Kinetical & P.tah © Ryno
Kinetical & P.tah © Ryno

Bare man would

Am 25. März 2020 steht das heimische Grime-Duo Kinetical und P.tah voraussichtlich* für den Salon skug auf der Bühne des Wiener fluc. Wir haben die beiden vorab zum Interview gebeten.

Mit »Ghost« haben Kinetical und P.tah vor zwei Jahren ein wegweisendes Album vorgelegt, das die Grenzen zwischen Grime und dem europäischen Festland spielend überwindet. Im Herbst erscheint nun ihr zweites Album. Im Gespräch erzählt das Duo von den Ursprüngen ihrer Musikbegeisterung und erläutert die eigene Arbeit im Kontext von Underground-Rap und Mainstream.

skug: Ihr verbindet in eurer Musik unterschiedliche, oft sogar konträre Perspektiven und Herangehensweisen. Inwieweit haben euch solche Gegensätze als (Künstler-)Persönlichkeiten geprägt und in welcher Form treten diese Spannungsverhältnisse in eurer Musik zutage?
P.tah: ​Ich war früh von Punk und Hardcore fasziniert, danach bin ich voll in Reggae, Dub und Dancehall eingetaucht. HipHop kam erst später dazu. Meine Kindheit habe ich in Leoben verbracht, in Eisenstadt meine frühe und in Wien meine späte Jugend. Gegensätze haben mich also von Anfang an geprägt. In der Cselley Mühle bin ich mit Noise und Breakbeat sozialisiert worden, bevor schließlich Bass, Dubstep und Grime großen Konstanten in meinem Leben wurden. Aus dieser Ecke kam immer wieder so viel spannende Musik, die als Inspiration für eigene Produktionen und zum Auflegen diente. Der UK-Sound hat mich stark geprägt und ist mir auch vom Humor und den Lebensumständen her näher als US-Produktionen.
Kinetical:​ Bei mir war das ganz ähnlich. Ich bin noch ländlicher, in Oberösterreich, aufgewachsen und bin erst mit zwanzig nach Linz gezogen. Anfangs habe ich in einer Crossover-Metal-Band gesungen und gerappt, bevor ich über Drum’n’Bass und Jungle schlussendlich zu Reggae, Dub und Dancehall kam – für mich die Grundlage all dieser Subkulturen. Nach einigen Besuchen in London bin ich am UK-Bass-Sound hängen geblieben. US-Rap hat mich hingegen nicht besonders interessiert, da ich mich immer schon besser mit jamaikanischen und UK-Acts identifizieren konnte. Das beginnt mit dem Flow und der Aussprache, hängt aber auch mit den Texten zusammen.

Mit welchen Herausforderungen seht ihr euch dabei konfrontiert? Oder anders gefragt: Wo seht ihr Fallen und wie kann man eurer Meinung nach vermeiden, in diese zu tappen?
K: ​Da fällt mir gleich einmal das umstrittene »Badman«-Image ein, mit dem man schnell assoziiert wird, wenn man im schwarzen Tracksuit, Hoodie und Cap auf der Bühne steht und Punchlines in Patois und mit tiefer Stimme auf düsteren Beats performt. Das sind alles Stilmittel, die dieses Image geprägt haben und derer ich mich manchmal bediene. Dazu muss ich aber nicht in den Ends wohnen. Ich liebe und lebe diesen energetischen, oft aggressiven Sound, muss aber nicht über Gangs und Waffengewalt rappen, nur weil diese Themen die Grime- und Drill-Szene im UK oder auch Deutschrap dominiert. Wir haben zwar auch klassische Representer-Bars am Start, die manchmal ein bisschen nach Beef riechen, aber hauptsächlich schreiben wir darüber, was uns im Leben aktuell bewegt und beschäftigt. Das verbindet uns beide stark miteinander. Der Inhalt des neuen Albums ist sehr ehrlich und persönlich. Manche Leute behaupten ja, diesen Sound könne man nur authentisch machen, wenn man selbst kriminell wäre. Ich kann dieses Argument nicht nachvollziehen und denke, dass so jemand meine Texte einfach nicht verstanden hat.
P:​ Ich bin männlich, weiß und hetero in Europa – da braucht man von Benachteiligung erst mal nicht viel reden. Kritisieren sollte man trotzdem, aber feinfühlig – es ist ja klar, dass alle ihr Packerl zu tragen haben. Aus künstlerischer Sicht darf jede persönliche Erfahrung erzählt werden. Neben der Musik bin ich auch Lehrer für Kunst an einem Gymnasium. Ich würde das so beschreiben: Ich begrenze mich manchmal lyrisch, weil ich es pädagogisch als kontraproduktiv empfände, mich selbst ordinär schimpfen zu hören – denn ich möchte auch als Kunstlehrer ernst genommen werden. Dazu kommt, dass ich aus politischer Überzeugung gegen die Verherrlichung von chemischen Drogen und Alkohol bin, gegen jede Art von Diskriminierung, gegen Nationalismus und ich halte auch nichts von Jokes auf Kosten von Minderheiten. Das wäre eigentlich nichts spezielles, allerdings ziehen brutale oder verstörende Aussagen im Rap bekanntlich besonders gut – insbesondere bei jungen, männlichen Fans. Ich empfinde es als eine leiwande Gegenbewegung, die typischen Lines einfach auszulassen – die werden von anderen Artists ohnehin schon mehr als genug bedient.

