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Urbs & Cutex – HipHop Talks!

Im Herbst 2003 lancierten Urbs & Cutex ihr neues Album »Peace Talks!« (Hongkong Recordings/Soul Seduction), mit dem sie erfreulich entspannt dem Goldenen Zeitalter klassischen HipHops die Reverenz erweisen.

Auf den Soul bin ich immer gestanden. Ich hab gar nichts gegen cheesy.
Paul: Las Vegas und so? Für mich ist eigentlich die beste Musik auf der Welt gut ausarrangierter Jazz-Funk, wenn man es auf den Punkt bringen kann. Wenn Jazz drinnen ist, und wenn Funk drinnen ist, und man wirklich sagen kann: es ist Funk, und wenn es auch noch so nach allen Richtungen ausproduziert ist, dass ein String-Arrangement dabei ist und alles Drum und Dran und ein paar Bläser – perfekte Musik, da braucht nichts anderes kommen…
…außer ein HipHop-Beat.
David: Außer ein HipHop-Beat, aber deswegen samplet man es dann ja.

Für mich ist das zum Beispiel Al Green, ich hab auch nie mit seinen schwer religiösen Phasen Probleme gehabt.
David: Ich hab mit überhaupt nichts Probleme.
Meine Generation, Mitte 40, hat extrem viele Berührungsängste: Religion, Schmalz, Synthesizer, außer pseudo-intellektuell.
David: Intellektuell ist immer wichtig, Intellektuell ist bei Musik immer wichtig, weil ohne dem Intellektuellen könnte die Musik ja womöglich (jedem gefallen, Paul), könnte womöglich ja den Unterleib ansprechen, echt höchst teuflisch. Das muss immer so sein, dass es dich auch noch ein wenig abtörnt. Ich spiel jetzt noch die KMD: mittlerweile eine schon ziemlich teure HipHop-Platte. Das ist eine Band, die hat leider ein bissl ein Pech gehabt im Business.
Paul: Sie waren zu politisch.
David: Die zweite Platte wollten sie »Black Bastards« nennen, und dann sinds gedroppt worden von Elektra. Die waren ja auch auf Elektra, gemeinsam mit Brand Nubian, Pete Rock und so, aber sie haben halt nie so viel verkauft, weil sie politisch ein bisserl radical waren, obwohl die Platte eh recht spaßig war. Und dann ist halt noch ein Mitglied gestorben, und dann war es überhaupt aus. Und der übriggebliebene Rapper ist jetzt unter MF Doom. Die Platte ist ein Wahnsinn, die war noch unter Rush Records.
Paul: Rush, Russell Simons. Mit Run DMC haben wir mal gemeinsam ein Interview gemacht.
Ja. 93 oder so.
Meine Assoziation zu eurer Platte, vom Feeling her, ist die zweite von Pete Rock & CL Smooth.
Paul: Das ist ja super. Das ist eine Assoziation, was!
David: Obwohl wir nicht so crashige Snares haben wie der Pete Rock. Wenn’s die Stimmung verbreitet, dann ist es super, weil dann hat sie das genau rauskanalisiert.
Paul: Es ist eindeutig genau das, was super ist für uns. Wenn wir uns anhören »They Remenisce Over You« (vom ersten Album), die Drums dazu und das Drum Programming…
David: …und dir rinnt die Ganslhaut ab…
Paul: …das ist es, auf was es hinausläuft, Gänsehaut plus HipHop plus Jazz plus Funk. Ein Melodiebewusstsein, das ich jetzt einmal als »europäisch« attestiere, gebunden mit Funkiness; das ist es, was Musik super macht für mich, auch wenn’s Rock ist. Sagen wir mal, wenn ich Helmet super find, dann, weil sie auch funky waren, ein gewisser roter Faden, der sich durch die Musik zieht, egal was es für Musik ist, ob es jetzt Heavy Metal ist, wenn es Heavy-Metal-Funk ist, dann ist es super. Soll aber nicht heißen Mothers Finest, sondern Passagen bei zum Beispiel Carcass oder so, die man als funky bezeichnen könnte.

Helmet haben wir in der Arena gesehen.
Paul: In der Szene. Bahnbrechend. Das waren die Typen, die die »Da-dan, da-dan«-Riffs erfunden haben, was auch ein Beitrag zur Funk-Geschichte ist, meiner Meinung nach.

