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Schall als Macht

Steve Goodman aka Kode9 entwirft in seinem Buch »Sonic Warfare« eine Verschaltung von militärischer Forschung, »Rhythmanalysis« und »Anarchitecture« sowie von der Aufrüstung der Frequenzen zwischen Dancefloor und Abschreckung. Die Rezension zu »Sonic Warfare« stammt aus skug #84, Sommer 2010.

Im Anschluss Alois Huber im skug-Interview über Schallpsychologie, Peristaltik-Vibrationen und sonische Sozialarbeit.

Ergänzungstext zu: »Aufrüstung der Frequenzen: Medientheoretische Ûberlegungen zu Soundkunst, Military-Entertainment-Komplex und Freizeitindustrie« für 3. Symposium Forum Medientechnik der FH St. Pölten 2010: www.skug.at/article7250.htm.

Unter Tags verdingt sich Produzent und Hyperdub-Betreiber Kode9 als Assistent an der University of East London. Daneben ist er Mitglied der Cybernetic Culture Research Unit — Ccru. »Sonic Warfare« ist eine um den Military-Entertainment-Komplex erweiterte Fortsetzung von Eshuns »More Brilliant Than the Sun« und mithin eines der wichtigsten Bücher zur Soundart derzeit. Hier wie da geht es um »unerhörte« Klänge, die sich zwischen Bass Culture, Black Secret Technologies und Afrofuturismus manifestieren. Goodman macht einen nächsten Schritt, indem er das Sonische in einen Komplex einschleust, der aus einer Ökologie der Angst sowie aus psychologischen/physiologischen Beeinflussungs- und Kontrollmechanismen durch Sounds, Frequenzen und Vibrationen besteht: »Sonic culture, thus situated, renders the urban audiosocial as a system of speeds and channels, vortices of attraction, vibratory and turbulent: a whole cartography of sonic force«.

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 Steve Goodman aka Kode9

Immer wieder weist Goodman darauf hin, dass die bisherigen Betrachtungen von Krieg und Sound die dahinterliegenden Strategien zur Deeskalation und Aufrechterhaltung von Macht durch das Sonische viel zu wenig beleuchten. Die durch Segregation und post-9/11-Ûberwachungsparanoia evozierte »Ökologie der Angst« ist zu einem griffigen Kalkül dafür geworden, den öffentlichen Raum mittels Ûberwachungskameras und Schallwaffen (Long Range Audio Device – LRAD) audiovisuell aufzurüsten. Experimente mit Infra- und Ultrasound und ihre Einwirkungen auf den menschlichen Körper spielen dabei ebenfalls eine tragende Rolle.

Aufsetzend auf den »War Machine«-Konzepten von Deleuze/Guattari, verschnitten mit Virilios Dromologie und Kittlers Medientheorie, geht es in »Sonic Warfare« in das akustische Schlachtfeld zwischen den von der israelischen Armee im Gazastreifen eingesetzten »sonic booms«, den jamaikanischen Soundsystemen und hochkomplexen Ûberlegungen zu Rhythmus (»Rhythmanalysis«) und zum öffentlichen Raum (»Anarchitecture«). Diese Urbanismus-Kritik schöpft ihre Kritiken aus dem Buch »The Ecology of Fear« von Mike Davis, das für »Sonic Warfare« titelgebend wurde.

 

Biotechnologische Sonic Fiction: Politik des Rhythmus

Sonic_Warfare.jpgWie könnte es anders sein, stammt das Intro-Zitat zu »Sonic Warfare« aus »Apocalypse Now«. Goodman geht jenen Affekten auf den Grund, die sich mit dem Hubschrauber-Dröhnen ins kollektive Soundgedächtnis eingeschrieben haben. Affekte also, die auftreten, wenn sich das Gehörte zur Vorwegnahme des Ereignisses verdichtet. Station wird gemacht bei mehr oder weniger obskuren Möglichkeiten militärischer Soundforschung wie dem »People Repeller« aus dem Vietnamkrieg, der Windkanone des österreichischen NS-Konstrukteurs Dr. Zippermeyer, den Versuchen des französischen Physikers Vladimir Gavreau mit infrasonischen Wellen oder den Hochfrequenzanlagen, die konsumunwillige Teenager von Einkaufspassagen fernhalten sollen (sogenannte »Mosquitos«). Weitere Kreuzungspunkte sind Klaus Maecks Film »Decorder« (1989) und die »audio virology« bei Burroughs. Für Goodman ist futuristische Musik und seine Kriegsbegeisterung zwar eine Referenz, aber nicht mehr. »Sonic Warfare« ist nicht am Noise der elektromagnetischen Schlachtfelder interessiert, sondern erweitert über die Abzweigung Attali Noise zu einer Rhythmuskonstanten.

