Martin Büsser © Ivo Schweikhart
Martin Büsser © Ivo Schweikhart

»Gerangel um den ›richtigen‹ Pop«

Intellektuelles Hinterfragen und stetes Mitbedenken von Gesellschafts- und Kulturkritik kennzeichnen das Werk des Poptheoretikers und -kulturjournalisten Martin Büsser. Posthum erschien nun sein Sammelband »Lazy Confessions«: anregende Texte, die ihren Elan auch anno 2020 nicht verloren haben.

Martin Büsser hat Kurt Cobain und Courtney Love verkuppelt. Eigentlich wollte er nur die Sängerin der damals noch unbekannten Indie-Band Hole interviewen. Aber dann ließ er nebenbei die Bemerkung fallen, dass er demnächst die Band Nirvana treffen werde. Da glänzten die Augen von Love und sie bat ihn, dem blonden Flanellhemdmann Cobain Grüße auszurichten. Was er tat. Der Rest ist bekannt.

Am Ende seines Berichtes über dieses Erlebnis sitzt Martin Büsser an einer Autobahnraststätte und wird von einem jugendlichen Skater gefragt, wer er denn sei? Tja, was antwortet man als Intellektueller auf so eine Frage? »Ich bin der«, sagt Büsser schließlich, »der Courtney Love und Kurt Cobain verkuppelt hat.« Der Skater muss über seine Antwort nicht lange nachdenken: »Du Depp!« Aber der 2010 verstorbene Martin Büsser war keineswegs ein Depp. Vielleicht war es ein Fehler, Love und Cobain zu verkuppeln. Aber ansonsten war und ist Büsser einer der interessantesten popkulturell-sachverständigen Autoren.

Der Text über die Cobain-Love-Kuppelei findet sich in dem 2011 erschienen Buch »Music is my Boyfriend«. Es war das erste von mittlerweile drei Bänden mit ausgewählten Texten von Martin Büsser. Hier wird er vor allem als Musikjournalist vorgestellt. Der 2018 erschienene zweite Band »Für immer in Pop« öffnete die Perspektive auf den »Punkgelehrten« Büsser. Mit »Lazy Confessions« ist jetzt ein dritter Band erschienen. Er zeigt, wie breit das Spektrum des Poptheoretikers und Journalisten Martin Büsser war. Es geht um Musik, Literatur, Filme und Kunst. Es geht um Popkultur.

Vielseitiges Genie
»Martin Büsser auf einen Nenner zu bringen, ist schwierig«, meint sein Freund und Verleger Jonas Engelmann, »er war ein wichtiger Autor der deutschen Punk- und Hardcore-Szene und gleichzeitig einer ihrer schärfsten Kritiker, er war Poptheoretiker (…), er hat einen Comic gezeichnet, Musik mit seiner Band Pechsaftha gemacht, Compilations zusammengestellt, die ›testcard‹ und den Ventil Verlag mitgegründet, als Musikjournalist gearbeitet, zahlreiche Bücher über verschiedene Aspekte der Popkultur geschrieben, aber auch über Kunst, Literatur und Film.« Das Großartige an Büssers Texten ist, dass der theoretische Background nie den Inhalt überdeckt. Seine Texte seien geschrieben, »im Sinne eines intellektuellen Hinterfragens, das stets Gesellschafts- und Kulturkritik mit bedenkt«. So formulierte Büsser es selbst.

