Dopplereffekt: »Tetrahymena«
Dopplereffekt: »Tetrahymena«

»Konzepte zählen, nicht die Person«: Dopplereffekt

Forschungsstationen angewandter Soundphysik: Diesen Herbst haben Dopplereffekt »Tetrahymena« veröffentlicht, es ist die erste Platte des Elektronikprojekts seit sechs Jahren. skug traf das Duo beim Heart of Noise Festival im Mai 2013.

(Live-Fotos: Daniel Jarosch)

Im akusmatischen Zeitalter gibt es nichts zu sehen
außer dem Sound in seiner Nichtidentität.

Kodwo Eshun
Unsere Technologie zwingt uns dazu, mythisch zu leben.

Marshall McLuhan

Der Stadtsaal in Innsbruck ist voll, als Dopplereffekt die in tiefes Blau getauchte Bühne betreten. Einer der Headliner des Heart of Noise Festivals 2013 spielt eines seiner raren Konzerte. Ganz rar ist, dass beide vorher ein Interview gaben: Persönliche Gespräche mit dieser um 1995 gegründeten Formation kann man an wenigen Fingern abzählen. Namen tun im Weiteren zwar nichts zur Sache, nennen wir sie trotzdem To Nhan und Heinrich Mueller.

Dopplereffekt war einige Jahre lang eines der Neben- und dann Folgeprojekte von Drexciya. Der frühzeitige Tod des zweiten Drexciyaners 2002 brachte Muellers Identität etwas ans Licht. Aber weiterhin ist über ihn so gut wie nichts bekannt. Dabei gibt es nur wenige, die die Techno- und Elektronikmusik so umfassend geprägt haben wie er. Eine Spurensuche.

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Die Dämmerung von Dopplereffekt

»Dopplereffekt ist eine audiovisuelle Einheit. Sie beinhaltet alle Aspekte der Kommunikation als Medium«, macht Mueller gleich zu Beginn klar. »Was verwendet wird, hängt davon ab, wie signifikant bestimmte Konzepte über Kultur und Gesellschaft für uns sind«. Nhan ergänzt: »Wir beschäftigen uns mit wissenschaftlichen Inhalten wie Physik, Quantenmechanik, Biotechnologie, maschineller Interaktion oder Ûbertragungsmedien, die audiovisuell fusioniert werden. Musik und Videos geben den momentanen Forschungsstand wider«.

Offensichtlich bezieht sich Dopplereffekt auf Christian J. Doppler. Der Salzburger Physiker beschrieb Mitte des 19. Jahrhunderts den nach ihm benannten kinematischen Effekt, wonach ein sich in Schallgeschwindigkeit fortbewegendes Signal in Abhängigkeit zum Abstand von Sender und Empfänger gestaucht beziehungsweise gedehnt wird. Für den technologieaffinen Heinrich Mueller konnte es also keinen besseren Namen geben.

Als Projekt demonstriert Dopplereffekt die »technologischste« Ausprägung der vielen Inkarnationen von Heinrich Mueller. Andere sind Der Zyklus, Arpanet, Japanese Telecom, Zerkalo, Black Replica oder Zwischenwelt (letztere beiden könnten als »Gothic Electro« durchgehen), vorangegangene waren Flexitone, Glass Domain oder eben Drexciya. Aufnahmen der frühen 1990er Jahre lassen sich als immer wieder prominent von House traversierter Electro Funk zusammenfassen. Die ersten Dopplereffekt-Platten erschienen auf dem eigenen Label Dataphysix Engineering und wurden großteils für die Compilation »Gesamtkunstwerk« neu aufgelegt. Dieser Name hält sich bis heute: So existiert nach wie vor eine Informationseinheit rund um Dopplereffekt unter der Bezeichnung Dataphysix. Zu dieser Zeit benutzte Mueller auch das Pseudonym Rudolf Klorzeiger.

Einerseits definierte er als Der Zyklus mit Tracks wie »Die Dämmerung von Nanotech«, »Elektronisches Zeitecho« oder »Formenverwandler« auf den 1998 und 2000 von Gigolo Records veröffentlichten EPs »Tonimpulstest« und »II« einen Sound, der entlang der Technoachse München-Berlin-Detroit für Furore sorgte. Andererseits galt Drexciya als Gründungsmythos der zweiten Welle des Detroit Techno ab den mittleren 1990er Jahren und hatte mit Tonträgern auf Underground Resistance, Tresor oder Clone eine ebenso große wie eingeschworene Fangemeinde – siehe z. B. den Blog »Drexciya Research Lab« des Wissenschaftlers und Musikers Stephen Rennicks: eine wahre Goldgrube an Informationen.

