<a title="http://www.sigalitlandau.com/" target="_blank" href="http://www.sigalitlandau.com/">Sigalit Landau</a>: Hausrat und Gerüstteil 300 x 500 x 100 cm Unikat Inv. Nr. 104, &copy; Pomeranz Collection
Sigalit Landau: Hausrat und Gerüstteil 300 x 500 x 100 cm Unikat Inv. Nr. 104, © Pomeranz Collection

Der gro&szlige Schmerz – wie Fremdheit entsteht

Armaturen, innere Klagemauern, gequetschte Räume: In der ersten Ausstellung zeitgenössischer Kunst im Jüdischen Museum Wien zeigt die Sammlung Pomeranz noch bis 7. Oktober Konzeptkunst, die in erstaunlicher Dichte und Spannung in ein ganz eigenes Konzept eingespannt wird: »Fremde ?berall«.

Der wei&szlige Neonschriftzug »The Weeping Wall Inside Us All« des Pariser Künstlerkollektivs Claire Fontaine ist auf der Homepage des Jüdischen Museum Wien zu erspähen und auch der Titel der Ausstellung »Fremde überall«– in roter Neonschrift und schwarz unterlegt – stammt von Claire Fontaine. »Weeping Wall« übersetzt den französischen Ausdruck für »Western Wall«. »Diese ?bertragung verleiht dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eine existenzielle Dimension«, vermerkt der Ausstellungskatalog. Im deutschen hei&szligt sie auch »Klagemauer«.
Eine eigentümliche Sammlung hat der Sammler Eduard Pomeranz da versammelt.

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Claire Fontaine: The weeping wall inside us all | ©Yanai Toister Courtesy EP Privatstiftung

Erstaunlich auch die Themenauswahl: So viel offene Kunst zum Thema Missbrauch bzw. sexueller Gewalt gegen Kinder, einer »perversen Realität« (Katalog), war noch nie in einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu sehen. Und damit meine ich nicht nur Martin Kippenbergers »Onkel Bonbon« (1983) mit dem riesigen, golden blinkenden Bonbon und dem Schatten eines Mädchens mit Zöpfen, das die Arme abwehrend erhoben hat. Ob dieses Phänomen an der eigenwilligen Auswahl des internationalen Kurators Ami Barak liegt, oder in der Auseinandersetzung und klaren Absicht des aus Odessa stammenden, migratorischen Sammlers, der keine Angst vor einem »Anstreifen« mit Gewaltthemen kennt, ist ungewiss. Trotzdem bleibt die Ausstellung keine »Themenpartie«, sondern die Kunst und mit ihr der ästhetische Ausdruck bleiben vorne – an erster Stelle. Erstaunlich die Kunstsprache, die verwendet wird: Was sollen z. B. diese ganzen metallischen Geräte, die vielen Rohre, Armaturen – das Glatte, Metallische, Spiegelnde als Ausdruck?

Gegenseitige Vernichtung
Welcher Sammler besitzt so viele Fotos von Performances von Marina Abramovic? Und noch dazu diese beängstigenden, gruseligen Werke, die Fotos von Performances, in denen Abramovic und ihr Partner Ulay mit verstopften Nasenlöchern so lange ihren Atem über ihre Münder austauschten, bis sie umfielen (»Breathing in/Breathing Out«, 1977)? Oder schweigend Rücken an Rücken 16 Stunden lang sa&szligen, die Haare in einen einzigen Zopf ineinander verflochten (»Relation in Time«, 1977)? Oder die Spitze des Pfeils auf Abramovics Herz gerichtet war – nach vier Minuten lie&szlig Ulay den Bogen fallen (»Rest Energy«, 1980)? Warum so viel gegenseitige »Menschenbesetzung« herzeigen? Sich Stunden lang in einer Performance anstarren, soll das eine Immunisierung gegen vampirähnliche Formen von »Liebe« sein? Eine ?berwindung?
»Die Aktion war der symbolische Versuch, sich bis an den Punkt gegenseitiger Vernichtung mit dem Leben des jeweils anderen zu verbinden«, steht im Katalog. Am besten gefällt mir das Foto, auf dem Abramovic mit schwarzem Hut und verletztem Daumen alleine zügig mit einer verschlossenen Schachtel unter dem Arm vorwärts schreitet und mitsamt ihrem Geheimnis verschwindet (»Marina With a Box« (aus der Serie »Modus Vivendi«), 1985).
Extrem gruselig wird es aber, wenn man sich die hinter einem Vorhang in einem Extragang verborgenen Fotos ansieht, die der amerikanische Künstler Leigh Ledare über Jahre von seiner offensichtlich trauma-kranken Mutter machte, die sich nackt zur Schau stellt, mit unbeteiligtem Gesicht und apathischem Blick, Gewalt und Missbrauch thematisiert. Der Sohn, der hier fotografiert, wendet sich nicht mit Ekel und Grausen ab, sondern bleibt unterstützend an der Seite seiner Mutter, ohne ihr »die Stange zu halten«. Der Preis dafür ist seine geschlechtliche Identität, die in Neutralität verharrt. Rechts vom Eingang zu dieser Schau hängt nun wirklich der neonwei&szlige Schriftzug »The Weeping Wall Inside Us All«. Schrecklich, was jemand der Balletttänzerin und Stripperin Tina Ledare angetan haben muss.

