Uschi Schreiber stolperte vor dreißig Jahren mehr oder minder durch ihre ungebrochene Vision der offenen Bürgerbeteiligung und des freien Diskurses in die Kultur hinein. Zusammen mit ihrem Mann, dem Architekten Dieter Schreiber, gründete sie 1992 den Aktionsradius am Gaußplatz 11, welcher durch mehrere Metamorphosen schließlich zu dem kulturellen Freiraum wurde, der er bis heute ist. In Zeiten von Corona steht auch er derzeit leer, doch ist deswegen nicht weniger aktiv (etwa die momentan laufende Hommage anlässlich Linde Wabers 80. Geburtstag) Wieso das so ist, woher dieser Tatendrang kommt und wie sich die kulturelle Szene Wiens prinzipiell in den letzten dreißig Jahren verändert hat, erzählt Uschi Schreiber im Interview.
skug: Wie ist es zum Aktionsradius gekommen und was macht ihr genau?
Uschi Schreiber: Ich bin in diesem Stadtteil eigentlich als junge Stadtplanerin gelandet. Hier war einer meiner ersten Jobs nach der Uni, denn ich wollte auch so quasi die untersten Ebenen der Stadtplanung kennenlernen, wo man wirklich umsetzt oder mit Leuten was macht. Da war damals in den 1980er-Jahren in Wien in der Stadtplanung noch der Geist der sanften Stadterneuerung zugange, da war Wien so eine Art Modellstadt. Anstatt Abrisspolitik zu forcieren, wurde auf Bürgerbeteiligung gesetzt, wo auch partizipative Projekte wie gemeinsame Hofbegrünungen u. ä. Thema waren. Jedenfalls bin ich hier in einem Stadtplanungsbüro gelandet und das war zuständig, um das Augartenviertel zu betreuen und zu aktivieren, also lebendiger zu machen, Menschen zu beraten, bei Wohnungssanierungen zu unterstützen etc. Dort habe ich dann auch meinen Mann kennenlernt, der grad als junger Architekt aus Berlin gekommen ist und auch gerade erst Fuß gefasst hat. In den folgenden vier Jahren in der Stadtplanung sind wir dann sehr viel angeeckt mit unseren Visionen einer handfesten Umsetzung einer offenen Bürgerbeteiligung. Wir waren halt tatkräftig, sehr jung und wollten einfach am liebsten die Bäume ausreißen, aus diesem Grätzel einfach irgendwie was Tolles machen, aber wurden da sehr bürokratisch eingeengt. Es sollte technische Stadtplanung sein, der Blick in die sozialen, kulturellen Bereiche war nicht drinnen! Wir haben das immer sehr interdisziplinär definiert und auch sehr partizipativ, was eben an Feedback von Menschen kommt, was der Bedarf ist, sind aber ständig zurückgepfiffen worden. Das erste Projekt z. B. war ein neuer Augarten-Eingang, da haben dann die Leute gesagt: »Das ist eh schön und gut, aber eigentlich müssen wir ja im Augarten was machen, der Park ist total verwahrlost, verwaist, der war früher einmal hochkulturell und lebendig.« Und dann haben wir gesagt: »Na, dann fangen wir hier an!« Aber damit war etwa schon eine Grenze überschritten, denn der Augarten gehört zum 2. Bezirk und wir durften uns nur ums Grätzel im 20. kümmern. Wir waren immer in sehr formalen, starren Grenzen. Und langsam, schleichend haben wir dann schon angefangen mit kulturellen Projekten im Augarten, weil die Leute das gewollt haben! 1990 haben wir die erste fünftägige Kulturwoche veranstaltet, die auch schon irgendwie erfolgreich war. Da hatten wir u. a. die Wiener Sängerknaben eingeladen, genauso wie die Wiener Tschuschenkapelle, die damals grad neugegründet wurde, also quasi Weltmusik als erstes Konzert! So ist die Idee entstanden, im nächsten Jahr ein Open Air zu organisieren, das Fest der Völker. Den Augarten als Schmelztiegel der Nationen, der er immer war, auch zu zelebrieren, das war dann 1991. Und dieses erste Fest der Völker war dann die Zäsur. Wir haben von Minister Scholten, der damals Kulturminister war, einen Staatsförderpreis für innovative, zukunftsweisende Kulturarbeit bekommen – und von unseren Chefs die drohende Kündigung. Das war dann die Erkenntnis, dass wir in der Stadtplanung nicht alt werden. So haben wir im Stillen versucht, die Fühler auszustrecken, und von Kulturstellen sehr positive Signale bekommen. Parallel dazu haben wir auch geschaut, wo man im Stadtteil irgendwie ein kleines Büro finden könnte, damit wir uns auf eigene Beine stellen können. Genau in dieser Zeit kriegen wir einen Anruf von der Linde Waber, die in ihrer sprudelnden Art gefragt hat, ob wir wen kennen würden, der ein Lokal suche, weil bei ihr im Haus was frei werde! Sie hat also gar nicht uns gefragt. Dennoch waren wir am nächsten Tag dann gleich zum Frühstück eingeladen und haben uns auf Anhieb verstanden. Aber trotz des Staatsförderpreises und unseres Ersparten war es immer noch zu wenig Geld, um unser Projekt aufzubauen. Da hatte die Linde die Idee, dass wir eine Auktion veranstalten könnten! Sie hat ihre Künstlerkolleg*innen angeschrieben und gefragt, ob sie ihr für dieses Projekt ein Bild schenken würden, und das war dann die erste Aktion im Mai 1992 in diesen Räumen hier am Gaußplatz 11, im ehemaligen Café Troppau. Also vor 28 Jahren! Und da sind wir dann wirklich hier eingezogen. Also die Linde ist wie ein Engel aus dem Nichts gekommen und hat den Grundstein für unser Leben hier mitgeprägt! Ursprünglich war das ja als Pilotprojekt für zwei, drei Jahre angedacht. Es wurde aber kontinuierlich weiterentwickelt und es folgten Projekte in Transdanubien, die wir vom Gaußplatz aus als Basis betreut haben. Aber den Aktionsradius haben wir eigentlich durch die Jahre immer durchgezogen und auch mehrmals transformiert mit den Aufgabenstellungen. In den ersten zehn Jahren waren wir sehr stark fokussiert darauf, den Stadtteil und den Augarten zu aktivieren, eben z. B. mit dem Fest der Völker. Wir waren eines der ersten Musik-Open-Airs! Da waren 40.000 bis 50.000 Leute im Park an einem Wochenende. Wir haben aber auch Klassik-Picknicks organisiert zur Beschallung des Parks, die Spielplätze im Augarten gebaut, ein EU-Projekt für fünf oder sechs Jahre betreut, wo wir die Institutionen des Parks koordiniert haben, also auch die Initiierung von Gartenmaßnahmen und anderen baulichen Maßnahmen.
