Fotos: ©  Claudia Bosse
Fotos: © Claudia Bosse

Claudia Bosse über »dominant powers. was also tun?«

Ein Organismus von Anwesenheiten. Wie visionär kann/muss Performance bzw. Theater sein? Ein Gespräch mit Claudia Bosse über ihr neues Stück fürs Theatercombinat, das am 23. 11. im DOMPOWpalace uraufgeführt wurde, sowie eine Reflexion von Autor Michael-Franz Woels darüber als assoziativer Epilog.

Claudia Bosse: Die ?bergänge sind sehr flie&szligend. Die aktuelle Arbeit »dominant powers. was also tun?« ist ein Versuch, mit installativen, performativen und theatralen Momenten in ?bergängen zu arbeiten. Dann ist die Frage: Was ist das Installative, das Performative, das Theatrale? Das Installative sind Elemente in Räumen, die ohne ein bestimmtes Zeit-Frame erscheinen. Die zeitliche Wahrnehmung der Gleichzeitigkeit von Angeboten wird dem Zuschauer überlassen.

Man ist im Theater ja immer versucht, irgend eine Art von geführter Chronologie herzustellen. Der ?bergang zwischen Performance und Theater – diese performative Grundpräsenz des »Da-Seins«, die mich interessiert – sind artifizielle theatrale Handlungen in Verbindung mit einem konkreten Tun. Mich interessieren gesprochene Texte mit bestimmten Inhalten, Fügungen und Rhythmen, die im Moment des Sprechens in seinem Sinn aktualisiert werden. Und bei in der Arbeit mit diesen fremden Texten eine Grundhaltung: Nicht zu sagen, was man denkt, sondern zu denken, was man sagt. Das Theater ermöglicht komplexere Organisationen, das Aufeinandertreffen und die Koordination verschiedener Elemente, der Arbeitsprozess ist eine andere Art und Weise des Probens und Wiederholens, die der Erfahrung des »reinen Tuns« manchmal widersprüchlich ist.

Du hast den Begriff der Grundpräsenz erwähnt, was umfasst für Dich der vielleicht geläufigere Begriff der Bühnenpräsenz?

Ein räumliches Bewusstsein, ein geistiges und ein muskuläres Bewusstsein wo man ist und was man tut. Es hat total viel mit Kontrolle zu tun, mit Klarheit und Vehemenz im Handeln. Dass einem die Verhältnisse dieser Entscheidungen die man trifft, mit sich und zu anderen, bewusst sind.

Man erfährt sich zugleich wiederum in dem Handeln, darf sich aber nicht im Tun verlieren. Ich kann Handlungen setzen, werde aber nicht zu hundert Prozent zu dem was ich tue. Eine komplette Anwesenheit im Bewusstsein der Elemente, die einen in diesem Moment bestimmen und dann in diesem Ensemble von Bedingungen Entscheidungen zu treffen, aber nicht imaginär, sondern von den konkreten vorhandenen Voraussetzungen ausgehend.

Wenn du Deine letzten beiden Stücke vergleichst, die du ja als politische Hybride bezeichnest, wo siehst Du Veränderungen, Weiterentwicklungen, Aufbauendes …

Das letzte Stück »vampires of the 21st century oder was also tun?« war der Versuch, von einer zentralen Perspektive ?berlagerungs- und Verdichtungsräume in der Imagination der Zuschauer zu schaffen und dort in einer relativ geschützten Zuschauer-Physis das Bewusstsein und die Erinnerung mit Gedanken in Gefahr zu setzen; dabei aber als Zuschauer die Ruhe eines klaren Blickes zu haben. »dominant powers. was also tun?« ist nun der Versuch – der sich als nicht ganz unkompliziert herausstellt – den Sound gepaart mit anderen Elementen über ein System mehrerer Räume aufzuteilen. Räume zu schaffen mit verschiedenen Stimmen, den Tondokumenten, einem anwesenden Gefüge des Chores, dazu noch drei Darstellerinnen. ?bergänge schaffen zwischen installativen Anwesenheiten, einer installativen Organisation von Räumen und zum Teil auftauchenden, theatralen Situationen, die dann auch wieder zerfallen. Der Betracher, der Besucher muss sich deutlich eigens organisieren. Es passieren häufig mindestens zwei Sachen parallel in verschiedenen Räumen. Man muss sich da hindurchbewegen und wird immer etwas verpassen. Man muss somit Aufmerksamkeitsentscheidungen und Anwesenheitsentscheidungen treffen. Es forderte eine Form von Orientierungsleistung und Koordinationsleistung. Das Stück erzeugt auch intime räumliche Situationen, Intensitäten und Direktheiten, die innerhalb eines theatralen, installativen Gefüges ablaufen.