Nach gut 150 Seiten teils recht heftiger Theoriekonvolute führt Goodman auf 50 Seiten die vorher ausgebreiteten Begrifflichkeiten zu einem profunden Bass-Diskurs zusammen. Im Kapitel »Dub Virology« geht es sozusagen ans Eingemachte des Dub, Goodmans Auseinandersetzung mit Underground Resistance und Kevin Martin schließt die Lücken zwischen Rhythmus, Riddim und Rhythmachine.

Trotzdem: Wer sich bei »Sonic Warfare« musiktheoretische Ausbreitungen zu irgendwelchen Genres als solche erwartet, liegt falsch. Schließlich untersucht »Sonic Warfare« Frequenzen und deren Bündelung als Vibrationen ja nicht als Musik, sondern als produktionsästhetische und soziologische Phänomene. Öffentlicher Raum wird zur »Anarchitecture« »that indicates a method of composition, an activity of construction, which feeds of the vibratory tension between contrasting occasions.«

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Dynamische Diskontinuitäten

Interessant an der Rezeption des Buchs ist, dass Verweise in Richtung des »testcard«-Bands »Pop und Krieg« (2000) und besonders von »Entsichert« (2002) von Holert/Terkessidis praktisch nicht vorkommen. Zwei Bücher, die das Feld akustischer Kriegsführung für die Poptheorie essentiell nutzbar machten. Wenn man Goodmans »Warfare«-Blog liest, kommt einem als erstes seine Kritik an der Kritik entgegen, welche sich wenig bis nicht an seinen Theorien abarbeitet, sondern sich über die Komplexität des Buchs mokiert. Irgendwie ja kein Wunder: Goodman wird als Kode9 wahrgenommen, und in diesem »Pop«-Umfeld sind seine, auf Bergson, Massumi und Whitehead aufbauenden Diskurse zum »vibrational nexus«, den sich daraus ableitenden »Rhythmachines« und zu affektiven Aneignungen oder Regulierungen des Sonischen ein noch lange nicht abgestecktes Terrain.

Im Gegensatz zu Eshuns »personalisierten« Theorie- und Neologismus-Ungetümen ist Goodman allerdings in einer seltsamen Verbindung von akademischer und Pop-Schreibe verhaftet, die zwar immer wieder an das Geheimwissen des Dancefloors andockt, dieses aber in einen wissenschaftlichen Korpus presst, der oft schlicht zuviel vom Leser voraussetzt. Im skug ist via Laton und ähnlichen Soundforschern die taktische Analyse von Vibrationen immer wieder präsent, aber wenn man sich eben Rezensionen zu »Sonic Warfare« durchliest, wird schnell klar, dass es sich hier um Konnotationen handelt, mit denen auch »Auskenner« ihre Probleme haben. Schließlich zeigt »Sonic Warfare«, wie wenig der Zusammenhang zwischen Simon Reynolds »Hardcore Continuum«, Black Secret Technologies, Military-Entertainment-Komplex, Schallwaffennutzung im öffentlichen Raum und der Macht der Frequenzen erforscht ist.

Goodmans Verdienst ist, Angst als Kontrollorgan in der Musik implementiert und Auswege aus diesem Szenario aufgezeigt zu haben. Ein Glossar und ein mehr als umfangreicher Anmerkungskorpus zeugen beredt von den hohen Ambitionen Goodmans, mehr Hirnschmalz in die Frequenzen zu bringen.