Die Anordnung der Texte, erklärt der Herausgeber Engelmann, strukturiere sich »nach den Zugängen (…), über die sich Martin der Kultur angenähert hat«. Und das tat er über hochinteressante Interviews, in »Lazy Confessions« u. a. mit Lydia Lunch, Glen Matlock von den Sex Pistols, Lee Ronaldo von Sonic Youth und natürlich mit Courtney Love. Er schreibt aber auch sehr klug über die Schriftsteller Stanislaw Lem, Ronald M. Schernikau, Hubert Fichte und Thomas Harlan. Das Kapitel »Sprechweisen der Popkultur« stellt den linken Poptheoretiker Büsser vor. »Popkultur, das diffuse Geflecht aus Emotion und Praxis, das einmal Hausbesetzer und Piratensender hervorgebracht hat, Schwulendiscos und am Kopierer vervielfältigte Fanzines, ist wie jegliche kulturelle Äußerung immer nur in dem Maß an die Kulturindustrie verkauft, in dem es die Linke versäumt, die Sache für ihre Interessen nutzbar zu machen«, erklärt Büsser in dem Text »Das Gerangel um den ›richtigen‹ Pop«.

Sogar die Reisereportagen »Auf dem Weg zum »coolsten Plattenladen von Istanbul« und »Once Upon A Time In The West. Eine Pappnase in der Neuen Welt« beschreiben nicht nur eine Reise an einen fremden Ort, sondern reflektieren auch ganz nebenbei die Bedingungen und Funktionen popkulturell geformter Identitäten. »Einem Deutschen wird in dieser Stadt mit einem Schlag und auf sehr beklemmende Weise deutlich, dass es so etwas wie Folklore im eigenen Land nicht gibt, abgesehen natürlich von ebenso reaktionären wie behäbigen Schunkelliedern«, stellt Büsser in Istanbul fest. In San Francisco bemerkt er, wie erstaunlich fremd ihm die scheinbar so vertrauten USA aus der Nähe betrachtet sind.

Königsdisziplin Verriss
Büsser sucht in seinen Texten nicht nach einer wie auch immer gearteten »Objektivität«. Er markiert den subjektiven Standpunkt seiner Texte fast immer durch ein erzählendes Ich. Und man muss seinen Standpunkt nicht teilen, um seine Texte mit Gewinn und Genuss zu lesen. Beispielsweise seine herrlichen Alben- und Bandverrisse. Über die EP »Fickt das System« der Hamburger Band Die Sterne schreibt er: »Ton Steine Scherben hatten das System dann wohl doch besser gefickt als dieses Bildungsbürger-Surrogat, das höchstens mal kurz den Reißverschluss runterzieht, um die seidene Unterhose zurechtzurücken.«

Texte über popkulturelle Themen haben oft eine kurze Halbwertszeit. Aber Büssers Texte wirken so frisch und aktuell, als seien sie erst gestern geschrieben worden. Der Musikjournalist Felix Klopotek hat in seinem Essay »Words don’t come easy« eine Typologie für musikjournalistische Texte erstellt. Er unterteilt in idiosynkratische, also mit großer Abneigung gegen ihren Gegenstand geschriebene Texte; in sehr stilbetonte, literarisch formulierte Texte; in Texte mit einem ganz klar umrissenen politischen Standpunkt und in diskursive Texte, die popkulturelle Artefakte in ein Netz aus Bezügen einspinnen. »Lazy Confessions« zeigt, was für ein außergewöhnlicher Autor Büsser war. Er war in all diesen Textformen ganz selbstverständlich zu Hause.

Großartig ist übrigens auch das Lesungsprojekt des Ventil Verlags, das die Veröffentlichung von »Lazy Confessions« begleitet. Unter anderem performen Jonas Engelmann, Thorsten Nagelschmidt und Franz Dobler die Texte von Martin Büsser. Die Videos sind von sehr unterschiedlicher Qualität. Während Jörg Sundermeier sich mehr schlecht als recht durch den Text »Stuhl im Orbit« stolpert, performt Jonas Engelmann charmant Wein trinkend die Love-Cobain-Kuppelei. Besonders gelungen ist das Video von Marit Hoffman zur herrlichen Tocotronic-Vernichtung »Take That fürs Indiezimmer«.

Martin Büsser: »Lazy Confessions«, Ventil Verlag, 352 Seiten, EUR 17,00

Link: https://www.ventil-verlag.de/titel/1873/lazy-confessions

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