglicherweise auch dem Begriff des Kollektivs geschuldet. Mit dieser Methode klappt das jedenfalls ganz gut. Da habe ich auch meine Vorbilder: Situationismus, bei dem das Spektakel im Vordergrund steht, sich aber auch gleich wieder selbst bekämpfen will. Oder Maler und Schriftsteller, die ich bewundere, Albert Oehlen oder Rainald Goetz zum Beispiel.

Wenn man die Songs auf »Flogging A Dead Frog« hört, wird aber auch deutlich, wie gut die Lieder der letzten drei Alben zusammenpassen. Habt ihr vielleicht doch euren Sound gefunden?
Ja, möglicherweise. Der Herr Diederichsen hat über unsere letzte Platte geschrieben, wir hätten da etwas abgeschlossen. Ich kann das nicht beantworten. Wobei ich für mich spüre, dass wir – obwohl wir vielleicht etwas gefunden haben – das jetzt wieder verlassen müssen, um die Dinge wieder frisch und attraktiv zu bekommen. Weil wir eben tatsächlich etwas gefunden haben. Und wenn wir uns das noch zwanzig Mal erzählen, fängt es an, langweilig zu werden.

Also ist das Album eine Art Abschlussstatement?
Es ist auf jeden Fall nochmal ein anderer Blick auf diese Phase, würde ich sagen. Aber es kann ja sein, dass wir auf der nächsten Platte wieder Fun-Punk machen, nur diesmal so richtig witzig.

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Die Goldenen Zitronen © Frank Egel

Ihr hattet als Band auch mal die Idee einer kritischen Berichterstattung in Songform. Getreu der Vorstellung, dass Popmusik eines der schnellsten Medien sein kann. Ist das noch aktuell oder hat sich das erledigt?
Das ist absolut aktuell. Das ist alles sogar noch schneller geworden, das kann ja jetzt jeder oder jede. Aber zum Teil ist das immer auch eine Formfrage. Ich habe schon öfters gezweifelt, ob Popmusik dafür das Richtige ist. Wenn man Konzerte gibt oder auf Festivals spielt, kann das schon sehr banal sein.

Heute sind in dieser Hinsicht Meme und Hashtags bzw. ›soziale‹ Medien im Allgemeinen schneller.
Genau, das ist zum Teil auch ganz gut. Vielleicht ist manchmal ein Satz treffender als ein Roman oder eine Platte. Viele Leute hören sowieso nur noch einzelne Songs. Es gibt tausend Möglichkeiten. Ich glaube aber, dass ein Gedicht schärfer sein kann als vieles andere. Von daher glauben wir schon an das Wort. Vielleicht hat aber auch die Musik eine Haltung: Und vielleicht deswegen auch diese Platte, die diesmal mit ein paar Wörtern weniger auskommt, dabei aber trotzdem etwas zu sagen hat. Musik wirkt ja auch unterbewusst und triggert dadurch eine ganze Menge an. Wenn man sich dem öffnet, kann man Musik auch wirklich eins zu eins lesen. Vielleicht lernt man das auch, wenn man vermehrt Musik ohne Text hört, moderne Klassik oder Freejazz oder was auch immer. Man muss nichts dazu sagen, und trotzdem ist da eine Menge ausgesagt.

Wird man als Band mit deutschen Texten immer noch zu sehr auf den Text reduziert?
Ein stückweit wird das schon so sein. Aber unsere Band neigt ja dazu, die Texte sehr nach vorne zu bringen. Und das haben wir auch irgendwie so gelernt. Ich zumindest habe das so erfahren, auf meinem kleinen Marktplatz in meinem kleinen Dorf. Als mich da etwas genervt hat, hatte ich die Möglichkeit, das zu sagen. Schon mit einer Haltung, aber erstmal auch mit Wörtern, in einem kleinen Punklied. Und irgendwie hat das funktioniert, das war wirklich etwas, das einen da abgeholt hat. Für diese Möglichkeit bin ich immer noch sehr dankbar. Ich habe später festgestellt, dass das sogar mit einem Gemälde oder einem Theaterstück gehen kann, was ich nie gedacht hätte.

Ihr habt das Album »Flogging a Dead Frog« betitelt, also »Auspeitschen eines toten Froschs«. Da fällt mir ganz viel dazu ein, was auch auf der Platte zumindest angedeutet wird. Denn das kann man auf Griechenland beziehen, aber auch auf Flüchtlinge und auf diejenigen, die von ihrer Arbeit nicht leben können oder die sich im gentrifizierten Viertel keine Wohnung mehr leisten können. Ist das Auspeitschen eines toten Froschs eine Metapher unserer Zeit?
Äh, ja! Sehr schöne Vorgabe! Aber es lässt natürlich Platz für Interpretation: Vielleicht meinen wir ja uns selbst, wenn wir so eine Platte rausbringen, mit Material, das es in anderer Form schon einmal gegeben hat. Klar gibt es ebenfalls diese »Flogging a Dead Horse«-Platte von den Sex Pistols, aber die Referenz passt auch nicht ganz genau. Und man kann den Titel natürlich genauso, wie du sagst, auffassen. Also: Wer schlägt denn auf das wegspringende Tier ein? Wo willl das hinspringen? Daniel Richter macht uns ständig die Cover und für »Flogging a Dead Frog« haben wir zusammengesessen und rumgesponnen, wie Kreative das tun, und das ist dabei herausgekommen.

Der Frosch auf dem Albumcover hat sogar Flügel, nur kann er die nicht mehr heben.
Stimmt, die kleben irgendwie fest! Das ist ja auch so ein Gefühl, das wir vielleicht alle haben: Man versucht die ganze Zeit zu springen, aber irgendwie klebt da was fest. Mir geht’s genauso: Ich springe eigentlich immer schneller, aber irgendwie … Das ist wie mit den Fröschen: Die springen nicht aus dem heißen Wasser, wenn es langsam wärmer wird. Es wird immer heißer und man springt trotzdem nicht weg.

Die Goldenen Zitronen: »Flogging a Dead Frog«
Altin Village & Mine/Indigo, 2015

Home / Musik / Artikel

Text
Hardy Funk

Veröffentlichung
11.11.2015

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