»Blick der Stille« (1931), Houston Menil Collection © Pinakothek der Moderne, München
»Blick der Stille« (1931), Houston Menil Collection © Pinakothek der Moderne, München

Paul Klee: Linien- und Farbrhythmen

Himmelsleitern, kosmische Knäuel und kaputte Künstlerkönige: In der Pinakothek der Moderne in München werden weniger bekannte Werke des Malers Paul Klee gezeigt. Unbedingt besuchen, wenn man etwas für sein »kollektives Unterbewusstsein« tun will.

Eine ältere Dame rennt über den Rasen zur Paul-Klee-Ausstellung, ihr älterer Herr keucht hinterher – an der Hand gezerrt in aller Eile. Schon in der Früh, wenn die Pinakothek der Moderne in München aufsperrt, gibt es eine Schlange von Deutschen, die es schrecklich eilig haben mit dem Kunstgenuss. Um das große Rund der Eingangshalle herum, die nach oben Glasfenster aufweist, verlieren sich dann die BesucherInnenmengen. Manche verirren sich auf der Suche nach Paul Klee in eine Pippilotti-Rist-Installation.

»Die Konstruktion des Geheimnisses« nennt sich die großartige Ausstellung. Paul Klee betonte die künstlerische Intuition und das Spiel im Gegensatz zur neuen Rationalität des Bauhauses, an dem er Lehrer war. Er nahm sich quasi heraus aus dem Bauhaus-Alltag, suchte andere schöpferische Wege. Viele Klee-Bilder hat man natürlich schon im inneren Auge eingestanzt, sie sind quasi fest im »kollektiven Unterbewusstsein« (C. G. Jung) verankert, doch in München gibt es eben wirklich viele neue Bilder zu entdecken. Wenig und schummriges Licht herrscht vor, die Ausstellung ist in ein mystisches Dunkel getaucht, die Leute schweigen wie in der Kirche. Manche sind ewig lang in ein einzelnes Bild versunken, sitzen nachdenklich herum. Eine Sehnsucht nach etwas Ungewissem, allein zu Ahnendem scheint sie anzuleiten. Innere Grenzüberschreitung im Angesicht all’ dieser Himmelsleitern.

»Das Tor der Nacht« (1921), Privatbesitz © Pinakothek der Moderne, München

Ideengebäude Richtung Himmel
Viele Bilder streben in die Höhe, wie die »Hochstrebende Stadt-Vision« von 1915, das »Drehbare Haus« aus 1921, mit Fenstern wie Flügel, oder »Gestirne über bösen Häusern« aus 1916. Leitern enden im Nirgendwo und sind auch nirgends angelehnt. Architekturvisionen benannte Klee in »Ideengebäude« um und führte Architekturzeichnungen ins Absurde. Höhenarchitektur lässt Leitern in den Himmel wachsen. Bildräume werden Stück für Stück aufgebaut. Es entsteht eine Architektur, die von Schwerkraft losgelöst erscheint, wie in »Aufschwung zu den Sternen« (1912) zum Beispiel.

Der Schwerpunkt auf die Architektur war ein Einfluss der Bauhaus-Umgebung, doch fasste Klee dieses Thema ganz eigensinnig auf – auf seine Weise als Musiker und Mathematiker. Gropius schrieb 1919 im Bauhaus-Manifest: »Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!« Bei Klees Wegen hingegen sind Fluchtlinien und Sterne die Fluchtpunkte. Nach einer Italienreise schrieb er: »… dass an mir gebaut worden ist!« Er verknüpfte gerne die Erde und den Kosmos und unterschied z. B. ein »chaotisches kosmisches Paket«, das wie ein verwickeltes Linienknäuel aussieht, ein »kosmisch gewickeltes«, ähnlich einem Sternennebel, ein »kosmisch entwickeltes«, mit einem Punkt in der Mitte, ähnlich der Erde, die um die Sonne kreist, und ein »kosmisch unentwickeltes Paket«, leer ohne Mitte. Er hinterließ 4.000 Seiten an Vorlesungsnotizen!

»Raum der Häuser«, 1921, Privatsammlung © Pinakothek der Moderne, München

Gegen Transzendenzdenken
Humor scheint Klee auf jeden Fall gehabt zu haben. Seine Figur »Geht kaum mehr, fliegt noch nicht« (1927) sieht wie ein abgestürzter, angefressener Künstlerkönig aus und ist mit einem Strich durchgezeichnet. Gerade dass der nicht Steine kickt. Klee nahm sich selbst als Künstler auf die Schaufel und verhinderte auf diese Weise jedes Transzendenzdenken. Er wollte sich nicht für die Ewigkeit verewigen und keinesfalls sein tolles »Künstler-Ich« feiern. »Die Sehnsucht nach Transzendenz verwandelt er in Allegorien des tragikomischen modernen Künstlers und seines heiter-melancholischen Bewusstseins«, steht an der Wand. So wie manche BesucherInnen schubsen, scheinen sie enttäuscht vom Mangel an Transzendenz und Selbstverewigung, die sie gerne für sich alleine einfangen und besitzen würden? »Ich war ja dort, wo der Anfang ist«, schrieb Paul Klee, »bei meiner angebeteten Madame Urzelle.«

»Geht kaum mehr, fliegt noch nicht« (1927), Cambridge Harvard Art Museum © Pinakothek der Moderne, München

Heitere und schützende Gefährten
Klee schrieb in seinem Tagebuch, dass ein Künstler auch Dichter, Naturforscher und Philosoph sein muss. In dem Selbstporträt »Versunkenheit« (1919) stellte er sich ohne Ohren und mit geschlossenen Augen dar. »Ich spiegle bis ins Herz hinein«, schrieb er und gestaltete das tragikomische »Gespenst eines Genies«. Oft ging es Klee auch um Musik! Wie in der »Ouvertüre« aus 1922, in der Strichmenschen fröhlich und euphorisch Sterne fest in die Höhe halten. Obwohl Klee im Bauhaus neue Techniken kennenlernte und seine StudentInnen begeisterte, informierte er 1930 den Bauhaus-Direktor, dass er kündigen wolle, weil er keine Zeit zum Malen mehr finden könne. Später entwickelte Klee trotz aller künstlerischen Arbeit leider die Autoimmunkrankheit Sklerodermie, bei der alle Körperfunktionen allmählich stillstehen. Als sich sein Zustand eine Zeitlang stabilisierte, startete er seine Engelserie. »Er erschafft sich heitere und schützende Gefährten, halb menschlich, halb göttlich«, steht an der Wand. Seine Bilder deuten alle nach oben.

1939 beantragte Klee noch einmal die Schweizer Staatsbürgerschaft, er musste aber wider Willen deutscher Staatsbürger bleiben, obwohl er auf der Liste für »Entartete Kunst« stand. Paul Klee starb am 29. Juni 1940 – die Berner Gemeinderatssitzung, die über seine Einbürgerung entschieden hätte, war für den 5. Juli angesetzt. Am Ende der Ausstellung wird Klee in einem Wandtext dann doch noch ein Transzendenzwunsch unterstellt. Aber es kommt nicht heraus, warum. Nur weil er das Kunstwerk als »lebendigen Organismus« auffasste und gerne Sterne zeichnete, deren Licht vor Milliarden von Jahren ausgestrahlt wurde und die wir heute sehen können? Dieser Umstand entsprach der Weltraumbegeisterung seiner Zeit.

»Nichtkomponiertes im Raum« (1929), Kochel, Franz Marc Museum © Pinakothek der Moderne, München

Link: https://www.pinakothek.de/klee

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen