Gang Starr © Manfred Rahs
Gang Starr © Manfred Rahs

Antithese zu Crossover und Sex’n’Crime-Philosophien

Daniela Aichinger und Hans Kulisch haben die HipHop-Ikonen Guru und DJ Premier von Gang Starr anlässlich ihres Wien-Konzerts 1993 zum Interview getroffen. Ein Textschatz aus skug #12, zum 30-Jahre-Jubiläum wiederentdeckt.

Daniela Aichinger verdankte skug Anfang der 1990er-Jahre einige tolle Rap-Artikel. Sie berichtete konsequent auch aus den heimischen HipHop- und damit affinen Subkulturen, etwa über die Gainful Gullivants oder die Wayos Music Line. Das mit den Protagonisten von Gang Starr zusammen mit Hans Kulisch geführte Gespräch fand vor der Jazzmatazz-Inkarnation statt. Jazz ist Black culture und Guru und DJ Premier standen immer schon für street credibility, egal ob sie HipHop oder damit verquickten Fusion-Sound machten, mit sich wohltuend vom Gangsta Rap abhebenden Lyrics. Der vorliegende Artikel war 1993 in skug #12 zu lesen, wir veröffentlichen ihn anlässlich des 30-Jahre-skug-Jubiläums hier erstmals online.

Originaltext in skug #12, 1993

Gang Starr – Check the low-end technique

Authenticity, blunts, chillin’, dreads, ethics, future, gang, homies, identity, Jeep sound system, kickin’, low, muthaland, new old school, poetry, quotes, roots, slammin’, tolerance, unity, vibes, weed, x, youth, zenith. Schlagwörter zum Thema Gang Starr, HipHop, das rotierende Begriffskarussell. Sind Übersetzungen Fälschungen? Wir meinen zum Teil. Allen Heimjungs und Fliegmädchen gewidmet. Wir sind alle im selben Haus.

B-Boys hardly available! Trotz der missverständlichen Ankündigung des »Falter«, Gang Starr seien Hardcore und deshalb ein N.W.A.-kompatibler Rap Act, haben sich nur wenige Gangsta-Rap-Fans zum Konzert eingefunden. »Hardcore« als Begriff im HipHop-Kontext unreflektierterweise gleichzusetzen mit Porno und Crime-Lyrics spiegelt das Unverständnis und Desinteresse wider, im eigenen Kulturkreis mit gewissen Inhalten behaftete Begriffe für Fremdes zu adaptieren. Hardcore HipHop ist keineswegs gleichzusetzen mit Westcoast Gangsta Rap, sondern bezeichnet einen Stil, der sich auf das minimalste musikalische Grundgerüst – Turntables und Micros – konzentriert, und hat mit dem Hardcore-Begriff im Punk, Techno oder in der Pornografie nichts gemein. Gang Starr verstehen sich als Antithese zu Crossover und Sex’n’Crime-Philosophien. Der Ausgangspunkt ihrer weltweiten Popularität war eine Kooperation mit Branford Marsalis’ »Jazz Thing« zu Spike Lees Film »Mo’ Better Blues«. Dennoch setzten sie mit ihrer ersten LP »No More Mr. Nice Guy« bereits einen Qualitätsstandard, der zu dieser Zeit unerreicht blieb, obwohl andere vor ihnen wie DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince den Jazz im HipHop entdeckt hatten. Auch mit »Daily Operation« verfolgten Gang Starr konsequent ihren Weg, zwar nicht auf der Basis der Fusion, sondern HipHop selbst als »Jazz as attitude« zu sehen. In den geplanten Projekten kommt allerdings wieder mehr Jazz als eigenständiger Teil zum Tragen.

Guru: »Derzeit beschäftige ich mich mit dem Jazzmatazz-Projekt. Das ist ein Experiment mit der Fusion HipHop/Jazz. feat. Donald Byrd, Branford Marsalis, Ronny Jordan, Roy Ayers, N’Dea Davenport, DC Lee, Courtney Pine, Lonnie Liston Smith und MC Solaar. Die Arbeit mit MC Solaar, einem ziemlich populären französischen Rapper (›Bouge De Là‹), der mitsamt seinen Homeboys really down to earth ist und seine Arbeit sehr ernst nimmt, hat mich ziemlich fasziniert. Alle mitwirkenden Jazzer respektieren Rap als real music, sie machen nicht deshalb mit, weil sie glauben, ›Oh, Rap braucht Live-Unterstützung‹. Vor allem europäische Medien dissen klassischen Rap, da sie ihn nicht verstehen. Wenn sie ihn sich ansehen, denken sie, dass etwas fehlt! Aber das ist falsch. Rap hat mit zwei Turntables und einem Mic angefangen und das ist auch das, worauf jeder schauen sollte, wenn er auf ein Rap-Konzert geht. Wenn du keinen DJ mehr siehst oder wenn du merkst, dass alles nur vorgetäuscht ist, dass sie mit einem DAT arbeiten, kannst du es vergessen.«