Wo liegen eure Leitlinien – der rote Faden, die eure gemeinsame Arbeit inhaltlich so konsistent zusammenhält und verdichtet?
K: ​Wir teilen beide eine Vorliebe für deepe, basslastige Beats auf 140 bpm. Solche Instrumentals brechen oft mit typischen Hörgewohnheiten und es ist manchmal nicht ganz einfach, darauf zu rappen. Doch auch was Inhalte und Delivery betrifft, haben wir ähnliche Interessen. Daraus hat sich über die Zeit ein spezieller Workflow entwickelt: Beats werden gepickt, ein Thema besprochen, das Arrangement gemacht und am Ende sind wir meist einer Meinung. Eine besondere Rolle kommt dabei auch noch Mirac zu, unserem »man behind the controls«. Sein Studio hat sich zu unserer fixen Produktionsstätte entwickelt, in der er mit seinen Skills immer das Beste aus den Aufnahmen rausholt. Das ist der Grund dafür, dass das kommende Album als Ganzes sehr rund und stimmig klingt.

Ein Slogan, der in euren Texten immer wiederkehrt, lautet: »No gimmicks, no special effects« – was meint ihr damit?
P: ​Wir feiern Artists, die direkt und unmissverständlich sind. Ich mag konsequente Sets und auch ästhetisch gefällt es mir, wenn ein Stil durchgezogen wird. Wir sind da auch recht unprätentiös. Wenn manche MCs hingegen »alle« erreichen wollen und dabei so viele Facetten und Genres wie nur möglich unterzubringen versuchen, bin ich schnell genervt. Ich finde das ermüdend. Wie zaach kann man eigentlich Copycat der Kopie von der Kopie sein? Mittlerweile bestimmen die großen Spotify-Playlists in Deutschland oft immer die gleichen Drums, die gleichen Kitsch-Gitarren-Chords mit Schlager-Hook darüber – wie oft noch? Inhaltlich ist das alles ohnehin schon lang keiner Kritik mehr würdig.
K: ​Was mich immer schon an Grime fasziniert hat, ist die Ehrlichkeit der Vocals: eine Main, keine Effekte und im besten Fall in einem Take aufgenommen. Diese ungeschminkte Rohheit ist in Zeiten übertriebener Effektierung und Autotune-Mumble-Halftime-Flows nur selten zu finden. Darüber hinaus ist es sicherlich eine Herausforderung für jeden MC, auf 140 bpm über die Beats zu spucken – ein Tempo, das etwa zu Doubletime-Raps verleitet. Der britische Grime-MC P. Money meint in einem seiner Tunes dazu: »How comes only a few of you do it? ‘Cause if Grime was easy then bare man would.«

Wie drückt sich diese Herangehensweise konkret in euren Live-Auftritten aus? Was kann sich das Publikum vom Konzert erwarten?
K: ​Energy! Dope Beats von dopen Produzenten! Energy! Zwei Live MCs die sich an den Rand ihres Verstandes spitten! Energy! Den besten DJ der Welt – B.Ranks! Energy! Bars for days! Live Rap – keine Playback Trap Show! Energy! Schweiß! Hin und wieder Moshpits! Hab’ ich die Energy schon erwähnt?

Im aktuellen UK-Sound spielen düstere, oft richtig klaustrophobe Settings in den Raps und Sounds eine zentrale Rolle. Auch wenn die Instrumentals einen klaren Bezug zum UK-Sound haben, sind eure Raps in der Regel von einer sehr positiven Grundstimmung geprägt. Wie empfindet ihr das?
P:​ Ich würde sagen, das stimmt schon. Wir lieben den deepen Vibe, haben aber nicht so eine dunkle Umgebung und andere Standpunkte. Unser zweites gemeinsames Album klingt im Vergleich zu »Ghost« eher düster, teilweise auch melancholisch. Inhaltlich wurden wir persönlicher und nachdenklicher. Das liegt aber auch an den Beats, die wir ausgewählt haben. Wobei aber auch wieder einige straighte 140-Live-Belter dabei sind.
K: ​Die sozialen Umstände spielen natürlich eine große Rolle. Ich würde sagen, dass es uns hier gut geht. Wenn man nachts um den Block geht, muss man zumindest keine Angst haben, angestochen zu werden. Die Lyrics spiegeln unser Leben wider – daher ist es logisch, dass unsere Message etwas positiver ausfällt als beim random Drill-Tune auf GRMdaily.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Rave als Treffpunkt einer gemeinsamen Szene?
K: ​Wir sind Live-MCs und daher ist das Rave essenziell für uns. Wenn ich nicht gerade mit P.tah und B.Ranks unterwegs bin oder auf deren BLVZE-Partys feiere, hoste ich nach wie vor viele Drum’n’Bass-Raves und bin daher jedes Wochenende in Clubs – still! Ich brauche auch regelmäßig eine Portion Bass und gehe gerne auf Soundsystem-Dances. Rave-Kultur ist also aus meinem Alltag nicht wegzudenken.
P: ​Für mich ist das gemeinsame Feiern und Live-Erleben ur wichtig – sonst würden wir auch nicht regelmäßig Events wie BLVZE oder die Duzz-Down-San-Nächte veranstalten. Das gehört für mich einfach zu der Kultur, die ich repräsentiere. Ich finde es lächerlich, wenn Producer oder MCs davon reden, wie »grime« sie sind – aber selbst nie auf den Partys auftauchen, wo Originators gebucht werden und der ursprüngliche Sound läuft. Ich schau mir nach wie vor gern Konzerte an und liebe es, im Club zu tanzen – wobei sich mein Fortgehverhalten seit der Geburt meiner ersten Tochter vor mehr als zwei Jahren doch verändert hat.

