Chris-Eckman-Porträt ~ Heute als Gestern von Morgen.

Als es noch Handlungsreisende gab, die todsichere Produkte einem treuen Klientel feilboten, kamen diese nach ihren Geschäftsreisen nach Hause und erzählten von ihrem Alltag. Die Höhepunkte überragten kaum die Tiefen, die Neuigkeiten waren Nuancierungen des Dagewesenen. So stell ich mir das Leben eines Musikers vor, der seit Jahrzehnten fast immer Ähnliches vorbringt: Treue Fans, vorhersehbare Musik, ausreichendes Einkommen; weil fleißig. skug hat mit Eckman über seine Arbeit gesprochen.

Entspannt trinkt Chris Eckman Pfefferminztee, der Soundcheck für den Auftritt von L/O/NG im Rahmen des Blue Bird Festivals Ende November war kurzweilig, die Zeit bis zum Auftritt mit Rupert Huber (Tosca) noch geraum. Es ist der allererste Liveauftritt des Duos, das mit seiner LP »American Primitives« die Hörer verblüffte. Eckman, der immer als ??der von den Walkabouts?? gilt und Huber, der Soundtüftler, einigen sich auf die Magie des Songs: »Die Essenz eines Songs ist grundsätzlich die Wirkung des Songs. Ein gro&szliger Song ist etwas, das dich berührt. Wie es gemacht wird und welches Genre, ist Nebensache. Wir hängen uns zu sehr an Genredefinitionen auf: Techno, World-Music, Folk, Americana – die meisten Kategorien funktionieren einfach nicht, und haben auch nichts mit der Qualität eines Songs zu tun«.

Mehr als zwanzig Alben hat Eckmann eingespielt und unzählige produziert. In den letzten beiden Jahren arbeitete er an vier gro&szligen Projekten – wie er es nennt: Dirtmusic, die Kollaboration mit Hugo Race und Chris Brokaw, Tamikrest, die Band der Tuareg, L/O/N/G und eben gerade den Walkabouts. Ein flei&szligiger Mann: »Ich muss etwas arbeiten, Nichtstun liegt mir nicht. Wenn mich ein Projekt fasziniert, dann kann ich nicht Nein sagen, ich bin dann dankbar, dass ich die Chance bekomme etwas Interessantes zu tun. Ich entscheide was mir passt, jetzt z. B. Projekte, die sich konkurrieren – L/O/N/ G konkurriert gerade mit den Walkabouts. Ich mach‘ eigentlich nichts für Geld, als Künstler mach‘ ich was ich will, und wenn es mal misslingt, dann ist es Zeit für eine Pause«.

Ein Amerikaner in Slowenien

Fast zwanzig Jahre nach dem Start mit den Walkabouts übersiedelt Eckman 2002 physisch nach Slowenien. Laibach wird das Zentrum seines Universums, er baut dort sein Studio und feiert fast unbemerkt seine Erfolge: Als Produzent verhilft er den norwegischen Midnight Choir, ebenso wie dem polnisch/walisischen Duo Lipincka/Porter zu Gold. Ein Europäer mit amerikanischen Wurzeln? » Ich habe Amerika nicht aus Hass verlassen, sondern weil ich eine bezaubernde Slowenin geheiratet habe. Ich bin kein Europäer, das wäre Prahlerei. Ich übersiedelte mit 42, da erfindet man sich nicht neu. Was mich an Amerika stört, erlebe ich hier nun hautnah. Als der zweite Irak-Krieg losging gab es auch in Laibach Proteste: Ein Protestzug sollte zur amerikanischen Botschaft gehen. Es war ein friedlicher Protest mit Familien. Aber die Polizei sperrte den Weg zur Botschaft auf Gehei&szlig der US-Regierung ab. Da staunte ich nicht schlecht. Angenommen Amerikaner würden gegen Slowenien protestieren, niemand würde das kümmern. Aber die USA können das. Dieses Gro&szligmachtgehabe ist nicht gerade schmeichelhaft«.