Und das wurde vom Kulturmagistrat finanziert?
Also wir waren von Anfang an ein Projekt, das co-finanziert wird, von der Stadt Wien als Schwerpunkt und dem Bund. Am Anfang war’s halb Bund und halb Stadt und inzwischen ist es mehr Schwerpunkt Stadt. Und im Prinzip zehren wir auch jetzt ein bisschen davon, dass wir halt so lange schon aktiv sind, eben auch schon »etabliert« sind in dem Bereich, das wäre heute sehr viel schwieriger, da bin ich ganz überzeugt davon. Es war damals eine sehr gute Zeit, eine Art Gründerzeit. Zu Beginn der 1990er-Jahre gab’s eine Aufbruchsstimmung, das war eine richtige Pionierzeit. Da ist ganz vieles entstanden und gegründet worden und es waren auch die Förderstellen richtig fokussiert darauf, Grundsteine zu legen. Da sind überall Abteilungen eingerichtet worden, sowohl im Kulturministerium als auch in der Kulturabteilung der Stadt, die’s auch immer noch gibt, wie z. B. die Förderstellen für Kulturinititativen, Förderstellen für interdisziplinäre Projekte, Förderstellen für Projekte im öffentlichen Raum. Also alle Projekte, die nicht so eindeutig zugeordnet werden können zur Literatur, zur bildenden Kunst, zur Fotografie etc., wo es schon Abteilungen gegeben hat. Alles, was nicht wirklich in die Schubladen gepasst hat, das wurde damals gerade gegründet. Und in diese Phase sind auch wir hineingefallen.
Warum, glaubst du, ist diese Aufbruchstimmung abgeebbt? Bzw. wo ist sie jetzt? Ich mein’, du hast ja gerade in deiner Stellung eine gewisse Überblicksmöglichkeit über die »Szene« und was so los ist. Wohin hat sich diese Energie verteilt?
Damals war insofern auch eine gute Zeit, weil auch in dieses Thema investiert wurde. Es hat Menschen gegeben, die im Amt waren, in ihrer Funktion waren, die das auch bewusst gefördert haben. Also es gab einen Fokus auf das Thema niederschwellige Kultur, kleinere Initiativen und nicht nur die großen Kunstsparten. Auch ein bisschen diese Idee, die Kultur und die Kunst an alle Leute, ans Volk zu tragen, also auch in die Bezirke. Wir haben zehn Jahre ein Projekt aufgebaut, wo es eben darum ging, auch die Bezirke in Transdanubien zu betreuen und die Kultur eben nicht im 1. Bezirk zu halten. Und dann sollte es gleichzeitig auch qualitativ hochwertige Kultur sein, die gemeinsam mit Ansässigen entsteht, nicht nur irgendwie Bespielung und Bespaßung von außen. Und momentan können diese Töpfe, die damals eingerichtet wurden, das überhaupt nicht mehr abdecken! Die werden momentan überlaufen, hunderte, tausende Subventionsanträge, denn die Töpfe sind nicht mitgewachsen! Die Förderstellen können gar nicht in der Form fördern, wie sie sollten oder es vielleicht auch möchten. Es ist schwierig. Es braucht immer neue Schienen. Diese Schienen, die bei uns damals gelegt wurden, die sind ziemlich ausgereizt. Es gibt natürlich schon manche Stellen, die sich bemühen – die Stadt Wien hat z. B. über Basiskultur Wien eine Stelle geschaffen oder weiterentwickelt, die jetzt versucht, neue Förderschienen grad für junge, avantgardistische Projekte anzubieten, weil die alten Fördertöpfe alle belegt sind durch eh immer noch gut arbeitende Stellen wie uns. Etwa das Programm Shift. Oder auch KÖR – Kunst im Öffentlichen Raum. Also man bemüht sich sicher auch, etwas zu schaffen, zu kreieren für neue Initiativen, aber in Summe ist es sicher so, dass heute viel, viel mehr kulturelle Initiativen existieren und es viel mehr Künstler*innen gibt. Und ich sehe schon ein gewisses Bemühen … Alle paar Jahre gibt es einen Stadtrat oder eine Stadträtin, der*die versucht, Schwerpunkte zu setzen. Das Popfest ist etwa gegründet worden mit dem Ziel, neue Schienen zu ermöglichen und dieser Musikrichtung eben auch Förderungen und Konzertbühnen zu offerieren. Also es gibt da schon so Ansätze, aber im Prinzip ist das ganze System fördertechnisch ziemlich ausgereizt und die Budgetlage ist natürlich nicht besser geworden! Und die großen Summen fließen nach wie vor in die Hochkultur, an der grundsätzlichen Aufteilung hat sich wenig verändert. Aber die 1980er- und auch noch die 1990er-Jahre waren aus heutiger Sicht ziemlich rosige und ideale Zeiten, gerade finanziell und auch für Künstler*innen und Kulturinitiativen. Aber auch organisatorisch war vieles noch sehr unkompliziert. Also ich weiß gar nicht, wie man das heute noch machen sollte. Die Auflagen waren nicht so überbordend. Als wir die Open Airs organisiert haben, da haben wir z. B. die Bundesgärten gefragt, die haben uns einen Traktor zur Verfügung gestellt, eine Wasserleitung hingeleitet usw. also einfach unkompliziert mitgeholfen. Über die Jahre hat sich das wirklich total verschärft. Damals hat’s etwa auch nie Anrainerbeschwerden gegeben! In den letzten Jahren haben wir dann solche Lärmprobleme gehabt, dass wir sogar darauf geantwortet und eine Reihe »Silent Music« eingerichtet haben, die dann nur unplugged war. Aber kaum hat eine*r für die Gitarre oder die Stimme eine leichte Verstärkung verwendet, ist schon der erste Anruf gekommen. Da fragt man sich wirklich: Wer regt sich auf, wenn im Augarten ein bisschen Musik spielt?