In der letzten Zeit hab ich wieder Big Audio Dymamite ausgegraben.
David: Ich kann leider nicht viel dazu sagen, weil ich Rock nie richtig berührt hab.
Paul: Das war ja mehr oder weniger Dub-Rock, das war ein Clash-Nachfolge-Projekt.
David: Hab ich auch nicht wirklich gecheckt. Hat sich mein Bruder sicherlich auch gekauft, aber ich hab mir’s nicht aufgenommen.
Paul: Nein, da brauchen wir nicht reden darüber, was in Rock super und wichtig ist, aber das ist in Österreich eh schon oft genug behandelt worden.

Paul, wir haben gemeinsam beim »Chelsea Chronicle« angefangen, 1990 ca., du warst die große Zukunftshoffnung des Wiener Musikjournalismus, damals noch Schüler, du hast das geschmissen, hat’s dich angezipft? Schreibst du noch?
Paul: Nein, das wäre zu leicht. Für mich war das eher eigentlich immer, um Leute kennen zu lernen, meine Kommunikationsform; ich hab halt nicht einfach nur mit Leuten reden können: Hallo, servus, ich bin der Paul, ich steh aufs Saufen und auf Frauen oder so, sondern ich hab halt gesagt: Ich steh auf Big Black und Heavy Metal. Es war meine Weltanschauung sozusagen, Leute kennen zu lernen über Musik-Theorie. Was hätt dann noch kommen sollen? Ich hab dann eine »Falter«-Titel-Story gemacht, du und der Schachinger und der und der habt’s gewusst, dass ich talentiert bin als Musik-Schreiberling, aber was hätt ich da jetzt für eine großartige Karriere vor mir gehabt. Also? Es war nicht reizvoll oder prinzipiell das, was ich wollte; weil eigentlich wollte ich eher Leute kennen lernen, als irgendwie über Musik zu schreiben. (…) Der Fritz Plöckinger (Ex-Musik-Journalist, einer der begabtesten dieser Stadt, Plattenhändler heute und DJ) war ja total wichtig für mich, der hat mir ja gesagt: Jetzt scheiß auf das und kauf dir die A Tribe Called Quest, und die gefällt dir dann eh! Die schwarze ATCQ, »Low End Theory«, und das hat gestimmt, wirklich. Und der Fritz hat mich auch gepackt – ich hab ihm gesagt, ich schreib jetzt was über Helmet -, und er hat mich mitgenommen zur ersten »Chelsea Chronicle«-Sitzung. Fritz ist ein super Musikkenner, einer, der alle Styles gehört hat im großen und ganzen, sich ein gutes Bild machen kann, aber nicht den Willen hat, das zu manifestieren.

