Im Jahr 2023 gab es, von Thomas Andreas Beck initiiert, in der Cselley-Mühle in Oslip das Symposion »Österreich ist frei« mit Musik und Lesungen und kulturellen Bildungsformaten rund um das Thema Demokratie. »Wiednerstand« greift bewährte Ansätze des Symposions auf und verknüpft sie mit kulturellen Bedürfnissen des 4. Wiener Bezirks Wieden. Dementsprechend entstand das Format auch in enger Zusammenarbeit mit der Bezirksvorstehung.
skug: Wie ist der Hintergrund zu diesem Projekt?
Fabian Burstein: »Wiednerstand« ist ein Projekt von Thomas Andreas Beck und mir. Wir befassen uns insgesamt mit dem Thema Raum und wie man Raum entwickeln kann: als sozialen, politischen und kulturellen Ort. Das ist für uns ein Projekt, das stark nach außen wirken soll. Wir haben es gemeinsam mit der Bezirksvorstehung Wieden entwickelt, aus dem Bedarf des Bezirks heraus. Es spielt auch mit: Thomas hat vor rund einem Jahr in der Cselley-Mühle ein Festival gemacht, das hieß »Österreich ist frei«. Das war dahingehend beeindruckend, dass die Menschen sehr gut mit der Kombination aus Infotainment und Kultur umgehen konnten und diese wertgeschätzt haben. Vor diesem Hintergrund haben wir gesagt: Einige Stränge und Wirkmechanismen von »Österreich ist frei« greifen wir auf, erweitern sie um den spezifischen Bedarf in Wieden und machen daraus ein kleines, feines Festival für zwei oder drei Tage. Ein Festival, bei dem die Menschen über Kulturdiskurs und Demokratie wieder zusammenfinden und eine Gesprächsbasis begründen.
Inwiefern besteht im 4. Wiener Gemeindebezirk Bedarf nach »Wiednerstand«?
Fabian Burstein: Wieden ist im positivsten Sinne ein Bezirk, in dem gerade viel passiert, auch sehr viel Veränderung in der Infrastruktur. In Richtung Mobilitätswende und so weiter. Das sind alles Prozesse, die sind gut und wichtig und werden auf Dauer wertgeschätzt, verursachen aber im Moment auch Gesprächsbedarf. Deshalb gibt es den »Wiedner Kultursommer«, der für sich als Format existiert und bewusst als Instrument der Begegnung und der freudvollen Sommergestaltung im Bezirk wirkt. Wir sind innerhalb dessen sicher eine Schiene, die besonders tief in Themen hineingeht und nicht nur darauf abzielt, dass man sich ein Konzert anschaut oder eine coole Lesung. Sondern darauf, dass man sich intensiver mit Themen auseinandersetzt, denn die gesamtgesellschaftliche Entwicklung macht natürlich nicht vor den Grätzln, den kleineren Sozialräumen, halt. All das zusammenzuführen, den Veränderungsdruck und die gesamtgesellschaftliche Atmosphäre: Das war eine Herausforderung und wir wurden darauf angesprochen, ob wir uns vorstellen können, dazu etwas Originäres zu entwickeln.
Welche Ansätze verfolgt ihr mit »Wiednerstand«, was werdet ihr umsetzen?
Fabian Burstein: Wir glauben, dass die wirkliche Substanz nicht zustandekommt, wenn wir laut herumschreien oder wilde Provokation-Streitformate in dieses Grätzl bringen, sondern wenn wir auf eine ganz substanzielle, unaufgeregte, leichtfüßige, schöne Art und Weise diese Demokratie-Themen auf eine Bühne bringen. Ganz bewusst im Wechselspiel mit Kunst- und Kulturbeiträgen. Und dazu beitragen, dass ein bis zwei interessante Gedanken hängenbleiben, die sich wie ein Schneeball unter den Menschen verteilen. »Wiednerstand« ist ein sehr unaufgeregtes Format und das ist gut so.
»Österreich ist frei« wurde schon erwähnt: In der Cselley-Mühle gab es im Vorjahr ein eintägiges Festival mit Konzerten, Lesungen – unter anderem aus dem Staatsvertrag – und Podiumsdiskussionen. Was davon setzt ihr bei »Wiednerstand« fort?
Thomas Andreas Beck: Es wird die Idee fortgeführt, im besten Sinne ein gesellschaftsnahes Format zu schaffen, bei dem die Anschlussfähigkeit nicht verloren gehen soll. Ich kann ein Kunstformat sehr provokativ, distanziert und abgehoben anlegen – das ist für manche Effekte, die ich dadurch erzielen kann, auch schön. Mir ist wichtig: Ich sehe »Wiednerstand« als Dorf-Format. Wir sind ja im Grätzl, das schafft der Mensch gerade noch ohne Nationalismus. Im Dorf geht sich ganz viel aus, was sich in größeren Maßstäben der Gesellschaft nicht mehr ausgeht. Man sagt ja: Provinz ist kein Ort, sondern ein Zustand. Zuerst waren wir in der Cselley-Mühle, die Besucher dort waren vor allem Städter, die dorthin gereist sind. »Wiednerstand« ist für mich die Grätzl-Urbanisierung von »Österreich ist frei«. Wir gehen in die Dörfer der Stadt.