Aber das hat ja auch mit dem allgemeinen Verständnis von kulturellen Projekten zu tun. Und das scheint ja in der Allgemeinheit mehr verloren gegangen zu sein. Ich meine, natürlich gibt es auch jetzt unzählige Kulturinitiativen, aber der Bezug zwischen diesen und dem vermeintlichen »Rest« potenziell rezipierender Gesellschaft – der scheint zerstückelter als früher. Wieso hat sich das so entwickelt? Anrainer*innen sind ja nicht physisch empfindlicher geworden, das ist ja eine Mentalitätsverschiebung. Also es ist eine Mentalitätsverschiebung, es sind aber auch die Rahmenbedingungen der Gesellschaft. Das könnte man völlig einfach beheben. Ich habe da auch schon dem Kulturstadtrat Vorschläge eingebracht. Man gibt solchen Einzelquerulanten ja jetzt sehr viel Raum. Zurzeit haben wir die gesetzliche Lage, dass eine Person bei der Polizei anrufen kann, ohne dass er*sie sich ausweisen muss, theoretisch muss die Person nicht einmal in Wien sein. Es reicht ein Anruf bei der Polizei und die Polizei ist verpflichtet, einzugreifen. Ich hab’ auch mit Polizist*innen diskutiert, die waren ja eigentlich immer ganz nett, und die haben mir das bestätigt. Im öffentlichen Raum ist es heut’ nicht mehr so besonders lustig, deswegen haben wir das auch im Augarten später eingeschränkt. Einmal war’s wirklich absurd: Wir haben von den Behörden vorgeschrieben gekriegt, ein Probekonzert im Augarten zu machen, die haben dann sechs Leute geschickt mit Lärmmessgeräten, die sich dann auf die Balkone von den Häusern der Oberen Augartenstraße gestellt und dann dort durch ihre Walkie-Talkies kommuniziert haben. Und wir haben dann die Musikgruppe, die wir da halt hergeholt haben, immer ein bissl leiser eingepegelt und dann vorgeschrieben bekommen, wieviel Dezibel wir veranstalten dürfen. Es waren 74 Dezibel, das ist ungefähr so, wie wenn eine Blockflöte spielt – oder wenn wir hier so reden, sind das schon ca. 65. Also, 74 sind überhaupt nichts. Und das war eine Festschreibung als Ausgangswert, von der Bühne! Nicht irgendwo, wie’s beim Publikum ankommt. In der fünften Reihe haben sich die Leute beschwert, dass sie nix mehr verstanden haben, und kaum hat man mal ein bisschen die Stimme verstärkt, hat wieder wer angerufen, Polizei ist wiedergekommen. Zusätzlich haben wir natürlich aber auch eine Zeit vorgeschrieben bekommen. 18:00 bis 21:00 Uhr war beantragt und stand auch schon in dem Protokoll, als dann noch die Amtsärztin gekommen ist und rebelliert hat, weil man ab 20:00 Uhr nicht mit Sicherheit eine Gesundheitsgefährdung ausschließen könne. Dann ist das wirklich so festgeschrieben worden: Sonntag, 18:00 bis 20:00 Uhr bei 74 Dezibel. That’s it! Wir haben’s auch tatsächlich viele Jahre gemacht, aber es verleidet allen Leuten den Spaß dran. Dasselbe gilt für die Innenstadt oder die Lokale am Gürtel: Ich kenne viele dort, die erzählt haben, auch wenn sie seit zwanzig Jahren das Lokal haben und dann eine*r einzieht und sich beschwert, sich letztlich diese Stimme durchsetzt. Und das ist natürlich, weil wir gesellschaftlich falsch aufgestellt sind. Es würde genügen, wenn die Stadt die rechtliche Grundlage anders legt. Entweder, dass man »hart« ist und sagt: Liebe Leute, das müsst’s aushalten, einmal in der Woche gibt’s da ein Konzert, ihr lebt’s in der Stadt und nicht im Wald, das ist aushaltbar! Quasi, dass man diese Dinge einfach zumutbar macht. Oder man sagt: Jeder, der eine Anzeige macht, muss sich erst einmal persönlich ausweisen, die Polizei kommt einmal zu dir, nimmt deine Daten auf und hört sich dann dein Anliegen an. Dann würden auch schon die meisten nicht einmal anrufen! Also man kann’s mit Vielem abstellen und ich denk’ mir, und es ist auch jetzt wieder so, dass uns auch die derzeitige Krise viele Facetten neu aufzeigt, wie etwa dieses Vernaderertum, dieses »Was macht der andere (falsch)?« – das nimmt zu. Und es wäre an der Gesellschaft, an den Strukturen, ob man das befördert oder ob man dem einen Riegel vorschiebt.