Drexciya war das bislang zwingendste Resultat afronautischer Um- und Ûberschreibungen der Technovisionen von Kraftwerk. Höflich aber bestimmt sagt er: »Keine Fragen und keine Antworten dazu. Jedes Projekt folgt seinen eigenen Ausrichtungen. Eine Vermischung ist für mich nicht zielführend«.

 

Sciene ± Bio <-> Fiction

So ziemlich jedem Detail des Mueller’schen Klanguniversums ist ein »angeblich« voranzustellen. Dieser willentlich kryptische Raum kann zwar von außen mit allem Möglichen befüllt werden. Gleichzeitig aber ist sein Beharren auf seiner »Nichtidentität« nur konsequent, weil, so Mueller, »ich glaube, dass es zwischen Produzent und Beobachter eine Grenze oder eine Pufferzone geben muss. Das hat technische Gründe: Man will ja den Fokus des Beobachters darauf halten, was man produziert. Die Person hinter dem Kunstwerk ist für mich zweitrangig, wichtig ist das Werk als solches. Wenn man dem Künstler zu viel Aufmerksamkeit gibt, verliert man die Perspektive auf das Werk. Es entsteht der gegenteilige Effekt: Die Aufmerksamkeit wird eher zu einem Personenkult als zu einem progressiven Ideen-Set über das Werk. Dann fangen biografische Details an, interessant zu werden. Was den kreativen Akt auf beiden Seiten jedoch zerstört. Für mich persönlich bedeutet dieses »Rausnehmen« aus der öffentlichen Wahrnehmung beziehungsweise die größtmögliche Anonymität, Dinge in ihrer Balance zu halten«.

Womit man mitten ins von Mueller virtuos betriebene Vexierspiel geworfen ist: Es ist die Ambivalenz des frei in Raum und Zeit rasenden autonomen Signifikanten aka der Künstlerpersonalität, die penibel darauf bedacht ist, heftig Zeichen, aber keine Spuren zu hinterlassen.

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Im Vergleich zur letzten Scheibe »Calabi Yau Space« (2007, Rephlex) hat sich mit »Tetrahymena« Dopplereffekts Fokus von mathematischen auf biologische Systeme verschoben. Eine Theoriebrücke schlägt das 2004 als Der Zyklus herausgebrachte Album »Biometry«, bei dem biometrische Vermessungstechniken forschungsleitend waren. Die Verklausulierung der Bezugssysteme schraubt sich bei »Tetrahymena« wie eine Doppelhelix um die Destillate der aktuellen High-Tech-Gesellschaft. Der Einzeller Tetrahymena spielt wegen seiner zwei Zellkerne eine wichtige Rolle in der biomedizinischen Forschung. Dopplereffekt ist nichts weniger als die Aufschlüsselung des sonischen Quellcodes, derzeit in Laborsituationen der Biotechnologie: »Keine Theorie ist zu abstrakt, als dass sie nicht zu einem Faktum werden könnte. Laser, künstliche Intelligenz, das Internet, Gentechnik oder Mondfahrten wurden früher als Science Fiction belächelt. Heutzutage sind sie Allgemeinplätze«.

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So nennt sich auf »Tetrahymena« ein Track »Gene Splicing« und auf dem Cover ist eine unendliche Abfolge der Buchstaben T, A, G und C abgedruckt – die DNA-Basen beziehungsweise kleinsten akustischen Einheiten. Die Nummer »Zygote« schließt an das analoge Pulsieren der Zyklus-Platten an: ein Miniatur-Soundtrack über ein dystopisches System, bei dem unbestimmt bleibt, ob es mit einem anderen verschmolzen oder heruntergefahren wird.