Im Gegensatz zu PE, BDP, Son of Bazerk, Dream Warriors etc. arbeiten Gang Starr ohne DAT-Band, und DJ Premier mixt live mit Vinyl auf der Bühne. Gang Starr haben es sich zur Angewohnheit gemacht, Samples zunächst zu verfremden und in veränderter Form auf eigene Vinyls zu pressen. Das bedingt einerseits wenige Probleme mit Urheberrechten (»You did figure out Marlena Shaw’s ›California Soul‹ in ›Check The Technique‹ – but she didn’t«), andererseits funktionieren schwerstens ausgetüftelte Dinge wie Premiers Beats nicht so spontan auf der Bühne, weshalb auch manche Scratches auf den Exclusive-Gang-Starr-Vinyl-Pressungen verewigt sind. Dennoch dürfte das ein positives Novum sein, das bisher nur im Reggae-Bereich mit Dubplates oder im Dancefloor-Bereich, wo DJs ihre Testpressungen live ausprobieren, passiert ist.

skug: Credibility in jeder Form ist für euch sehr wichtig.
Guru: Wir können es uns nicht leisten, Rollen zu spielen, da wären wir höchstwahrscheinlich tot. Wir könnten nicht street sein und es nicht ernst meinen, die Kids testen dich und würden Unehrlichkeit sofort merken. Wir waren in Bremen und in Berlin, die türkischen Jugendlichen haben aus ihrer Frustration heraus sofort mitbekommen, was los ist, denn sie leben in einer ähnlichen Situation wie die Schwarzen in den USA. Sie müssen dich sehen, they wanna make sure if you’re real. If you are on TV, it doesn’t mean you’re real. They wanna know! Wir spielen uns nicht als Stars auf, wir porträtieren uns genauso wie das Publikum. Wenn uns die Kids ansehen, können sie sich mit uns eher identifizieren.
Premier: Deshalb ziehen wir auf der Bühne auch keine Show ab, sondern sind je nach Situation gut oder schlecht drauf.
Guru: We come in peace, but if you want chaos, well bring you more.

Aber zurück zum Jazz-Projekt. Es stellt sich hier die zunächst widersprüchliche Frage, inwieweit eine Jazz-/HipHop-Fusion möglich sein kann, ohne in den Sell-out des undifferenzierten Crossover (siehe Me Phi Me) abzudriften.

Gang Starr © Manfred Rahs

skug: Auf »Daily Operation« distanziert ihr euch von jeglichem Crossover. Wie bringt ihr das in Einklang mit diesem Fusionsprojekt?
Guru: Wenn Leute wie Donald Byrd oder Branford Marsalis ein Album machen, spielen sie ja nicht die gerade gängigen kommerziellen Rhythmen ein, sie spielen wie in den alten Tagen, beinahe klassisch, das ist ähnlich wie Gang Starr, respect for the classical roots of the music. Wenn du die original crowds ansiehst, die Leute, die die Musik unterstützt und kreiert haben, ob du bei ihnen populär bist oder nicht, musst du ihnen zeigen, dass du den Geist der Musik in dir hast, sonst bist du weg. Wo ist Young MC, wo ist MC Hammer, wo ist Vanilla Ice? Diese Leute können keine Platten mehr machen. Das ist so simpel wie eins uns eins zwei ist. Donald unterrichtet sogar Jazz am Queens College und hat auch das Jazz-Programm auf der Harvard University gestartet. Er versteht Rap aber auch als Literatur, als Kultur. Seiner Meinung nach besteht der Grund für die Popularität von Rap darin, dass wir aussprechen, was wir denken und fühlen. HipHop ist wahrscheinlich eine der provokativsten Formen der Musik überhaupt. Donald hat mir auch gezeigt, wie Miles seine Trompete gehalten hat, ich hatte dabei irrsinniges Herzklopfen, denn das waren genau die Sachen, die ich immer schon gehört habe. So versteht Donald Rap und alle Medienleute, Kritiker und Major-Bosse sollten genauso denken. Ich habe mit diesem Projekt angefangen, weil ich sehen wollte, wie ich es anstellen würde, live Jazz mit Rap zu fusionieren. Wenn ich über etwas rappe, müssen die Beats right sein, there can’t be some offbeat funny sound of drums. Deshalb habe ich auch alle Drumtracks und Grooves produziert und dann Tapes an die Musiker verschickt. Im Studio waren sie ready to play und statt dass ich ihre Sachen gesampelt hätte, habe ich alles so belassen, wie es war. Donald spielte z. B. zwei verschiedene Trompeten auf vier bis fünf Tracks ein, I’m takin’ my rhymes over it and weave the different horns in an’ out. So funktionierte es auch mit dem Vibraphon von Roy.

