In den jüngsten Protestbewegungen im arabischen Raum spielt Musik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Während die Zivilgesellschaft in Tunesien und Ägypten autokratische Regime zu Fall brachte, wurde die Revolte in Saudi-Arabien gewaltsam niedergeschlagen — genau genommen am 26. Jänner 2011 in der drei Millionen Einwohner zählenden Hafenstadt Jeddah.
In dem Golfstaat, der von der fundamentalistisch-islamischen Strömung des Wahhabismus geprägt ist, wurde nach weiteren Kundgebungen, u. a. in der erdölreichen Ostprovinz am 5. März 2011, Demonstrationsverbot erlassen. Doch unter dem Deckel, den das Regime sorgfältig über jedwede Unmutsäußerung breitet, brodelt es gewaltig — und auch in der Petrodollar-Monarchie erweist sich Musik als Möglichkeit, regimekritische Gedanken unters Volk zu bringen. Eine wesentliche Rolle spielen dabei Personen, die die oppositionelle Kunst via (Massen-)Medien verbreiten; keine leichte Aufgabe in einem Land, in dem Meinungsfreiheit ein Fremdwort ist.
Ein solcher Multiplikator ist Hassane Dinnaoui aus Jeddah, der im Mai im Rahmen der Festwochen-Reihe Into the City in Wien zu Gast war. Unter dem Namen DJ Big Hass betreibt er in seiner Heimatstadt den Online-Sender Re-Volt Radio.
skug: Neben Ihrem eigenen Radio-Blog hosten Sie auch eine Show im staatlichen Radiosender MIX-FM. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit dort von Re-Volt Radio?
Hassane Dinnaoui: Re-Volt habe ich 2009 als Weblog mit der Absicht gegründet, Underground- Musik zu fördern. Es begann als Blog, doch dann kam das Radio-Element hinzu, mit dem ich zwei- bis dreimal pro Woche via Internet sende. Mein Bedürfnis nach größerer Reichweite ließ in mir schließlich den Wunsch aufkommen, auch über den Äther zu senden. So kam ich zu meiner Sendung bei MIX FM. Das ist eine Radiostation, die sich vor allem an die Jugend wendet — und der einzige Sender in der Region, der Englischsprachiges und Musik aus dem Ausland spielt. Ich habe sechs Monate gebraucht, um die Verantwortlichen von meiner Sendung zu überzeugen, in der ich KünstlerInnen aus der Region eine Plattform bieten wollte. Aber zum Glück haben sie letztendlich zugestimmt, und nun wird die Show, die gerade ihr zweijähriges Jubiläum gefeiert hat, jeden Donnerstag zwischen 21h00 und 22h30 (saudischer Zeit) ausgestrahlt. Es handelt sich um die erste HipHop-Sendung in einem saudischen Radiosender, sie ist also ziemlich einzigartig in der Region. Mein Ziel ist es, die wahre Essenz der HipHop-Kultur zu verbreiten.
Auf welche Weise beeinflusst der Wahhabismus das politische System in Saudi-Arabien und wie wirkt er sich auf das Musikleben aus?
In meiner Show beschäftige ich mich nicht mit »Politricks«. Politik ist ein schmutziges Spiel, das auf Kosten der Bevölkerung gespielt wird. Ich glaube, dass alle Menschen eine große Familie sind, und darum geht es auch in meiner Radiosendung. In Saudi-Arabien ist Musik zwar grundsätzlich erlaubt, aber es gibt keine öffentlichen Veranstaltungsorte, wo Musik gespielt werden kann. Im Untergrund finden allerdings private Partys und Konzerte statt. Das geschieht aber im Verborgenen, und du musst bestimmte Leute kennen, um davon zu erfahren. Ich bezeichne mich selbst als Radioaktivisten. Durch meine Radioarbeit beteilige ich mich an diesem Kampf, aber die wahren Helden sind die KünstlerInnen, die ihre Ûberzeugung in der Musik zum Ausdruck bringen und die ich mit aller Kraft zu unterstützen versuche. Ich glaube daran, dass die Leute mächtiger sind als jeder König oder Präsident. Ich denke, wir AraberInnen sollten endlich aufwachen. Wir müssen unsere Stimme erheben!
Warum konzentrieren Sie sich in ihren Sendungen auf HipHop? Schließlich gibt es auch andere Musikformen, denen in Zusammenhang mit Befreiungsbewegungen große Bedeutung zukommt — z. B. der Free Jazz, der eine wichtige Rolle in der Bürgerrechtsbewegung spielte.