Ich frage mich, ob diese Tendenz der Beförderung solcher Strukturen nicht einfach die Eindämmung der kritischen Auseinandersetzung bedeutet. Wenn alle Menschen offen und individuell bereit wären, kulturelle Angebote aufzunehmen, dann hätten wir die Situation jetzt auch nicht so, wie sie ist. Was sagst du zu den jetzigen problematischen, teils gänzlich fehlenden Maßnahmen unserer Politik?
Sag’ ich gleich! Aber noch einen Satz zur Individualisierung. Also die Individualisierung ist ein Thema, das sich gesellschaftlich entwickelt hat. Aus der Perspektive der 1980er-, 1990er-Jahre, wo’s sehr viele kollektive Bewegungen gab, sehe ich jetzt eine vergleichsweise stärkere Individualisierung. Es würde mich auch interessieren, wie du das siehst, nachdem du ja eine andere Altersgruppe repräsentierst. Ich habe längere Zeit immer gedacht, die heutige Jugend ist viel unpolitischer und individualisierter. Zumindest habe ich immer öfter diesen Eindruck bekommen, aber vielleicht täusche ich mich da ja auch. Vielleicht reagiert man heute einfach anders auf das, was dir die Gesellschaft liefert, z. B. im Kulturbereich. Wir haben ja auch jüngere Initiativen kennengelernt und mit denen kooperiert, gemeinsame Schwerpunkte entwickelt, eben auch, um junge, urbane Bewegungen zu verstehen und kennenzulernen. Dass sich Junge eben auch neue Bahnen suchen. Also ich weiß nicht, ob’s das heute noch gibt, aber damals gab’s ja u. a. diese Veranstaltung Tanz durch den Tag, das war eine Sache, wo etwas aufpoppt und wo Leute sich Nischen finden. Das habe ich spannend gefunden. Über die Jahrzehnte, Jahre sind wir halt da reingewachsen und sind jetzt eine bekannte, etablierte Einrichtung und machen auch alles sehr professionell. Ich würde mich z. B. heute nicht unangemeldet hinstellen und ein Open Air machen. Ich schau inzwischen immer drauf, dass alle Genehmigungen eingeholt werden, alles perfekt ist. Deswegen freut’s einen auch immer weniger, weil alles so mühsam geworden ist. Und ich glaub’ schon, dass Junge sich da doch vielleicht eher noch Nischen suchen, quasi unter der Brücke auf der Donauinsel, wo man’s einfach tut, bis dann einmal wer draufkommt, die Behörden oder wer auch immer, und dann macht man’s halt später »ordentlich«. Das habe ich eben z. B. bei Tanz durch den Tag ein paar Mal mitgekriegt. Dann haben sie’s einmal absagen oder verschieben müssen, weil auf einmal auch die Bürokratie schwierig geworden ist und lange gedauert hat. Und ich find’ das richtig schlimm, dass solche junge Neuinitiativen oft überhaupt nichts kriegen, nicht einmal 500 Euro, null an öffentlichen Förderungen oder Zuschüssen zu diesen Projekten. Andererseits waren die gar nicht so frustriert drüber, sondern haben gesagt: »Dann machen wir halt ein Crowdfunding!« Da denke ich mir, das sind alles innovative Schienen, die neu entstanden sind und auf die Gegebenheiten reagieren! Das ist die heutige Zeit und die neuen Medien: Du musst fit sein in Social Media, du musst die richtigen Kanäle kennen, du musst überall, wo’s angesagt ist, präsent sein und wissen, was da so aufgebaut wird, und das ist wieder was, wo ich das Gefühl habe, das ist nicht nur Individualisierung. Crowdfunding ist ja auch etwas Gemeinsames. Es gibt ja grad auch bei Jungen heute auch einiges an Fokussierung auf regionale, gemeinsame Initiativen, Food-Coops, Wohngruppen, Kollektive. Das sind ja alles wieder kooperative Projekte. Diese Sharing-Sachen. Ich habe das Gefühl, es ist ein Teil Individualität da drinnen, aber auch eine neue Form an Kooperations- und Nachhaltigkeitsgedanken.
