Die Forderung: Filme, Serien und Kunstwerke sollten der Komplexität der kapitalistischen Welt gerecht werden. Womit Toscana und Kinkle, Dozent respektive ehemaliger Doktorand am Londoner Goldsmith’s College, auch dem Einwand entgegentreten, der Kapitalismus sei zu abstrakt, um überhaupt adäquat dargestellt zu werden. Grundlage ihrer in akademischer Sprache ausgebreiteten Idee ist das Konzept des »cognitive mapping«, ursprünglich von Fredric Jameson formuliert. Laut Jameson ist der letztgültige ontologische Bezugspunkt unserer Zeit das Kapital, weswegen wir von eben diesem möglichst genaue kognitive Karten erstellen sollten.
Was stark vereinfacht heißt, einen möglichst akkuraten Bezugsrahmen zur kapitalistisch geprägten Welt herzustellen. Oder, um mit Žižek-Lacan zu sprechen, hinter die ideologisch verklärte Realität zu blicken und dem Realen möglichst nahe zu kommen. Die Autoren schrecken dabei nicht vor Worten wie Klassenkampf und Klassenbewusstsein zurück – tatsächlich ist Marx ein ständiger Referenz- punkt. Natürlich hätten Kulturschaffende selten die primäre Absicht, die geforderten kognitiven Karten zu erstellen. Es sei deshalb die Aufgabe der Kritik, diesbezügliche Stärken und Schwächen der Werke hervorzuheben.
Blindspot Popmusik
Das übernehmen Toscana und Kinkle anschließend selbst: Von Buch-Covern von Guy Debords »Die Gesellschaft des Spektakels« über Grafiken von Wirtschaftsstatistiken, künstlerische Arbeiten von Mark Lombardi, Alan Sekula oder Trevor Paglen, den Horrorfilm »Wolfen« und die TV-Serie »The Wire« bis zur Darstellung von Seefracht-Containern klopfen sie alles – außer, ausgerechnet, Popmusik – auf sein jeweiliges kritisches Potential hin ab. Dabei finden sie nicht selten Mängel: Sei es, dass der Kapitalismus personalisiert wird, dass sich lediglich zum Fordismus zurückgewünscht wird oder eine Aussicht auf kollektives Handeln fehlt. Dieses ernüchternde Ergebnis führen sie auch darauf zurück, dass es kaum Stil-Innovationen gibt, die dem Gegenstand angemessen wären. Ein Versagen, das das Autorenpaar auch auf gesellschaftlicher Ebene ausmacht, wo es kaum neue Formen von Protest oder Solidarität gäbe. Und so bleibt es beim Appell an die Kultur, einen schärferen Blick hinter die ideo- logische Fassade des Kapitalismus zu werfen. Zumindest, was eine entsprechende Kritik angeht, haben Toscana und Kinkle hiermit aber schon einmal auf äußerst eindrucksvolle und bereichernde Weise etwas vorgelegt.
Alberto Toscana, Jeff Kinkle: »Cartographies of the Absolute: An Aesthetics of the Economy for the Twenty-First Century«
Winchester: Zero Books 2015, 311 Seiten, EUR 19,95