Mark Lanegan © Magdalena Błaszczuk
Mark Lanegan © Magdalena Błaszczuk

RIP, Mark Lanegan

Mark Lanegans dunkelster Dämon war wohl mangelnder Respekt vor höheren Mächten: Am 22.02.2022 ist der geläuterte Coronazweifler von uns gegangen. In Irland verhallte seine Stimme, die jedem Song Tiefe gab, dem er Ausdruck verleihen wollte, als einer der Letzten vom Urgestein des Seattle Underground.

Es ist schon eine komische Idee, dass ich hier Kaddisch für Mark Lanegan schreibe. Kann man für einen Hillbilly-Boy aus Washington State überhaupt Kaddisch sagen? Es liegt mir seltsamerweise näher, als einen »Nachruf« zu verfassen. Man stelle sich vor, man müsste einen Nachruf auf, sagen wir, Keith Richards schreiben, ähnlich zähes Kaliber. Wobei der Background laut der Biografie Mark Lanegans, der, wenn es nach seiner Mutter gegangen wäre, »Lance« Lanegan geheißen hätte, ein deutlich anderer ist: 1964 geboren und aufgewachsen in einem Kuhkaff 170 Kilometer östlich von Seattle, bald ein Scheidungskind, das von der Mutter geschlagen wurde und dem der Vater schon früh ein Leben als Taugenichts voraussagte. Wie sich der Musiker an all die grauenhaften Verirrungen seines menschlichen Werdeganges erinnern konnte, bei der Menge Substanzkonsum, ist durchaus beachtlich, auch wenn er leider nicht Richards Methusalem-Status des Rock’n’Roll (Pfui, Establishment!) erleben durfte. Das ist es, darum schreibe ich. Wieso ist er nicht mehr da? Ich bin kein Fan, keine Connaisseuse. Ich kenne mich nicht aus, ich fand nie, dass es »nun endlich an der Zeit« wäre, mich in sein Werk zu vertiefen, anhängig seit einem meiner ersten selbstgekauften Musikhefteln. Weil er immer noch da war.

Klar, es kommt schon vor, dass man sich an Musiker*innen erinnert und ihr Oeuvre durchhört, weil sie sich nach großem Verdienst um die Kultur von der Bühne verabschieden. Aber es ist ein bisschen schäbig, dann an eine »gute alte Zeit« zu denken, die man nie kannte und die es in Lanegans Vergangenheit auch nie gab. Seine Erinnerungen sind voll von schwieriger Kindheit, verkorksten Anläufen zur Sportlerkarriere, versenkten Fahrrädern (70, Motherfucker!), irren Bekanntschaften und dem Versuch, mit aller Gewalt aus etwas auszubrechen, das man wohl nur als »less than p(r)etty bourgeoisie« bezeichnen kann. Auch wenn er von guten Konzerten und musikalischen Höhenflügen schreibt, überwiegt nicht etwa die Euphorie, sondern es schlägt immer der Underdog-Ton durch. Dabei muss man sich 2 Gramm Heroin am Tag erstmal leisten können. Es grenzt an ein Wunder, dass man bei der Musik nichts von diesem Chaos hört. Und das ist der Punkt, zu dem zu kommen ich hoffe … die Musik ist wunderbar.

Es scheint, dass ein Mann mit wunder Seele durchaus imstande ist, Trost, Mut und Zuspruch in seine Stimme zu packen, um jemand anderem ebendies zu vermitteln: Ja, es geht uns dreckig, dir und mir, aber ich fühle mit dir. Bei der ersten Hörprobe von Screaming Trees’ »Make My Mind« kommt die Stimme klar an erster Stelle. Ohne Lanegan wäre es nur eine typische Grunge-/Indie-Nummer mit dieser 1990ies-Ebbe-Flut-Dynamik. Welche »great hooks« Lee Conner da auch einsetzt, ohne die guten Vocals wüsste man schon, wie die Welle rollt. Mark Lanegans Stimme hört man eben gerne zu. Auch wenn sie wie bei »On Jesus’ Program« beinahe bricht. Und das ist es eben, in welche Suppe er auch gespuckt hat: Den Cover-Versionen und Collaborations verleiht er die Tiefe, Grausamkeit, Angst, Wut oder Liebe, die den Texten Glaubwürdigkeit bescheren. Nicht immer für jeden Geschmack stimmig, aber sicher ehrlich.

Ich bin erst in der Mitte seiner turbulenten Lebensgeschichte angelangt. Mark Lanegan stand an ihrem Ende. Ein schmerzlicher Verlust, wohlbekundet durch viele Freund*innen und Weggefährten. Von Queens und Kings of the Rock-Stone Age bis hin zur guten Witwe Cobain (Namedropping: check). Er wäre ein besonnener Mann und »echter Gentleman« gewesen – ui, glaub’ eher nicht. Bis ihn das Virus einholte war Mark Lanegan bekanntlich eher Anti-Regulations. Aber dann hatte es ihn so an den Ohren, wie er schrieb, dass die volle Tragweite der Krankheit am Körper der geschundenen Seele erbarmungslos all jene Fehler aufzeigte, die der Mann in seinem Leben begangen hatte. Wie bei Dorian Grays Porträt hielt es ihm den Spiegel vor. Und er besiegte – auch diesmal – sein Alter Ego. Zum Kummer aller Fans des guten Gesangs ist seine Stimme kurz nach der Genesung für immer verstummt. Er spielt nun wohl wieder gegen Chris Cornell Baseball und kifft ein bisschen mit Kurt Cobain. Was bleibt, ist, die eigenen Versäumnisse aufzuholen. Und dazu zählt in diesem Fall seine Musik zu würdigen. Darum muss ich nun gleich weg – zu den Platten des merkwürdigen, rohen Rotschopfs mit der samtenen Stimme. Pfiati, Mark, ’s is’ ewig schad.

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Text
Lisa Wallerstein

Veröffentlichung
03.03.2022

Schlagwörter

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