 

Gegenbezeichnungstechniken

In seinem 2001 erschienenen Buch »Hellblau« erwähnt Thomas Meinecke die zwei Jahre zuvor auf dem Münchner Label Gigolo erschienene Zusammenstellung »Gesamtkunstwerk«. Damit wird Dopplereffekt nach wie vor am öftesten assoziiert. Nummern wie »Master Organisation«, »Denki No Zuno«, »Voice Activated« und v. a. der melodiöse Electrosound in »Scientist«, der sexy Roboterdisco-Funk von »Pornoviewer« mit seinen sleazy Vocals oder »Sterilization« als quasi der Fluchtpunkt liefern Referenzlinien bis heute: damals Electroclash genannt, derzeit Minimal Wave. Und in zahlreichen DJ-Mix-Compilations vertreten, von »Electro Boogie – The Tracks« (1999) von Aux88, »The Next Step Of New Wave« (2000) von The Hacker und »Fear And Loathing 2« (2005) von Luke Slater bis zu »Electronic Beats« (2012) und der vom Münchner Musiker/Produzenten Mooner zusammengestellten Compilation »Elaste Vol. 4« (2013). Hier werden deutscher Expressionismus, beschleunigte Vergangenheit und hyperverkörperlichte Zukunft mit internationalen Dancefloors in eine Gleichung gebracht.


Eine unbekannte Größe blieb jedoch. Auf der Coverrückseite war als Motto abgedruckt: »Biological socialism leads towards victory«. Eine der Nummern hatte ursprünglich »Rassenhygiene« geheißen, wurde aber von DJ Hell vorsorglich umbenannt. Und überhaupt der Name Heinrich Mueller – auch wenn er für die Platte als Rudolf Klorzeiger firmierte: Als Gestapo-Chef war der »echte« Heinrich Müller für die Organisation des fingierten Ûberfalls auf den Radiosender Gleiwitz zuständig gewesen, der den propagandistischen Vorwand für den Polenfeldzug lieferte. Seit Kriegsende gilt Müller als verschollen, zahlreiche Legenden ranken sich um sein Verschwinden. 1963 spekulierte der »SPIEGEL« darüber, dass es seitens der Amerikaner Pläne gegeben hätte, ihn nach dem Krieg wegen seiner entsprechenden Kenntnisse für antikommunistische Abwehr einzusetzen. Gleichzeitig inszenieren sich die beiden Bandmitglieder auf dem »Gesamtkunstwerk«-Coverfoto so, als säßen sie dem ZK einer klandestinen Revolutionspartei vor, umgeben von Hammer und Sichel.

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Mit Meinecke gefragt: Hat Techno eine Rasse? Weiter gedacht: Was passiert, wenn deutsche Mittelstand-Kids zu Vocoder-Lyrics wie »We had to sterilize / the population« tanzen, produziert von einem Afroamerikaner? Mueller schweigt dazu. Weniger sind es Dekonstruktionen ambivalenter Faschismusikonografien wie etwa bei Laibach, bei Dopplereffekt werden noch am ehesten Zeichen einer gewissermaßen darwinistisch gedachten Präzision daraus. Oder wie es Slavoj Žižek in seinem Buch »Der Mut, den ersten Stein zu werfen« formuliert: eine »Säuberung, die vermittels einer gewaltsamen Beseitigung aller Hüllen die Isolation des Kerns des Realen anstrebt«. Bei allen problematischen Implikationen lässt sich festhalten, dass das Genießen des (grausam) Realen immerhin eine bestimmte Politisierung mit sich bringt. In diesem Kern werden Biologie und Technologie zu einem evolutionären Fortschreiten als Rasse deklariert, die die Verbesserung jeglichen Denkens und Handelns propagiert und sich ent-individualisiert einem größeren Ganzen – der Rationalisierung – unterordnet. Dopplereffekts oft orchestral breit ausladende Nummern erzählen nicht von der in Jazz gefassten Erfahrung der Massenproduktion durch das Fließband sondern von der Aneignung von Technologie als als Ideengeschichte. Auch die Platte »Tetrahymena« ist voll davon mit ihren sich ineinander morphenden Bedeutungsebenen zwischen Pharmazeutik, Mutationen und Kampfstoffen. In dem konspirativen transatlantischen Verhältnis zwischen Deutschland und den USA stellt Technologie – personifiziert im Detroiter Autoindustriegiganten Henry Ford – eine »mythische«, höchst zwiespältige Verbindungsklammer her: Ford war daran beteiligt gewesen, aus Detroit die »Motorcity« zu machen, er führte die Fließbandarbeit ein und 1938 wurde ihm von den Nazis ein Verdienstorden verliehen. Alles andere als friktionsfrei also das Ganze.