skug: Was werden die Homies in Brooklyn zum Jazz-Projekt sagen?
Guru: Das Gang-Starr-Album kommt in den Staaten ja vorher heraus. Das Jazz-Projekt ist dann etwas ganz Spezielles. Es ist ja nichts Kommerzielles, kein Sell-out, vielleicht – ungeplant – ein bisschen radiofreundlicher. Ich mag den MC Solaar Track, der könnte sogar in Clubs gespielt werden, egal ob die Leute nun Französisch verstehen. Es ist für mich sehr wichtig, die street credibility aufrechtzuerhalten. Das ist dadurch möglich, dass wir legitimen HipHop mit legitimem Jazz fusionieren. Jazz is an attitude. Es ist perfekt und es wird vielleicht einige Jazzer dem Rap näherbringen. Ich glaube, mein Vater wird es mögen. Wir bekommen sehr viele Demos von Kids, alle mit Jazz-Samples, das war der Grund, warum »Daily Operation« so reduziert ist. Einerseits ist das gut, denn Jazz ist Black culture und so sind sie sich ihrer Kultur mehr bewusst, aber als Gang Starr haben wir ein anderes Konzept. Deshalb mache ich Jazzmatazz, um den Weg zu zeigen, wie ich Live-Jazz und Rap fusioniert sehe. Ich versuche, verschiedenste Projekte zu realisieren, die die unterschiedlichen Aspekte meiner Persönlichkeit charakterisieren. Man kann mich nicht aufgrund einer einzigen Produktion beurteilen, genauso wenig wie in einem Interview. You can’t tap into my head, too deep. Es ist das gleiche mit Premier, wenn er produziert oder an den Turntables arbeitet, du kannst das nicht durchschauen, wenn du ihm nur einmal auf die Finger siehst. It’s too deep.

Jazzmatazz
Die Mixes von Jazzmatazz werden Mitte Jänner fertig sein. Dieses Projekt kommt wahrscheinlich in Europa früher als in den Staaten heraus. In den USA kommt zuvor ein Track, »Got To Get Over«, den Gang Starr für den Film »Tresspass« mit Ice Cube und Ice-T produziert haben, dann das neue Gang-Starr-Album und zu guter Letzt erst Jazzmatazz. Ansonsten sind Gang Starr aber keinesfalls untätig.

Guru: Premier und ich haben zwei getrennte Companies, gemeinsam machen wir die Gang-Starr-Produktionen. Premier hat jetzt gerade fünf Tracks für BDPs neues Album, für Heavy Ds neues Album, für Nasty Nas (Rough House), für eine Lady namens Boss (Def Jana) und einige Remixe verschiedenster Leute produziert. Miteinander haben wir z. B. für Neneh Cherry an Remixes für Soul II Soul und Loose Ends gearbeitet. Außerdem habe ich die Rapperin Nefertiti (Mercury) aus L.A. produziert.

Gang Starr © Manfred Rahs

skug: Was denkt ihr über die Connection Dancehall/HipHop?
Guru: Ich war beim Sunsplash, das war dope. Aber Gang Starr brauchen diese Fusion nicht. Hey Premier, erklär du das! Sie wollen wissen, warum wir nicht anfangen, zu chatten, or why I don’t start goin’ diggididiggidi…
Premier: Wir mögen das alles, aber wir haben unser eigenes Konzept. Die Leute, die das machen, wollen einen Song fürs Radio, einen Dancehall-Track, einen Hardcore-Track. We wanna keep the beats goin’ the regular way. Der moderne jamaikanische Dancehall ist so wie Old School, aber wir versuchen HipHop so einfach wie möglich zu gestalten, eben Hardcore (New) Old School, deshalb brauchen wir den Dancehall nicht.
Guru: Rapper, die das machen, klingen künstlich, fabriziert. Ich mag das neue Ice-Cube-Album, aber der Song »Vicked«, that’s not real chat, it doesn’t sound real. Bei der Nummer mit MC Solaar habe ich einen real french dread engagiert und das klingt auch echt.