Ich wollt’ grad sagen: Heute haben wir eine neue Art, eine andere Art des Kollektivs. Ich habe das Gefühl, da spielen diese Individualisierungsprozesse durchaus mit rein. Es ist weniger dieses »Wir setzen uns zusammen und ziehen das durch«, sondern eher – auch bedingt durch die ganzen sozialen Medien – ein »Du entscheidest dich ganz eigen und selbst durch deine individuelle Auslotung an Möglichkeiten, wo du gerne dabei sein würdest«. Einer zieht’s auf und gibt die Möglichkeit, wie beim Crowdfunding, dass man eben einen Beitrag leistet, und du entscheidest individuell, ob du mitmachst oder nicht. Natürlich hat das sehr viele gute Seiten, aber eben auch die Seite, dass man sich einfach und ohne viel Konsequenz raushalten kann.
Also wir sind beim Aktionsradius ja seit zehn, fünfzehn Jahren eine Art »Themenveranstalter«. Seit 2007 sind wir in einem kleineren Team und bespielen fast nur mehr das eigene Lokal am Gaußplatz 11 mit Themenschwerpunkten, hauptsächlich mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Und das war damals rund um die Zeit der Finanzkrise – wo ich mir gedacht hab: Es bricht grad die halbe Welt z’samm, sollten wir unser Programm nicht adaptieren und neu thematisieren? So sind wir dann auch immer mehr zu dem geworden, was wir heute sind, dass wir jetzt gesellschaftspolitische und für uns relevante Themen aufgreifen und einen Monat darüber gestalten, mit der Idee, dass wir einen offenen Freiraum des Denkens schaffen, auch etwas der Einspurigkeit des Denkens dagegenhalten, Dinge von Seiten beleuchten, die vielleicht verpönt sind, uns das vielleicht einfach anhören und den Diskurs wieder in Gang bringen. Und ich habe gemerkt: Da gab’s immer wieder Themen in der Reihe, wo ich selbst richtig am Sprung bin und sag’: Man muss jetzt auf die Barrikaden gehen und etwas tun, etwas organisieren – das können wir uns nicht gefallen lassen! Etwa die ganze Bankenrettung oder der Umgang mit Griechenland oder wie jetzt mit Assange umgegangen wurde als Angriff auf die Meinungsfreiheit und langsam natürlich auch die Corona-Politik. Das sind jedenfalls alles so Geschichten, wo ich das Gefühl habe, da muss es doch einen Aufschrei geben! Ich war im Jänner etwa auf den Wiener Assange-Mahnwachen: Natürlich gibt’s sehr ambitionierte Personen, aber man steht da auf der Mariahilferstraße und versucht, Leute auf dieser Konsumstraße anzusprechen, aber stößt irgendwie überall nur an. No chance! Und auch wenn ich meine Kinder frag’, die alle politisch interessiert sind und sich das auch einmal anhören, aber dann nicht so gleich »laut werden« würden – das ist, was wir in unserer Generation halt so kennengelernt haben! Mit Hainburg, mit Zwentendorf, mit der Friedensbewegung. Diese Mittel funktionieren heute irgendwie nicht mehr.
Sie funktionieren schon, nur halt im extremen Maß. Eine Demo muss halt gleich ein »Event« sein. Aber ich finde, im Kleinen hat man diesen wütenden Willen, von dem du sprichst, ja schon auch etwas in den Donnerstagsdemos damals gesehen. Es spielt aber auch diese Links-Rechts- Dualität in den letzten Jahren der Abschwächung einer Demonstrationskultur zu, habe ich das Gefühl.
Dieses Rechts und Links ist für mich eine fatale Geschichte, wir thematisieren das hier auch oft. Du bist ja heute entweder sofort ganz links oder ganz rechts, und meiner persönliche Meinung nach ist es wichtig, dass wir bei diesen zentralen, wichtigen und großen Herausforderungen diese Brücke mal überwinden müssten. Ich meine, das heißt jetzt nicht, dass ich gerne mit Rechtsradikalen kooperieren möchte. Aber ich meine trotzdem, dass man gerade themenspezifisch den Raum öffnen könnte. Wir haben ja auch hier Anfeindungen gekriegt. Einmal ist bei uns einer bei einem Referenten aufgesprungen und hat gesagt: »Holt’s ihr da die Kellernazis raus, oder was?!« Wenn ich zurückschaue zu allen Themen, die wirklich brisant waren, ob das die Finanzkrise war oder der Syrien-Konflikt, Israel-Palästina, die Ukraine-Krise, der Jugoslawien-Krieg, Amerika, Russland, Trump ja/nein und auch jetzt Gesundheit, Corona, Freiheit, Angriff auf die Grundrechte usw. Wenn du dir da alle Themen anschaust, entsteht da immer sofort eine Spaltung der Gesellschaft in ungefähr 50:50, so wie etwa Van der Bellen–Hofer. (lacht) Und genau das hindert auch daran, dass einfach eine starke Bewegung zustande kommt oder auch eine Friedensbewegung. Auch bei Hainburg hat man im Nachhinein immer gesagt: Hainburg war eine Verbindung von Linken und auch eher Rechten. Die Umweltbewegung war z. B. immer so.
