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Francisco López, Soundbild(n)er

In seinem extrem umfangreichen Werk lässt der spanische Klangforscher Francisco López seit gut 25 Jahren die Zuhörer in Welten zwischen Regenwald und Häuserschluchten eintauchen und verfolgt dabei eine Sound-Art mit Absolutheitsanspruch.

López is playing on the keyboard of silence.

»Bad Alchemy«, USA

Original erschienen in skug #76, 10-12/2008

Der aus Madrid stammende Biologie-Professor und Musiker betreibt Soundstudien, die sich mit Klang in seiner reinsten Form beschäftigen: In seiner strikten Herangehensweise an elektronische Musik blendet er sämtliche Erwartungen aus, diese visuell zu decodieren. Sein Werkkatalog umfasst an die 200 Aufnahmen namens »Untitled«: »Wozu soll ich mir Titel überlegen? Dazu habe ich keine Zeit«, macht er unumwunden klar. Dementsprechend haben die meisten CDs keine Track-Indices und egal ob Club oder Konzertsaal, er spielt in möglichst abgedunkelten Räumen. Also war beim letztjährigen Grazer Festival »musikprotokoll«, zu dem López auf Initiative von skug eingeladen worden war, der Raum nur von der Notbeleuchtung erhellt, er stand mit seinem Instrumentarium in der Mitte, die Sesselreihen darum konzentrisch – aber, wichtig: nach außen gedreht – aufgestellt und das Publikum war mit Augenbinden versorgt worden.

Das ist keine Schikane, sondern die bewusste Absicht, die Aufführungspraxis elektronischer Musik wieder in Richtung Sound-Art beziehungsweise Musique Concrète zu verorten und die visuelle Auswertung des Gehörten dem Zuhörer selbst zu überlassen. Sein radikaler Purismus brachte dem Spanier gleich zweimal einen Anerkennungspreis der »Ars Electronica« ein.

Ähnlich wie Pomassl verhängt er ein Bilderverbot über seine Musik, um damit zu einem veritablen Bilderstürmer zu werden. Schließlich fällt für López die frontale Bühnenpräsenz in die für ihn als totalitär empfundene, aus dem Opern- und Rock’n’Roll-Kontext bekannte Guckkasten-Situation zurück. Für die Live-Shows ist folglich neben einer guten Anlage auch der Raum von fundamentaler Bedeutung. »Die meiste Konzentration fließt in die Auslotung der mittleren Hochfrequenzen im Bereich 800-3000Hz, um einen möglichst breiten und transparenten Soundscape in Echtzeit bereitzustellen. Klar hat das mit Psychoakustik zu tun. Ich verwende dafür viele Grafik-Equalizer, Fade-Ins und Fade-Outs können schon mal 15 Minuten dauern.«

 

Akusmatische Räume

lopez2004_2.jpgAnders als in der Bioakustik, in der biologische Klangphänomene nach standardisierten Methoden ausgewertet werden, hebt López dezidiert den persönlichen Zugang hervor. Dies umso mehr, um von der vielerorts sehr technologielastigen Diskussion innerhalb der experimentellen elektronischen Musik wegzukommen, hin zu dokumentarischen Assoziationen, in denen die uns umgebende Umwelt wie mit einem Radar abgetastet wird.

»Der Grund, warum ich diese umweltbezogene Perspektive einfordere, ist nicht, dass sie ›kompletter‹ oder ›realistischer‹ wäre, sondern weil sie eine veränderte Wahrnehmung von Wiedererkennen und Differenzierung der Soundquellen hin zum Verständnis der daraus resultierenden Soundproblematik einfordert. Es ist eine traurige Simplifizierung, sich auf das traditionelle Konzept zu reduzieren, Musik in der Natur ›finden‹ zu wollen«, schreibt López 1998 in seinem Online-Essay »Environmental Sound Matter«.

