Godspeed You! Black Emperor © Yannick Grandmont
Godspeed You! Black Emperor © Yannick Grandmont

We Drift Like Worried Fire

Aktuell auf Tour, baut die kanadische Band Godspeed You! Black Emperor ihre Klangkulissen im Herbst auch in Wien und Graz und hüllt uns in Atmosphären des Instabilen, der Bewegung und Beweglichkeit, der Fragilität und des vergänglichen Augenblicks.

In anderen Sphären wird der Resonanzraum zelebriert und die Wahrnehmung von Resonanzkörperlichkeit befördert. Ein Konzert: Ein Schwingen, ein Dialog zwischen Räumen und Körpern, in dem sich schließlich alles in einem Klanglichen rauschhaft auflöst. Das Existenzielle wird in seiner Abstraktion erlebbar. Keine Zuschreibungen, Einschreibungen, ausschließlich Erfahrung, ephemer und dabei eindringlich, ja eindrücklich – nicht ohne Spuren zu hinterlassen, in der Konstitution des Publikums, das nach einer hinreißenden Reise wieder am »Exit« abgesetzt, sich selbst und anderen bzw. anderem überlassen wird.

Fragile Zustände
Godspeed You! Black Emperor, eine kanadische Band aus Montreal, deren Musik für gewöhnlich als Post-Rock definiert wird, wovon sich die Band allerdings distanziert, existiert in immer anderen Formationen. Die Mitgliederzahl variiert und umfasst durchschnittlich ungefähr neun Musiker*innen, die in zahlreichen Nebenprojekten aktiv sind. Um 1994 von Efrim Menuck, Mauro Pezzente und Mike Moya ins Leben gerufen, veröffentlichten sie von Beginn an auf dem von Ian Ilavsky und Don Wilkie 1997 gegründeten Independent-Label Constellation Records. Neben der Plattenproduktion wurden auch Live-Performances unter dem bezeichnenden Titel »Musique fragile« gefördert. Constellation Records verfolgt »eine antikommerzielle, antikapitalistische und globalisierungskritische Unternehmenskultur«. Bisher veröffentlichte Godspeed You! Black Emperor sechs Alben darauf – »F# A# ∞« (1997), »Lift Your Skinny Fists Like Antennas to Heaven« (2000), »Yanqui U.X.O.« (2002), »’Allelujah! Don’t Bend! Ascend!« (2012), »Asunder, Sweet and Other Distress« (2015) und »Luciferian Towers« (2017). Damit schufen sie Orte, genauer, Atmosphären des Instabilen, der Bewegung und Beweglichkeit, der Fragilität und des vergänglichen Augenblicks und positionierte sich mit Titeln wie »Anthem for No State«, »Their Helicopters Sing« oder »We Drift Like Worried Fire« ebenso politisch wie auch gesellschaftskritisch.

Gehör-Klang
Töne, Geräusche, Musik sind Medium und Symbol zugleich, schaffen Räume – selbstständige und ungegenständliche. Von hier aus kann man den Blick auf die existenzielle Verbindung zwischen Subjektivität und Raum richten. Eben weil sich Lebendigsein als Fähigkeit zur Selbstbewegung manifestiert, bedeutet Subjektsein immer auch Im-Raum-Sein. In Maurice Merleau-Pontys Analyse des Leibs als Medium des Weltbezugs wurde das mitgesagt. Leiblichkeit als Zur-Welt-Sein schließt das Im-Raum-Sein notwendig mit ein. Und indem Klangräume geschaffen werden, geht es beinahe ausschließlich um Bewegung bzw. Bewegtheit, physisch wie auch psychisch, die uns Hörende für kurze Zeit neu konstituiert. Das Zur-Welt-Kommen beginnt mit der Bewegung zur Welt hin. Diese Bewegungen, ihre Rhythmen und Zyklen erzeugen Konturen des »gelebten Raums«. Daraus entsteht der »Weltenbau«, der nicht bloß mathematisch vermessene und geometrisch konstruierte Räume meint, sondern auch Subjektivität bedingt, die wiederum Identitäten schafft und bewegt – freilich Strukturen, die dem einzelnen von seiner sozialen Umgebung angeboten, oft wohl auch aufgezwungen werden. Das Medium, in dem sich die Anpassung des lebendigen Prozesses in die soziale Struktur vollzieht, ist das Symbol, wodurch dieses zum Konstitutivum seiner Existenz wird. Er ist nicht nur leiblich verankert, sondern auch sozial und symbolisch eingebettet.

Musik ist Raum
Das Verbindungsglied zwischen dem Organischen und Symbolischen bildet das Sinnliche, das Imaginäre, wie die Musik eines ist. Es ist der Ort der Fantasien, des Spiels mit dem Möglichen und der Subversion. Das Imaginäre ist der Ort des Begehrens. So schafft sich das Imaginäre seine Räume, Gefühlsräume, Traumwelten, seine virtuellen Räume. Gaston Bachelard spricht in diesem Sinn von einer Poetik des Raumes. Dieses Bewegtsein hat seine passive Seite, denn das Ich hat keine souveräne Kontrolle der Antriebe. Wir sind darin unserer Autonomie und jeglicher Selbstermächtigung enthoben. Das kann auch ein Trost sein. Die Beziehung von Raum und Identität entsteht, erhält und transformiert sich durch Bewegung, im Medium des Leiblichen. Musik stellt eine Bewegung im Inneren dar, ist die innere Bewegung der Emotion, die unsere affektive Befindlichkeit hervorbringt und den Gefühlsraum, in dem wir leben, seine Konturen gibt. In den Klangkulissen, wie sie von Godspeed You! Black Emperor gebaut werden, diesem schwer entwirrbaren Geflecht von realen Räumen und imaginären Räumen, von privaten und öffentlichen Räumen, von sozialen Räumen und Orten sozialen Handelns, sind die Dramen von Identität und Differenz, von Freiheit und Fremdbestimmung eingebunden.

Tourdaten 2019 (Auswahl):

20. November: Kino Siska Ljubljana
22. November: Tvornica Kulture Zagreb
23. November: Dom im Berg Graz
24. November: Technikum München
25. November: Arena Wien

Link: http://cstrecords.com/artist/godspeed-you-black-emperor/

favicon

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen