Als Yoko Ono letzten Winter auf der Berliner Volksbühne in einer Riesenrunde mit Rufus Wainwright, mit Peaches, mit Michael Stipe und natürlich mit Sohn Sean Lennon ihren 80. Geburtstag feierte, war es wie schon oft in ihrer sechs Jahrzehnte andauernden Karriere. Sie stand zwar im Mittelpunkt und zugleich eben doch nicht ganz. Ausschnitte aus ihrem Album »Between My Head And The Sky« von 2009 wurden gespielt. Auch drei Damen namens Jiga, Eva und Masumi trällerten im Rahmen des Galakonzerts zu trivialen Elektro-Beats »Hey Yoko!«. Irgendwie fragil, auf jeden Fall aber relativ unprätentiös. Ebenso wie die künstlerische Arbeit Yoko Onos, die zwar bahnbrechend war im 20. Jahrhundert, allerdings kaum mit dem üblichen Pathos der Avantgarde. Dies lehnte die Pionierin der Fluxus-Bewegung, die Kunst als bürgerlichen Fetisch negierte, grundsätzlich ab.
Natürlich scheint das Besondere mittlerweile abhanden gekommen zu sein, wenn Yoko Ono etwa im Palazzo Bembo in Venedig im Rahmen der an die Biennale angedockten Ausstellung »Personal Structures« mit ihrer Intervention »ARISING« Frauen aufruft, deren persönliche Botschaft gemeinsam mit einem Foto im Ausstellungsraum zu hinterlassen. Einfach eine Intervention. Dahinter ein großer Name. Aus dem Blickfeld aber gerät dabei, dass genau Yoko Ono zur Positionierung dieser Idee von Kunst als partizipatorischen Akt, als Einladung und Anleitung zum Performativen Wesentliches beigetragen hat. Ihre erste Ausstellung in New York »Paintings and Drawings by Yoko Ono« eröffnete sie in dem von Fluxus-Begründer George Maciunas und Almus Salcius eingerichteten Kunstraum AG Gallery in der Madison Avenue. Dabei lud sie das Publikum ein, Malereien per Anweisung selbst auszuführen. Somit wurden die Bilder erst vollständig, wenn die BetrachterInnen selbst etwas dazu beitrugen. In der Szene zwar ernsthaft rezipiert, blieb ihrem frühen Werk aufgrund ihrer späteren Präsenz im Kontext von Pop und der Kooperation mit John Lennon allerdings lange die gebührende Anerkennung versagt, obwohl die 1933 in Tokio geborene Komponistin, Musikerin und Performance-Künstlerin bereits Mitte der 1950er Jahre in der Avantgarde positioniert war und auch mit John Cage als wegweisendem Erneuerer des Verständnisses von Musik als Klang, Geräusch und Sound, gearbeitet hat.
Paradigma John Cage
Der Brückenschlag zwischen Sound-Art und Transformation des Gesangs zwischen Rockund Improvisationsmusik manifestierte sich später – in einem anderen Zeitalter – auf der von Phil Spector produzierten Doppel-LP Es war längst an der Zeit, das epochale OEuvre von Yoko Ono zu durchmessen. Als Künstlerin ließ sie sich die Kleider vom Leib schneiden. Im Dialog mit John Cage definierte sie Sound neu. Kunst konzipierte sie als Partitur, während sie auf der Rockbühne Pop revolutionierte. Lange im Schatten von John Lennon, wird sie allmählich als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Avantgarde des 20. Jahrhunderts wahrgenommen. Nun macht ihre breit rezipierte Retrospektive »Half A Wind-Show« in der Kunsthalle Krems Station.
Yoko Ono, Half-A-Room, Lisson Gallery, London, 1967. Foto: Anthony Cox © Courtesy LENONO PHOTO ARCHIVE
»Some Time in New York City«, 1972. Während der Studioteil politische Popsongs wie »Woman Is the Nigger of the World« (Lennon /Ono) oder »Attica State (Lennon/Ono)« über die gewaltsame Niederschlagung der Revolte im New Yorker Gefängnis Attica Correctional Facility mit letztlich fast vierzig Todesopfern enthielt, brachte die Live-Platte – unter Mitwirkung von Edgar-Varese-Fan Frank Zappa – eine orgiastische Aufnahme mit Yoko Onos modulationsreicher Stimme in durchgehendem Schrei-Gesang und sukzessive eruptierendem Sound. Die Auflösung von Musik in Sound aus dem Kontext von Pop heraus unter dem Paradigma John Cage.
