Das Slash Filmfestival lässt sich durch die Pandemie keinen Strich durch die Rechnung machen und auch 2020 den Genrefilm hochleben – von 17. bis 27. September im Gartenbaukino, Filmcasino, Metro und (erstmals) Schikaneder. Das Programm ist dabei so umfangreich und vielfältig wie eh und je und neben dem Eröffnungsfilm »Relic« warten einige Highlights, die schon länger auf der IMDb-Watchlist stehen, wie z. B. »Spree«, »Pelikanblut« oder »Saint Maud«. Aber das Slash-Team hat natürlich auch heuer ein paar unbekanntere Juwelen des fantastischen Films ausgegraben, die man in den kommenden Tagen auf der Leinwand bewundern kann. Einige davon wollen wir euch hier ans Herz legen.
»VHyes« (Jack Henry Robbins, US 2019)
Der 12-jährige Ralph bekommt zu Weihnachten 1987 eine Videokamera von seinen Eltern geschenkt und dokumentiert sein Leben, ach was, seine ganze Ära in einem knallbunten und höchst amüsanten LoFi-Zusammenschnitt aus Home-Videos und Fernsehaufzeichnungen. Das Retro-Potpourri aus 80er-TV-Shows, Fitness-, Nachrichten- und Dauerwerbesendungen, Crime-Dokus und Soft-Porn ist eine Hommage an die Medienkultur eines Jahrzehnts, in dem auch das Slash-Publikum teilweise aufgewachsen ist, und so fühlt man sich ein bisschen in die Zeit zurückversetzt, als man in elterlicher Abwesenheit in die Glotze starrte, bis die Augäpfel glühten. Regisseur Jack Henry Robbins – Spross von Tim Robbins und Susan Sarandon, beide auch in kurzen Gastauftritten im Film zu sehen – legt mit »VHYes« sein Spielfilmdebüt vor und zollt damit seiner eigenen Faszination für das Format Tribut: Gefilmt wurde das Material auf VHS und DigiBeta-Tapes innerhalb von 15 Tagen im Sommer 2018 in Los Angeles. »A hot winter!«
»The Rise of the Synths« (Iván Castell, ES/US 2019)
Spätestens mit Ryan Goslings schauspielerischem Paukenschlag »Drive« (Winding Refn, 2011) sollte jede*r schon einmal unbewusst (von) Synthwave gehört haben, denn der Film lebt maßgeblich davon. Er lebt von der Musik und den Emotionen, die auszulösen quasi ihre Daseinsberechtigung ist: Sie evoziert irgendwas mit Melancholie, aber auch eine Leichtigkeit, Bock auf Zukunft, eine persönliche Freiheit von Sorgen, die die von Menschen gemachte Technik verspricht. Kurz: Glück. Der Film »Drive« gab dem Genre des Synthwave tatsächlich einen gewissen Drive (und die Netflix-Serie »Stranger Things« einen ordentlichen Turbo-Boost), der Sound jedoch existierte bereits vorher. Als wichtiger Einfluss gelten Bands wie Tangerine Dream, die Soundtracks zu Genrefilmen der 1970er und 1980er geliefert haben, sowie – vor allem – John Carpenter. Der hat nicht nur einige Klassiker des Horrorfilms geschaffen, sondern nebenbei auch seine eigene Musik produziert und damit das ganze Genre maßgeblich geprägt. John Carpenter also kommentiert diese liebevoll gestaltete Crowdfunding-Produktion in seiner langjährigen Erfahrung (als absoluter Außenseiter) mit DIY- bzw. Low-Budget-Film und es wird zugleich klar, was in »The Rise of the Synths« immer wieder erwähnt wird und durchscheint: Die Projektion der Authentizität auf die 1980er-Jahre. Synthwave ist retro, aber nicht Musik der 1980s. Es ist die Musik, die »emotional response«, die aus der Beschäftigung mit der Zeit entsteht. Es ist eine Welt der Sorglosigkeit, zum Teil etwas cheesy, mitunter auch aufgeladen wie ein Standbild des Künstlers Gregory Crewdson, doch im Großen und Ganzen bleibt es lieb, ein emotionaler Rückzugsort. Durch diese Welt führt die Zuschauer*innen der Synth Rider in einem DeLorean, natürlich. Schön gemacht, visuell wie musikalisch.