Im Interview fügt er hinzu: »Es geht schlicht darum, den Akt des Zuhörens in einer möglichst unver- fälschten Weise durchzuziehen. Dieser absolute Anspruch kann nur dadurch erzeugt werden, dass sämtliche visuelle Informationen ausgeblendet werden. Ich will mich und das Publikum in Sound versinken lassen. Das kann der Regenwald sein, eine urbane Situation oder eine Konfrontation mit sich selbst. Akustische Illusion ist dabei ein fundamentaler Punkt. Da es in der experimentellen elektronischen Musik nicht mehr nötig ist, den Künstler zu sehen, ergeben sich dadurch spannende Möglichkeiten, den Raum zu bespielen. Ich habe während meiner Forschungsreisen oft in der Nacht gearbeitet. Im Urwald ist es stockdunkel, und sein Klang ist gelinde gesagt massiv. Diese Eindrücke haben mich sehr geprägt. Die Komplexität, die Dynamiken und die ›Fremdartigkeit‹ dieses akustischen Raums sind überwältigend. Der Regenwald ist quasi per Definition ein akusmatischer Raum.« 

bn012CD.jpgDie Beschäftigung mit einem absoluten Anspruch der akustischen Wahrnehmung gegenüber bringt López sowohl in Metropolen weltweit wie in die hintersten Winkel tropischer Regenwälder, um von dort per Fieldrecordings eingefangene Momentaufnahmen mitzunehmen. »Meine Arbeit in der freien Natur hat für meinen Kompositions- prozess einen wesentlich wichtigeren Stellenwert als die mich umgebende Musik. Durch Feldforschungsstudien lässt sich eine stimmige Schnittmenge zwischen meinem musikalischen und meinem biologischen Ansatz herstellen. Ich versuche, für meine Fieldrecordings Orte zu finden, die möglichst wenig menschliche Geräusche aufweisen. Solche Orte zu finden wird immer schwieriger. Sounds von Maschinen weisen immer eine bestimmte Repetition auf. Derartige zyklische Sounds gibt es in der Natur nicht. Ich arbeite mit Soundobjekten, nicht mit der Repräsentation von Musik. Soundobjekte kartografieren virtuelle Territorien, die außerhalb der Welt existieren. Aber ich nehme nicht isolierte Objekte auf, sondern ein ganzes Environment, das dann entsprechend bearbeitet wird. ›Realität‹ ist dabei eine irrelevante Kategorie.«

»Because the sound radiates from his/her position, the player of an acoustic instrument cannot be the generative actor and the receptor-as-audience at the same time. For three different reasons the electronic musician can. First, because of the alluded to electronic separation, which allows him/her to be in the audience area hearing what the audience is hearing. Second, because of the possibility of simultaneous control over generative and phenomenological aspects of sound (that is, ›playing‹ and ›making the sound‹ at the same time). While the rock lead guitar could hardly EQ his/her sound while doing the tricky solo, the electronic musician is normally doing it as he/she tweeks around a myriad of other things. And third, because of a much smaller scale gear set-up (instead of a large area with drumkit, space for microphones, guitars etc.), which makes possible a closer approxi- mation to the receptor-as-audience situation and also to minimize the portion of the ›hot spot‹ area not available for the public. […] Having nothing to contemplate visually in the traditional sense makes possible the departure from frontal sound. As opposed to the directionality of visual elements, sound is perceived coming from every direction. Even the panorama solution implies instant directionality of the perception. Sound perception is simultaneously multi-directional. In a live event this allows immersion, intensified phenomenological experience, to ›be inside‹ the sound instead of listening to it, achievable by very simple and widely available technical means: An array of speakers around the audience controlled from the center of the space.« (Aus López‘ Online-Essay »Against The Stage«, 2004.)

  

 

Soundarchäologie als Feldforschungsstudien

»Ich bin davon überzeugt, dass jeder Sound Musik sein kann, aber nicht, dass er Musik ist«, schreibt Francisco López im Festivalkatalog »Sonic Process« (2002). Er befreit in seinem auf mehr als 140 Labels verteilten Output Sounds davon, sich als Musik gebärden zu müssen. Weit davon entfernt, ein »außermusikalisches« Instrumentarium musikalisieren zu wollen, handelt es sich dabei freilich um Kompositionen, die von Technologie, Aufführungssituation und persönlichem Geschmack deter- miniert sind. Diese werden allerdings so weit entschlackt, bis nur noch organisierte Audio- phänomene übrig bleiben. Hört man sich seine frühe Scheiben an und vergleicht sie mit aktuellen, wird schnell klar, dass er praktisch von Anfang an einen bestimmten Stil kultivierte, der sich im Laufe der Jahre immer verfeinerte und detailreicher wurde.

