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David Lipp: Eine Kryptographie der Liebe

Vertauschte Fälle, wirrer Satzbau, elektronische Hymnen und viel Gefühl prägen David Lipps Debüt über den einen, immerwährenden Topos der Popmusik: Liebe. Ein paar Ideen zum Thema, warum es doch gelingen kann, ein ganzes Album dazu aufzunehmen, ohne im Kitsch-Sumpf umzufallen, und warum Sylvester Stallone tolle Filme macht.

»In immer: Love« ist nicht mutig, denn dazu ist es zu bescheiden. Bei allen Vorbehalten gegenüber pathetischem Stelldichein in alten Songwriterschulen entgeht genau dieses Album den Fallen eines zu durchsichtigen, zu affirmativen oder zu abstrakten Zugangs zur Liebe. »In immer: Love« ist vielmehr zurückgezogen, elegant und in höchstem Maße euphorisch. Ein kleiner Edelstein, der Luftlinien zieht, Herzen vertauscht und kindlich-verspielt um innerste Momente des eigenen Selbstverständnisses kreist. »In immer: Love« fragt uns, warum wir die Liebe so brauchen, und liefert selbst ein paar ganz unvermutete und zum Nachdenken anregende Antworten. Ein Abstraktum, das weder entzaubert noch auslacht, sondern die Gattung des Liebesliedes durch eine subtile Harmonie- und Sprachwandlung aus dem selbstgebastelten Grab der romantischen Verklärung hebt. Das Verschlüsseln offenbart und das Romantisieren erklärt Sozialtechniken, Gott und die Welt der Rendezvous: »Zu Zweit ist nicht alleine. Alleine, das ist zu Zweit.«

Wie lange hast du an »In immer: Love« gearbeitet? Wie war der Produktionsprozess?
Begonnen habe ich im September 2003; ganz fertig wurde die CD erst im Oktober 2004. Die Herangehensweise war sehr intuitiv. Ich habe mich zum Keyboard gesetzt und innerhalb von zwei Wochen beinahe die ganzen Lieder für das Album geschrieben.
Gerade diese schnelle Art zu arbeiten war das Schöne daran für mich; anfangs wusste ich auch noch gar nicht wohin mich diese Lieder bringen würden; mir haben sie eben gefallen und nicht mehr losgelassen. Dazu kommt, dass zu dieser Zeit gerade die Platte »Musik für schöne Menschen« von den 4 Experimentellen die nur 2 sind fertig wurde, was eine sehr langwierige und pingelige Produktion gewesen ist. Die Texte zu den Liedern auf »In immer: Love« entstanden immer parallel zur Musik. Die restliche Zeit habe ich schließlich mit dem Feinschliff (Arrangement, Mischung …) verbracht.

Der Sound auf dem Album ist mit seinem minimalistisch-elektronischen Einschlag sehr fragil, aber trotzdem nie zu brüchig. Sind die Loops und Synthie-Effekte Kollektionen alter Schnipsel, die du mit dir herumgetragen hast, oder sind sie parallel zum Songwriting und zu den Lyrics entstanden?
Nein, die Loops sind das Songwriting, das bedeutet: alles ist neu entstanden. Der Sound ist meine persönliche Commodore 64-Referenz, hat auch was mit Sentimentalität zu tun. Ich mag das Puristische an dem Sound. Einzig »Fallen in Love« habe ich auf der Gitarre geschrieben, alle anderen Stücke am Keyboard, wo die Soundfrage auch gleich Bestandteil des Songwritings war.

Besagtes »Fallen In Love« erfindet das Rad des Minnesangs neu, ohne zu tief in der Klischeekiste zu wühlen. Magst Du Kitsch?
Das kommt für mich auf die richtige Dosierung an und in welches Umfeld er eingebettet ist. Bei »Fallen in Love« sind die Geigen der Kitsch, eingebettet in das Umfeld des Songs und hierbei essenziell: Der Refrain braucht die nötige »Schmiere«; Streicher stellen für mich auch immer etwas Großes dar, was den Ich-Erzähler des Liedes wiederum armseliger aussehen lässt.

Wie kann die Sprache dabei helfen, das tief sitzende Konzept der Liebe und des Gefühls anders zu kontextualisieren, als es die Musik bisher tat? Warum ist das Spiel mit der Sprache, das Vertauschen von Fällen und Artikeln so ein zentraler Bestandteil der Lyrics?
Hier stellt sich für mich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Text und Musik in der Popmusik. Ich finde, dass die Musik wichtiger ist, weil sie direkter anspricht als der Text. Siehe auch Poplieder, die man über lange Jahre kennt, sich aber erst sehr spät die Lyrics durchliest und dann feststellen muss, wie viel man falsch verstanden hat, weil der Text einfach nicht so wichtig war.
Auf dem Album steht der Text im Vordergrund, die Musik ist nur Stütze dafür. Durch diese Art von Text mache ich mich angreifbar und verletzlich, weil ich Position bekenne, so wie auch die »verliebte Person« immer das schwächere Glied in einer traurigen Liebesgeschichte ist. Es ist ein Versuch mit Sprache das auszudrücken, was man als verliebte Person empfindet (und dadurch wird); den sprachlich nicht ausdrückbaren Rest muss die Musik übernehmen (z.B. durch die Streicher).
Das Spiel mit grammatikalischen und syntaktischen Fehlern bietet mir eine zusätzliche Möglichkeit an Ausdruck, an Stimmungserzeugung, die zwischen den Zeilen mitschwingt. Es sind vielleicht auch Stolpersteine für den Hörer. Der Ich-Erzähler wirkt durch diese Fehler hilflos – er versucht sich selbst als den Besten darzustellen z.B.: »Geschmäcker ist verschieden, nur mein Geschmack lehrt…« und wird dadurch nur umso pathetischer.

