Thomas Gottschalk © Pe Tee
Thomas Gottschalk © Pe Tee

»Wetten, dass ..?« auf ein Letztes

Bei der skug Redaktionssitzung wurde das aktuelle Zeitgeschehen diskutiert: Corona, drohender Bosnienkrieg und – ganz wichtig – »Wetten, dass ..?«. Läuft am Samstag als Reprise und liefert ein ergiebiges medientheoretisches Thema.

Für die jüngeren Leser*innen: Früher gab es eine Erfindung, genannt Fernsehen. Vermisst heute niemand. Das war nämlich so eine autoritäre Institution, mittels der der Bevölkerung Themen und Reize vorgegeben wurden, die nur konsumiert werden konnten, wenn zu einem programmierten Zeitpunkt die Glotze aufgedreht wurde. Unglaublich, aber wahr, wer fernsehen wollte, musste sein Leben einem Terminplan unterwerfen, den sich eine Sendeleitung ausgedacht hatte. Der seltsame Nebeneffekt war, dass am nächsten Morgen in Schule und Büro alle den gleichen, medialen Erlebnishintergrund hatten. Ja, das Leben war damals ganz schön leer. Es gab einfach nix und was sollte mensch groß tun? Als das Fernsehen noch staatlich war, herrschte eine gepflegte, quälende Langeweile. Ein einzelner verregneter Nachmittag gab die Gewissheit, dass wirklich alles kacke ist. Nichts lieferte auch nur den leisesten Reiz durch Ablenkung im TV. Dann kam das Privatfernsehen und mit ihm die Scham. Das neue TV war ebenso langweilig, nichtswürdig und dumm, wer es aber mehr als zwanzig Minuten geschaut hatte, fühlte sich mitschuldig. Privatfernsehen kannte nämlich im Kern nur eine Nummer: sich lustig machen über die Gefühle dummer Menschen. Dennoch waren alle hooked. Fernsehen war Lebenssinn und die reichweitenstärkste Droge.

Warum schaut sich das wer an?

Nirgendwo wirkte die TV-Hirnlähmung stärker und besser als bei »Wetten, dass ..?«. Dafür gab es mindestens drei Gründe:
1. Der Kardashian-Zirkelschluss. Wenn alle etwas wichtig nehmen, dann ist es wichtig, weil alle es wichtig nehmen. An diesem Gedanken kann die Hirnrinde mürbe gemacht werden, denn das Geheimnis der Ursprungslosigkeit ist nicht befriedigend zu klären. Es gibt nämlich im Grunde keinen Grund, warum etwas in diesen Bedeutungsaufschaukelungkreislauf hineingerät. Hier ist schlicht eine Art Zufall am Werk. Alle, die behaupten, sie wüssten, wie so etwas funktioniert und warum ein Medienphänomen wichtig wird, blamieren sich zuverlässig in der Praxis. Es scheint, als zeige sich in seiner Substanzlosigkeit der Kern einer Mediengesellschaft. Ob etwas besser oder schlechter ist, bedeutet wenig bis nix. »Wetten, dass ..?« hätte genauso gut nach kurzer Dauer abschmieren können wie die »Montagsmaler«. Dann hätte allerdings ein anderes Format seinen Platz eingenommen, denn das damalige Medienfeld brauchte eine Zentralsonne. So wie es im Wohnzimmer nur einen entscheidenden Ort gab, der Sehnsüchte spiegelte und Lust bereiten konnte (Schnapsschrank zählt nicht, der ist bloß Katalysator), so gab es eben auch nur eine Sendung, die alles verkörpern sollte, was fehlt. Das war in der neu entstandenen »Risikogesellschaft« eben zufälligerweise eine Wettshow, bei der es eigentlich nichts zu gewinnen gab.

