© Christopher Mavrič
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Friedliche Bewegungswut

Die Tänzerin und Choreografin Eva-Maria Schaller und der Komponist und Musiker Wolfgang Mitterer ventilieren im Rahmen des ImPulsTanz Festivals 2025 ihre »Walzerwut«.

Auch skug kann sich nicht so einfach leichtfertig und -füßig an »Johann Strauss 2025 Wien« vorbeidrehen. Die Tanzperformance »Walzerwut« entstanden durch eine künstlerische Verkuppelung der Tänzerin und Choreografin Eva-Maria Schaller mit dem Komponisten und (Impro-)Musiker Wolfgang Mitterer durch Karl Regensburger, seines Zeichens eminenter Intendant von ImPulsTanz – verdreht Körper und Melodien entgegen gut- und wutbürgerlichen Vorstellungen. »Es gibt auch Funk im Dreivierteltakt«, so die Ansage von Wolfgang Mitterer, der die musikalische Vorlage für eine tanzwütige Performance eines von Eva-Maria Schaller formierten Ensembles liefert. Mitterer erklärt sich die Magie der Strauss’schen Walzerklänge so: »Jede Melodie kommt aus seiner Seele heraus, da ist nichts gestoppelt, gekünstelt, konstruiert oder montiert.« Und um diese Melodien zeitgenössisch wiederzubeseelen, bedarf es einer gehörigen Portion De-Konstruktion. skug hat Eva-Maria Schaller und Wolfgang Mitterer nach den Proben zum kurzen walzerischen Gedankenkreisen in den Rennweg-Studios getroffen.

skug: Die österreichische Schriftstellerin Bertha von Suttner wird als ein inhaltliches Element der Tanzperformance »Walzerwut« erwähnt. Wie steht sie im Zusammenhang zu Walzer oder Wut?

Eva-Maria Schaller: Für mich war recht bald klar, dass ich zur Walzerwelt von Johann Strauss noch eine weitere Kontextualisierung, eine weibliche Perspektive, eine Verlinkung zwischen Geschichte und Künstlerischem benötige. Die Musik von Johann Strauss ist stark besetzt durch eine kitschige Kulturvermarktung und da ich den Roman »Die Waffen nieder!« von Bertha von Suttner gerade gelesen hatte und sie eine Zeitgenossin von Johann Strauss war, wollte ich das verbinden. Ich bin draufgekommen, dass die beiden sich tatsächlich kannten, denn Johann Strauss war Mitglied in dem von Bertha von Suttner gegründeten Friedensverein und Verein gegen Antisemitismus. Sie war auf der Suche nach Prominenz, um ihre Friedensbemühungen zu unterstützen, und hat sich auch an Johann Strauss gewandt. Es gibt einen Brief, in dem sie ihn daran erinnert, dass er ihr einen »Friedenswalzer« widmen wollte. Das wird auch in meinem Stück zitiert. Die Texte aus Bertha von Suttners Antikriegsroman »Die Waffen nieder!« sind sehr eindringlich. Diese zum Teil auch sehr dunklen, düsteren Textfragmente erzeugen etwas Abgründiges, das dem überbordenden Musikenthusiasmus gegenübersteht.

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Wolfgang Mitterer: Wir wollen nicht nur das Kommerzmusikalische von Johann Strauss ausstellen, sondern eine zeitgeschichtliche, weibliche Position, die ganz konträr zum Walzerkönig ist, einbauen – so lässt sich eine Geschichte über diese Zeit über eine lose Bekanntschaft erzählen. Das deckt sich mit einem der zentralen Werke, die ich verwende, nämlich der »Tritsch-Tratsch-Polka«, die vom Herumerzählen von Neuigkeiten handelt, deren Wahrheitsgehalt sich dann im Laufe der Weitererzählungen verändert. Und das katapultiert uns sozusagen in die Jetztzeit. Wir wollen ja nicht die Herrschaften von damals »ausgestopft ausstellen«, sondern wir wollen das Stück zeitgenössisch denken. 

Eva-Maria Schaller: Die musikalische Bearbeitung von Wolfgang macht es uns als Tänzer*innen leicht, dieses Walzerding ohne Nostalgie anzugehen …

Wolfgang Mitterer: Ich glaube, diese Leichtigkeit kommt schon auch von den Melodien von Johann Strauss, aber ich habe versucht, diese ständigen Wiederholungen radikal zu kürzen und in Klängen zu ertränken und sie dann immer wieder walzerwütig auftauchen zu lassen. So nach dem Motto: Wenn es einem einmal schlecht gehen sollte, dann tanzt man am besten einen Walzer und schon sieht die Welt wieder anders aus. Denn die Musik von Strauss betont stark das Positive. Wir versuchen, ein breites Netz zu spannen, lassen diese fröhliche Musik auftauchen und wieder verschwinden. Und der Tanz ist auch mehr als ein Sich-Drehen im Dreivierteltakt.

