Bevor Kanzler Kurz glaubte, dass gesellschaftliche Wirklichkeit ja trefflich mit Fiktionen zu besiegen oder zumindest zu kontrollieren sei, waren politisch und medientechnisch noch Ambivalenzen möglich. Nicht alle Politiker*innen hatten in der Vergangenheit so eine starke Medienkontrolle notwendig, sondern riskierten Experimente. So erhielten wir in der Redaktion der Flüchtlingszeitung »Die Bunte (Zeitung)« Anrufe von jemandem, der seinen Namen nicht nennen wollte, aber großes Interesse an unserem muslimischen Frauenprojekt zeigte. An seiner atemlosen, abgehackten Sprechweise war der Anrufer aber eindeutig als der damalige Frauenminister Herbert Haupt zu erkennen. Ein FPÖ-Politiker als Frauenminister? Sehr eigentümlich für Feministinnen. Doch dieser Mann förderte großzügig unsere Zeitungsausgaben mit den Beiträgen von muslimischen Migrantinnen aus diversen Ländern. Ähnlich die spätere ÖVP-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat: Mein großer Kollege aus dem Kongo, mit breitkrempigem Hut auf dem Kopf, der sich extra in lila Hemd und sonnenblumengelbes Sakko geworfen hatte, machte so großen Eindruck auf Rauch-Kallat, dass sie uns eine hohe Summe bewilligen ließ. Ein afrikanischer Mann im Frauenministerium? Der das Schüsselchen mit Mozartkugeln leerte, während die Ministerin uns strengstens zum Thema Frauenhandel prüfte? Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hingegen spielte am Polizeisportplatz an der Alten Donau Fußball mit illegalisierten, afrikanischen Sans Papiers. Es gibt Fotos davon. Niemand wurde verhaftet, die »Gelegenheit« nicht genutzt.
Gemeinheit in Zahlen
Doch als der junge Sebastian Kurz zum Integrationsminister und später sogar zum Bundeskanzler aufstieg, schien Schluss mit kreativen, produktiven Ambivalenzen in der ÖVP. Der junge Mann war wohl der Meinung, dass sich die Menschen zu viele Freiheiten herausnehmen, vor allem geistige, wenn sie nicht genauestens kontrolliert und überwacht werden. Er spezialisierte sich auf Journalist*innen. Er konnte sich wohl so ein schönes, freies Leben nicht vorstellen, wie das ist, wenn man jeden Tag etwas aus der realen Welt nehmen und schreibend behandeln darf. Eine Freiheit, die sich die »Wiener Zeitung« nahm und die der kontrollierende Kurz, wie es nun in Folge ausschaut, auf simple »linkslinke« Politik gegen ihn zurückführte. Die »Wiener Zeitung« wird verändert. Eine Medienministerin, die auch Frauenministerin ist, trat im Fernsehen mit seltsamen Zahlen zur »Wiener Zeitung« auf. Eine Gemeinheit mit Zahlen. Nicht umsonst wird die »Kronen Zeitung« gefördert. Ein simples Zahlen-Leistungs-Bild, wobei sie doch gerade von journalistischer Qualität redete? Die Kurz-Cover und -Inserate der qualitätslosen Boulevardtageszeitung »Österreich« sind unvergessen. Dass Journalismus und Public Relations nicht dasselbe sind, haben manche ÖVPler noch immer nicht verstanden. Man muss sich ja nur anschauen, wer für das Arbeitsamt arbeitslose Journalist*innen kontrollieren und weiterbilden darf.
Einzige Rebellion
Die Kurz’sche Politiker*innengeneration erschien öffentlich immer braver als brav. Kein Hauch von frischem Wind oder Leben irgendwo, keine Vielfalt, keine positive Kreativität. Im Geheimen aber lebten sie ihre Kreativität in überbordendem Kontrollwahn aus, wie man an den Chats von Thomas Schmidt erkennen kann. Eine Blockade. ÖVP-Innenminister Gerhard Karner fällt nun nichts Kreatives ein, wie er Herrn Schmidt zur Reise nach Österreich und zur Aussage bewegen könnte. Dieser wäre mündlich aber bestimmt nicht so spannend wie in seinen schriftlichen Ergüssen. Es gibt eben Menschen, die schreiben lieber Chats oder Facebook-Posts, statt echte Artikel. Das scheint ihre kleine Rebellion zu sein. Die Einzige, die sie sich gestatten.