In Slowenien hat sich Eckman gut integriert. Ein Album mit der Musikikone Vlado Kreslin, sowie mehrere Soundtracks für das Fernsehen; 2008 erhielt er den slowenischen »Guest Star Award for Culture«. »Slowenien ist sehr klein, meine Frau gab mir den besten Tipp: ??Halt dich zurück??. Ich fand mich schnell zurecht, fand die richtigen Leute. Viele kleine Länder sind widersprüchlich: Was von au&szligen kommt ist schlecht, aber gleichzeitig auch besser. Alles ist da beschissen, im nächsten Moment ist Slowenien das beste Land der Welt. Ich glaube alle Länder haben dieses zwiespältige Persönlichkeit, aber kleine Länder besonders, das muss man halt akzeptieren«.

Slowenien hat nicht mehr Einwohner als Seattle und Umgebung, aber hier es gibt nicht jene ??kritische Masse??, die sich dort bündelt. Die Talente, die es gibt, können kaum überleben. Nach in etwa zehn Konzerten hat man alles durchgespielt, da wird keine Band alt. »Es gibt ja kaum slowenische Neil Youngs oder Bob Dylans – au&szliger Vlado Kreslin, aber der ist schon über sechzig«.

Die Wüste bebt

In der westafrikanischen Sahara lebt das Volk der Tuareg. Eine ethnische Minorität, die (ähnlich den Kurden) kein eigenes Staatsgebiet, sondern nur vage zugeordnete Siedlungsgebiete zwischen Mali, Niger, Algerien und Libyen hat. Der ständige Kampf um die Daseinsberechtigung wirkt stark identitätsfördernd und macht das Berbervolk begreiflicherweise anfällig für die Akzeptanz sozialromantischer Projekte. Libyens schillernder Potentat Muammar Gaddafi träumte von einer westafrikanischen Rebellenarmee, als schlagkräftiges Instrument zur Durchsetzung seiner au&szligenpolitischen Phantasien. Junge Tuareg waren schnell zu finden. Mitte der 1980er Jahre fand sich so auch Abdallah Ag Alhousseiny, Gitarrist der (westafrikanischen) Ikonenband Tinariwen (übersetzt: »das Bündnis«) in Gaddafis Rekrutierungs-Camp ein: »Wir haben von Gaddafi profitiert«, sagt Alhousseiny, »da war zuerst die Ausbildung und dann das Camp, wo wir uns treffen, kennenlernen und vor allem über unsere Schwierigkeiten sprechen konnten. In der Wüste ist das nicht möglich, sie ist einfach zu gro&szlig«. Den Soundtrack dazu lieferten Kassetten von den Dire Straits bis Bob Marley. Alhousseiny und seine Mitmusiker verlie&szligen bald die Camps und die Kassetten nahmen sie mit. Eine Generation später sind Gaddafis Camps Legende, aber für die jungen Tuareg kein Thema. Ihre Väter starben im Sudan, im Tschad, im Libanon – zeitgeschichtlich immer an der falschen Frontseite, für die Tuareg hat sich nichts geändert.

2008 spielen Eckman, Hugo Race und Chris Brokaw, also Dirtmusic, am Festival au Désert in Mali. Im Zelt nebenan jammen junge Tuareg. Tamikrest – »der Knotenpunkt« – spielen statt in der Garage im Zelt. Noch rocken sie nicht. Eckmann und Co. finden in der Wüste die Essenz der Musik: Musiker machen Musik, ohne Ablenkung, sind fasziniert davon, mit den unerfahrenen Tuaregmusikern drei Tage einfach nur zu jammen. Ein Hippietraum unter Sand und Sonne. Ein Jahr später nehmen Dirtmusic ihre zweite LP und Tamikrest ihren Erstling in einem Durchgang in Bamako Mali auf. Ein Wendepunkt für Eckman: »Ich lernte besonders von Ousman Ag Mossa, dem Gitarristen und Sänger von Tamikrest viel. Er wei&szlig genau warum er Musik macht: Er macht Musik als Stimme für die Tuareg mit kristallklarer, direkter Gewissheit. Wir machen oft Dinge oft nur deshalb, weil wir sie schon einmal gemacht haben. Ohne diesen Sinn für Gewissheit und Zweck. Er aber wei&szlig, es macht Sinn zu wissen, warum man Dinge tut, sein Antrieb ist Zuversicht«.