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  Vorrichtungen für akustische Flugmaschinenerkennung, Japan, 1. Weltkrieg. Aus Goodmans Blog

 


Alois Huber im skug-Interview mit Heinrich Deisl huber2.jpg

AH: Ich fühle mich als elektronischer Musiker, bin gelernter Sozialarbeiter und definiere mich als Psychokybernetiker. Seit ich denken kann, haben mich Fragen nach Sound, Sound und Umgebung, Sound und Welt geprägt. Einen Raum zu definieren oder auszuloten, funktioniert meiner Meinung nach am besten mit Sound. Im Buddhismus gibt es »Nada Brahma« — alles ist Klang. Die fortgeschrittenste Raumwahrnehmung durch Akustik haben sehr wahrscheinlich Fledermäuse, Delfine und Wale. Da kann der Mensch selbst technisch noch lange nicht mithalten. Faktum ist, der Mensch in seiner Gesellschaft kann nur aufgrund seiner Sinne wahrnehmen und hier ist der auditive Sinn einer der stärksten und somit einer der präsentesten. Nämlich der, den ich nicht abschalten kann.

Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, wo es sehr viele Sounds gab, die für Städter möglicherweise ungewohnt sind. Nicht die klassischen Industrial-Sounds, sondern von Landmaschinen. Ich erinnere mich an eine Kreissäge, deren Obertöne zu singenden, stehenden Tönen wurden und mich als Kleinkind schwerst faszinierten. Diese stehenden und überproportional lauten Töne haben mich geprägt und mir auch eine Art von Schrecken eingejagt.

Von Schiltern, die Gegend meiner Herkunft, ist der Truppenübungsplatz Allensteig nicht allzu weit weg. Am Sonntagnachmittag sind die Großeltern immer wieder auf einen zugekommen und haben erzählt, dieser Lärm sei nicht der Donner, sondern das Militär, das hier Ûbungen abhält. Man hat auf rund 60 Kilometer die Schallwellen der Kanonenabschüsse noch immer gespürt und gehört. Ich bin in einem Gasthaus groß geworden, in dem es viele Menschen gab, die im 2. Weltkrieg gewesen waren. Diese alten Leute haben sehr interessant reagiert: Wenn sie diese Sounds gehört haben, haben sie immer wieder davon erzählt, wie ihnen der Schrecken des Krieges noch immer in den Köpfen präsent ist. Das waren nicht nur die Anblicke von toten Menschen, sondern auch diese Sounds, die sie bis heute praktisch mitgenommen haben und wohl nie aus ihren Köpfen bekamen. Auch das Schreien von Tieren, die geschlachtet werden, ist mir noch sehr stark in Erinnerung.

HD: Im Untertitel nennt sich das Buch »Sonic Warefare« von Steve Goodman »The Ecology of Fear«. Ein Zitat, das auf das gleichnamige Buch des amerikanischen Urbanismusforschers Mike Davis zurückgeht. Davis meint, dass sich im Stadtgefüge diese Ökologie der Angst immer weiter ausgebreitet hat. Dieses Buch ist bereits 1998 herausgekommen. Ich glaube, dass ab 2001 diese These des Angstmachens im öffentlichen Raum extrem virulent geworden ist. Sie ist eine gute Möglichkeit dafür geworden, den öffentlichen Raum audiovisuell zu kartografieren oder zu erfassen. Diese Kontrollmechanismen sind jedoch sehr subliminal gestaltet, sodass sie in einem allgemeinen Dafürhalten als, flapsig formuliert, eh OK durchgehen. Wir haben es, glaube ich, mit einer Aufrüstung des öffentlichen Raums zu tun und dafür ist diese durch Medien, Segregation und Machterhaltungstrieb hergestellte Ökologie der Angst ein sehr probates Mittel. Der Grat zwischen Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen und Transparenz wird immer durchlässiger. Stichwort Kameraüberwachung von öffentlichen Räumen, biometrische Datenerfassung, Telekommunikationsüberwachung …

Es gibt ja mittlerweile auch den sozusagen legitimierten Umgang mit Long Range Acoustic Devices — LRADs, die im Irak-Krieg und dann beim G-20-Gipfel in Pittsburgh 2009 eingesetzt wurden. Wo es darum geht, dass man mit Sound Deeskalation betreiben kann. Sprich, dass bestimmte Frequenzen zu bestimmten Reaktionen im Körper führen. Das ist nun nichts allzu Neues, aber es scheint so zu sein, dass die technische Infrastruktur dafür nun da ist.