Aus der Oberschicht von Tokio kommend und zwischen Japan und den USA lebend, hatte Yoko Ono Gesang und Philosophie studiert und nach ihrer Heirat mit dem Musiker Toshi Ichiyanagi, einem Schüler von John Cage, danach getrachtet, Konventionen zu durchbrechen. Plausibel, dass sie in Fluxus – als aktionistische und transmediale Kunstströmung, die mit Video, mit Geräuschen, Licht und Bewegung sowie mit Gegenständen aus dem Alltag arbeitete und damit die Grenzen zwischen Kunst und Leben subversiv unterlief -, als relevante Perspektive sah. Welch poetische Aspekte dies beinhalten konnte, zeigen Yoko Onos Himmelsarbeiten. Schon Yves Klein hatte 1946, mit achtzehn Jahren, am Strand von Nizza, den blauen mediterranen Himmel signiert. Ono notierte zwanzig Jahre später: »early childhood: collected skies«. In einigen der frühesten Videowerke der Kunstgeschichte überhaupt, in »Sky Machine« (1961) oder on »Sky TV« (1966), wo Bilder des Himmels auf TV-Bildschirm übertragen werden, spielen die sich bewegenden Wolkenformationen eine zentrale Rolle.
Schlüsselbegriff im OEuvre der Avantgardistin – als Fortsetzung von »Konzept« – ist die »Partitur« als Handlungsanweisung im Schnittfeld von bildender Kunst, Sound und Performance strategisch gegen das abgeschlossene Werk gerichtet. 1962 präsentierte sie in der Ausstellung »Works of Yoko Ono« im Sogetsu Art Center »Instructions« zur Umsetzung. Einflussgebend ebenfalls John Cage, wie Jörg Heiser im Katalogbuch zu »HALF-A-WIND SHOW« analysiert. Im Zuge seines Stücks »Music Walk« in Tokio, 1962, erzeugten mehrere ProtagonistInnen orientiert an spontan vorgezeigten Plastikkärtchen Klänge anhand verschiedener Quellen: mit Klavier, durch Gesang oder einfach durch das Einschalten eines Radioapparats. Free Jazz und Konzeptmusik setzten dies fort. Schon Jahre davor saß Yoko Ono an einem Flügel, ohne allerdings nur eine einzige Taste zu drücken. Stattdessen ließ sie ein Streichholz abbrennen. 1955: »LIGHTING PIECE«. Handlung, Dramaturgie: Performance.
Tendenz zur Immaterialität
Dass Yoko Ono 1952 als erste Frau überhaupt zum Philosophiestudium an der Gakushuin- Universität in Tokio zugelassen wurde und es noch ein Jahrzehnt bis zur Studentenrevolte in den USA dauern sollte, mag ein Licht auf die reaktionäre Atmosphäre der Post- War-Ära werfen, in der die Kunst sich neue Handlungsflächen eroberte. Gar nicht so einfach ist es, ein OEuvre, das häufig zur Immaterialität neigt und in großen Teilen aus Ideen und Texten besteht, anschaulich zu präsentieren. Umso erstaunlicher der Reichtum an Werken und Dokumentationen dieser einzigartigen Retrospektive, die nun, nach Frankfurt und Lousiana, in der Kunsthalle Krems Station macht. Zur frühesten der gezeigten Installationen zählt »Half-A-Room« (1967), ein fragmentarisches Zimmer mit in Hälften geschnittenen und weiß gestrichenen Möbelstücken, die ein poetisches Ensemble bilden. Eindringlich evoziert das Werk Gefühle von Verlust und, vielleicht, die Sehnsucht nach Vervollständigung. Viele Objekte Yoko Onos, viele ihrer Filme wie auch die Performances appellieren an den spontanen Impuls der BetrachterInnen, gedanklich – zu reagieren. Immer wieder stellen sie Grundsatzfragen des menschlichen Daseins, wobei die Folie des Gesellschaftspolitischen und die kritische, skeptische Weltsicht der Künstlerin, grundiert von einer positiven, versöhnlichen Einstellung, eine tragende Rolle spielen. In Erinnerung an John Lennons Songzeile »Imagine all the people life in peace« findet man Yoko Ono online unter imaginepeace.com; dies bleibt die fortwährend utopische Perspektive, während sie ihr realpolitisches Engagement weiterführt. Unter anderem startete sie im Verein mit Lady Gaga, mit Lee Ranaldo, den Beasty Boys, dem Kronos Quartett, B-52, Liv Tyler oder Ryuchi Sakamoto eine Initiative gegen Fracking, gegen die ökologisch höchst gefährliche Methode der Erdgas- bzw. Schiefergasgewinnung, bei der hohe Mengen an Sand und Chemikalien in den Untergrund gepresst werden. Trotz engagierter Pressekonferenzen: Verbissener Kampf war nie ihre Sache. Eher die subtil angelegte Subversion.
HALF-A-WIND SHOW. EINE RETROSPEKTIVE
Kunsthalle Krems 20. Oktober-23. Februar 2014.
Katalogbuch dt. oder engl. im Prestel Verlag, München.
PERSONAL STRUCTURES
Palazzo Bembo, Venedig bis 24. November 2013.