Du arbeitest ja bei dem aktuellen Stück »dominant powers. was also tun?« mit einem Freiwilligen-Chor ??

Ich habe ja schon viele Chorarbeiten gemacht. Zum Beispiel der Sprech-Chor bei der Massensteppchoreografie »turn terror into sport« 2007 am Maria-Theresien-Platz. Da waren 100 Menschen, die mit ihren Stepptanz-Bewegungen den Ort verunsichert haben. Bei diesem Chor von »Dominant Powers« steht das synchronisierte Sprechen nicht im Vordergrund, es ist ein Organismus von Anwesenheiten. Ein Chor ist immer eine gefährliche und interessante Mischung aus Biografien, individuellen Haltungen und verschiedenen Körpern. Es entstehen permanent Veränderungen, auch weil sich die Zusammenstellung der Teilnehmenden ändert, da es sich hier um eine freiwillige Teilnahme handelt. Es gibt vorgegebene Texte, wie z. B. den »Üdipuskommentar« von Heiner Müller und es gibt aber auch Texte, wo die Teilnehmenden von mir gebeten wurden selber Aussagen zu bestimmten Fragen zu treffen. Bei Chorstücken der Theatergeschichte ist ja schon mal eine Legitimation der Inhaltlichkeit gegeben. Wie ist das aber dann, mit der Autorenschaft z. B. wenn Positionen, Ansichten der Einzelnen veröffentlicht werden. Da entstehen Selbstbestimmungsfragen und ich bin gespannt, wie wir das schlussendlich auflösen.

Kannst du mit dem Begriff Entrhythmisierung etwas anfangen?

Ganz praktisch auf den Chor bezogen, versucht man ja immer über den Rhythmus zu arbeiten. Der Rhythmus ist oft ein Arbeitsmittel bei Proben, über das man sich in Verbindung zu »etwas« setzen kann. Dieses »etwas« ergibt dann mehr als die Summe der einzelnen. Jede Information, die wir aufnehmen ist zeitlich getaktet, also rhythmisch. Jegliche Gehirninformation wird über zeitliche Takte umgewandelt. Da die Taktungen zum Teil individuell sehr unterschiedlich sind und die ?bersetzungen unterschiedlich aufgelöst werden, habe ich den Eindruck, dass die Möglichkeit, sich selbst im Verhältnis zu anderen anders zu erleben über den Versuch einer gemeinsamen Rhythmisierung erfolgen kann. Der Rhythmus hat viel damit zu tun, wie man sich und die Welt wahrnimmt. ?ber die bewusste Verschiebung von Taktungen oder Rhythmisierungen kann man sich in andere Erfahrungs- oder Handlungsbereiche bringen. Diese Taktungen sind immer mehr visuelle Taktungen, in denen wir Informationen dieser Bilddominanz selektieren. Auf der akustischen Ebene, auf der Sprachebene werden Informationen immer de-rhythmisierter. Wenn man sich jetzt zum Beispiel Radiosendungen vor 50 Jahren anhört, dann ist der sprachliche Duktus viel rhythmischer. Ein Bild ist ja immer relativ und wird häufig erst durch eine sprachliche Information kontextualisiert. Akustische Informationen verlangen imaginative ?bersetzungen durch den Hörer und die Stimme ist ja eine unglaublich körperliche Information. Die Stimme als Raum, die Stimme kann im Körper über Luft die Muskeln und Knochen in Vibration versetzen. Sie bewegt sich aus dem Körper der sie erzeugt und in den Umraum, d. h. die Gesellschaft.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit dem Musiker Günther Auer vorstellen? Ihr habt ja auch gemeinsam in Ägypten recherchiert und Interviews geführt …

Es läuft vieles parallel, entwickelt sich synchron – eine sehr intensive, zum Teil auseinanderlaufende und dann wieder zusammenlaufende Kommunikation. Ich erzähle ihm meine Gedanken und dann hat er Assoziationen zum Material dazu. Das hören wir uns an, ich sage, das interessiert mich, das interessiert mich nicht. Er findet die jetzige Arbeit um ein vielfaches komplexer als das letzte Stück »vampires of the 21st century oder was also tun?«. Er ist bei den Proben anwesend, sammelt Sounds die wir uns dann durchhören. Daraus entsteht eine Auswahl an räumlicher Verteilung dieser Sounds.