Und dann gibt’s natürlich die Masse an Menschen dazwischen …
… die schon gar nichts mehr davon hören wollen!
Aber ich denke mir, dass sich diese fehlende Energie eben auch anderswo abladen kann. Bei »unpolitischeren« Events. Und das passiert auch.
Oder vielleicht ist es das beim »Event« an sich so. Es ist ja trotzdem ein Geist da in der heutigen Jugend. Also ich kenn’ schon sehr viele sehr kritische Ansätze, die etwa die Globalisierung positiv, aber auch kritisch sehen. Oder auch wenn man zurückgeht auf die Auseinandersetzung mit dem Essen. Menschen, die sich wieder im Kollektiv zusammenschließen und jetzt anbauen oder einen Bauernhof übernehmen wollen. Also, das ist jetzt vielleicht nicht die Masse, aber es gibt sie. Menschen, die solche neuen Lebensformen auch denken. Und prinzipiell glaub’ ich, dass alles seine Zeit hat: Die Jungen müssen sich eben ihre eigenen Freiräume finden. Alles andere ist ja eben schon belegt mit Schwarz/Weiß, Links/Rechts usw. Wo ordnet man sich denn da groß ein? Ich fänd’s super, wenn einmal was Neues entstehen würde, was das alles mal beiseitelassen und dann aber trotzdem auch mitmischen würde. Ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass die Jungen nicht mehr interessiert, was die SPÖ da mit der ÖVP tut und umgekehrt oder auch Grün, Blau, Pink – das ganze Parteiensystem. Wen interessiert das eigentlich im Moment?
Um jetzt wieder den Kreis zu schließen: Viel von dem, was du gesagt hast, lässt sich ja auch in der derzeitigen Situation wiedererkennen. Wie hast du in der jetzigen Zeit den Überblick behalten und was hast du für Sachen bemerkt in deinem Umfeld?
Also Corona … Meine persönliche Meinung ist die: Ich habe am Anfang auch eine gewisse Unsicherheit über die Einschätzung der Lage bemerkt. Also von daher habe ich am Anfang ein derart entschlossenes Herangehen an die Situation als eher positiv bewertet. Hab’ aber in meinem Umfeld auch Leute gehabt, die ein gutes Sensorium hatten und die nach zwei Tagen schon gesagt haben: »Wir wollen ein Facebook-Posting machen und uns gegen diese Repressionen wehren, bist du mit dabei?« Ich habe kurz nachgedacht und gesagt: »Ja, du, im Moment hab’ ich das Gefühl, dass ich noch nicht dabei bin, weil ich kein Gefühl dafür hab’, wie ich diesen Virus einschätzen soll.« Die Gruppe hat sich aber auch gleich positioniert und sofort dieses »Freiheit vs. Volksgesundheit« kritisiert, also dass im Namen der Volksgesundung diese Repressionen eingeführt werden. Ich persönlich hab’s eher positiv empfunden, weil ich’s zuerst als sehr klar empfunden hab’, weshalb ich mich schnell da einfinden können hab’. Aber nach ein paar Wochen, so um Ostern, bin ich dann unrund geworden, weil meine Eltern sind 85 und leben am Land. Als ich die immer weiter besuchen wollte und dann im Bekanntenkreis und auch von der Regierung nur Stimmen gehört hab’, dass ich das nicht machen kann, nicht machen darf! Was heißt das, das ich sie nicht mehr besuchen kann? Meinen Eltern ist das Betreuungsnetz zusammengebrochen, die Pflegerin ist mit dem letzten Zug nach Rumänien gefahren, die sind da allein und wir kommen alle nicht mehr! Also da war dann schon eine ziemliche Ambivalenz in mir. Wir haben dann auch vier Wochen diesen Besuch eingestellt und mittlerweile tu’ ich mir sehr schwer mit der aktuellen Politik. Das ist einfach alles schon viel zu lange! Der Anfang war ganz okay, aber dann hat man’s in Österreich versäumt, weiter ein Vorbild zu sein! Also erstens glaub’ ich persönlich, dass auch Lockerungen viel früher möglich gewesen wären. Man hätte doch mehr auf Eigenverantwortung setzen können. Und einfach Dinge betonen, die gesellschaftlich vielleicht etwas verlernt wurden, so wie Händewaschen und prinzipiell Hygiene, genauso wie doch einfach ein bissl Abstand zu halten oder wenn man krank ist, zu Hause zu bleiben. Man merkt ja jetzt, unter welchem Druck unsere Gesellschaft war, wie alle immer im Produktionsprozess sein müssen und man dann nicht mehr automatisch mit Schnupfen Kinder zu Hause lässt oder selbst daheimbleibt.
Na absolut, wenn man nur dran denkt, wie oft Leute krank zur Arbeit gegangen sind.