Nebenbei verstehen sich Tamikrest nicht als World Musiker, sie sehen sich als Rockmusiker. Ihre Helden sind Clapton, Santana oder die Dire Straits. Und warum gelten sie nicht als Rockmusiker? – »Weil sie aus der Sahara kommen.«

Zurück zum Ursprung?

Die Zusammenarbeit zwischen Dirtmusik und Tamikrest war das Beste was Eckman passieren konnte. Er konnte seine Talente als Produzent voll ausspielen: »Ich komme nicht ins Studio und sehe ein unförmiges Etwas, dem ich Gestalt gebe. Mein Thrill besteht darin, neue Perspektiven zu setzen, aber die Musiker müssen wissen, was sie wollen, ich habe kein Interesse an Leuten, die das nicht können«. Dirtmusic als Sammelbecken von drei Alphatieren und Tamikrest als selbstbewusste Newcomer produzierten Bemerkenswertes: das Album »BKO« Der gegenseitige Einfluss ist unüberhörbar.

Eckman muss sich nicht in den Vordergrund stellen, sondern einfach nur Gitarre spielen oder blo&szlig produzieren. »Alle sind erfahrene Musiker, da muss keiner den anderen stützen.« Eckman gesteht ein, das erste Album, Dirtmusic, sei zu früh erschienen, zu hastig produziert worden und daher dem Begriff »Dirtmusic«, wie ihn der australische Autor Tim Winton im gleichnamigen Buch beschreibt, als »alles, was man auf der Veranda spielen kann, ohne Strom« ungewollt allzu gerecht wird – und eben irgendwie »alles und Nichts« sei. »BKO« wird damit zum Referenzwerk des »neuen Eckman«.

Mehr Zweifel plagen ihn beim Relaunch der Walkabouts. Die Schatten der Vergangenheit sind lang, da die Sonne weit entfernt längst schon Andere zum Strahlen bringt.

»Wir haben vor drei, vier Jahren schon einmal darüber nachgedacht, eine Platte zu machen, aber einige in der Band meinten, zur Zeit keine gute Platte machen zu können, weil sie weder Zeit dafür hatten noch einen Zweck oder das Ziel sahen. Ich wollte 100%-ig keine Platte aus Nostalgiegründen machen, oder weil die Band mal wieder auf Europatour gehen will. Ich wollte die beste Platte machen, die wir machen können und kein nostalgisches Exerzitium. Das muss wirklich gut werden. Das muss stark werden, aber wir müssen wir selbst bleiben. Wir müssen unsere Stärken zeigen, aber keine gro&szligen stilistischen Weiterentwicklungen hervorzaubern. Wir müssen uns nicht neu erfinden. Seit der letzten LP sind sechs Jahre vergangen, aber die Walkabouts bleiben die Walkabouts. Keiner macht das, was wir machen«.

Der flei&szligige Mann kennt nicht nur Höhen, Nachdenklichkeit plagt ihn, wenn er zurückblickt: »Man muss etwas romantisch sein, um so wie wir ein Album zu machen. Meine Projekte betrachte ich rückblickend: Manches halte ich für meine beste Arbeit und andere tun das nicht; das macht mir nichts aus; ich bin da ambivalent. Aber ich schau eigentlich immer nach vorne«.

Das verbindet ihn mit dem Handlungsreisenden, das Gestern ins Heute zu retten und über das Morgen später nachzudenken.

Walkabouts: »Travels In The Dustland« (Glitterhouse/Hoanzl 2011)

L/O/N/G: »American Primitive« (Glitterhouse/Hoanzl 2011)

Tamikrest: »Toumastin« (Glitterhouse/Hoanzl2011)

Dirtmusic: »BKO« (Glitterhouse/Hoanzl 2010)

Walkabouts on tour:
14. 1. 2012 Kino Ebensee, 15. 1. Szene Wien

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