Welche Themen werden angesprochen?
Fabian Burstein: Wir haben drei große programmatische Punkte: Der erste ist sicher die Keynote von Isolde Charim, die über Widerstand als Friedenshaltung spricht, auch über Protest als Friedenshaltung. Das ist ganz wichtig, weil Protest und das Sich-gegen-etwas-Stellen wird heute in vielen Fällen diffamiert. Gerade wenn ich an die Klimabewegung denke, bei der junge Menschen natürlich mit außergewöhnlichen Mitteln für ihre Anliegen kämpfen und dafür aber kriminalisiert werden. Und das ist natürlich eine unsouveräne Haltung gegenüber dem Widerstand als demokratischer Grundhaltung. Das zweite inhaltlich wichtige Format – und das ist die direkteste Linie zu »Österreich ist frei« – ist der Demokratie-Talk rund um den Staatsvertrag, den Thomas konzipiert hat und als Master Of Ceremony bestreiten wird. Er wird hier unter anderem mit Irmgard Griss in ein tiefes Gespräch gehen, etwa zur Frage, was das »abgehobene« Format des Staatsvertrags für eine real-politische Dimension hat. Darauf freue ich mich sehr, zumal dieser Programmpunkt im Anton-Benya-Park stattfinden wird.
Welchen Programmpunkt gibt es noch?
Fabian Burstein: Das dritte, inhaltlich wichtige Format ist die Matinee am Schluss: Da geht es ums Thema Solidarität und Wut und in welcher Relation diese beiden großen Gefühle zueinanderstehen, da wird unter anderem Natascha Strobl zu Gast sein.
Ihr habt in der Programmierung auch die Kinder mitgedacht, die sich mit ihrem Lieblingsbuch befassen sollen.
Thomas Andreas Beck: Es wird mit Brigitta Höpler, die übrigens auf der Wieden wohnt, einen Schreib-Lese-Workshop für Kinder geben, der dann in einer Bühnen-Präsentation endet. Darauf freue ich mich schon besonders, dass Kinder und Jugendliche niederschwellig zum Festival kommen können. Die Grundidee war, dass Kinder ihr Lieblingsbuch mitbringen, daran arbeiten, sich mit dem Text beschäftigen und daraus selbst entwickelte Texte oder aus diesen Büchern vorlesen werden. Brigitta Höpler arbeitet auch viel mit Text-Collagen, vielleicht zerschnipseln die Kinder die Bücher. Mir persönlich ist wichtig, dass die Kinder, ohne Lampenfieber haben zu müssen, in eine Bühnensituation kommen. Denn Demokratie lebt auch davon, sich zu zeigen, von der Rede. Davon, sich in den Speakers’ Corner im Anton-Benya-Park zu stellen und zu erleben, welche Macht man auch hat, wenn die Menschen zuhören. So bin ich zum Beispiel zur Musik gekommen: Auf einer mit Brettern überdeckten Sandkiste im Gemeindebau in Favoriten. Ich habe mich dort mit der Gitarre hingesetzt und habe gar nicht gewusst, wie mir geschieht, und plötzlich war ich ein Star. Diesen Geist habe ich in mir: Wir wollen wieder ein paar Stars aus den Gemeindebauten herauskitzeln.
Der angesprochene Park ist durch den Gewerkschafter Anton Benya politisch konnotiert. Welche besonderen Orte habt ihr noch ausgewählt?
Fabian Burstein: Das ist eine der Hauptideen des Festivals: Jeder Ort hat eine Bedeutung. Der Anton-Benya-Park war immer ein Projekt, mit dem man darüber nachgedacht hat, wie man Familien in diesem dicht bebauten Gebiet in eine kleine, grüne Oase hineinbringt. Dort wurde infrastrukturell etwas gemacht und jetzt können dort Schulklassen beispielsweise Unterricht abhalten. Das ist wirklich ein Speakers’ Corner der Wieden.
An welche Orte geht ihr außerdem?
Fabian Burstein: Wenn wir zum Beispiel ins Café des Radiokulturhauses gehen, dann um darauf hinzuweisen, dass da im Grätzl etwas ganz Wichtiges verloren geht, wenn so eine denkwürdige Institution – im wahrsten Sinne des Wortes – abgesiedelt wird. Wenn wir in das U1-Café gehen, dann deswegen, weil solche Beisln für die DNA eines bürgerlichen Bezirkes auch wichtig sind. Auch wenn das Café für einen Mega-Act wie Der Nino aus Wien von der Größe her unterdimensioniert ist.