Gleichzeitig, und jetzt schlage ich eine große Brücke, werden in den Clubs die Soundanlagen immer effizienter. In »Sonic Warfare« beschreibt Goodman, wie immer effizienter Sound genutzt wird, wie bestimmte Bassfrequenzen immer präziser verwendet werden können. Eine der Thesen des Buchs ist, dass es zwischen diesen beiden Phänomenen eine Verbindung gibt, die mit der eingangs erwähnten Aufrüstung der Frequenzen zu tun hat. 

Discozma_Huber1.jpgAH: Das Militär hat seit jeher alles versucht, Vorhandenes so zu nutzen, dass es als Waffe eingesetzt werden kann. Ich fange ganz archaisch an. Musik hat meiner Ansicht nach drei Funktionen: Musik kann Menschen zum Lachen bringen, zum Weinen oder sie kann töten.

Das Lachen ist mit Kommerz, Ablenkung und Unterhaltung recht einfach erklärt. Beim Weinen wird es schon schwieriger: Bei sehr tiefen oder dramatischen emotionalen Zuständen reicht die Sprache nicht mehr aus. Um menschliches Leid auszudrücken, ist quer durch beinahe alle Kulturen ein musikalischer oder akustischer Ausdruck festzustellen. Beim Weinen ist auch an die Ereignisse aus dem Irakkrieg im Sinne von Folter zu denken und daran, Leute an die Grenzen ihrer persönlichen Wahrnehmung zu bringen. Schließlich hat man seit jeher versucht, auch den Funktionen der Musik zum Töten habhaft zu werden. Beim Töten werden immer wieder die Trompeten von Jericho erwähnt. Der Mythos war, dass diese Trompeten es geschafft hätten, eine Mauer einstürzen zu lassen. Schallwellen haben demnach bestimmte Wirkungen, sie überlagern sich unberechenbar und bringen mit Subfrequenzen und Obertönen Charakteristika hervor, die sich jeder digitalen Aufzeichnungsmöglichkeit widersetzen, nämlich durch Brechung im Raum mit dem Bezugspunkt Mensch.

Ein weiter Sprung: In den 1950er Jahren hat, zurückgehend auf militärische Forschungen im 2. Weltkrieg, das Schweizer Militär mit Subfrequenzkanonen experimentiert. Hier wurde Sound also dezidiert im militärischen Kontext genutzt und das in einem Bereich, der außerhalb des normal Hörbaren liegt. Damit sollte die Eigenfrequenz die Körper zum Schwingen gebracht und dieser letztlich zerstört werden. Diese Versuche sind, glaube ich, in den Schweizer Alpen vonstatten gegangen und diese Kanonen waren um die 25m lang. Aber auch die bedienenden Personen dieser Schallwaffen waren dadurch gefährdet.

Für den Clubkontext bedeutet das: Natürlich ist eine Wahrnehmung von Sound dadurch umso intensiver, je mehr man in Bereiche geht, die der Rezipient nicht gewohnt ist oder nicht aus dem Radio kennt. Wir haben mit Laton ja selbst mit solchen sozusagen Schallkanonen — mit der Infrasonic Transmission Tube – ITT — experimentiert. Ich kann bis heute nicht genau sagen, ob die ITT oder der psychologische Effekt, in einem Raum zu sein, in dem eine Schallwaffe aufgebaut ist, dafür gesorgt hat, die Menschen reihenweise aufs Klo zu treiben. Einerseits animieren diese Sounds die Peristaltik, andererseits stellt sich die Frage, ob es eine psychologische Angst vor etwas war, das auf mich einwirkt, das ich aber nicht sehe.

Der Clubkontext hat immer schon nach dem Neuen, Aufregenden, Ûberspannten gesucht. Jetzt sagtest du, dass die Clubs immer besser ausgestattet und die Soundanlagen immer besser geworden sind. Ich konstatiere das Gegenteil. Die Sounds sind nicht besser, sondern schlicht digital und berechenbar geworden und in den Clubs ist es generell leiser geworden.