Wir haben gemeinsam in Ägypten Interviews geführt und auch Sounds gesammelt. Daraus ergeben sich gemeinsame Wahrnehmungserinnerungen.

Wie wichtig war dir die persönliche Recherche vor Ort in Ägypten?

Mir war es sehr wichtig. Ab dem Moment, wo die Umbrüche passiert sind, sich Geschichte als Geschichte manifestierte und die Ereignisse medial vermittelt wurden, wollte ich wissen, was die Leute dort denken, wie sie sich erinnern, was eigentlich stattgefunden hat. Das hat Eingang ins Stück gefunden, mich aber auch ganz generell interessiert. Die Reise war also nicht rein funktional für das Stück. Ich habe wahnsinnig viel gelernt über Dinge, wo man sich selber in Gewohnheiten verliert – wieder ein Möglichkeitsdenken mit allen realistischen Einschätzungen erlangt. Welche Funktion kann Theater haben? Kann das ein Analysewerkzeug sein? Wenn du mit Leuten sprichst merkst du ?berschneidungen und Differenzen. Du merkst unterschiedliche Zweifel. Das Wertvolle waren für mich auch die Haltungen oder der kritische Zusammenhang zwischen Revolution und Nationalismus. Es geht dabei aber nicht um ein investigatives Theater, sondern um den Versuch mit diesen Bewusstseins- und Haltungsinstrumenten andere Zusammenhänge herzustellen, damit man nicht nur degradiert ist zum Konsumenten von scheinbar fixierten Verhältnissen, Gedankenwelten und Wirklichkeitszusammenhängen. Man ist produzierender Teil der Wirklichkeit, man ist verantwortlich für seine Wirklichkeit. Das ist die Einsatzfläche von Theater.

epilog: ver- und entwirrungen

(reflexionen über »dominant powers. was also tun?«

theater in räumen der zwischenzeit. in der die zeit nicht stillsteht, aber der stillstand sich zeit genommen hat. spuren des verfalls, indizien des in-between. wie finden sich diese räume, die zu theatralen möglichkeitsräumen erblühen? wo befinden sie sich? unruhe diffundiert, ein anlaufen gegen wände, gegen grenzen, hindernisse. doch dazwischen, darunter, darin entstehen kompositionen der liebe, die in einen käfig der erwartungen gesperrt wird, kompositionen des kummers, kompositionen des krieges, kompositionen der inner-menschlichen und inter-menschlichen auseinandersetzungen, entsetzungen. politik ist ein hauptwort und auch ein chor der sich die hände blutig spricht, der ins nichts, in eine leere, in eine ferne kommuniziert. sich durchzieht durch gänge. ein rastender, ein sich verängstigt versteckender, in decken des schweigens sich einhüllender menschenhaufen. dazwischen immer wieder lautes aufbegehren. die urheberin des urgierens ist anwesend, dirigiert, kontrolliert, infiltiert den verlauf der dinge. fragen stellen, sich in fragen stellen, sich in frage stellen. die antworten kommen aus apparaten, automaten. audiovisuelle schichten, verwerfungen, verwundungen. konglomerate kraftfelder archetypischer ängste. theater in räumen der zwischenzeit. in der die zeit nicht stillsteht, der stillstand aber unüberhörbar nach zeit schreit. nicht die zeit vergeht, sondern wir vergehen. wir vergehen uns an der zeit. und wenn die luft zum atem wird stehen wir wieder am anfang. und atmen aus. pause. ein. pause. aus. und neue fragen. und neue antworten …
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»dominant powers. was also tun?«

Uraufführung am 23. November 2011
Weitere Vorstellungen
25./26./27. November
1./2./3./4. Dezember 2011
Beginn: jeweils 20 Uhr
»details
Location
DOMPOWpalace
Pfeiffergasse 3, 1150 Wien
Fotos: © Claudia Bosse

Home / Kultur / Performance

Text
Michael Franz Woels

Veröffentlichung
16.11.2011

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