Nachsatz: Es gibt einen anderen »relevanten« Müller, nämlich Johann Heinrich. Der deutsche Physiker und Mathematiker forschte Mitte des 19. Jahrhunderts u. a. zu ultravioletter Strahlung und der thermischen Wirkung des Sonnensprektrums. Auch wenn diese Verweispfade durchaus ihre konzeptionelle Berechtigung haben, spricht eher wenig für eine derartige Interpretation. Auf der 2007 von Clone herausgebrachten Neuauflage der Platte war dieses (wohl zu verfängliche) Motto vom Cover schließlich getilgt worden.

Im Teilchenbeschleuniger

Der Zufall in der Quantenphysik ist nicht ein subjektiver,
er besteht nicht deshalb, weil wir zu wenig wissen, sondern er ist objektiv.

Anton Zeilinger

Seit jeher war im Detroit Techno eine Black Secret Technology fundamental präsent. Während sich dort Techno immer wieder mit Jazz überkreuzte, ging Mueller mit Dopplereffekt in Richtung europäischer Elektroakustik und Musique Concrète – siehe etwa den 20-Minuten-Soundscape »Photo Injector« auf auf dem Album »Linear Accelerator« (Gigolo, 2003). Arpanet und Japanese Telecom dagegen behandeln Technologie zwischen Internet und Simulationssex und liefern veritable Hits wie »NTT DoCoMo«, »Probability Densities«, »Cigarette Lighter« oder »Virtual Geisha«. Danach gefragt, wie er zu seinen Tracks kommt, antwortet er: »Elektronische Musik ist eine Form des globalen Austauschs. Sie ist ein universelles sonisches Medium, das jenseits bestimmter kultureller Ausprägungen steht«.

»Linear Accelerator« errichtet Gratwanderungen zwischen Klangimprovisationen und dezenten Dance-Anleihen; ein ziemlich runderneuertes Setup, das Afronautik nur noch molekular mitnimmt und am ehesten an PanSonic oder Chris & Cosey denken lässt. So kann »Niobium Resonators« als eine der schlüssigsten Nummern für Dopplereffekts experimentellen Mikrobereich gelesen werden, die gut viertelstündige Klangstudie zwischen Futurismus- und Industrialkomplexen würde sich als Update von Throbbing Gristles »IBM« anbieten. In gewisser Weise friert »Niobium Resonators« die vom Detroit Techno eingeforderte Technologie – von Alvin Toffler über Cybotron bis Underground Resistance – nun in einem durchrationalisierten, nur noch reinen Technologiestadium als dessen Ûberaffirmation fest. Und verabschiedet sich von Sun Ras Saturn und dem »Mothership« von Parliament/Funkadelic. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

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Mit dieser Platte und dem Nachfolger »Calabi Yau Space« dringt Dopplereffekt in eine Soundarchäologie vor, bei der Mensch und Maschine ein Interface konfigurieren, das Raum und Zeit durchpflügt. Weit ausladende, spärliche Soundlandschaften werden durchmessen, kontrastiert von Testsignalen und sperrigen Beatkonstrukten. »Rhythmen spielten stets eine wichtige Rolle, sie wurden nur subtiler, atmosphärischer«, schildert Mueller. »Es ging darum, die Essenz damaliger Beobachtungen herauszufiltern. Was bei diesen beiden Platten Teilchenbeschleuniger und Quantenphysik hieß«. Thema dabei war u. a. der um diese Zeit am Forschungszentrum Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen nahe Berlin eingerichtete Linearbeschleuniger TESLA. Aus der »Linear Accelerator«-Phase stammen jene bekannten Fotos, die Nhan und Mueller, in Laborkittel gehüllt, vor einem Hohlraumresonator zeigen. »Wir fanden es großartig im DESY. Wir würden gerne auch einmal das CERN besuchen, um den Elementarteilchen zuzuhören«, grinst Nhan. Immerhin wurden CERN-Bilder für die Covers von »Calabi Yau Space« und »Myon-Neutrino« (Gigolo, 2002) verwendet.