Ich gebe dir aber dahingehend recht, dass gezielt mit bestimmten Soundelementen ganz anders gearbeitet wird als früher. Der manipulative Effekt um Erinnerungsmomente abzurufen — Stichwort Samples –, um zu irritieren oder um im Bassbereich Klarheiten zu schaffen, ist heutzutage in voller Transparenz vorhanden; Vor zwanzig Jahren war nur Verschwommenheit herauszubekommen. Ich stelle für den Club eine Verwässerung und eine Oberflächlichkeit fest, bei der die Dezibelregelung dafür verantwortlich ist, die Experimentierfelder des Clubs zu konterkarieren und in Frage zu stellen. Die eigentliche Soundentwicklung passiert meiner Meinung nach derzeit nicht im Club sondern wieder mal in einem kunsttheoretischen Kontext.

Es gibt Instrumentarien, die man in den Boden steckt, um sich so die Wühlmäuse vom Garten fernzuhalten. Es gibt auch Instrumentarien, die man ins Auto einbaut, damit man mit sehr hohen, für Menschen nicht hörbaren Frequenzen Wildtiere und selbst Gelsen in Schach bekommt. Es geht um eine Kommunikation zwischen mir, der ich nichts (mehr) höre und dem anderen Organismus, für den diese Sounds hörbar oder sogar schmerzhaft sind.

Aus evolutionärer Sicht finde ich interessant, dass es diese verschiedenen (nicht-)hörbaren Kommunikationsformen gibt. Was ja auch sehr nützlich sein kann dafür, Angst wegzunehmen oder zu vertreiben: Wenn ich nach Hause fahre, werde ich nicht von einem Rehbock attackiert sondern habe eine kleine Schallkanone im Auto, die mir ein sicheres Nachhausekommen ermöglicht. Hier steckt also viel Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt drinnen. Der Mensch ist ja im Vergleich zu Tieren in seiner akustischen Wahrnehmung sehr degeneriert.

Aus sozialarbeiterischer Perspektive kann man sagen: Man versucht, jugendliche, nicht-konsumwillige Punks von Verkaufsflächen fern zu halten. Dafür klassische Musik zu spielen, setzt ein bestimmtes kulturelles Vorwissen oder eine Codierung voraus, wo wohlüberlegt ist, womit man Punks vertreiben kann. Aber das ist schief gegangen, auch Punks gewöhnen sich an Mozart und Mozart ist dann nicht das, was vertreibt. Es ist eine Irritation, ja. Aber es wird auf Dauer nicht funktionieren, zu hoffen und zu glauben, Städte durch den akustischen Einsatz von kulturell tradierten Elementen sauber zu bekommen. Es ist wie bei Schädlingen, die nach einiger Zeit resistent gegen die Bekämpfungsmethoden werden. Aber es sind immer noch jene Personen, die diese Signale aussenden, genauso gefährdet wie deren Adressaten. Und da sind wir noch gar nicht beim Themenfeld Kaufhausmusik und Manipulation. Die Menschen sind schon so angepisst von Kaufhausmusik, dass dieser Effekt der Beschallung und der Manipulation nicht mehr funktioniert. Ich glaube, da sind wir dann schon eher in der Kategorie Geruch angekommen. 

HD: Was hältst du von der Aussage, dass das Militär seit jeher den Status quo der Kulturindustrie beziehungsweise der daran angeschlossenen Freizeitindustrie bestimmt hat? Offensichtlichstes Beispiel dafür ist sicher das Internet. Welche Möglichkeiten gibt es, Maschinen aus ihrem Kontext zu nehmen um Prototypen zu erstellen oder Rekontextualisierungen vorzunehmen, um dem zu begegnen, dass militärisch-medizinische Forschung den Status quo der Maschine definiert?