Wir zappen durch die aktuelle Ty?
Paul: Ty – von der sie alle so schwärmen. Klassische Nummer, von der ich mir denk, warum nehmen sie sie aufs Album? Ohne musikalische Aussagekraft.
David: Ja, ich hab sie sogar schon gehört. Designed für die europäischen Intellektuellen, die nur solche Musik hören können, diese komische Musik, wo ich nicht mit kann. Schwaches Drum Programming, schwache Vocals, kein gescheiter Song, ich weiß nicht, ich bin da immer überkritisch.
Paul: Ich hör lieber Outkast, wenn ich mir so was anhör. Outkast, ich hab bis jetzt nur die Single gehört, ultra abgefahren. Nur mehr Miami Bass mit Banjo, kaum mehr HipHop drauf, nur mehr der absolute Stil-Mix. Das ist schon super, wenn man so eine Karriere mitverfolgen kann, vom Anfang an, wo’s noch relativ straight war, bis hin zu Sachen die relativ frei sind, kann ich total nachvollziehen, wie die das meinen. Bei Ty weniger. O.k., das ist also der so genannte »innovative Beat«, und jetzt spiel ich den Prolo-Beat: Jojo Calligrino. Wenn das von einem englischen Rapper kommt, sagen alle: Pfuh! Keiner würde über die auf einer Compilation vom DJ Skribble reden, das ist halt ein Tune (auf einem Longplayer), aber wenn Ty daherkommt und ein ganzes Album mit sochen Beats macht, dann sagen alle: Pfuh, das ist der Shit! (Bei Ty) gibt’s jetzt nichts, bei dem ich einem Journalisten sagen würde: Alter, das hat’s noch nie gegeben. In Wirklichkeit ist das nur Kommerz-beeinflusst, das ist halt HipHop, der eindeutig Stellung nimmt zu Timberland und Neptunes und so Sachen. … Ist überall Platte des Monats.
David: Ja, weil es endlich was ist, wo wer singt und so, und alles nicht so hart ist. So wie Fugees vor sieben Jahren. Aber das sind gerade die unspannendsten Platten. (Das ist das Tony-Allen-Ding auf G.B.-HipHop) Für mich geschieht viel zu viel, mir taugen die Drums nicht, mir taugen die Instrumente nicht, mir taugen die Vocals nicht. Aus dem Grund, weil du hast nirgends einen Anhaltspunkt. Es geschieht viel zu viel, aber es ist nicht gescheit definiert, die Drums sind nicht hart genug, die sind zurückgemischt und dumpf, die Vocals sind gänzlich unbehandelt – und es passiert viel zu viel, es sind viel zu viele Ablenkungsmanöver drinnen. Es macht keine gescheite Nummer für mich, was da alles läuft.
Paul: Es gibt keine gesch
eite HipHop-Nummer drauf.
David: Es wabbert alles dahin. Also nichts, was ich nicht vor zehn Jahren schon spannender gefunden hätte. Ich kann das erst super oder genial finden, wenn das irgendwo anknüpft, an irgendwelchen Werken, die schon einmal passiert sind oder wo überholen. Aber das Überholen passiert eh nie.
Paul: In Wirklichkeit ist die Entwicklung von den Jungle Brothers, der ersten, zu Ty minimalst.
David: Also der Ty knüpft irgendwie an bei der schwächsten Fugees von »The Score« – und was ist da evolutionär oder nur super dran, das berührt mich überhaupt nicht. Die schwächste Arrested-Development-Nummer von ’92 von mir aus, da knüpft die Ty an; ich weiß nicht was da neu dazuerfunden wird. Obwohl ich halt jetzt sehr kritisch bin. Und es ist alles so linear, ich meine der Sound ist ja schon viel weiter, das ist alles so brav und runtergekocht, es hittet nicht.
Paul: Warum das jetzt überall Platte des Monats ist, ist nicht nachvollziehbar. … Ich überleg jetzt echt, was das letzte HipHop-Album ist, das ich dir ans Herz legen kann, aber es ist wirklich eine harte Entscheidung. Also die letzte, die ich mir gekauft hab, ist die Gang Starr, und dir die so ans Herz zu legen, würde mir schwer fallen. Schwierig. Dass dir die Outkast-Sachen taugen, hätt ich einmal gedacht. Also die neue ist sicher sehr frisch, was halt HipHop meets Country & Western und Miami Bass meets usw. so betrifft. Gang Starr aus Solidarität, muss ich dazusagen.
David: Gang Starr, muss ich in den Kanon einstimmen. Eher so R&B-Sachen, die Lumidee. Kennst nicht?
Paul: Muss ich dir vorspielen. Ein Beispiel dafür, wie undergroundig Kommerz ist oder kommerzig Underground ist.
David: Und dann hab ich mir People Under the Stairs gekauft, die Maxi, die aber eher durchschnittlich ausgefallen ist. Was noch? Neue Maxis kauf ich mir eher selten. Mark Ronson, obwohl das ist auch eine R&B-Geschichte, auf Elektra mit einem Bonny-M.-Sample.
Paul: Die Lumidee ist die mit den Handclaps, die ganze Zeit. (So a Ragga-Riddim ist das, David) Diwali-Riddim. Ohne der kommt man im Moment eigentlich nicht aus. (Das Einzige ist, sie ist nicht so eine super Sängerin, David) So irgendwie der HipHop-Beat des Jahres. (Wenn sie singt wird’s ein wenig cheesy. Sie hat eigentlich so eine weiße Stimme, nicht einmal eine gute weiße Stimme, David) Aber sie spielen die runter und rauf auf MTV. Ich mein, minimalistischer geht’s nicht. Also, was ist Overground und was ist Underground? Das ist nicht mehr zu beurteilen. (Es ist nur, wie’s EQ-ed ist, von dem merkst es, David) Ja, aber das ist Top-10-Amerika. Es ist ein Handclap und Bass-Drum, also minimalistischer geht’s nimmer, so gewagt war keine Underground-Maxi dieses Jahr. (Also des san keine real HipHoper, David)
David: Super is eine neue Crew, die heißt Procussions, aber die ist nicht leicht zu bekommen, es gibt zwei Maxis von denen und ein Album, die gehen aber auch wieder zurück mit dem Sound, klarerweise.

Also liegt es nicht nur an meiner Ignoranz, dass ich nicht viel überwältigend Neues bei HipHop finde?
David: Nein, bei uns ist es eigentlich auch so.
Paul: Und wir müssen uns dann dissen lassen, weil wir das (Lumidee) auflegen, nur weil’s gut kommt.