Andererseits gab es dann diesen immer fortwährenden Sprachduktus mit seinen Regelungen und Maßnahmen, der sich in den Medien verbreitet und mich sehr skeptisch gemacht hat. Also wirklich kritisiere ich ja, dass ich das Gefühl hab’, dass die allgemeine Denkrichtung in ihrer Ausrichtung und für die Meinungsbildung eine Einbahnstraße geworden ist, wie fast alle Themen unserer Gesellschaft. Ich glaub’, man muss genau das im Nachhinein diskutieren. Bei einer abschließenden Corona-Bewertung müsste man auch alle anderen »Corona-Opfer« betrachten – Menschen, die Existenz und Job verloren haben, die keinen Ausweg mehr sehen, die häusliche Gewalt erlebt haben, die in Depressionen oder Selbstmord getrieben worden sind, die vereinsamt sind, keine Besuche haben durften, würdelos gestorben sind, nicht mehr voneinander Abschied nehmen durften … oder deren Gesundheitszustand sich verschlechtert hat, weil sie nicht operiert und adäquat betreut wurden in der Corona-Zeit. Da ist schon sehr tief in menschliche und persönliche Agenden eingegriffen worden! Und einseitig. Ein Punkt, den ich außerdem kritisiere, ist, dass ich das Gefühl habe, dass es inzwischen auch so viele Stimmen gibt, gerade im gesundheitlichen Bereich, Stimmen, die man nicht einfach damit abtun kann, dass man sagt, die sind irgendwie dubios und Verschwörungstheoretiker*innen. Es gibt etwa auch viele Ärzt*innen in Deutschland und auch Österreich, die ich persönlich als renommierte Ärzt*innen empfinde, die eine andere Meinung haben. Ich sag’ jetzt nicht, dass die Meinung richtig ist, wenn sie das verharmlosen. Aber was ich vermisse an der Regierung und der offiziellen Politik, ist, dass man nicht einfach einen Meinungsfreiraum öffnet und sagt: Es ist ein Thema, das wir alle nicht genau kennen und wissen, und wir tasten uns letztlich ein bisschen heran an die Sache. Wir hören, dass es auch viele verschiedene Meinungen gibt und wir bringen die alle mal an einen Tisch und hören uns die einmal an. Es werden alle, die eine andere Meinung haben, total kaltgestellt. Eine andere Sache ist die, dass wir ja anfangs mit täglichen Todeszahlen konfrontiert wurden. Das hätte man ja auch bei der Influenza machen können! Das ist einfach eine Art, die eine Gesellschaft unter Druck bringt und in Angst versetzt.
Na ja, klar, man könnte ja auch dezidiert jeden Tag eine Statistik aller Verkehrstoten ausstrahlen, macht man halt nicht.
Ja, und was ja, glaub’ ich, auch erwiesen ist, ist dass diese Corona-Statistik schon ihre Schwächen hat. Die Transparenz vermisse ich aktuell sehr. Es wird immer nur vorgegeben und vorgegeben. Wie gesagt: Die Entschlossenheit am Anfang war aus meiner Sicht gut und auch wie am 6. April damals in der Pressekonferenz gesagt wurde, dass bis Ende Juni keine Veranstaltungen mehr sind, hab’ ich‘s zumindest positiv gefunden, dass es klar ist und wir nicht von Woche zu Woche in Unwissenheit gelassen werden, ob wir organisieren sollen oder nicht! Mittlerweile habe ich das Gefühl, diese Klarheit ist abhandengekommen und vermissen nun viele! Mittlerweile kippt die Stimmung in der Bevölkerung insgesamt, aber eben auch in der Kulturszene! Es gibt viele Initiativen, die jetzt laut werden. Und jetzt, wo alles wieder langsam aufmacht, muss man sich wirklich fragen: Warum darf man im Flugzeug nebeneinandersitzen und im Theater nicht?
Wenn man sich etwa diesen Raum jetzt so anschaut, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, eine abstandsadäquate Veranstaltung zu machen!
Ich glaube, die Kunst und Kultur waren eh sehr kreativ, die haben ja schnell reagiert mit Streaming-Angeboten und Online-Diensten, aber die haben eben auch irgendwann ein Ende! Das kann man halt nicht ewig machen. Kultur lebt schon von der Begegnung der Menschen und das muss irgendwann wieder möglich sein und auch diese Perspektive klar vermittelt werden! Es gibt ja Beispiele, dass auch andere Wege möglich sind – dass man sich da auch durchaus Denkraum zulassen kann. Man muss aus dieser ersten Schockstarre aufwachen! Ich habe schon das Gefühl, dass wir inzwischen in einer autokratischen Diktion gelandet sind. Und auch gesetzlich sind wir so aufgestellt, dass eine Gesellschaft im Moment lahmgelegt ist. Etwa beim Veranstalten: Ich hab’ mich ja erkundigt, wie’s als Verein ist, und auch von einem Vereinsrechtsexperten eine Info bekommen: Es ist erstens natürlich ein bissl fad und ungemütlich, man muss halt die 10-Quadratmeter-Abstandsregel einhalten, man muss sicherstellen, als Vereinsvorstand, dass das eingehalten wird, dass die Maskenpflicht eingehalten wird usw. Und wenn dann aus diesem Vereinslokal jemand hinausgeht und sagt, er hat sich hier angesteckt, dann ist der Vereinsvorstand haftbar. Ich mein’, es will ja