»Shelah« Fotos: © Edwin Sumun
»Shelah« Fotos: © Edwin Sumun

Familiengeschichten aus Malaysia

Queer-Culture und der Kampf um gleiche Rechte in Malaysien. Anläßlich der Diskussionsveranstaltung im Rahmen von INTO THE CITY mit Pang Khee Teik (MY), Rainbow Massacre (MY) und Tomas Zierhofer-Kin (AT) am 1. Juni, 18.30 Uhr im Festivalzentrum veröffentlicht skug Gedankenanstöße von Pang Khee Teik.
Ûbersetzung: Friederike Kulcsar 
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Als ich aus der Kirche ausgetreten war, habe ich schnell herausgefunden, dass die im Kunstbereich Tätigen nicht so verrucht sind, wie mir meine Kirche immer weismachen wollte. Mein soziales Netzwerk wuchs auch in der Vor-Facebook-Zeit beständig und umfasste binnen kurzem viele KünstlerInnen, AktivistInnen, SchriftstellerInnen, SchauspielerInnen, RedakteurInnen, TheaterintendantInnen, FeministInnen, FilmemacherInnen und andere Kreative. Für sie war meine sexuelle Orientierung nichts, wofür man sich schämen musste. Sie sind zu meiner Familie geworden.

Mein damaliger Mitbewohner Jerome Kugan hatte kurz zuvor in der neuen Anthologie-Reihe »Silverfish New Writing« eine Kurzgeschichte veröffentlicht. Es war das erste Stück englischsprachiger schwuler Prosa in Malaysia und handelte von urbanem Ennui und jugendlicher Ernüchterung. Wir schrieben das erste Jahr des neuen Millenniums und waren bereits voller Zynismus. Zwar sprachen im Jahr 2001 viele davon, dass sich eine Wende anbahnte, einige von uns fühlten sich aber nicht nur von der alten autoritären Politik, sondern auch von der neuen Reformbewegung im Stich gelassen. Doch selbst unser Zynismus war jugendlich: anstatt herumzusitzen und resigniert zu seufzen, wurden wir aktiv. Jerome organisierte öffentliche Lesungen, bei denen er viele junge AutorInnen präsentierte. Manchmal lud er auch mich ein. Die Texte, die ich dann las, kreisten immer darum, in Singapur, wo ich studierte, schwul aufzuwachsen oder als Schwuler in Kuala Lumpur zu leben.

Als ich noch Christ war, hatte ich versuchte, straight zu sein. Da es mir zwölf endlose Jahre lang nicht gelungen war, mich zu ent-schwulen, hat sich einiges angesammelt, das raus muss. Es gibt Leute, die meine Geschichten unterhaltsam finden, andere wiederum finden sie berührend. Ein paar Mal sind ZuhörerInnen aufgestanden und gegangen. Uns war das aber egal. Wir waren es leid, uns länger zu verstecken, wir waren es leid, immer wieder die Lügen zu lesen, die Politiker und religiöse Führer über uns verbreiten, waren es leid, von schlimmem Unrecht zu hören und uns hilflos zu fühlen.

Kay_Elle.jpgIm Jahr 2008 arbeiteten Jerome und ich in der Annexe Gallery. Zu jener Zeit entwickelten wir gemeinsam mit Leuten aus unserem künstlerischen und aktivistischen Netzwerk die verrückte Idee, Sexualität auch in Malaysia zum Thema zu machen. Nicht bloß Sex, sondern Sexualität. Die malaysische Öffentlichkeit versteht nämlich weder, was Sexualität bedeutet, noch empfindet sie ihre vielfältigen Ausformungen als Bereicherung. Umso mehr ein Grund, dass endlich auch hier der Regenbogen das Dunkel überstrahlt! Reden wir also darüber, warum wir Angst haben, über Sex zu reden. Reden wir darüber, wie wir unser Recht auf sexuelle Selbstbestimmung einfordern, wie wir uns schützen, wie sich Akzeptanz und Toleranz herstellen lassen, wie wir Dinge verändern. Wir organisierten ein Festival, das wir Seksualiti Merdeka (sexuelle Freiheit) nannten und das alljährlich nicht als Pride Parade im Freien, sondern als einfache Zusammenkunft in unserer Galerie stattfinden sollte. Wir wollten die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass trotz der jahrzehntelangen Unabhängigkeit des Landes noch immer nicht allen die Freiheit gewährt wird, zu sein, was sie sind. Wie erwartet, wurde das Festival ein voller Erfolg, sodass sich Budget, Programm und BesucherInnenzahl Jahr für Jahr verdoppelten.

Im November 2011 sollte Seksualiti Merdeka zum vierten Mal stattfinden. Wir hatten ein Programm zusammengestellt mit Workshops für die LSBTIQ-Communities, Foren für Rechtsfragen, Diskussionsrunden mit Familien, die ihre Kinder akzeptieren und lieben, der Musikperformance Rainbow Massacre mit der berühmten Drag Queen Shelah und Gästen, die queere Hymnen singen. Das ist beim Publikum immer gut angekommen. Inmitten all der Pailletten und glitzernden Diskokugeln waren Liebe und Stolz deutlich spürbar. Draußen nannte man uns Kriminelle, Religionsverächter, Geisteskranke, die die Gesellschaft und Familie zersetzen. Hier drinnen waren wir phänomenal und fabelhaft.

Wir hatten diesmal die Vorsitzende jenes Bündnisses, das für freie und faire Wahlen auf die Straße ging, zu unserer Veranstaltung eingeladen, da sie die bürgerlichen, demokratischen Rechte repräsentierte. Die Popularität ihrer Bewegung bedeutete aber, dass sie bei der Regierungspartei alles andere als populär war. Es kam daher zu Protesten unterschiedlicher Gruppen gegen das Festival, darunter auch religiöser Gruppen, die auf Seite der Regierung standen. Seit der Unabhängigkeit Malaysias im Jahr 1957 ununterbrochen an der Macht, hatte die Regierungspartei zuletzt Stimmen eingebüßt und sah sich mit einer immer stärker werdenden Opposition konfrontiert, die von Anwar Ibrahim, dem früheren Vize-Premier, angeführt wurde. Anwar war zwar 1998 vom damalige Premierminister Mahathir Mohamad aufgrund eines Richtungsstreits aus dem Amt entlassen, aber stattdessen der Sodomie bezichtigt worden, eines Verbrechens, das mit bis zu 20 Jahren Freiheitsentzug bestraft werden kann. Er wurde schuldig gesprochen und wanderte zunächst ins Gefängnis, das Urteil wurde aber einige Jahre später von einem anderer Richter wieder aufgehoben und Anwar aus der Haft entlassen. Ein neuerlicher Versuch, ihn gerichtlich wegen Sodomie zu belangen, endete abermals mit seinem Freispruch. Die Kampagne der Regierungspartei, den Oppositionsführer mit Sodomie und Homosexualität in Verbindung zu bringen, richtete sich aber auch gegen jede Bewegung, die für sexuelle Rechte eintritt, da sie automatisch mit ihm in Verbindung gebracht wird. Man behauptet sogar, er finanziere unser Festival. Um Anwar zu Fall zu bringen, machte die Regierung zunehmend Stimmung gegen die LSBTIQ-Szene, sodass Hunderte Gruppen gegen uns protestierten und wir mit ebenso vielen Anzeigen eingedeckt wurden. Aufgrund dieser Ereignisse belegte uns die Polizei am dritten Tag des Festivals mit einem Veranstaltungsverbot und schickte 30 Beamte in die Galerie, um zu verhindern, dass wir unser Programm hinter verschlossenen Türen abhielten.

Im folgenden Jahr versuchten wir, das Verbot anzufechten, das Gericht war jedoch der Ansicht, dass wir eine Entscheidung der Polizei nicht beeinspruchen könnten. Unterdessen waren ein paar muslimische malaiische Transsexuelle, die nach Scharia-Recht inhaftiert worden waren, ebenfalls vor Gericht gezogen, um die Verfassungsmäßigkeit ihrer Verhaftungen prüfen zu lassen. Sie hatten damit aber ebenso wenig Erfolg wie wir. Ich erhielt immer mehr besorgte Anrufe und E-Mails, durch die ich erfuhr, dass Eltern ihre schwulen oder lesbischen Kinder zu Hause einsperrten und verprügelten; ich hörte von transsexuellen Teenagern, die von ihren Eltern vor die Tür gesetzt worden waren. Es wird behauptet, unser Aktivismus und unsere zunehmende Sichtbarkeit seien dafür verantwortlich, dass die Polizei bei Razzien in LGBTIQ-Treffpunkten aggressiver vorgeht und mehr Transsexuelle verhaftet. Man sagt, wir hätten uns einfach ruhig verhalten sollen, da die Gesellschaft tolerant sei, solange wir uns nicht in aller Öffentlichkeit zeigen. Vielleicht waren wir naiv, aber wie sollen Missstände und Unrecht abgestellt werden, wenn niemand den Mund aufmacht? Verhaftungen von Transsexuellen und Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch die eigene Familie hatte es schon lange davor gegeben. Wir glauben, dass sich die Aufmerksamkeit erst durch unsere Offenheit verstärkt auf dieses Thema gerichtet hat, diese Geschichten nunmehr ans Tageslicht kommen und die Menschen endlich erkennen, dass Missbrauch und Ûbergriffe nicht hingenommen werden müssen.

Wir erwarten nicht, dass jede/r dazu imstande ist, Unrecht anzuprangern, denn unsere Gegnerschaft ist groß. Erfreulicherweise sind aber viele (und ganz unverhofft auch religiöse) Gruppen, für uns eingetreten. Das Verbot hat uns gezeigt, wer unsere FreundInnen und Familien sind. Alleine das zu wissen macht viel aus. Wenn wir von Liebe umgeben sind, wächst auch unser Mut, unsere Geschichten zu erzählen. Es gibt so viele Geschichten, die erzählt werden müssen.

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