Gibt’s für euch in Wien eigentlich noch eine Szene?
David: Ja, o ja, schon. Da wünschen wir uns immer, dass es die Leute sind, die gar nicht wissen, was das für Musik ist. Eben nicht die Leute, für die es eben scheinbar konfektioniert ist, wenn man sagt, dass es HipHop ist. Also das wollen wir nicht. Uns ist es wurscht, jeder der Spaß damit hat, das passt eh. Dieses HipHop-Jam-Konzept ist halt immer eine äußerst enge Angelegenheit. Hier vielleicht eh weniger, in Deutschland vielleicht wieder mehr, wenn man das so sieht. Wir wollen halt auch eine Zuhörerschaft haben, die kann über 30 sein und sich nichts scheißen. (Wir lieben Jung und Alt, Paul) Das ist halt so eine Angelegenheit, dass man das als Musik spürt und nicht als Stil. Weil die Szene, die es gibt, die hält immer an diesen wenigen Gesetzen fest und vergisst aber diese…
Paul: Ja, eine Szene ist immer festmachbar an gewissen Codices, und das führt zu nichts…
David: Und da geht halt urviel verloren, weil das sind so Leute, die sich stressen damit, ständig die neueste Maxi zu kaufen, ohne nachzudenken, ob das überhaupt gut ist und ob man sich nicht lieber einen Klassiker kauft um das Geld, um über das Ganze mehr zu lernen. Die Leute, mit denen wir halt gut können oder zu denen wir einen Bezug haben, sind genau die Leute, die schon vor fünf oder zehn Jahren da waren und mit denen wir schon geredet haben. Die ganzen Kids sind schon so weit entfernt von den ganzen Roots, die nehmen ständig Kassetten auf mit ihrem Zeugs, das bringt nichts weiter, das ist alles irrsinnig eng in dieser Deutsch-Rap-Umzäunung drinnen, ein totales in den Bauchnabel hineinwerken. Also, das ist das, was ich jezt mal als Kritik zu sagen hab, um die ganzen New Jacks, die hier losstarten. Die Leute, die das ausgegorenste Zeug machen, die waren damals schon dabei, beim Start.
Paul: Wie die De La Soul. Das ist die aktuellste De La Soul. (Spielt sie), Sean Paul. Bei den MTV-Awards hat er ja einen Newcomer-Titel bekommen, der Mann ist ja schon seit Jahren, Jahrzehnten…
Ich spiele »Oyo como va« in einer neuen Version von 3 Canal/La Corte.
David: Das erinnert mich voll an Mellow Man Ace.
Oder Kid Frost?
David: »La Rasa« hab ich. Ich spiele jetzt Mellow Man Ace. »HipHop Creature«, »Mentirosa«. Das gefällt mir schon besser. (Spottet) Das hat was Definiertes. Da gibt’s auch eine Maxi-Single, die ist ein bissl doper, die hat einen Beat drunter.
Paul: Das ist wirklich auch »Oye coma va«, was sie da verwurschtet haben.
Erinnert Ihr euch an Tone Loc?
David: Oje, Delicious Vynil! Def Jef, Young MC. Def Jef: »I’m Dropping Rhymes on Drums«.
Paul: Pharcyde waren auch auf Delicious.
David: Und Master Ace später.
Paul: Pharcyde. Das erste Album war ein Hammer: das war halt Bomb Squad auf jazzig, der radikalste Sampling-Sound aller Zeiten. Ja, es ist ein bissl ein durchwachsenes Album, das erste, aber es strotzt vor Big-Band-Jazz.
David: Ja 1990, »funky cold medina«.
Paul: Da muss ich gleich noch was von der neuen Ghostface vorspielen, damit wir sagen können, HipHop ist immer noch leiwand. Um soo viel lauter sind HipHop-LPs heutzutage. »Across 110th Street«. Es ist kein Überdrüber-Album, aber die dritte Ghostface und immer noch super eigentlich. Und (am Cover Ghostface) beim Nasenbohren, ein Wahnsinn.
David: Eh noch auf einem Major.
Paul: Ja, aber nimmer lang. Das ist das letzte Album, das nicht so super ist, aber ich hab es mir jetzt trotzdem kaufen müssen, aus prinzipiellem Support, weil er ein super Typ ist, er scheißt sich halt gar nichts, der nimmt einfach irgendeinen Loop und rappt irgendwie drüber, und es ist wichtig, wie er drüberrappt… Und immer die krassesten Fade-outs der HipHop-Geschichte. Na gut, bei der nächsten Session behandeln wir 2000 bis 2003.

O.K., GILT. ICH SCHALT AB.

Home / Musik / Artikel

Text
Hans Grausgruber

Veröffentlichung
29.01.2004

Schlagwörter

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