Wie verortet ihr euren Sound, eure Raps im internationalen Kontext?
P: ​Vor allem aus UK, Frankreich und Holland haben wir viel gutes Feedback bekommen. Es gab viel Airplay im Radio, unsere Tunes finden sich in Mixes von namhaften DJs. Aber auch in Ländern wie Deutschland, Tschechien und Ungarn wurden wir von Festivals, Clubs und Radiostationen eingeladen. Das finde ich für unseren ungewöhnlichen Sound eigentlich ganz gut. Am öftesten spielen wir – wenig überraschend – natürlich immer noch in Österreich.
K: ​Das Genre, das wir mit unserer Musik bedienen, ist am europäischen Festland noch immer recht überschaubar und die Szene dementsprechend familiär. In UK ist das sicher anders. Unsere Teilnahme an den »Grime-Olympics« auf Rinse FM im letzten Jahr zeigt aber, dass wir selbst dort schon on the map sind.

In manchen Momenten tritt in euren Texten auch Melancholie zutage – etwa in Lines wie »Ich zähl’ das Geld vom Act, den wir gebucht ham – it’s OK« oder »War der Erste mit Grimey auf Deutsch / aber leider kann sich heute daran keiner mehr erinnern«. Was würdet ihr euch von euren Fans, anderen Musiker*innen, den Medien, der Kulturpolitik etc. wünschen?
P:​ Es würde zu weit führen, an dieser Stelle all meine Wünsche an Medien und an die heimische Kulturpolitik aufzulisten. In zwanzig Jahren Schreiben, Veröffentlichen und Veranstalten gab es schon auch Hindernisse, Enttäuschungen und Selbstzweifel. Allerdings wird vom Sudern leider nichts besser. Es wäre einfach dope, wenn mehr Leute auch abseits der Hauptwege nach innovativem Sound suchen würden. Und ich glaube, dass mehr staatliches Budget und Förderungen für Subkultur die Situation für viele Artists, Labels und Veranstalter*innen verbessern würde. Zu diesem Thema haben wir übrigens einige gute Zeilen auf dem neuen Album. Manchmal wünsche ich mir mehr Zuspruch und Anerkennung, doch dann fällt mir wieder ein, dass zwei riesige, professionell organisierte HipHop-Festivals in Österreich keine drei Jahre überlebt haben. So würde ich mich zwar über ein größeres Publikum freuen, bin aber auch erleichtert darüber, nicht jedes Jahr Up-to-date-Hits abliefern zu müssen, die eine gewissen Masse ansprechen.

Wie geht’s weiter – was bringt 2020 für Kinetical & P.tah?
P: ​Im Herbst 2020 erscheint unser zweites gemeinsames Album. Davor werden wir einige Singles und Videos veröffentlichen. Ehrlich gesagt können wir es kaum erwarten, das neue Material zu präsentieren.
K: ​Ich sing im Intro Track »I celebrate this release like my birthday« – ich denke, das sagt schon einiges darüber aus, wie sehr ich mich auf dieses Album freue! Ich war jedenfalls noch nie so überzeugt von einem eigenen Release – wobei, he, das habe ich bei »Ghost« auch schon gesagt. [lacht]

Kinetical & P.tah ls B.Ranks performen voraussichtlich* live beim nächsten Salon skug am 25. März 2020 im Wiener Fluc, für Support sorgen Mo Cess & Pirmin sowie IČ an den Turntables.

*Aufgrund der aktuellen Entwicklungen müssen wir leider auch den Salon skug am 25. März absagen. Wir bemühen uns aber um einen Ersatztermin und lassen euch wissen, sobald es dazu Näheres gibt. Alles Gute und bleibt gesund!

Links:
https://kinetical.bandcamp.com
https://ptah1.bandcamp.com

Home / Musik / Artikel

Text
Chris Hessle

Veröffentlichung
12.03.2020

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