HipHop wird im Allgemeinen von den Massenmedien missverstanden, die bloß die negative Komponente daran thematisieren. CD-Labels, Radio- und Fernsehstationen verbreiten nur den kommerziellen HipHop, der aber nicht das wahre Wesen dieser Kunstform repräsentiert. HipHop war immer schon die Stimme derer, die keine Stimme haben und ein machtvolles Werkzeug zur Selbstermächtigung. Das hat sich auch im Arabischen Frühling wieder gezeigt.
Welche Rolle hat HipHop im Arabischen Frühling gespielt?
HipHop war das erste Mittel, mit dem man in den arabischen Ländern die eigenen Ansichten zum Ausdruck bringen konnte. Worauf es im HipHop vor allem ankommt, ist Originalität und Wahrhaftigkeit. Er ist seinem Wesen nach die Stimme der Unterdrückten, die ihre Unterdrückung in Gesang verwandeln. Er kommt einer stimmlichen Befreiung gleich. HipHop ist musikalische Aufklärung.
Welche Werte bringen die MusikerInnen zum Ausdruck, deren Musik Sie spielen?
Würde, Gleichheit, Macht für die Machtlosen und vor allem Freiheit; Freiheit von Unterdrückung ist das gemeinsame Ziel aller KünstlerInnen, die ich unterstütze. Wenn ich »Freiheit« sage, geht es mir jedoch nicht darum, einen westlichen Begriff zu übernehmen, auch wenn die westlichen Gesellschaften tatsächlich über ein großartiges Freiheitskonzept verfügen. Ich glaube aber trotzdem, dass wir AraberInnen unsere eigene Identität entwickeln müssen.
Die palästinensisch-britische Rapperin Shadia Mansour hat bei ihrem Auftritt bei Into the City ein Wiegenlied gesungen, das ursprünglich von einer bestimmten Familie im Libanon stammt, was sie jedoch nicht erwähnt hat. Wie stehen Sie in solchen Fällen zur Frage des Urheberrechts: Gerade in einer Kultur wie HipHop, die voll von Samples und Fremdanteilen ist, deren Herkunft nur mehr schwer zu identifizieren ist?
Wenn ich mich nicht irre, hat sie bei dem Konzert auf den Ursprung des Liedes hingewiesen. Es handelt sich jedenfalls um ein altes arabisch-libanesisches Stück mit dem Titel: »Sie alle haben ein Auto, aber mein Großvater hat einen Esel«. Shadia Mansour eignet sich die Melodie auf kreative Weise an, um ihre eigene Sicht dessen, was in Palästina vor sich geht, zum Ausdruck zu bringen: Sie ändert den Text zu »Sie alle haben Panzer, aber wir haben Steine«.
Wie stehen Sie zu den Vorfällen in Mali, wo sich die Tuareg mit den islamistischen Kräften eingelassen haben? Mali verfügt über einen besonderen Reichtum an großartiger Musik und es muss für die Bevölkerung sehr schmerzlich sein, dass ihre eigene Musik nun verboten ist.
Ich habe mich zwar nicht näher damit beschäftigt, aber ich möchte dazu sagen: Unser derzeitiges Problem ist, dass der Islam permanent vereinnahmt wird. Nicht alle, die sagen, sie seien muslimisch, sind es tatsächlich. Nicht jeder, der »Allahu akbar« sagt, ist ein Moslem. Der Islam ist eine Religion des Friedens und der Achtung, aber leider zerstören manche Leute dieses Bild und diese Leute bekommen Unterstützung und Bestätigung durch die Massenmedien. Egal, was oder wer du bist — du solltest dich auf jede mögliche Art ausdrücken dürfen, und dazu zählt auch die Musik.
Wo sehen Sie generell das Potential von Musik im Kontext von politischem Widerstand? Welchen Beitrag kann sie leisten, bestimmte politische Ziele zu erreichen? Ist sie vielleicht eine Möglichkeit, Meinungen zum Ausdruck zu bringen, die sonst der Zensur zum Opfer fallen würden?
Musik kann eine Menge bewirken. Sie ist die Stimme der Bevölkerung und Ausdruck ihrer Forderungen. Sie kann die Menschen aufklären, gleichzeitig kann die falsche Musik aber auch den Geist zerstören — darum müssen wir uns für die Wahrheit entscheiden. Sie können uns nicht aufhalten! Wir haben das Internet, wir haben Google, Twitter und YouTube … Wir Menschen sind eine große Familie. Salaam!