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Peking Punk

Auftakt von Into the City/Wiener Festwochen

Ein Dokumentarfilm entführt uns in Pekings Punk- und Rock-Szene, zu einer Subkultur, die vielen von uns bekannt erscheinen mag, und dennoch unvergleichlich ist. Anschließend Joyside - am Cover von skug Vol. 70 - live!

Angesichts der hauptsächlich auf Japan zentrierten Begehrlichkeiten innerhalb westlicher Popmusik-Zirkel fristet China ein eigentümliches Schattendasein. Nun gibt es dort zwar auch erst seit knapp 20 Jahren so etwas wie Rockmusik, aber als popmusikalische Reverenz war das post-kulturrevolutionäre China im Westen nicht gänzlich unbekannt. Das reichte von camper Aneignung zwischen Mao-Anzügen (James Bond) und Mao-Chic (Roxy Music) oder David Bowies und Iggy Pops »China Girl« bis hin zu politischen Bezügen im Post-Punk (Gang Of Four) oder bei den Goldenen Zitronen. Von der ästhetischen Faszination, die chinesische Revolutionsplakate immer noch ausüben, ganz zu schweigen.

Aber Punk aus China? Nun, so komisch und exotisch klingt das nicht. Immerhin gibt es seit Jahren eine rege Underground-Szene, die auf Cassetten (!) Punk und Hardcore selbst in so pop-entfernten Weltregionen wie etwa Tibet veröffentlichen. Sogar Nord-Korea verbreitet via Internet Songs mit »Fuck America«-Refrains im trashigen Metal/Punk-Gewand.

So ist es der Berliner Filmemacherin Susanne Messmer (u.a. Mitbegründerin der Plattenfirma Flittchen Records) und dem Fernsehjournalisten George Lindt auch hoch anzurechnen, bei »Beijing Bubbles« das Exotische relativ im Hintergrund zu lassen.

Stattdessen begleiten sie ihre Protagonisten in einer Art »Videotagebuch« wie gute Bekannte auf Besuch (was sie mittlerweile ja auch sind). Das untergräbt nicht nur den voyeuristischen (West-)Blick, sondern ermöglicht auch sehr intime Einblicke. In Proberäume, Wohnungen (mit Eduscho-Plastiksackerln im Regal!), Karaoke-Bars und zu Besuchen bei den Eltern, die voller Stolz Bandplakate her zeigen und auch finanziell rege unter die Arme greifen.

Andererseits waren diese fremden, neuen Einblicke für Susanne Messmer und George Lindt auch Rückblicke in eigene, alte Geschichten: »Die Leidenschaft und der Humor dieser Musiker erinnerte uns an Zeiten, als Punk in Europa noch das große Ding war. Wir hatten das Gefühl, als wäre er jetzt auf die andere Seite des Erdballs gerutscht. Wir sind mit Punk groß geworden, wir haben erlebt, wie er zur leeren Mode wurde und waren gerührt, dass sein seltsamer Pathos, sein heiliger Ernst und seine lieben alten Attitüden für uns hier wieder eine Daseinsberechtigung bekamen.«

Wobei »Punk« bei den fünf porträtierten Bands eher einen Lifestyle, eine Haltung gegen gesellschaftliches Leistungs- und Konsumdenken, als einen eng gefassten Genrebegriff meint.

Sha Zi sind eher Blues und Pop, die New Pants nennen nicht nur Plastikpuppen der Ramones und Kiss-Devotionalien ihr eigen, sondern klingen auch so, T9 mischen traditionelle mongolische Obertontechniken unter ihre Rockstücke, die »Mädchenband« Hang On The Box erwähnt hingegen Peaches als Einfluss und kommt mit ihrem Mix aus No-Wave-Disco und Post-Punk-Funk aktuellen West-Strömungen eigentlich am nächsten.

Bleiben noch die im Rahmen der Wiener Festwochen auch live gastierenden Joyside. Gegründet 2001 nach dem exzessiven Genuss von Sex Pistols- und Stooges-CDs können sie mittlerweile auf zwei treffsicher betitelte CDs (»Drunk Is Beautiful«, 2005 und »Bitches of Rock’n’Roll«, 2006) verweisen, die sich vor allem das musikalische Erbe der New York Dolls (und hier speziell von Johnny Thunders) in geradezu euphorischer Leidenschaft einverleiben. Mit ihrem »pure, true Rock’n’Roll« gehören Joyside, denen auch Lebensentwürfe wie »Sing, drink and fuck« locker lachend über die Lippen kommen, zu den inzwischen begehrtesten Punk-Bands Chinas.

Es mag also schon noch immer was dran sein an den schlechten Bedingungen, die nötig sind, um gute Musik hervorzubringen. »Beijing Bubbles« erzählt aber auch von einer gerade im Umbruch befindlichen Gesellschaft, von einer Übergangszeit, in der sich neue Freiräume auftun, deren zukünftiges Weiterbestehen dabei jedoch alles andere als gesichert ist.

Susanne Messmer, George Lindt: »Beiing Bubbles« (Lieblingslied Records)

www.beijing-bubbles.com

Dokumentarfilm + Konzert Joyside: Gartenbaukino, 26. April 2007, 21 Uhr – Eintritt EUR 13,-

Home / Musik / Artikel

Text
Didi Neidhart

Veröffentlichung
23.04.2007

Schlagwörter

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