niemand für sowas dann rechtlich haften und ich finde, das müsste man mitdenken. Niemand kann dafür haften, auch wenn wir zwei hier jetzt sitzen und du hast danach Corona: Wir können doch gar nicht dafür haften! Wir sitzen hier grad mit einem Abstand, aber wir wissen ja trotzdem nicht, ob wir’s jetzt beim Einkaufen oder woanders aufgeschnappt haben. Also, ich glaub’, das alles kontrollieren zu wollen, das geht nicht! Man sollte halt auch die Hoffnung auf eine Impfung nicht zu sehr fokussieren. Das dauert erstens viel länger, als man denkt, bis sowas seriös entwickelt wird, und außerdem: Nächstes Jahr gibt’s COVID-20, Viren versändern sich ja, das ist nix Statisches! Da bin ich schon gespannt, wie’s gesellschaftlich weitergeht, inwieweit die Gesellschaft wieder aufwacht, und ob dann auch all jenes wieder zurückgebaut wird, was jetzt mal schnell eingerichtet wurde in der Krise. Es wird notwendig sein, dass sich die Gesellschaft da als Ganzes wieder auf die Füße stellt und wir uns das nicht gefallen lassen, dass da Grundrechte zurückgebaut worden sind! Im Moment kann ich nicht wirklich abschätzen, wo sich die österreichische Regierung da gerade befindet. Ein bisschen überrascht und schockiert war ich durchaus auch von den Grünen, allein vom Sprachduktus. Der Werner Kogler hat da ja schon vor ein paar Wochen in einer sehr rigiden Sprache gesagt, da werden sie sonst andere Maßnahmen aufziehen! Wo ich mir gedacht hab’, das hätte ich ihm nicht zugetraut. Ich mein’, vor Kurzem erzählte mir eine Bekannte, dass sie schon glaube, dass das eine ernste Lage ist, und dass wir uns dem unterstellen müssen, aber dass sie gar nicht dran denken will, wie das bei Innenminister Kickl gewesen wäre. Da hätte sie nicht so mitgehen können mit den Maßnahmen. Und ich habe mir da eigentlich gedacht, das ist ja eine interessante Fragestellung: Möglicherweise wäre unterm Minister Kickl sehr viel schneller ein Widerstand gekommen. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass die ganze Szene und wir uns alle so brav verbarrikadiert hätten. Selbst wenn es dieselben Argumente oder Fakten gewesen wären! So gesehen habe ich mir schon gedacht, dass vielleicht gerade das Fatale ist, dass die Grünen da mit im Boot sitzen, denen man das nicht so zugetraut hat.
Es wäre interessant, das Gespräch in zwei Monaten zu wiederholen.
Ich mein’, in Deutschland habe ich letztens gelesen, dass sich jetzt eine Widerstandspartei 2020 gegründet hat. Das ist ein Arzt, ein HNO-Arzt und Rettungsmediziner, und der hat gesagt, dass er da leidenschaftlich dabei ist und es auch als HNO-Arzt gewohnt ist, Viren einzuschätzen und auch im Umgang mit Viren die ersten Maßnahmen zu treffen. Jedenfalls meinte der, dass es in einer Krise das Allerschlimmste ist, dass du Panik verbreitest. Das lernt jede*r Anfänger*in als Rettungsmediziner*in. Er könne sich auch nicht als Kapitän aufs Schiff stellen und zu den Passagieren sprechen und ganz ruhig sagen: »Wir haben ein Leck, es tut uns leid, wir haben leider nur ein Rettungsschiff, aber wir werden unser Bestes geben, dass wir da gut über die Runden kommen.« Das kann man nicht machen, denn dann bricht die Massenpanik aus. Und letztlich hat’s die Regierung irgendwie so ähnlich gemacht: Wir haben zu wenig Betten und es kommt eine Masse an Intensivpatient*innen auf uns zu. Deutschland hat da ja sogar von Millionen Toten gesprochen … es wird da schon sehr mit der Angst Politik gemacht. Gleichzeitig ist das nächste Problem eine zu erwartende Wirtschaftskrise. Da wird noch was Großes auf uns zukommen. Aber wenn die jetzt schon anfangen, von der zweiten Welle zu sprechen …
… dann ist das vielleicht nicht die richtige Herangehensweise, zu reagieren.
Also persönlich-gesellschaftlich gesehen ist das ja auch ein interessantes »Experiment«. Eine Erfahrung, wo ich mir denke: Das hätte man nie für möglich gehalten, dass wir sowas erleben, so ein »Reset«. Auf einmal ist der Himmel wieder blau, wie in unserer Kindheit. Also das habe ich richtig wahrgenommen, dass da keine Streifen mehr sind, einfach ein blauer Himmel! Aber auch im Persönlichen: Ich glaube, dass prinzipiell jede Krise auch eine Chance sein kann. Die Frage ist nur, wie wir uns danach gesellschaftlich aufstellen, und die Anzeichen scheinen halt zurzeit nicht so ganz positiv, vor allem, wenn man auch die Entscheidungsstrukturen und Entscheidungsakteur*innen kennt. Aber andererseits – Ilija Trojanow hat das gesagt: »Es ist der Weckruf zur Transformation.« Und das kann man in globalen Zusammenhängen sehen, in Wirtschaftsverhältnissen, Umweltbedingungen … aber auch im Privaten. Dass diese Auszeit und dieses Innehalten durchaus eine Quelle ist für eine Transformation und eine neue gestalterische Kraft.