2. Das Gemeinschaftsgefühl. »Wetten, dass ..?« nivellierte in einer Weise, wie es heutige Medien nicht mehr können. Die großen Stars wirkten deplatziert und putzig geschrumpft, wenn sie gezwungen waren, bei dem Unsinn mitzumachen. Wenn die größten Musikgiganten jener Jahre auftanzten, um ihre Liedchen zu trällern, dann verzeichneten die Wasserwerke Verbrauchshöchststände, weil alle während der Darbietungen aufs Häusl liefen. Gleichzeitig wurden die Schlaubischlümpfe aller deutschsprachigen Lande kurz zu Riesen erhoben, weil sie tatsächlich und überraschend ironiefrei im Zentrum standen. Sie wurden zwar nicht unbedingt bewundert, aber auch nicht verlacht, wie die heutigen, armen Seelen, die hoffen, durch Castingshows »berühmt« zu werden. Es lag eine seltsame Würde in dem Ablauf, der dafür sorgte, dass am Abend alle wieder heimfuhren nach Villingen-Schwenningen oder Untersiebenbrunn und sich ihr Leben eben nicht geändert hatte.

Beliebt waren immer Wetten mit schwerem Gerät. © Freepic

Nahezu jede*r in der skug-Redaktion erinnerte sich gern an einen Wett-Act und tut dies mit einer gewissen Bewunderung (die natürlich nicht ganz frei von Ironie ist). Aber die beiden Mädels, die ohne erkennbare Regungen oder Worte Nachrichten übermitteln konnten, der Professor, der sein Hemd auszog, ohne sein Gelee abzulegen, und natürlich die ganzen Baggerfahrer, die mit ihren Monstergeräten Schreibmaschine schrieben oder Nadeln einfädelten … das war schon was. Dass überall in den Landen, von den Maschinist*innen bis zu den Hochschulmitabreiter*innen, getagträumt wurde, welche Wette sich machen ließe, das hatte was Possierliches und Nettes. Und selbst wenn es in die Hose ging, war das nicht sooooo schlimm (abgesehen natürlich von jenem Unfall, der die Sendung beendete). Es war meist sympathisch verzweifelt und menschlich warm, z. B. wenn jener Herr aus Österreich irgendwie mit einem Nagel den Flaschenboden rausbrechen wollte und es partout nicht gelang oder jene Gruppe von Männern, die mit verbundenen Augen Flaschen auffangen wollte, keine einzige erwischte. Ach ja, halb so schlimm. Kann nicht alles klappen. Häme und Schadenfreude waren bei »Wetten, dass ..?« seltsam unentwickelt.

3. Thomas Gottschalk. Ganz sicher, der Typ ist ein echter Schmierlappen. Zotige Witze und die geifernd-verblödete Art, wie er an den kurzen Rockerln seiner weiblichen Gäste rumnestelte, das war schon extrem Panne. Auch war ihm intellektuell und politisch alles zu hoch. Carsten Maschmeyer muss niemand in den Oasch kriechen und noch für seine Spenden danken. Dieser Mann hat reihenweise Rentner*innen ausgesackelt. Gerd Schröder (ehemals SPD, heute KGB) die große Kanzlerbühne zu bieten, war brennend blöd. Nur, der Tommy strahlte eine beachtliche Freiheit aus, weil immer klar war, dass er sich bei allem überhaupt nix gedacht hatte. Gottschalk war in umwerfender und entzückender Weise alles wurscht. Ein Mensch, der bis zu seiner Nasenspitze blicken kann und alles dufte findet, was er da sieht. Er hatte einfach Spaß dran, sich lustig anzuziehen und daherzureden. Wer ihm das durchgehen ließ (und das waren fast alle), der war bei ihm in sicheren Händen, denn der nächste halbgare Spruch würde sicher kommen. Ein wohliges Gefühl stellt sich bei Gottschalk ein, das nach ihm nie mehr reicht wurde: »Wenn er sich nicht anstrengt, dann muss ich es auch nicht.« Alles war so umwerfend harmlos, dass es für immer hätte weitergehen können. Deswegen will sich das Fernsehen nun nochmals ein letztes Mal feiern als das, was es heute nicht mehr sein kann. Die Naivität ist weg und kommt nimmermehr. Samstagnacht kann dann für immer abgeschaltet werden und jede*r muss seinen*ihren eigenen Weg durch YouTube finden.

Link: https://www.zdf.de/show/wetten-dass

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