Trans-menschliche Fremdheitskunst
Auch sonst ist es sehr interessant, wie hier das Thema »Fremde überall« gefasst wird, nämlich nicht kleinlich und üblich nach Ländern und Nationen, Volksgruppen oder MigrantInnen, sondern nach menschenübergreifenden Erfahrungen und Gemeinsamkeiten, wahrlich über-greifenden. Nicht nur transkulturell (viel Kunst zu Südosteuropa und Kommunismus, Armut in der Transition, Palmwedel! Odessa!), sondern trans-menschlich sozusagen. Der Rest ist von Galgenhumor und Tieren geprägt: Urlustig im übertragenen Sinne auf das Thema »Fremde überall«, z. B. die Hasenarbeit von Taryn Simon (»A Living Man Declared Dead and Other Chapters I-XVIII, Chapter VI«, 2011), die massigst Hasen zeigt, die aus ihren Plexiglasstürzen hervor zu springen scheinen. »Die Tiere sind Abkömmlinge der 24 Exemplare, die 1859 von Europa nach Australien kamen.« Hasen mit rotem Zeichen im Ohr, Fangkennzeichen, Hasenpässen sozusagen, die Freiheit wurde gestoppt, Wildheit und Amüsement und Vermehrung. Man darf sich in Australien nicht amüsieren, wenn man ein Hase ist. Als Flüchtling auf einer australischen Insel eingesperrt übrigens auch nicht.

Da die Ausstellung »Fremde überall« nur noch bis zum 7. Oktober läuft, sollte man sich diese schleunigst anschauen, zu den Werken assoziieren und sich annähern. Die Farben sind oft wei&szlig, schwarz und wenig rot, dunkelrot, blutrot. Sounds gibt es auch. Gespenster kommen und gehen wieder die Treppe rauf, auf der schrägen Treppe aus Lautsprechern von Ceal Floyer, die in einer Stufenfolge Lautsprecher montierte, aus denen der Reihe nach aufwärts- und abwärtsgehende Schritte zu hören sind.
Von Wasserleitungen bleibt nur Salz übrig und einige wenige nehmen vielen und einander
nicht nur das Wasser weg: Von Sigalit Landau, die auf der letzten Art Biennale in Venedig aus Tränensalz gebaute Brücken zwischen Jordanien und Israel ke2.jpgzeigte und Wasserpipelines in frohen Farben, nebst alten Holocaust-Schuhen und neuen aus Salz erzeugten Schuhen, ist in Wien ein gequetschtes Teil ihres Elternhauses zu sehen. Traumata enden und beginnen nicht nur vor der Haustüre.
Seit William Kentridge in seinen Zeichentrickfilmen Duschen zeichnete, die in afrikanischen Hütten auftauchen, Menschen töten und wieder verschwinden, kann ich keine Dusche mehr als normale Dusche anschauen und betrachten – aber dieser Duschenprototyp in dieser Ausstellung, eine mit einer Minigie&szligkanne versehene Arbeiterdusche aus Thailand (Rirkrit Tiravanija: »Ohne Titel« (»Bicycle Shower«), 2011), scheint ein Antiprojekt und Antimodell zu den Holocaust-Gasduschenbildern zu sein. Wirkt?s?


Rirkrit Tiravanija: Untitled (Bicycle Shower) 2010 © Nick Ash Courtesy Helga Maria Klosterfelde Edition

»Fremde ?berall«, Jüdisches Museum Wien, bis 7. Oktober 2012

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