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Der im deutschen Sprachraum als Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit bekannte Ansatz stammt aus der Stringtheorie und besagt in etwa, wie supersymmetrische algebraische Modelle von einem zehn- auf einen vierdimensionalen Rechenraum transferiert werden können. Ob er daran denkt, Physik zu studieren? »Wenn ich etwas tue, setze ich mir zum Ziel, es mit vollem Einsatz zu machen. Ich lese zwar am liebsten wissenschaftliche Bücher, aber es gibt Dinge, die mich davon abhalten, ein Studium mit der gebührenden Ernsthaftigkeit zu betreiben.« Ein ironisches Lächeln huscht über sein Gesicht: »Musik zum Beispiel«.

Als Arpanet wurde mit Platten wie »Wireless Internet« bereits 2002 das kabellose Zeitalter und die totale Vernetzung eingeläutet. Das Internet stellt für Mueller nach wie vor einen wichtigen theoretischen Referenzrahmen dar. Gefragt nach seiner Einschätzung zu Social Media, kommt der für ihn typische pragmatische Kommentar: »Diesen Begriff lehne ich ab. Solche Werkzeuge tun, wofür sie entwickelt wurden: technisch vermittelte Kommunikationsnetzwerke herzustellen. Wie dringlich der Wunsch nach derartiger Interaktion ist, lässt sich daran ablesen, dass 2012 von den circa 2,4 Milliarden Internetnutzern weltweit jeder fünfte ein Facebook-Profil hatte. Wir haben zwar auch eines, nutzen es aber nur für den professionellen Gebrauch«.

 

Kontraste

Wer vorherige Dopplereffekt-Platten oder andere Veröffentlichungen von Mueller wegen ihrer (ambienthaften) Tanzbarkeit geschätzt hatte, musste sich von »Linear Accelerator« und »Calabi Yau Space« enttäuscht sehen. Und auch »Tetrahymena« ist noch am ehesten ein Kopfkino-Soundtrack.

Kopie_von_97_Dopplereffekt_Daniel_Jarosch_10.jpgDas Projekt trat in eine vollständige Konzeptualisierung von Klang und Ikonografie. Diese Entleerung in den Hyperraum macht in der Live-Situation aus Nhan und Mueller beinahe regungslose »Showroom Dummies«. Es scheint, als wäre das Datenkabel zwischen ihren Synthesizern eine digitale Nabelschnur.

Diverse Berichte mokieren sich darüber, dass auf ihren Konzerten »nichts los« sei. Was sowohl falsch wie richtig ist. Dopplereffekt gestaltet sich weniger als Live-Band denn als Zuhörprojekt. Eigentlich sollten sie hinter einem Vorhang spielen, auf den die Visuals projiziert werden. Während etwa Kraftwerks Projektionen trotz aller Abstraktion des Technologischen weiterhin einen gewissen humanoiden Faktor mitverhandeln, dringen die von Dopplereffekt in das Herz der Maschine ein und stellen in davon praktisch leergeräumten Bildern nur noch die Folgeerscheinungen menschlichen Handelns dar. Mueller dazu: »Wir zeigen in den Visuals den Kontrast zwischen Dingen wie sie waren und wie sie heute genutzt werden. Man will beispielsweise Quantenmechanik in ihrer Blütezeit und in ihrem derzeitigen Stadium abbilden. Dadurch entsteht eine Korrelation«.

Dass die verwendeten Ästhetiken für heutige Verhältnisse ziemlich antiquiert daherkommen, tut dem Ganzen keinen Abbruch. Vielmehr sind es Imaginationen einer verdrängten Zukunft, bei der sich die Zeichen ihres Zeitkorsetts entledigen und in einem »enthistorisierten« Zustand bewegen. Die elektromagnetischen Gegenrealitäten von Dopplereffekt löschen den Produzenten aus, übrig bleibt das Paradigma der Daten.

Zusätzliche Auswahldiskografie:

Dopplereffekt: »Tetrahymena« (EP, Leisure System 2013)
Dopplereffekt: »Gesamtkunstwerk« (Clone 2007)
Dopplereffekt: »Myon-Neutrino« (EP, Gigolo 2002)
Visiona + Dopplereffekt: »Die Reisen« (EP, Last Known Trajectory 2014)
NRSB-11: »Commodified« (WéMè 2013)
Zwischenwelt: »Paranormale Aktivität« (Rephlex 2011)
Zerkalo: »Stoi Storoni Zerkala pt. 1 & 2« (EPs, Clone Aqualung Series 2009/10)

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