Inwiefern spiegelt »In immer: Love« deine persönliche Situation wider? Ist
es deine »Abrechnung« mit der Liebe? Oder dein privates Manifest dafür?

Die Platte hat natürlich einen persönlichen Hintergrund. Mit der Liebe als Thema in der Musik beschäftige ich mich jedoch schon seit ich Lieder schreibe. In der Platte geht es um das Vermissen einer nicht anwesenden Person. Und je länger diese vermisst wird, desto mehr wird sie zu einer Illusion. Das ist der perfekte Liebeskummer, da die zur Illusion gewordene vermisste Person niemals erreicht werden kann (vgl. »Die Blaue Blume« in der Romantik) und auch nicht erreicht werden soll. Würde sie erreicht, dann würde der Stern sehr schnell sinken, weil dann der Alltag hinzukäme. Darum hören die Hollywood-Schmonzetten immer rechtzeitig, zumindest nach dem ersten Kuss, auf.
Je länger ich allerdings an der Platte arbeitete, desto mehr bin ich zum Schluss gekommen, dass das Thema nicht unbedingt Liebeslieder an eine ferne Person sind, sondern eine teilweise recht kühle Selbstbeschreibung. Aus diesen Gründen ist die Platte nicht mein privates Manifest über die Liebe, weil ich im Privaten schon auch gern ein bisschen Wirklichkeit habe.

»Dirty Dancing« und »Over The Top«, die beiden Filme, die du auf dem Album erwähnst, spiegeln gänzlich unterschiedliche Lebenszustände wider. Hier Liebesromanze in den tanzwütigen 80ern, dort die zerrüttete Vater-Sohn-Story um den Kampf, der Beste zu sein. Beide Filme stammen aus dem Jahr 1987. Warum gerade die beiden?
Das hat wieder mit Sentimentalität zu tun und natürlich finde ich »Over the Top« wirklich einen tollen Film, weil er die großen Gefühle beim Namen nennt und weil er eine Art Anleitung für ein rechtschaffenes Leben ist (auch wenn der böse Großvater denkt, dass unser guter Silvester ein Loser ist). Das ist für mich ein Film bei welchem man danach entweder Arm drücken geht oder sein Leben verändert. »Dirty Dancing« mag ich als Film nicht so gern, den Soundtrack jedoch (vor allem natürlich »(I’ve Had) The Time Of My Life« und »She’s Like The Wind«) sehr. Dass beide Filme aus demselben Jahr sind wusste ich gar nicht.
Was diese beiden Filme für mich verbindet: Sie scheuen sich nicht davor große Gefühle zu zeigen in einer sehr direkten Art.

Die Brücke zwischen Menschen ist impliziertes Thema deiner Songs. Liebe kann sie aufbauen. Liebe kann, wenn sie zur »Vertauschung der Herzen« führt, selbige auch zum Einstürzen bringen. Das Verhältnis vom Subjekt zur Liebe und zum Begehren ist ein seit jeher schwer einzufangendes. Was war für dich die Motivation, so ein Album wie »In immer: Love« aufzunehmen?Warum ist die Liebe das dringlichste der Themen, die dich darauf beschäftigen?
Wahrscheinlich weil die Liebe ein so intensives Gefühl ist, in den ganzen Variationen und Facetten in denen sie auftritt. Das Thema ist für mich sicherlich auch deswegen so interessant weil ich meine eigenen Erfahrungen miteinbinden kann.

Und diese schöne Freiheit bleibt einem als Zuhörerin und Zuhörer auch. »In immer: Love« quetscht Momente, Sprachspiele und Synergien aus unserem Unterbewusstsein nach oben, wo wir
uns sonst nie trauen hinzuschauen. Die von Jürgen Hofbauer in den Linernotes angesprochene »Subjektfungibilität« wird zur Pathosfungibilität und eröffnet bisher unbekannte Orte eines elektronischen Musikverständnisses, das den Pop-Song vergöttert, wie der Mensch die Liebe selbst. Insofern ist »In immer: Love« das potenzielle private Manifest von uns allen, die wir uns darauf einlassen. Den ersten Schritt dazu hat David Lipp schon getan.

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Text
Marko Markovic

Veröffentlichung
06.06.2005

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