Brucknerpyramide im Innenhof von St. Florian © Michael Franz Woels
Brucknerpyramide im Innenhof von St. Florian © Michael Franz Woels

Gewaltiger Soundtrack

Von der Verinnerlichung des Landlers in Leib und Seele des gekränkten Komponisten kündet die dritte Buchrezension im Jubeljahr. Florian Sedmaks »Dickschädels Reisen – Durch Oberösterreich mit Anton Bruckner« lässt alte Zeiten, als auch die Orgel zum Anschmachten diente, auferstehen.

Florian Sedmak verehrt die Musik von Johann Sebastian Bach, arbeitet als Texter (unter anderem über Joseph Anton Bruckner) und spürt als Schüler und Lehrer der Kultur des Qi Gong nach. Als Teenager Teil der legendären, sich in oberösterreichischer Umgangssprache auspowernden Hardcore-Band Kurort, spielte er dort die Riffs auf der Stromgitarre, sang und textete und tourte in fast ganz Europa. Der Found-Footage-Dokumentarfilm »Innere Blutungen« aus dem Jahr 2013 über das Alltagsleben im Salzkammergut in der Zeit zwischen 1965 und 1975, zusammengesetzt aus Originaltexten regionaler Wochenzeitungen, Amateurfotos und Super-8-Filmen sowie österreichischer Beatmusik der 1960er und 1970er entstand gemeinsam mit Anatol Bogendorfer und Andreas Kurz und könnte Crossing-Europe-Aufsucher*innen ein Begriff sein.

Genuin oberösterreichische Schöpfung 

Das und noch vieles Ungenannte mehr sollte Florian Sedmak ausreichend qualifizieren, um Lesende als mit Goldhaube verziertes Escort-Service auf Zeitreisen durch über 30 Orte in Oberösterreich zu begleiten. Der gemeinsame Nenner der Orte hörte auf den Namen Anton Bruckner, der durch permanente Kränkungen im Laufe seines Lebens – aber vermutlich auch genetisch bedingt – zu einem sogenannten Dickschädel mutierte. Das sehr eigenwillige, angenehm deviante Reisebuch mit Spurenelementen des vor allem für seine Sinfonien und seine kryptische Aufbewahrung bekannten romantischen Musikgenies trägt den Titel »Dickschädels Reisen – Durch Oberösterreich mit Anton Bruckner«. Da in den beiden skug-Buchrezensionen von Christian Schacherreiter und Norbert Trawöger Bruckners Sinfonien schon für mehr als die kompositorisch obligatorischen vier Sätze sorgten, sei hier der Ausnahmetexter Florian Semak herbeizitiert, um über das Land der Landler Auskunft zu erteilen – wir befinden uns wohlgemerkt im Kapitel Sierning: »Ein Landler ist je nach Perspektive mehrerlei: Als Tanz- und Volksmusikdisziplin ist er eine originär oberösterreichische Schöpfung, die mehrere hundert Jahre auf dem Buckel hat. In einem anderen Zusammenhang bezeichnet der Begriff die über achthundert österreichischen Protestanten, die unter Karl IV und Maria Theresia nach Siebenbürgen deportiert werden, und ihre heute noch dort lebenden Nachfahren. Und im Inneren Salzkammergut, woher ein Großteil der Zwangsausgesiedelten stammt, meint Landler mit dem Unterton leiser Verachtung bis heute in Bausch und Bogen alle im Alpenvorland lebenden Oberösterreicher.«

Soweit mal eine kleine brauchbare Unterrichtung in Sachen oberösterreichisches Sprachbrauchtum. Und das heißt jetzt konkret, um nicht ständig abzulenken und -schweifen, »dass es sich bei Anton Bruckner als gebürtigen Ansfeldner wie auch bei seiner Mutter Theresia als gebürtige Sierningerin von Bruckners Sommerfrischeorten Bad Ischl und Bad Goisern aus gesehen um klassische Landler handelt.« Und das bedeutet vor allem auch: »Mit dem Landler als Geigenmusik kommt der Landler Bruckner schon während seiner voralpenländlichen Kindheit in Berührung, in der ihn der väterliche Musikunterricht nicht nur zum Kirchenmusiker heranbildet. Sondern auch zum Landlergeiger, der mit einem zweiten Geiger und idealerweise einem Kontrabassisten zum Tanz und zum Gstanzlsingen aufspielt. Als Kind in und um Ansfelden, als Sängerknabe in St. Florian und als Schulgehilfe in Windhaag, wenn sich die Mädchen auf einem bestimmten Bauernhof zum Flachsspinnen treffen, am Abend die jungen Männer nachkommen und sich mit Mostbefeuerung und Krapfen als Energiespendern die Schuhe zertanzen.« Sätze wie dieser lassen einen fasziniert, aber auch irgendwie irritiert zurück – die künstlerische Freiheit beim Texten liegt wohl auch im Verschlungenen und im, fast schon lyrischen, Weglassen (von Satzelementen?).