»The Returned«/»Los que vuelven« (Laura Casabé, AR 2019)
Das Ehepaar Julia und Mariano betreibt Anfang des 19. Jahrhunderts eine Maté-Plantage im Norden Argentiniens. Als die fragile Julia ihr Kind bei der Geburt verliert, bittet sie in ihrer Verzweiflung das indigene Hausmädchen Kerana und deren Naturgottheit Iguazú (was in der heimischen Guarani-Sprache soviel heißt wie »großes Wasser«) um Hilfe. Dass das nicht ohne Konsequenzen bleiben kann, wissen wir spätestens seit Stephen Kings »Pet Sematary« und so entspinnt sich in drei Kapiteln eine Reihe dramatischer Ereignisse mit blutigem Ausgang. Regisseurin Laura Casabé setzt in diesem Folk-Horrorstreifen die ursprüngliche Schönheit des argentinischen Regenwaldes gekonnt in Szene und bricht zugleich eine Lanze für die Rechte der indigenen Bevölkerung, die – damals wie heute – unter der Unterdrückung und Ausbeutung durch die europäischen Einwanderer zu leiden hat. »The Returned« spielt mit den Prinzipien von Schuld und Sühne und geht – zumindest auf der Leinwand – mit den Verantwortlichen ins Gericht.
»Crazy World« (Nabwana IGG, UG 2019)
Die ugandische Filmwelt heißt Wakaliwood, und die Begeisterung der Beteiligten für den (Action-)Film (der 1980er und 1990er) sieht man in den Werken der noch recht jungen Schule eindeutig. »Please fasten your seatbelts« heißt es zu Beginn von »Crazy World«. Ähnlich den anderen, zum Teil Kultstatus genießenden Low- bzw. No-Budget Produktionen aus Kampala behandelt auch dieser Film Themen wie Krieg und Gewalt, die auf die lange Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen in autoritär geführten Regimen verweisen. Doch die Begeisterung für den Film, der Einfallsreichtum bei der Verwirklichung der Geschichten und die expressiven, spielerisch interessanten Auftritte geben nicht nur einen Einblick in eine viel zu selten belichtete Kultur, sondern zeugen von einer äußerst eindrücklichen, eigenen kreativen Auseinandersetzung mit kulturellem Gedächtnis und eigener, post-kolonialer Identität. Doch so tiefsinnig gibt man sich gar nicht. Bekannter Star VJ Emmie, Tongue Fu Master, führt durch die Geschichte von entführten Kung-Fu-Kindern, und es beginnt so rasant wie absurd. Crazy World mutet erst nach Kidz-Movie an, aber dann explodieren auch schon die ersten Dinge/Menschen. »Waka Starz. Ugandas biggest action starz.« Es ist aber auch ein gefährliches Pflaster, vor allem für Kinder, doch zum Glück tauchen wieder Stars aus Filmen wie »Who killed Captain Alex?« (2010) und »Bad Black (2016) auf, es wird viel gerettet, geboxt und geschossen und deutlich, dass es noch immer gute Menschen auf der Welt gibt, die sich für die Liebe entscheiden. Selbstironisch, absurd-humorig und mit jeder Menge Action.
»The Old Man Movie«/»Vanamehe film« (Oskar Lehemaa/Mikk Mägi, EE 2019)
»The Old Man Movie« von Oskar Lehemaa und Mikk Mägi verkörpert genau die durchgeknallte Kombination aus »Wallace and Gromit« und »South Park«, die man sich von einem estnischen Trickfilm erwartet. Drei Stadtkinder werden für die Sommerferien bei ihrem Opa in der Provinz abgesetzt und lernen hands-on das baltische Landleben kennen – Mistschaufeln und Kuhmelken inklusive. Als die hauseigene Milch- und Einkommensquelle aus dem Stall verschwindet, setzen die vier alles dran, das Rindvieh wieder heil nach Hause zu bringen und die »Laktokalypse« zu verhindern, denn: Wenn eine Kuh nicht gemolken wird, explodiert ihr Euter, wie Widersacher Old Milk Men am eigenen Leib erfahren musste. Begleitet wird das High-Tempo-Himmelfahrtskommando von respekt-, aber nicht substanzlosem nordischem Humor, der keine PC kennt und bei dem Männer, Frauen, Kinder, Tiere und Bäume (!) gleichermaßen ihr Fett abkriegen. 88 Minuten quietschfideles Filmvergnügen und ein großer, bunter, wilder Spaß. Zur Vorbereitung sei die zugrundenliegende Webserie auf YouTube empfohlen.