Foto: © And Also The Trees
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Die Kunst des Erzählens seit 1979 oder: Als die Bäume sprechen lernten.

Die britischen Postpunk-Traditionalisten And Also The Trees (AATT) machen nach 22 langen Jahren endlich Station in Wien. Am 4. Oktober eröffnen sie die Programmreihe »Autumn Nights« in der fluc_Wanne. Wir machen vorab einen kleinen Spaziergang durch ihren dichten Legendenwald.

»Tramps outwardly, but, inwardly, libraries.« (Ray Bradbury: »Fahrenheit 451«)  

Mit dem Bekenntnis zur alternativen Musikszene der aufkommenden 1980er-Jahre wählten die Gebrüder Jones sicher so etwas wie ein Landstreicher-Dasein im Popkontext. Mit ihrem Leben jenseits trister englischer Gro&szligstädte blieben sie auch im Postpunk-Kosmos immer irgendwie exterritorial. Hört man AATT ein wenig zu, wei&szlig man aber schnell: diese Musik ist gerade durch frische Landluft zu unvergleichlicher Reife herangewachsen.

Tief verwurzelt und weitverzweigt
Dennoch sind die Trees die pure Antithese zu sämtlichen Klischees von provinzieller Verschrobenheit und weltfremder Scheuklappenmentalität. Mit den ideologischen Wurzeln tief im existentialistischen Punk-Update von 1979 vergraben, ging es bei den Jones und ihren MitmusikerInnen seit jeher um das »Jenseits« der Baumgrenze. Justins unverkennbarer (»mandolin-like«) Gitarrensound und die poetische Schaffenskraft seines singenden Bruders Simon Huw sind die zwei berühmtesten Elemente der Formation, die die zahlreichen Ausflüge in neues Terrain (von Dark Wave zu Americana zu Jazz) und die Wandel in der Besetzung im Laufe von 32 Jahren Bandgeschichte überdauert haben. Sie sind die Inseln geschützter Vegetation in einem Wald, der seine langen Äste in alle Himmelsrichtungen ausstreckt. 

Inwärtig Bibliotheken
Wie Ray Bradburys Wälder voller »lebendiger Bücher« (Widerständler, die die Erzählungen im Kopf speichern, weil in den Städten die Bibliotheken brennen) sind auch die Alben der Trees von Geschichten beseelt. Jones Charaktere finden Natur, Mensch und Fatum als Einheit vor, begegnen seltsamen Symbolfiguren auf ihrem Weg und werden Zeuge mystischer Offenbarungen. Hier hat die Stadt den Einzelnen noch nicht verschluckt, hier glaubt man noch an die Kraft der Anrede. Das legendäre Meisterwerk »Virus Meadow« aus dem Jahr 1986 oder auch das wesentlich jüngere »(Listen For) The Rag And Bone Man« (2007) gleichen dichtbedruckten Sammelbänden, die zweifelsohne als Kanonliteratur der britischen Alternativmusik firmieren müssen. 

Baumkorso am Praterstern aatt_pic1.jpg
Dem Aussehen nach sind die Trees auch heute noch eher das weltgewandte Landklientel bei sonntäglicher Matinee zwischen Rebenstauden und Weinkeller, denn von Entzügen gezeichnete Stadtindianer – was Konzertgänger zum Glück vor jener Entmystifizierung rettet, wie man sie bei manch andren Genrekollegen schmerzhaft miterleben muss. Zu der unvergesslich einnehmenden musikalischen Präsenz bei Liveauftritten der Trees also auch ein wichtiges Konzertargument der Entwarnung: Ja, And Also The Trees sind alt wie ein Baum. Aber: leibhaftig und in Baumjahren gemessen sind sie frisch und grün als wär?s nicht schon Herbst, sondern Frühling. Und wer will den denn verschlafen?


And Also The Trees am 4. 10. 2011 live bei »Autumn Nights« in der fluc_ Wanne (5. 10. Automelodi, 6. 10. Chinawoman)

 

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