Eva-Maria Schaller: Wir wollten beim Dreivierteltakt tatsächlich tänzerisch noch einmal in die Tiefe gehen und haben zweimal mit einer professionellen Trainerin für Wiener Walzer bzw. Ballroom Walzer gearbeitet. Dadurch versteht man dann, warum der Walzer ein derartiges Massenphänomen war und warum er als Gesellschaftstanz damals etwas Frivoles und Neues war. Die richtige Technik, bei der die Becken permanent eng aneinander sind, sozusagen als Schwerpunktmitte zwischen zwei Körpern durch das Hinauslehnen des Oberkörpers während des Dreierschrittes und des Schwungs, den man dabei bekommt, ist fürs Erste gar nicht so leicht – erzeugt aber eben dieses besondere euphorische, schwindelerregende Gefühl des »Walzens«. So haben wir dieses Gefühl verstanden, wie die Leute damals auch richtig süchtig nach dieser Erfahrung werden konnten. Gleichzeit haben wir recht schnell beschlossen, dass abseits dieser aufrechten, fliegenden Walzerkörper auch andere Haltungen, Körperlichkeiten und Bilder vorkommen müssen.

Wolfgang Mitterer: Wir arbeiten nicht nur mit Walzermusik, sondern es kommen auch jede Menge Polkas zum Einsatz. Von der Polka kommt die Wut; durch das Tempo wird auch das militärisch Marschierende zurückgelassen in Richtung funky-funky … Wir verwenden die Interpretation vom Klangforum Wien, von einem Mitschnitt eines Konzertes Ende Jänner. »tritsch tratsch. johann strauss II – great hits / a remix« ist ein Kompositionsauftrag im Rahmen von »Johann Strauss 2025 Wien«.

Wie wichtig war die etymologische, tanzgeschichtliche Recherche zum Phänomen des Walzers als Gesellschaftstanz?

Eva-Maria Schaller: Choreografisch war dieses Element des Drehens zentral. Wie schon erwähnt, erzeugt erst die Kombination der richtigen Haltung diesen Walz-Effekt, und wir wollten dieses »Walzen« ausloten. Grundsätzlich geht es mir aber auch um einen ganz eigenen musikalischen Umgang, nicht nur mit dem Walzer – die Tänzer*innen sind in den verschiedenen Nummern, vor allem den Polka-Nummern, wie in einem Rave-Rausch, der einfach gute Laune macht. Diese Musik erzeugt einen unglaublichen Energieentladungseffekt.

Wolfgang Mitterer: Diese sehr unmittelbar komponierten Melodien, mit den einfachen Bässen und den achttaktigen Phrasen mit ihren Applaus-Schlüssen – wir haben das auch so belassen und wollen das Publikum auch zwischen den Nummern klatschen lassen.

Eva-Maria Schaller: Auch wenn der Szenenapplaus beim zeitgenössischen Tanz eigentlich nicht Usus ist … Die Virtuosität besteht für mich darin, mit all diesen unterschiedlichen Referenzen im Körper zu arbeiten – klassische Tanz-Gesten oder sozusagen gegenwärtiges Bewegen wie beim Auftauchen von Techno-Beats oder auch fantastische Bilder wie sogar das Vom-Pferd-Fallen – mit all diesem Material im richtigen Moment musikalisch zu agieren, lässt diesen »Gesellschaftstanz« entstehen. Und die fünf unterschiedlichen Tänzer*innen sollen auch ein »vielgesichtiges« Abbild unserer Gesellschaft darstellen.

Wolfgang Mitterer: Ich werde die Musik auch im Raum kreisen lassen und mit elektronischen Effekten und Klavier – mit einer Portion Improvisation – dieses Walzen des Walzers und das Niederwalzen der Polkas verstärken. Und auch die Tänzer*innen haben ja gewisse improvisatorische Freiheiten.

Eva-Maria Schaller: Es gibt schon auch ganz genaue Setzungen und Übersetzungen der Musik in räumliche Bewegungen, auf musikalische »Explosionen und Zusammenbrüche« werden wir körperlich reagieren. Es braucht aber auch die reine Improvisationsenergie, die durch Setzungen verringert werden würde.

Wolfgang Mitterer: Als studierter Organist kenne ich diesen Unterschied zwischen Improvisation und dem Nachspielen einer Komposition sehr gut. Ein Notenbild, das man vor sich hat, kann die Improvisationsenergie behindern.

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Kommen wir zum Schluss noch einmal zu den Texten von Bertha von Suttner. Wie werden sie konkret in das Tanzstück eingebaut?

Eva-Maria Schaller: Die Texte kommen aus der Bewegung heraus. Ich arbeite gerne, auch abstrakt, mit Stimme. Als Tänzerin ist der Gebrauch von Stimme auch ein emanzipatorisches Element. Wie kommt man aus dem Tanz zur Sprache und daraus wieder zurück zum Tanz, wie kann man zwischen diesen Formen oszillieren? »Walzerwut« enthält einen wilden Remix von Romantexten von Bertha von Suttner. Man kann sich das in etwa so vorstellen: Während man sich durch einen Rave-Ballsaal bewegt, schnappt man immer wieder mal ein paar Statements oder kurze Gespräche von Anwesenden auf. Die Texte werden im Stück »Walzerwut« von den Tänzer*innen gesprochen, sie kommen aus der Bewegung und gehen in die Bewegung zurück, Tanz und Musik stehen aber definitiv im Vordergrund!

Link: https://www.impulstanz.com/performances/id3347/ 

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