Durch die Fieldrecordings von Insekten und Mikroorganismen aus dem Regenwald von Costa Rica (»La Selva«, V2, 1997), Stadttopografien (»Untitled #164«, Unsounds, 2006), Medien (»Untitled #92«, mego, 2000) und Psychogeografien (»NAV/Flex«, zusammen mit John Duncan, Allquestions, 2001) macht López »archäologische« Sounds erfahrbar. Seine Musik der Drones impliziert zudem meist einen bewusstseinserweiternden Zustand, bei dem sich organische und industrielle Sounds über- lappen und der imaginäre Bilder von »exotischen« Orten heraufbeschwört.

Der Musikjournalist Marcus Boon schreibt im 2003 von »The Wire« herausgegebenen Sammelband »Undercurrents«, dass Drones »mitten aus dem Herzen des Modernismus und aus der Domäne von Maschine, Mathematik, Chemie etc. heraufsteigen, [sie] leiten uns nicht von vorne oder hinten, sondern von der Seite in ein offenes Aktionsfeld hinein, das immer im Dialog mit archaischen oder traditionellen Kulturen steht.«

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 Foto: Karen Huxham

López konfrontiert uns insofern mit archaischen Sounds, als dass sich das kollektive Gedächtnis durch die Urbanisierung immer weiter vom Wissen um Decodierung von der Geräuschkulisse der Natur entfernt hat und nun durch elektronisches Processing wieder abrufbar wird. Hier werden Konzepte von Noise ebenso wie von Ambient aktiviert und zu einem hochkompakten Soundfluss destilliert. Das liebliche Zirpen einer Grille und verstörender Industrie-Lärm kommen so als zwei Ausprägen desselben Soundobjekts daher. Weshalb sich seine Klangkunst wesentlich näher an der Musique Concrète festmachen lässt als an wie auch immer gearteten (post-)industriellen Strategien und noch am ehesten Alvin Luciers Oeuvre – und speziell »I Am Sitting In A Room« (1970) – und Arbeitsmethoden der Bioakustik als Referenzquellen anzuzapfen wären.

Es geht nicht um die akustische Dokumentation von Orten, sondern um deren Vieldeutigkeit und darum, diese Orte möglichst individuell zu »sehen«. Dabei führt uns seine Klangphänomenologie auf ein Feld, in dem sich natürliche Klänge als fixe Parameter mit deren elektronischer Auswertung als ihre Variablen darstellen. Dass oft diskursive und perzeptive Stolperfallen und falsche Fährten lauern, ist abgemachte Sache. López ist zwar ein Reiseführer, das Gepäck auf dieser Expedition muss man aber schon selber tragen.

 

Im Fall von Francisco López hat man es mit einem Klanguniversum zu tun, in dem sich »Innen« und »Außen« permanent durchmischen. Dieser derart auf Sound fixierte Ansatz hat viel mit dessen cinematografischen Qualitäten zu tun. Die dafür wahrscheinlich offensichtlichsten Beispiele sind »La Selva« und »Azoic Zone«. Letztere Veröffentlichung, 1993 auf Geometric Rec. erschienen, ist dezidiert als eine Reise in die abyssalen Tiefen angelegt, man fühlt sich in ein U-Boot versetzt, das zwischen den Meeresgraben schippert. Der Gegenpol zu den Entwürfen von Drexciya sozusagen. López, der Netzwerker: »Azoic Zone« und die 2005 auf Blossoming Noise erschienene DCD »Absolute Noise Ensemble« geben Einblick in die vielfältigen Kollaborationen des Spaniers, die von Illusion of Safety, John Hudak und Bernhard Günter bis zu Oren Ambarchi, Alan Courtis, Merzbow und Elliot Sharp reichen.

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In kaum einer seiner zahlreichen theoretischen Schriften oder in einem seiner weltweit abgehaltenen Vorträge und Workshops setzt er sich nicht mit dem Akt des (Zu-)Hörens auseinander. Francisco López thematisiert biologische, urbane, ethnografische und schließlich klangästhetische Prozesse und stellt diese in ihrem ambivalenten Verhältnis aus Natürlichkeit, Kommunikation und Industrial- isierung zur Diskussion. 

Aktuell ist »Nowhere. Short Pieces 1983-2003« (Blossoming Noise/Gender-Less Kibbutz) als satte 10-CD-Compilation erschienen. Essentiell.

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