Ein Parkplatz auf einem Fabrikgelände, eine alte Fabrik, eine Etage mit einer Fensterfront Richtung Ottakringer Brauerei. An einer Wand gleich beim Eingang hängen verlorene Schuhe und ein kaputtes Smartphone über großen Fotos von Flüchtlingen mit schweren Gesichtsverletzungen. »Wir können das nicht mit Menschen machen«, sagt eine Frau, die Hilfstransporte nach Bosnien begleitet, »Punkt. Aus. Ende. Illegale Rückführungen durch kroatische Grenzpolizisten sind in der EU nicht erlaubt.« In der Ausstellung »MUSMIG: Die Geburt des Museums der Migration« wurden von 21. bis 23. Februar 2020 in der Galerie Die Schöne in Ottakring unterschiedliche Gruppen und Initiativen und ihre Dokumente vorgestellt, die in einem zukünftigen Museum der Migration ausgestellt werden sollen.
Sieben Transporte nach Bosnien gab es bereits, erzählt die Unterstützerin, »diese Menschen haben wirklich nichts mehr. Die offizielle Taktik ist die des Aushungernlassens.« Einen Flüchtling sah sie wieder – er hatte 15 Kilo abgenommen! Es gibt sogar einen Brief eines unzufriedenen Polizisten an der Wand. »Willkommen in der Gegenwart«, sagt Musiker und Rapper Petar (Künstlername Kid Pex) von SOS Balkanroute, »das am meisten Schockierende ist die sogenannte Verteidigung des Abendlandes. In einem Minenfeld auf einer Mülldeponie werden Menschen entsorgt. Es gibt keinen Strom, keine Anlagen. Einst war die Fabrik auf dem Gelände das Symbol des agrarwirtschaftlichen Erfolgs Jugoslawiens, heute ist sie das Symbol der Schließung der Balkanroute.«
In Kunst umformen
Es sei schwer gewesen, die gewalttätigen, menschenfeindlichen Ereignisse in Ausstellungsgegenstände umzumünzen. Schachteln symbolisieren die Hilfsgüter, auf ihnen sind Fotos der bosnischen, »sehr gläubigen« Frauen zu sehen, die die Flüchtlinge unterstützen, obwohl Bosnien als armes Auswanderungsland selbst nichts hat. »They treat us like animals and criminals. But all we want is to start our lives in a safe place, to have a chance to live in peace«, ist die abgedruckte Aussage eines Flüchtlings. Die Fotos von Ben Owen Browne stammen aus Bihač, Velika Kladuša an der Grenze zu Kroatien und Tuzla.
»Alle Teile der Ausstellung sind von den Migrant*innengruppen selber«, sagt Ljubomir Bratic, einer der Organisator*innen. »Es gibt einen selbsthistorisierenden Moment, endlich Blicke auf sich selbst. Sie sind zur Sprache gekommen, sie können sprechen!« Bratic versucht seit Jahrzehnten, ein Museum der Migration zu erreichen, 2017 kuratierte er eine große Gastarbeiter*innen-Ausstellung im Belgrader Museum der Geschichte Jugoslawiens mit und 2012 leitete er mit Arif Akkilic die Kampagne »Für ein Archiv der Migration, jetzt!«. Die große Ausstellung der Initiative Minderheiten zu den »Gastarbeiter*innen« in der Wiener Hauptbücherei und das Migrationsthema im Haus der Geschichte waren Teilerfolge der Bemühungen.
In Ottakring ist nun das Transparent »Alhamdulillah« aufgehängt, das in einem Bergrestaurant am Dreiländereck bei Arnoldstein die Gäste begrüßte. »Das war eine Ausstellung in Schwebe«, meint Künstlerin Natalie Deewan, »sie fand nicht ungeteilten Anklang.« Ein gewisser Getränkehersteller meldete sich bei ihr, sie musste ihm versichern, dass sie »keine Getränkeproduktion starten möchte.«
Auf einem gemalten Bild ein alter Mann mit blauem Bart, eine Frau, die schreit, eine Taube und ein Schwert. Die Malerei soll Firik Dede darstellen, der 110 Jahre alt wurde. Nachdem Firik Dede in einem Wald bei seinem armenisch-türkischen Dorf seine beiden ermordeten Söhne fand, ließ er sich seinen Bart nicht mehr schneiden. »Verschiedene Derwische kamen nach dem Vorfall zusammen«, steht dabei und: »Das Herz ist ein Schiff, doch du bist das Ruder. Diese Derwische möchten dessen Segel öffnen. Wir sind die Kinder eines Glaubens, der die Liebe in die Herzen der Menschen einpflanzen möchte und dessen Weg durch die Liebe zur Schöpfungskraft des Universums gekennzeichnet ist.«
Configuration of Memory
Es findet sich noch sehr viel Material für ein Museum in dieser Ausstellung: Die Zeichnungen von Petja Dimitrova zu einem Friseursalon von Nigerianerinnen zum Beispiel oder ein kleiner, angekohlter Elefant nach einem Brandanschlag auf das Afrikadorf – inmitten von lauter Protestplakaten zur Tötung von Seibane Vague im Wiener Stadtpark. Oder eine zweisprachige Wanderausstellung zu »Gastarbeiter*innen« aus der Steiermark. Bei letzterer geht es um die Anwerbung von Türk*innen 1964 bzw. von Jugoslaw*innen 1966 und deren enge Wohnungen, die erniedrigenden Gesundheitsuntersuchungen oder die Abschottung von der österreichischen Bevölkerung.
Eine andere Initiative möchte, dass am ehemaligen Südbahnhof ein Denkmal für die »Gastarbeiter*innen« errichtet wird. »Es waren oft die gleichen Firmen, die sich Gastarbeiter holten, die in der NS-Zeit von Zwangsarbeitern profitiert hatten«, berichtet Elena Messner über ihre Forschungen in München. »Es geht um Ausbeutung!« Neben ihr steht ein Schild: »Wollen (Migrations-)Museen nicht nur Gedächtnisspeicher, sondern aktive Akteure in der Configuration of Memory sein, dann müssten sie sich als Orte konkurrierender Erinnerung und Gedächtnispolitiken verstehen, Aushandlungsprozesse sind notwendig.« Zeit wird’s für ein österreichisches Migrationsmuseum!
Links:
http://musmig.org
http://www.dieschoene.at/museum-der-migration