Die Frage zielt auf die Verschmelzung von Militär und Freizeit, also auf den sogenannten Military-Entertainment-Komplex, wie er ja auch in »Sonic Warfare« besprochen wird und bereits 2002 von Tom Holert und Mark Terkessidis im Buch »Entsichert« gut aufgearbeitet worden war.

huber.jpgAH: Wenn man sich die menschliche Geschichte ansieht, muss man zweifelsohne feststellen, dass es immer Entwicklungsschübe in Kombination mit militärischen Entwicklungen gegeben hat. Wobei: Wenn ich das Rad der Zeit ganz zurückdrehe, dann ist jede technologische Entwicklung nicht nur im Sinne von »Ich möchte den anderen umbringen« sondern auch von »Ich möchte Sicherheit für meine Community« gemacht worden. Das sind zwei verschiedene Vorzeichen eines Ansatzes.

Erfindungen wie die von Metallen oder von Plastik, die Seßhaftwerdung oder Nutzung von Erdöl stehen immer im Zusammenhang zu der Entwicklung, wie viel Sicherheit eine Community haben will. Wird diese Entwicklung aggressiv interpretiert, also nicht mehr im Sinne einer Arterhaltung sondern getreu dem evolutionären Prinzip, nie genug zu bekommen, also als Gier, wird technologischer Fortschritt auch militärisch genutzt. Das Militär hat uns von der Teflonpfanne bis zum Synthesizer und retour viele technologische Entwicklungen ermöglicht. Das möchte ich nicht in Abrede stellen. Ich würde den Military-Entertainment-Komplex auch nicht als einen gesonderten Komplex sehen, sondern er ist in all unseren Köpfen. Ein Standortvorteil, ein Sicherheitsbedürfnis, ein Umgang mit Mitmenschen: Das sind ganz elementare, persönliche Gefühle, die sich in den letzten 20.000 Jahren verselbständigt haben.

Es scheint logisch, dass das Military Entertainment heute derart präsent ist. Ich finde indes die Offenheit, dass dieses Thema überhaupt am Tisch liegt, bemerkenswert genug. Hier konnten sich ganz andere Kommunikationsströme etablieren: Wenn ich auf »1984«, auf die Orwellsche Ûberwachungsdystopie, oder auf 9/11 zurückblicke, haben wir es heutzutage durch Facebook mit einem wesentlich anderen kommunikativen Selbstverhältnis zu tun. Ich halte es mit Stefan Seydel von rebell.tv, der sagt, dass wir keine Ahnung haben, was derartige Medienformate mit uns machen; wir sind de facto mitten drinnen. Dass hier Profile öffentlich dargestellt und skizziert sind, ist ein Phänomen, das wir entwicklungstechnisch wegen des Internets dem Militär zu verdanken haben. Es hat Chancen und Risiken. 

HD: Es gibt ja seit langem eine Verbindung oder Konvergenz zwischen Krieg und Videogames. Wir haben es hier mit einem Update jener Debatten zu tun, mit denen sich die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft schon lange befasst. Nämlich, ob Gewalt im Fernsehen nun abschwächend oder fördernd wirkt. Bei Videogames wird noch plastischer, noch effizienter, noch anschaulicher, wie es ist, dein Gegenüber nur mehr als Abbild, als Pixelung zu erfahren. Heißt, die reale Auseinandersetzung oder der Kontakt mit dem Gegenüber findet nicht mehr statt. Freizeitindustrie ist auch ein Thema, das da gut hineinpasst. Wenn man sich die Rezensionsabschnitte in diversen Pop-Magazinen ansieht, sind Videogames genauso Teil des popkulturellen Lifestyles wie Musik oder Bücher. Der »Military Chic« hat sich ebenfalls breitgemacht, es gibt Managerschulungen, die den Eindruck eines Boot-Camps vermitteln. Also eine Gesellschaftsform, die aus sich selbst daran geht, Fehler auszumerzen und nicht zuzulassen.

Eine Eigenschaft, die ich als »vorauseilenden Gehorsam« umschreiben möchte. Eine — um hier den Bogen wieder zurückzuspannen — Aufrüstung des Alltags, die auf Leistung und Effizienz abzielt. Was mich wieder zu »Sonic Warfare« und Goodmans Konzept der »Dub Virology« als ein Ansatz einer diesbezüglichen Relativierung bringt. Ein Ansatz, der von akustischen Viren ausgeht, die sich vor allem durch Dub-Musik »übertragen« und sich in den Systemen der Musik, der Freizeit und des Clubs breitmachen. 