skug: Inwiefern erhebst du in deinen Lyrics Anspruch auf die letzte Wahrheit, z. B. im Song »Conspiracy«? (Anm.: Inhalt ist die »Verschwörung« der Weißen gegen die Schwarzen, nachzulesen am Cover-Sheet.)
Guru: Let’s put it like this: I didn’t vote for the president, I don’t give a fuck too much about politics, aber ich hab’ den Song geschrieben, weil ich so darüber denke. Aber das ist nur meine Meinung, nur ein Song. Ich bin auf keinem Kreuzzug, ich bin nicht Chuck D oder KRS-One. I’m just Gang Starr.

skug: Hast du schon den neuesten Spike Lee Film »Malcolm X« gesehen?
Guru: Noch nicht, ich war zu der Zeit in London im Studio. Aber ich sag’ dir eines: I disagree with all the critics that try to disrespect Spike. Er ist eine Legende seiner Zeit, er bringt Realität auf die Leinwand. Er steht für mich auf der gleichen Stufe wie die großen schwarzen Vordenker. Jeder, der versucht, ihn runterzumachen, tut es aus Angst vor ihm. Auch die schwarzen Kritiker, die meinen, er hätte eine Pop-Version verfilmt, sagen das nur aus Eifersucht und diese war letztendlich der Grund für den Tod von Malcolm X und Martin Luther King. Es macht auch nichts, dass es Mainstream ist, denn jeder, der Realität mehreren Personen vermitteln kann, hat etwas Sinnvolles getan. Ich war früher Sozialarbeiter für Kids und konnte nur wenigen helfen. In diesem fucked up system hast du zwanzig Kids zu betreuen, kannst dich aber nur um zwei wirklich kümmern. Sozialarbeiter oder Lehrer bekommen viel zu wenig Geld und die meisten Kids bleiben auf der Straße. Als Rapper kann ich 500.000 bis 600.000 Kids erreichen, mit einer message, über die sie vielleicht nachdenken, ohne Prediger zu sein. Das ist auch das Anliegen von Spike. If you like it, you like it, if not, leave it.

skug: Du glaubst also an verschiedene Arten des teachings?
Guru: Es wird nicht passieren, dass ein Einzelner kommt und die Welt rettet. There must be many conscious people from different backgrounds, races and religions. Alle Jugendlichen haben ähnliche Probleme, ob in Europa, Japan oder in den USA. Sie sind betroffen von gewissen Dingen wie Autoritäten, Schule, Eltern, Polizei, mit denen sie umgehen müssen. HipHop repräsentiert ihr Gefühl, unabhängig davon, ob sie die Texte verstehen oder nicht. Es ist Lebensstil, eine Art sich zu kleiden, eine Einstellung, eben eine Kultur, die überall wächst. Und Kriss Kross sind für mich ein Beispiel, wie Rap besser wird. A kid dressin’ street could be commercial, that’s dope to me, not whack, that’s dope!

skug: Was ist mit Musical Youth?
Guru: Das war damals okay, aber es war nicht so populär wie Kris Kross. Sie verkaufen genauso viel wie MC Hammer vor einem Jahr, verzichten aber auf Glitter und Glamour auf der Bühne. They dress straight up like us. Wie gesagt, HipHop ist die provokativste Form der Musik überhaupt und die Firmen versuchen ihn ja loszuwerden, indem sie Vinyl umbringen. So you know what? We’re gonna bootleg Vinyl!
Premier: Rap bewegt sich wieder zurück in den Underground. Die Majors haben Rap versaut. Rap is music created from the street, from nothing. Usually, black people create something from nothing.

Es bleibt zu hoffen, dass Gang Starr den eingeschlagenen Weg weiter verfolgen, junge Artists (Showbiz & A.G.) unter ihre Fittiche nehmen, und selbst Hardcore HipHop, Jahr für Jahr, wie sie es sich vorgenommen haben, produzieren. Guru steigt ins Auto, zwei Frauen an seiner Seite, Premier, der Manager und einer der Front-Rapper kommt noch ins B.A.C.H zur Gang Starr Party. Mit dem Versprechen »See you next year« ist nun endgültig Relaxen angesagt.

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