Thomas Andreas Beck: Wir gehen zur Matinee am Sonntag in den Ehrbar-Saal in der Mühlgasse, das ist ein Konzertsaal-Juwel, das Festliche wollen wir uns auch gönnen. Wir haben vorher den Inhalt und uns erst danach die Orte gesucht. Meistens ist es umgekehrt: Da ist eine Bühne, die bespielt werden soll. Das U1-Café leidet übrigens auch unter der Absiedelung des ORF.
Warum passt Der Nino aus Wien genau dorthin?
Thomas Andreas Beck: Weil der Nino sich nicht zu gut ist, dort zu spielen. Man braucht einen Künstler, der da mitgeht. Wir haben auch überlegt, wem das zuzumuten ist. Das U1 ist eine Anti-Räumlichkeit für ein gutes Konzert, du hast dort nichts, was du brauchst. Du hast keine Bühne, keine geile Tonanlange, man müsste etwas hineinbauen. Du gehst vielleicht zurück zu deinen Wurzeln, wenn du etwa Straßenmusiker warst. Der Nino ist der richtige Musiker für diesen Ort. Oehl gehört ins Radiokulturhaus, still und lauschend. Den würde ich im U1 nicht spielen lassen.
Wie ich weiß, sind dir Rituale wichtig und du versuchst, als Kurator gleichsam neue Rituale zu schaffen. Inwiefern ist das bei »Wiednerstand« der Fall?
Thomas Andreas Beck: »Wiednerstand« ist von Anfang bis zum Ende ein Ritual. Das Festival ist ein in sich zyklisch gedachtes, schlüssiges Ritual: mit Ankommen und mit Impulssetzung. Dann wird man zart abgeholt von Oehl und kommt aus dem Denken heraus ins Fühlen, da wird die andere Gehirnhälfte angesprochen. Das wird uns berühren. Dann geht man an Orte des Rausches, des Berauschens, mit dem Nino aus Wien. Dann werden wir uns ausschlafen. Das Festival ist als Prozess gedacht, dann kommen die Kinder und wenn es dunkel wird, spielt Major Shrimp schon die ersten Töne. Das ist eine geniale Flinta-Band. Danach kommt ein Resümee: Von der Matinee am Sonntag kommen wir wieder besonnen nach Hause und wollen die Früchte ernten. Wir schauen die Ernte an: Was haben wir jetzt gelernt? Es gibt einen Dialog, durch den wir im Tun landen sollten. Wer sich den ganzen Prozess gibt, der hat mehr davon als beim partiellen Konsumieren.
Was wäre ein Erfolg für »Wiednerstand«? Wann gelingt euer Festival?
Fabian Burstein: Das lässt sich leicht beantworten: Wenn ganz viele Menschen aus dem Bezirk Teil davon werden und sich ihr unmittelbares Lebensumfeld neu erschließen. Wenn Interessierte dazukommen und merken, dass dieses Grätzl etwas Lebendiges hat. Und wenn es uns am Ende gelingt, dass eben nicht nur ein großer Paukenschlag daraus hervorgeht, sondern sich viele kleine – in ihrer Kleinheit große – Gedankenstränge entfalten. Mir wäre es sehr wichtig, dass nicht nur das Momentum zählt, sondern dass da etwas passiert, was langfristig in den Köpfen weiterwirkt. Damit meine ich nicht, dass sich plötzlich das Wahlverhalten aller Menschen verändert, sondern dass im Kleinen ganz große Gedankengänge losgetreten und weitergetragen werden.
Ihr habt jeweils neue Bücher veröffentlicht. Inwiefern können diese
als Begleitlektüre zu »Wiednerstand« gelesen werden?
Fabian Burstein: Kultur und Politik – diese ideelle Verbindung prägt sowohl meinen Essay »Empowerment Kultur« als auch »Wiednerstand«. Letztendlich ist es immer die Mischung aus fundierter Auseinandersetzung und Empathie, die uns bei einem Thema voranbringt. Dementsprechend gut ergänzen sich ein Sachbuch und ein künstlerisch geprägtes Festival als Stilmittel des Diskurses.
Thomas Andreas Beck: »Der Keller ist dem Österreicher sein Aussichtsturm« beantwortet die Frage: Eine Gesellschaft muss sich regelmäßig aus den einsamen, kühlen Kellern rausbewegen und gemeinsam auf die sonnig-heißen Aussichtstürme raufklettern. In meinem neuen Buch gehe ich den Weg der Poesie, bei »Wiednerstand« ist es das Ritual.
»Wiednerstand« findet von Freitag, 30. August, bis Sonntag, 1. September 2024 an verschiedenen Orten des 4. Wiener Gemeindebezirks Wieden statt, der Eintritt ist frei.