AH: Ich finde Militär und Videogames naheliegendst. Auch hier trifft man wieder auf Doppelbotschaften. Denn: Wer möchte nicht einmal in einem Flugsimulator fliegen? Und wer hat sich dieses Vergnügen gegönnt und ist trotzdem nicht vom Boden abgehoben? Ûberspitzt gesagt: Es ist uns immanent, Krieg zu führen. Die Aggression scheint ein Grundantrieb des Menschen zu sein, sonst wäre er schwerst depressiv und würde sich auf die Couch legen, um in Ruhe zu sterben. Zwischen gesunder und krankhafter Aggression zu unterscheiden, ist hier nicht das Thema, aber ich denke, damit wird ein innerster Lebens- und Ûberlebenstrieb angesprochen, der durch solche virtuelle Welten provoziert, animiert und stimuliert wird.

Es ist schlicht nur die halbe Wahrheit, zu sagen, der militärische Komplex würde uns etwas aufoktroyieren, sondern wir sind alle wunderbarst bereit dafür, ihn zu konsumieren. Jede Gesellschaft hat jene Kunst und Kultur, die sie verdient. Ich bin nicht paranoid genug, um zu behaupten, hundert Jahre Hollywood würden eine radikalisierte Gesellschaft zur Folge haben. Aber klar, wenn man sich aktuelles Kino und Fernsehen ansieht und die darin vorkommenden Toten zählt, darf man sich nicht wundern, dass bestimmte Hemmschwellen fallen. Das ist de facto so, ist aber auch notwendig, um in der Gesellschaft zu überleben. Weil man sonst ausflippen würde, wenn man allein auf der Straße geht und die Ignoranz der anderen mitbekommt.

Ich tue mir schwer mit dem paranoiden Aspekt, wonach diese Hemmschwellenreduktion von einigen wenigen Leuten oder Gruppen wie etwa eben dem Militär gesteuert ist. Wir haben es viel eher mit einem rhizomatischen Geflecht von menschlichen Bedürfnissen zu tun. Es wird zu wenig Sport getrieben, man muss nicht mehr Bäume fällen oder Tiere schlachten, sondern kann völlig vertrottelt zuhause auf der Couch sitzen und Baller-Shooting machen. Das wird nie das sein, was beim Schweineabstechen in der Landwirtschaft passiert, nämlich dieses Naheverhältnis zum Tod mitzuspüren. Beide Seiten bedingen einander und das Militär bietet sich hierbei marketingtechnisch wunderbar an. Natürlich geht es hier um Massenmarketing. Und wir sind alle bereit dazu.

Die Entwicklungen technologischer Durchdringung waren im Sinn von Kultur natürlich auch nicht immer die friedfertigsten. Denken wir an Menschenopfer, rituelle Tötungen oder sehr dramatische Spiele in der Steinzeit, die man aus Angst vor den Göttern inszenierte. Man könnte annehmen, 10.000 Jahre später könnte die Menschheit klüger sein. Offensichtlich ist man indes nicht klüger.

Es gibt einige theoretisch-spirituelle Zugänge, die das als zentralen anthropologischen Punkt sehen und sagen, dass es gilt, damit in der Gesellschaft zurande zu kommen oder fertig zu werden. Heißt, man muss nicht jemanden anderen rituell töten, um die Angst vor den Göttern zu besiegen. Leider ist es allerdings so, dass wir noch nicht sehr weit entwickelt sind und eher ein Auseinanderklaffen festzustellen ist zwischen technologischen Möglichkeiten und nach wie vor relativ trivialen, steinzeitlichen Zugängen zum Leben. Und da wird’s dann gefährlich. Ob Atomkraft oder die Radikalisierung des Alltags: Man hat Waffen in Händen, die in früheren Zeit gut gehortet oder gesichert waren. Immer schon hat es symbolische und reale Insignien der Macht gegeben und sie waren so attraktiv, dass man sie mit ins Grab genommen hat.