Die verschollene Rose

Doch widmen wir uns wieder Wesentlichem, sprich musikhistorisch relevanten Begebenheiten: »Mag der Landler auch in ganz Oberösterreich verbreitet und zwischen den fünf Vierteln des Landes noch heute Gegenstand veritabler Glaubensfehden um die reine und wahre Spielart sein, liegt eine der landlerkulturellen Hochburgen unstrittig in Sierning. Hier findet der Überlieferung nach schon 1758 der erste Landlertanz statt; acht Jahre bevor 1764 – in Viechtwang – erstmals Landlermelodien zu Notenpapier gebracht werden.« Noten wurden damals noch zu Papier gebracht, Menschen noch zu Hause auf die Welt: »Hier im Wirtshaus Zum Krößwang in Neuzeug eins, kommt am sechsten April 1801 Bruckners Mutter Theresia Helm zur Welt. Hier ist Bruckner von Steyr aus gerne mit seinem Mäzen Carl Almeroth und seinem Steyrer Verbündeten Kirchenchorleiter Franz Xaver Bayer im Forsthof zu Gast. Wie in Windhaag, wo er eine der Töchter von Familie Jobst verehrt, findet er in der Tochter der Wirtsleute Wimmer auch hier eine Maria zum Anschmachten. Ihr spielt er auf der örtlichen Orgel vor, ihr widmet er seine verschollene Komposition »Die Rose.«

Der Landler gehört seit 2013 zum immateriellen Weltkulturerbe, obwohl diese Landlerweisen nicht ungefährlich sind, da sie oft »voll beißend scharfem Spott wie eine gesungene Faschingszeitung« daherkommen. Aber was kann denn schon passieren? »Der Kirtag ist die Domäne der Ruden, die andernorts auch Zechen und im Salzkammergut Passen heißen und historisch aus genossenschaftsartigen Bauernvereinigungen hervorgegangen sind. Ihre Rivalitäten machen den Landler lange zum Soundtrack rüder Gewalt. Denn lange vergeht kaum ein Tanzvergnügen, bei dem nicht eine rauflustige Rud die andere mit Gstanzln provozieren oder ihr dreintanzen würde, wodurch eine Saalschlacht garantiert ist.« 

Das erzeugt so oder so eine schiefe Optik: »Sich eine Massenschlägerei zu Landlerweisen vorzustellen, wenngleich die Spielleute bei der ersten Eruption von Gewalt das Spielen eingestellt und sich mit ihren kostbaren Instrumenten in Sicherheit gebracht haben müssen, erzeugt eine gewisse Asynchronizität von Bild und Ton. Denn mag der Landler auch, wie es in der Literatur dazu heißt, übermütig, schneidig und frech gegeigt werden, so verlangt das Landlerspiel zugleich nach größtmöglicher Elastizität und Gemütlichkeit.« Und alles – auch die Gemütlichkeit und die Elastizität – haben ein Ende: »Keine Spur von Publikumsandrang gibt es bei Bruckners letzten Darbietungen als Landlergeiger. Wenige Wochen vor seinem Tod ist er zumeist wirr und kindlich, doch musikalisch und motorisch noch fähig, seinen Arzt Richard Heller hin und wieder mit einem Landler zu unterhalten. Womit er, wie man sagen könnte, gleichsam zum Totentanz aufspielt.«

Florian Sedmak: »Dickschädels Reisen – Durch Oberösterreich mit Anton Bruckner«, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2024, 272 Seiten, € 25,00

Link: https://pustet.at/de/buecher.cp/dickschaedels-reisen/1258

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