Die Zugänglichkeit hat sich dramatisch erhöht: Jedes Moped ist eine Gefahr, jedes Auto ist im Prinzip ein Mordwerkzeug. Die Geschwindigkeiten, mit denen wir es mittlerweile zu tun haben, setzen voraus, dass Menschen lernen, damit umzugehen. Und natürlich sind Videospiele das beste Training, das zu lernen. Ist man halbwegs klar im Kopf, kann man sich abreagieren und sich fit für die Gesellschaft machen. Hat man allerdings ein Problem im Leben, nimmt man möglicherweise das zum Anlass, um mit der Pumpgun in der Schule Lehrer niederzuknallen.

huber1.jpgMich stört an dieser Diskussion, dass sie derart stark über Reize gespielt wird. Für mich fallen Paintball, Lasergames oder Wehrsportübungen in dieselbe Kategorie. Es ist wohl ein Grundbedürfnis für derartige Beschäftigungen da. Allerdings hat die Gesellschaft es verabsäumt und dann dem Militär überlassen, die Konditionierung oder den Zugang dazu gesellschaftlich zu integrieren oder zu kanalisieren. Für einen Achtjährigen ist es schlicht nicht attraktiv, in der Selbsthilfegruppe zu sitzen und gesagt zu bekommen, dass wir uns ja eh alle super verstehen. Der muss raufen, braucht sein Holzgewehr und muss diese Grenzen für sich selbst wahrnehmen. Wenn man ihm diese nicht gibt oder ihm nimmt, wird möglicherweise genau so ein friedfertig erzogenes Kind mit neunzehn Jahren zu einem unberechenbaren Killer, weil er nie den Umgang mit Grenzen im Sinn der Ausübung von Gewalt, Waffen etc. lernen konnte.

Wir haben es mit ständigen Pendelbewegungen der gesellschaftlichen Herausforderungen zu tun. Ich fürchte, dass das Geld eben dort ist, wo die Macht sitzt, und die ist dem Militär näher als z. B. der Sozialarbeit. Medien können bereits vorhandene psychologische Dispositionen verstärken oder abschwächen, für eventuelle Dispositionen sind aber Erziehung, Lehrer, Eltern und, generell, verminderte soziale Aufmerksamkeit verantwortlich zu machen. 

HD: Worin bestehen Gemeinsamkeiten beziehungsweise Gegensätze zwischen Military-Entertainment-Komplex und avancierter Soundkunst? Wo finden sich Zusammenhänge zwischen Soundapplikationen des öffentlichen Raums wie z. B. Erdbebenforschung, Sonar, Flughäfen oder urbane Lärmreduktion und künstlerischen Interventionen oder medialen Inszenierungen? Also Interventionen, die wie bei Laton außerhalb eines konventionellen Pop-Gestus stehen. Sind derartige soundforscherische Zugänge für den Massenmarkt »gefährlich«, weil nur die damit umgehen sollten, die auch über das entsprechende Know-how verfügen? 

AH: Ist das die Frage danach, inwieweit es für ein Label oder ein paar Protagonisten sinnvoll ist, in ein derartiges Feld einzusteigen? Genau das ist die Antwort: Es eben genau nicht dem Militär, den Club- und Labelbetreibern, dem common sense und auch den klassischen Musikgeräteherstellern zu überlassen, was Menschen hören. Laton ist ja nicht das einzige Label, das sich damit beschäftigt. Ich denke beispielsweise an russische Musikkollegen, die aufgrund der Not Geräte selbst umarbeiten müssen und daraus Prototypen herstellen.

Den ehrlichen, forschenden Anspruch zu haben, in die Grenzbereichen der Wahrnehmung zu gehen, ist das elementare Grundprinzip von Kunst. Wenn sie das verloren hat, ist sie keine Kunst sondern Kommerz. Es ist schlicht wichtig, derartige Zusammenhänge nicht dem Militär und ihrer Zerstörung zu überlassen. In jedem großen internationalen Konzern ist man mitten in der Zerstörung, in jeder Firma geht es um Profitmaximierung. Natürlich geht es auch ums Ûberleben, aber man ist Teil der Zerstörung. Da bleibt nur eine kleine Nische wie Kunst und Kultur, die es sich noch leisten kann, Derartiges in Frage zu stellen. Diese kleine Chance muss man nutzen.

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